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Die Schweiz und die NNSC. Diplomatische Dokumente der Schweiz zur Geschichte der Neutral Nations Supervisory Commission in Korea 1951–1995, vol. 21, doc. 22
volume linkBern 2023
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E-01#1988/16#2723* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)-01/1988/16 662/5 | |
Dossier title | Schweiz. Delegation in der Neutralen Kommission für die Überwachung des Waffenstillstandes in Korea, Band 1 - 5, 13.12.1951 - 13.11.1954 (1951–1978) | |
File reference archive | B.73.0.1 • Additional component: Korea, Republik |
dodis.ch/9604Der Chef der Abteilung für Politische Angelegenheiten des EPD, Minister Zehnder, an den designierten diplomatischen Berater der schweizerischen NNSC-Delegation, Legationsrat Hunziker1
[Politische Zusammenhänge und Erfordernisse]
Wir nehmen an, dass Sie vor Ihrer Abreise von Washington noch Gelegenheit haben, sich auf Grund der dort vorliegenden Dokumentation über die Aufgabe ein Bild zu machen, die Sie in Ihrer Stellung als politischer Berater des schweizerischen Delegationschefs bei der Neutralen Überwachungskommission erwartet. Wir hoffen auch, dass Sie Herr Rentsch an Ort und Stelle noch über die Einzelheiten Ihrer Tätigkeit orientieren kann.
Unsererseits möchten wir Ihnen dazu zu Ihrer persönlichen und vertraulichen Unterrichtung noch folgendes mitteilen.
Wir stellen uns auf den Standpunkt, dass das schweizerische Mitglied der NNSC seine Aufgabe auf Grund des Waffenstillstandsabkommens vom 8. Juni 19532 selbständig zu erfüllen hat und dass durch seine Tätigkeit die politische und rechtliche Verantwortung der schweizerischen Regierung nicht engagiert wird. Die besondern Voraussetzungen, unter welchen die Aktivität der schweizerischen Beauftragten in Korea steht, haben uns aber trotzdem veranlasst, den Delegationschefs gelegentlich unsere Auffassung zu einzelnen Fragen bekanntzugeben und sie auf gewisse politische Zusammenhänge und Erfordernisse aufmerksam zu machen. Da es sich um Fragen handelt, in welchen der Chef der schweizerischen Delegation auf Ihre Mitarbeit angewiesen sein wird, möchten wir Sie ebenfalls noch orientieren.
1) Die Tätigkeit der Kommission gestaltete sich am Anfang ziemlich reibungslos und die NNSC erschien zunächst als nützliches Instrument zur Sicherung des Waffenstillstands im Rahmen der ihr zugedachten Aufgabe. Während der ersten Zeit waren die Mitglieder der Kommission vor allem damit beschäftigt, ihre Organisation aufzubauen und die äussern Voraussetzungen für die Erfüllung ihrer Obliegenheiten zu schaffen; dabei zeigten sich keine unüberwindlichen Schwierigkeiten. Während es im Schosse der Neutralen Heimschaffungskommission3 schon bald zu kritischen Auseinandersetzungen kam, schien die NNSC nicht mit so schwerwiegenden Problemen belastet zu sein.
Schon der erste Delegationschef, Herr Oberstdivisionär Rihner, musste aber nach und nach feststellen, dass die Kontrolltätigkeit der Kommission nicht eine sichere Feststellung aller möglichen Verletzungen des Waffenstillstandsabkommens durch die kriegführenden Parteien gewährleisten konnte und dass die polnischen und tschechoslowakischen Kommissionsmitglieder eine Haltung einnahmen, welche die Kontrolltätigkeit der Kommission in Nordkorea ziemlich illusorisch machte.4
Die Tatsache, dass die Kommission ihre Aufgabe nicht in gehöriger Weise erfüllen kann, wurde in der Folge immer offensichtlicher und gab im Schosse der Kommission selbst zu ernstlichen Diskussionen Anlass. Nach Besprechungen, die Herr Oberstdivisionär Wacker mit dem amerikanischen Mitglied der Waffenstillstandskommission führte, wurden in Südkorea die Kontrollvoraussetzungen an das Prozedere in Nordkorea angepasst, so dass in dieser Hinsicht das Gleichgewicht einigermassen hergestellt wurde.5
Nach der Ablösung von Herrn Oberstdivisionär Wacker durch Herrn Oberstbrigadier Gross verschärften sich die Spannungen im Schosse der NNSC. Im Laufe des Monats Mai sahen sich das schweizerische und das schwedische Mitglied der NNSC veranlasst, in einigen recht kritisch gehaltenen Briefen an die Waffenstillstandskommission zur Situation Stellung zu nehmen.6 Diese Schreiben wurden von amerikanischer Seite publiziert (das eine davon durch die amerikanische Delegation an der Genfer Konferenz), und sie fanden in der Weltöffentlichkeit begreiflicherweise grosse Beachtung. Sprecher der chinesischen und der nordkoreanischen Delegationen in Genf versorgten die Presse dort ihrerseits mit Informationen über die Tätigkeit der NNSC.7
2) Wir waren über diese Polemik in Genf und die Entwicklung der Situation im Schoss der NNSC durchaus nicht erfreut, und wir haben deswegen am 31. Mai ein Schreiben an Herrn Oberstbrigadier Gross gerichtet, wovon Herr Minister Bruggmann eine Kopie erhalten hat. Vielleicht ersuchen Sie ihn darum, Ihnen von diesem Schriftstück Kenntnis zu geben.8
Wesentlich schien uns vor allem, dass die schweizerische Delegation in Korea tunlichst vermeiden sollte, durch ihre Haltung den Problemen und Schwierigkeiten, mit welchen die NNSC von allem Anfang an zu rechnen hatte, gerade während der Genfer Konferenz einen andern Charakter zu geben. Wir hatten denn auch dem Delegationschef schon vor Ende April auf telegraphischem Wege mitgeteilt, dass er sich während der Dauer der Genfer Konferenz darum bemühen sollte, seiner Tätigkeit den Charakter einer unveränderten Routine zu geben.9
3) Wie Sie wissen, haben wir Mitte April in Washington und Peking Schritte unternommen, um die am Konflikt in Korea beteiligten Parteien über die Gründe zu unterrichten, aus welchen eine unbegrenzte Weiterdauer der schweizerischen Mitwirkung in Korea nicht möglich ist.10 Bei dieser Gelegenheit wurde auch die Genfer Konferenz erwähnt, bei welcher die Frage der Beendigung der Tätigkeit der NNRC geprüft werden könnte. Die interessierten Staaten haben dieser schweizerischen und der gleichzeitigen schwedischen Demarche bisher nicht die gewünschte Folge gegeben. Es ist denkbar, dass die Korea-Frage an der nächsten Generalversammlung der UNO – eventuell an einer ausserordentlichen Generalversammlung noch im Laufe des nächsten Monats – zur Sprache kommen wird. Auf jeden Fall wird sich aber die schweizerische Regierung vorbehalten müssen, von sich aus in absehbarer Zeit für Ihre Mitwirkung in Korea einen Schlusstermin festzusetzen.
Wir sind darüber unterrichtet, dass eine Beendigung der Tätigkeit der NNSC von amerikanischer und südkoreanischer Seite begrüsst würde. Die britischen Behörden sind dagegen eher der Meinung, dass am status quo vorläufig nichts geändert werden sollte. Die interessierten kommunistischen Regierungen sind ihrerseits der Auffassung, dass die Tätigkeit der NNSC noch nützlich und zur Sicherung des Waffenstillstands in Korea notwendig sei und solange weitergeführt werden sollte, bis der Waffenstillstand durch eine definitive Bereinigung der Korea-Frage abgelöst sein wird.
Diese Konstellation erleichtert unsere Entschlüsse nicht. Wir möchten auf jeden Fall nicht den Eindruck aufkommen lassen, dass die Schweiz ihre Mitwirkung in Korea beendigen will, um der amerikanischen Politik dienlich zu sein. Einer solchen Interpretation sind wir immerhin schon damit etwas begegnet, dass wir, nachdem das Problem vor der Genfer Konferenz gestellt wurde, nun mit aller Geduld das Ende dieser Konferenz abgewartet und auf jede Aktion verzichtet haben, welche den Gang dieser Konferenz hätte stören können. Das Terrain ist soweit vorbereitet, dass wir jedenfalls in absehbarer Zeit für die zu treffende Entscheidung wohl freie Hand haben werden.
4) Was können wir unter diesen Umständen von der künftigen Tätigkeit der schweizerischen Mission in Korea noch erwarten?
Wir legen vor allem Wert darauf, dass den kommunistischen Vertretern im Schosse der NNSC keine Gelegenheit geboten wird, die sachliche und unabhängige Haltung der schweizerischen Delegation anzuzweifeln. Jede unnötige Polemik und Verallgemeinerung ist zu vermeiden. Einer kommunistischen Polemik und Propaganda sollen nur klare und unbestreitbare Tatsachen entgegengestellt werden.
Wir haben jedoch kein Interesse daran, dass die Schwierigkeiten und Mängel der NNSC vertuscht werden. Diese Schwierigkeiten und Mängel waren einer der wesentlichen Gründe unserer Demarche von Mitte April11 und des geplanten Entschlusses, die schweizerische Mitwirkung in Korea zu beendigen. Wenn wir uns auf diesen Grund berufen wollen, müssen diese Mängel und Schwierigkeiten auch durch die schweizerische Delegation in der NNSC selbst festgehalten werden. Das soll aber, wie gesagt, in sachlicher und unpolemischer Weise und nur gestützt auf unbestreitbare Tatsachen geschehen.
Wir glauben ferner, dass es richtig wäre, wenn die Mängel und Schwierigkeiten der NNSC nicht von vorneherein den polnischen und tschechoslowakischen Delegationen zur Last gelegt würden. Wir sind jedenfalls von uns aus bis jetzt davon ausgegangen, dass die mangelnde Wirksamkeit der NNSC einer fehlerhaften Konzeption des Waffenstillstandsabkommens zuzuschreiben ist, namentlich der Tatsache, dass die regelmässigen Kontrollen lokal allzu sehr beschränkt sind und dass die NNSC aus vier Mitgliedern besteht, so dass bei einer Meinungsverschiedenheit unter ihnen jede Aktion ausgeschlossen ist.
Vielleicht kann in diesem Zusammenhang noch ein Gesichtspunkt gelegentlich in den Vordergrund gestellt werden: Die Tätigkeit der NNSC sollte doch offenbar jeder der am Konflikt in Korea beteiligten Parteien Gewähr dafür bieten, dass Verletzungen des Waffenstillstandsabkommens, begangen durch die Gegenpartei, festgestellt (und so verhindert) werden. Sie sollte jede Partei gegen böswillige oder fahrlässige Missbräuche der Gegenpartei schützen, muss also «par définition» mit der Möglichkeit solcher Missbräuche rechnen und misstrauisch sein, Tatsache ist aber, dass es vom Willen der Parteien selbst abhängt, zu bestimmen, welche Vorgänge (Truppen- und Waffenverschiebungen) sie der Kontrolle der NNSC unterwerfen wollen, während die NNSC keine Möglichkeit hat, abzuklären, ob ausserhalb der regelmässig gemeldeten Rotationen (und in Verletzung des Waffenstillstandsabkommens) noch Truppen und Waffen nach Korea gebracht werden. Selbst mit einem gelegentlichen Einsatz fliegender Kontrollequipen könnte diesem Übelstand kaum wirklich abgeholfen werden; auch dieser Einsatz hat sich übrigens seit einiger Zeit praktisch überhaupt nicht mehr als möglich erwiesen. Kontrolliert wird also faktisch nur das, was die Parteien selbst kontrollieren lassen wollen, während die NNSC nicht – wie es doch ihre Zweckbestimmung sein müsste – in der Lage ist, das festzustellen, was die Parteien vielleicht in Verletzung des Waffenstillstandsabkommens unternehmen und deshalb verbergen wollen.
Auch diesen Umstand wird man aber festhalten können, ohne sich zu diesem Zweck gegen die eine oder andere Partei oder die andern Mitglieder der Kommission wenden zu müssen. Soweit allerdings konkrete Tatsachen vorliegen, welche den mangelnden guten Willen der Parteien oder einzelner Mitglieder der NNSC beweisen, besteht kein Anlass, die Dinge nicht ebenfalls klarzustellen. Aber gerade in solchen Fällen ist es wichtig, dass die schweizerische Delegation die Tatsachen und nur die Tatsachen sprechen lässt und sich jeder Polemik enthält, auch wenn das Verhalten der kommunistischen Mitglieder der NNSC dazu einen durchaus genügenden Anlass geben sollte.
5) Der Umstand, dass die NNSC die ihr zugedachte Kontrollaufgabe nicht oder nur symbolisch erfüllen kann, bedeutet nicht, dass sie deswegen nutzlos ist. Dass die NNSC ihre Tätigkeit aufgenommen hat, war einmal eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass der Waffenstillstand in Korea überhaupt zustande kommen konnte. Vielleicht darf man auch annehmen, dass die blosse Existenz der NNSC eine gewisse politische Sicherung gegen ein erneutes Ausbrechen der Feindseligkeiten in Korea bedeutet. Für die Schweiz war die Mitwirkung in Korea ein Anlass, ihre Bereitschaft, aktiv für ein Werk des Friedens einzutreten, unter Beweis zu stellen. Der Dienst, den die Schweiz so dank ihrer Neutralität leisten konnte, wurde von den westlichen Staaten schon am Anfang anerkannt. Auch die kommunistische Welt scheint aber diesem Dienst und damit dem Sinn der schweizerischen Neutralität einige Beachtung zu schenken, besonders jetzt, da die Amerikaner die Auflösung der NNSC begrüssen würden und da die Tätigkeit der NNSC offenbar eher für die nördliche als für die südliche Partei nützlich erscheint. Der Umstand, dass die Schweiz trotzdem immer noch in der NNSC mitwirkt, zeigt also auch den kommunistischen Staaten, dass sie nicht der amerikanischen Politik dient, sondern, wie wir das von allem Anfang an betont haben, wirklich unabhängig und unparteiisch ist.12 Diese Einstellung sollte auch in der Haltung der Delegation in Korea zum Ausdruck kommen. Wir wissen, dass dieses unser Anliegen in Panmunjom nicht immer leicht zu erfüllen ist, weil das einseitige Verhalten der polnischen und tschechoslowakischen Beauftragten geeignet ist, die Schweizer und die Schweden in eine Abwehrstellung zu bringen; durch absolute Sachlichkeit kann diesem Übelstand aber vielleicht doch etwas entgegen gewirkt werden. Ein weiterer erschwerender Umstand ist die Abhängigkeit der schweizerischen Delegation vom amerikanischen «logistical support». Die Delegationsmitglieder verkehren intensiv mit amerikanischen Beauftragten und treffen (ausser auf den Aussenposten in Nordkorea) kaum einmal einen Vertreter der nördlichen Kriegspartei. Daran lässt sich nicht viel ändern. Eine gewisse Zurückhaltung in der Zusammenarbeit mit den Amerikanern ist aber auf jeden Fall am Platz, und wir können es selbstverständlich nur begrüssen, wenn die Mitglieder der schweizerischen Delegation, soweit das die Umstände überhaupt erlauben, versuchen, im Verkehr mit dem Norden und Süden doch einigermassen das Gleichgewicht zu halten.
- 1
- CH-BAR#E2001E-01#1988/16#2723* (B.73.0.1). Dieses an den designierten diplomatischen Berater der schweizerischen NNSC-Delegation, Legationsrat Roy Hunziker, gerichtete Schreiben wurde von Legationsrat Felix Schnyder verfasst und vom Chef der Politischen Abteilung des EPD, Minister Alfred Zehnder, unterzeichnet. Das hier edierte Exemplar ist die Versandkopie der Politischen Abteilung des EPD.↩
- 2
- Gemeint ist das Waffenstillstandsabkommen in Korea vom 27. Juil 1953, vgl. QdD 21, Anhang 2, dodis.ch/60000. Am 8. Juni 1953 wurden die Terms of Reference for Neutral Nations Repatriation Commission unterzeichnet, welche einen Teil des Waffenstillstandsabkommens bildeten, vgl. dodis.ch/60000, Annex.↩
- 3
- Vgl. dazu die thematische Zusammenstellung Neutrale Heimschaffungskommission für Kriegsgefangene in Korea (NNRC), dodis.ch/T2524.↩
- 4
- Vgl. den Schlussbericht des ersten Chefs der schweizerischen NNSC-Delegation, Oberstdivisionär Friedrich Rihner, QdD 21, Dok. 19, dodis.ch/65585.↩
- 5
- Für die Unterredung des Chefs der schweizerischen NNSC-Delegation, Oberstdivisionär Paul Wacker, mit dem Oberkommandierenden des Far East Command der US-Streitkräfte, General John E. Hull, in Tokio vgl. dodis.ch/66145, S. 7.↩
- 6
- Vgl. die Schreiben des schweizerischen und des schwedischen NNSC-Delegationschefs, Oberstbrigadier Ernst Gross und Generalmajor Paul Mohn, an General Julius Lacey, Senior Member UNCMAC, vom 4. Mai 1954, dodis.ch/66808, und an die Waffenstillstandskommission vom 7. Mai 1954, dodis.ch/66809.↩
- 7
- Zur Genfer Asienkonferenz vom 26. April bis zum 21. Juli 1954 vgl. die thematische Zusammenstellung dodis.ch/T2551. Zur Frage der Teilnahme der Schweiz vgl. QdD 21, Dok. 17, dodis.ch/66048. Zu den Auswirkungen der Konferenz auf die Tätigkeiten der schweizerischen NNSC-Delegation vgl. QdD 21, Dok. 21, dodis.ch/9675.↩
- 8
- Vgl. QdD 21, Dok. 21, dodis.ch/9675.↩
- 9
- Vgl. das Telegramm Nr. 80 des Vorstehers des EPD, Bundesrat Max Petitpierre, an Oberstdivisionär Wacker vom 24. April 1954, dodis.ch/66807.↩
- 10
- Vgl. das Aide-mémoire vom 14. April 1954, QdD 21, Dok. 20, dodis.ch/10673.↩
- 11
- Vgl. QdD 21, Dok. 20, dodis.ch/10673.↩
- 12
- Vgl. dazu QdD 21, Dok. 4, dodis.ch/7767.↩
Tags
Neutral Nations Supervisory Commission (NNSC)
Korea (General) Geneva Asia Conference (1954)