Darin: Aussprachepapier des EDA vom 15.2.1993 (Beilage).
Darin: Notiz der Bundeskanzlei vom 17.2.1993 (Beilage).
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1993, doc. 3
volume linkBern 2024
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#1029* | |
Old classification | CH-BAR E 1004.1(-)1000/9 1523 | |
Dossier title | Beschlussprotokolle des Bundesrates März 1993 (6 Bände) (1993–1993) | |
File reference archive | 4.10prov. |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E8812#1998/341#145* | |
Dossier title | BR-Sitzung vom 1. März Bericht der GPK-SR (1993–1993) | |
File reference archive | 1 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2010A#2001/161#1551* | |
Dossier title | Allgemeines, Band 3 (1992–1993) | |
File reference archive | B.15.20 |
dodis.ch/61431Aussprachepapier des EDA an den Bundesrat1
Reisen des Bundespräsidenten zu bilateralen Treffen im Ausland
Das vorliegende Papier versucht, dem Ursprung der Tradition, wonach der Bundespräsident keine Reisen zu bilateralen Treffen im Ausland unternimmt, nachzugehen. Es kommt zum Schluss, dass dem Bundespräsidenten in der Ausübung der erwähnten Pflicht eine gewisse Zurückhaltung auferlegt ist, er aber aufgrund des stark veränderten internationalen Umfelds die Möglichkeit haben sollte, an bilateralen Ministertreffen und Fachkonferenzen teilzunehmen, wenn der Gegenstand der Gespräche in den Bereich des von ihm angeführten Departements fällt. Im Rahmen solcher Treffen soll der Bundespräsident dem Staatsoberhaupt eines anderen Staates einen Besuch bzw. einen Gegenbesuch abstatten können.
In seiner Antwort vom 11. Dezember 1989 auf eine Einfache Anfrage Ulrich vom 28. September 1989 betreffend Auslandaufenthalte des Bundespräsidenten bestätigte der Bundesrat, dass es eine Tradition gibt, wonach der Bundespräsident keine Reisen ins Ausland unternimmt. Gleichzeitig stellte er fest, dass diese Praxis aufgrund des Wandels in der Pflege der internationalen Beziehungen und der Verbesserung der Transport- und Kommunikationsmittel gewisse Änderungen erfahren hatte. So nimmt der Bundespräsident seit langem an multilateralen Ministertreffen und Konferenzen teil, die den Geschäftsbereich seines Departements betreffen. Obwohl der Bundesrat feststellte, dass die Reisetätigkeit des Bundespräsidenten nie genauer reglementiert worden war, hielt er in der erwähnten Stellungnahme fest, dass der Bundespräsident rein bilaterale Treffen im Ausland unterlässt. Mit der Einschränkung, «weniger aus Prinzip, als mehr, weil es die zeitliche Beanspruchung nicht zulässt», sprach der Bundesrat einer pragmatischen Anwendung dieser Regel das Wort, ohne aber deren grundsätzliche Gültigkeit in Frage zu stellen.2
Stellung und Funktionen des Bundespräsidenten sind Gegenstand von Art. 98 Abs. 1 BV.3 Demgemäss wird diesem die Stellung des Vorsitzenden im Bundesrat zugewiesen, nicht mehr und nicht weniger. Er hat daher innerstaatlich weder den Vorrang eines Premierministers in einer Kabinettsregierung noch die Attribute eines Staatsoberhauptes.
Soweit das Völkerrecht beim Staatsoberhaupt solche Attribute im internationalen Verkehr voraussetzt, verfügt darüber nicht der Bundespräsident, sondern der Bundesrat als Kollegium. In diesem Sinn ist der Gesamtbundesrat und nicht der Bundespräsident Staatsoberhaupt der Schweiz. Die BV schliesst eine bestimmendere Rolle des Bundespräsidenten in der Vertretung der Schweiz gegen aussen nicht aus. Eine solche Stellung hatte der Bundespräsident in den Jahren 1848–1887 und 1895–1914 inne, als er jeweils in Personalunion als Vorsteher des für die Aussenbeziehungen zuständigen Politischen Departements (EPD) amtete.4
Art. 19 Abs. 1 VwOG überträgt dem Bundespräsidenten die Pflicht, die Eidgenossenschaft im Innern und nach aussen zu repräsentieren, «soweit dies nach Völkerrecht, staatlichem Recht ober Überlieferung nicht dem Kollegium zufällt.»5 Da sowohl das Völkerrecht wie auch das staatliche Recht eine bestimmendere Rolle des Bundespräsidenten in der Repräsentation der Schweiz gegen aussen nicht ausschliessen, sind es höchstens der Ursprung und Gehalt der Überlieferung, welche den Bundespräsidenten an Reisen zu bilateralen Treffen im Ausland hindern könnten. (siehe Anhang).6
Die erwähnte Tradition, wonach der Bundespräsident keine Reisen zu bilateralen Treffen im Ausland unternimmt, wird nach unserem Wissensstand nirgendwo offiziell präzisiert.7 Zweifellos ist das Fehlen eines Staatsoberhauptes im üblichen Sinne und die daraus abzuleitende praktische Unmöglichkeit, Staatsbesuche zu erwidern, die augenfälligste Ursache dieser Praxis. Das Kollegialitätsprinzip an sich ist kein Hinderungsgrund für Reisen des Bundespräsidenten zu bilateralen Treffen im Ausland.
Im Hinblick auf die künftige, allenfalls erweiterte Reisetätigkeit des Bundespräsidenten kann also festgestellt werden:
1. Es besteht keine gesetzliche Grundlage, welche die Reisetätigkeit des Bundespräsidenten regelt.
2. Das in den letzten 50 Jahren grundlegend veränderte internationale Umfeld bedingt eine verstärkte Präsenz schweizerischer Vertreter im Ausland.
3. Angesichts der wachsenden Vernetzung innen- und aussenpolitischer Fragen und dem damit verknüpften Bedeutungszuwachs bi- und multilateraler Treffen sollte die bisherige Praxis in der Reisetätigkeit des Bundespräsidenten überdacht werden.
Grundsätzlich bestehen dabei vier Möglichkeiten:
Variante 1: Der Bundespräsident reist grundsätzlich nur für multilaterale Treffen ins Ausland (bisherige Praxis)
Variante 2: Der Bundespräsident hat darüber hinaus die Möglichkeit, an bilateralen Ministertreffen und Fachkonferenzen teilzunehmen, wenn der Gegenstand der Gespräche in den Bereich des von ihm angeführten Departements fällt.
Variante 3: Zusätzlich zu den unter Variante 2 angesprochenen Möglichkeiten soll der Bundespräsident im Kontext von Ministertreffen und Fachkonferenzen dem Staatsoberhaupt eines anderen Staates einen Besuch bzw. einen Gegenbesuch abstatten können.
Variante 4: Für die Reisetätigkeit des Bundespräsidenten bestehen keine besonderen Einschränkungen.
Aufgrund der oben erwähnten Veränderungen im internationalen Umfeld der Schweiz und der wachsenden Bedeutung internationaler Treffen empfehlen wir, in Zukunft die Reisetätigkeit des Bundespräsidenten gemäss der Variante 3 zu regeln.8
- 1
- CH-BAR#E1004.1#1000/9#1029* (4.10prov.). Dieses an den Bundesrat gerichtete Aussprachepapier wurde unter der Verantwortung des Chefs des Politischen Sekretariats, Botschafter Guy Ducrey, verfasst und vom Vorsteher des EDA, Bundesrat René Felber, unterzeichnet. Zusätzlich zum Aussprachepapier hat das EDA eine Notiz mit dem Titel «Historische Anmerkungen» für die Sitzung vorbereitet und dem Ausprachepapier beigelegt. Der Bundesrat diskutierte das Aussprachepapier in seiner Sitzung vom 1. März 1993 und beauftragte die Bundeskanzlei sowie das EDA, dem Bundesrat konkrete Vorschläge zu unterbreiten, vgl. das Verhandlungsprotokoll der 7. Sitzung des Bundesrats, dodis.ch/67062, sowie das BR-Prot. Nr. 431, Faksimile dodis.ch/61431.↩
- 2
- Antwort des Bundesrats vom 11. Dezember 1989 auf die Einfache Anfrage 89.1109 Auslandaufenthalt des Bundespräsidenten von Nationalrätin Ursula Ulrich-Vögtlin vom 28. September 1989, Amtl. Bull. NR, 1989, V, S. 2299.↩
- 3
- Art. 98, Abs. 1 der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874: «Den Vorsitz im Bundesrat führt der Bundespräsident, welcher, sowie auch der Vizepräsident, von den vereinigten Räten aus den Mitgliedern desselben für die Dauer eines Jahres gewählt wird.» Vgl. AS, 1874–1875, S. 28 und BS, 1947, S. 35↩
- 4
- Vgl. dazu die Notizen des EPD vom 25. Oktober 1919, dodis.ch/63626, und vom 16. Oktober 1945, dodis.ch/63639.↩
- 5
- Bundesgesetz über die Organisation und die Geschäftsführung des Bundesrates und der Bundesverwaltung (Verwaltungsorganisationsgesetz [VwOG]) vom 19. September 1978, AS, 1979, S. 114–139, hier S. 118, Art. 19, Abs. 1: «Der Bundespräsident repräsentiert die Eidgenossenschaft im Innern und nach aussen, soweit dies nach Völkerrecht, staatlichem Recht oder Überlieferung nicht dem Kollegium zufällt.»↩
- 6
- Für den Anhang Historische Anmerkungen vgl. das Faksimile dodis.ch/61431.↩
- 7
- Bundeskanzler François Couchepin wies in der Notiz der Bundeskanzlei vom 17. Februar 1993 darauf hin, dass der Bundesrat in seinem am 21. Dezember 1990 verabschiedeten Aide-mémoire für die Bundesräte und den Bundeskanzler die Praxis der Reisen des Bundespräsideten festgelegt hatte. Vgl. die Notiz der Bundeskanzlei vom 17. Februar 1993 in der Beilage des BR-Prot. Nr. 431 vom 1. März 1993, Faksimile dodis.ch/61431. Für das Aide-mémoire vgl. das BR-Prot. Nr. 2750 vom 21. Dezember 1990, CH-BAR#E1004.1#1000/9#1003* (4.10prov.). In der Sitzung des Bundesrats vom 1. März 1993 wies Bundeskanzler Couchepin darauf hin, dass der Bundesrat den entsprechenden Artikel im Aide mémoire jederzeit ändern könne. Vgl. das Verhandlungsprotokoll der 7. Sitzung des Bundesrats vom 1. März 1993, dodis.ch/67062.↩
- 8
- Auf Antrag der Bundeskanzlei beschloss der Bundesrat am 1. Juni 1993, die Abänderung von Ziffer 56 des Aide-mémoire für die Bundesräte und den Bundeskanzler, vgl. das BR-Prot. Nr. 1022, dodis.ch/66768. Vgl. dazu auch die Sprechnotiz vom Vorsteher des EVED, Bundespräsident Adolf Ogi, vom 12. Mai 1993 sowie die beigelegte mündliche Information der Bundeskanzlei, dodis.ch/66995. Im Anschluss an die Ministertagung der Internationalen Energieagentur in Paris wurde Bundespräsident Ogi am 4. Juni 1993 als Bundespräsident vom französischen Präsidenten François Mitterrand im Élysée-Palast empfangen, vgl. DDS 1993, Dok. 29, dodis.ch/64150. Bei seiner Teilnahme an den Begräbnisfeierlichkeiten zum Tod des belgischen Königs Baudouin I am 7. August 1993 wurde Bundespräsident Ogi vom finnischen Präsidenten Mauno Koivisto darauf angesprochenn, «dass die Schweiz offenbar ihre Regeln für Auslandreisen des Bundespräsidenten geändert habe», vgl. dodis.ch/65726. Als erster offizieller Auslandsbesuch eines schweizerischen Bundespräsidenten gilt der Besuch von Bundespräsident Ogi beim österreichischen Bundespräsidenten Thomas Klestil in Salzburg am 18. und 19. September 1993. Im Gespräch waren sich die beiden einig, dass «Reisen des Bundespräsidenten für eine aktive Aussenpolitik unerlässlich» seien, vgl. dodis.ch/64155.↩
Relations to other documents
http://dodis.ch/67062 | see also | http://dodis.ch/61431 |
http://dodis.ch/66768 | is the sequel to | http://dodis.ch/61431 |
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Actors and Institutions Historiography and Archiving