Language: German
28.3.1938 (Monday)
CONSEIL FÉDÉRAL Procès-verbal de la séance du 28.3.1938
Minutes of the Federal Council (PVCF)
Suite aux événements d’Autriche, il faut s’attendre à un afflux de réfugiés, surtout de réfugiés juifs. Considérations sur l’impact de cet afflux. Les mesures prises par les autres Etats. Elles accroissent la pression sur la Suisse. Solutions possibles. Décision d’introduire l’obligation du visa pour les porteurs de passeports autrichiens et d’étudier la politique à suivre lors du remplacement de ces passeports par le passeport allemand, qui rendra inopérant le filtrage institué.

Classement thématique série 1848–1945:
IV. RÉFUGIÉS, IMMIGRATION, POLICE DES ÉTRANGERS
IV.1 LA SUISSE ET L'IMMIGRATION JUIVE
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Printed in

Oscar Gauye (ed.)

Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 249

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Bern 1994

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dodis.ch/46509
CONSEIL FÉDÉRAL
Procès-verbal de la séance du 28 mars 19381

514. Wiedereinführung des Visums für Deutsch-Österreicher

Das Justiz- und Polizeidepartement berichtet folgendes:2

«Grosse Sorge bereitete uns anlässlich der jüngsten Ereignisse in Österreich die Erwartung grösserer Zahlen von Flüchtlingen. Der rasche und geordnete Einmarsch der deutschen Truppen und die strenge Kontrolle der Ausreise durch die deutschen Bewachungsorgane haben zwar den ungeregelten Grenzübertritt von Flüchtlingen oder unerwünschten Elementen auf eine geringe Zahl beschränkt. Da jedoch die Ausreise über die ordentlichen Grenzübergangsstellen mit dem österreichischen Pass nicht gesperrt war und die bereits ergriffenen oder erwarteten Massnahmen gegen die Juden und gegen politische Gegner den Wunsch, das Land so rasch wie möglich zu verlassen, vielseits aufkommen lassen mussten, brachten die Züge aus Wien über Buchs ständig hauptsächlich jüdische Flüchtlinge. Wir nahmen zunächst eine abwartende Haltung ein, da wir annehmen zu dürfen glaubten, der Hauptstrom der Flüchtlinge, der ja unzweifelhaft von Wien ausgeht, werde sich den zunächst gelegenen Ländern Tschechoslowakei, Ungarn und Jugoslavien zuwenden. Dazu kam, dass die deutsche Ausreisekontrolle in den internationalen Zügen nach der Schweiz schon in Salzburg begann, sodass zu erwarten war, dass nicht allzuviele bis in die Schweiz kommen würden. Etwas beunruhigt hatte uns die Nachricht, dass die französische Regierung das Einreisevisum für die österreichischen Pässe wieder eingeführt hatte. Doch wurde diese offenbar etwas überstürzte Massnahme nach wenigen Tagen rückgängig gemacht. Immerhin bleibt die Vorschrift bestehen, dass Reisende mit österreichischem Pass zur Einreise nach Frankreich nur zugelassen werden, wenn sie mindestens 1000 französische Franken auf sich tragen. Da bei der Ausreise aus Deutsch-Österreich nur 20 Schilling in österreichischer und der Gegenwert von 30 Schilling in ausländischer Währung mitgenommen werden darf, besteht in der französischen Vorschrift doch die Gefahr, dass die in die Schweiz Eingereisten ihre Reise nach Frankreich nicht fortsetzen können und bei uns sitzen bleiben. Wir wir erwartet hatten, scheint es aber, dass die Grosszahl derer, die sich bis heute nach der Schweiz gewendet haben, Verwandte, Bekannte oder Geld hier haben.

Die Polizeiabteilung hat sich in Verbindung gesetzt mit unseren Vertretungen in Jugoslavien, Ungarn und der Tschechoslowakei. Unsere Gesandtschaft in Belgradhat mitgeteilt, dass das Passvisum wohl im Verkehr mit Deutschland aufgehoben sei, mit Österreich aber bestanden habe und natürlich auch heute für Reisende mit dem österreichischen Pass weiter bestehe. Die Konsulate sind angewiesen, jüdischen Bewerbern gegenüber sehr zurückhaltend zu sein. Der Andrang nach Jugoslavien sei bis jetzt nicht gross. Über Ungarnmeldet unsere Gesandtschaft in Budapest, dass das Visum für den österreichischen Pass seit 10 Jahren nicht mehr bestehe und dass es auch heute formell nicht wieder eingeführt worden sei. Doch dürften Reisende mit österreichischem Pass die ungarische Grenze zur Ein- oder Durchreise nur überschreiten, wenn ein ungarisches Konsulat eine Bewilligung des Innenministeriums in den Pass eingetragen habe. Die Konsulate müssen also für jeden Fall in Budapest anfragen. Es sollen in Wien täglich bis zu 1500 Gesuche eingereicht worden sein. Da das Visum auch für den deutschen Pass aufgehoben und zu erwarten ist, dass in Deutsch-Österreich künftig nur noch deutsche Passbüchlein ausgestellt werden, beabsichtigt Ungarn, mit der deutschen Regierung Besprechungen aufzunehmen, um die Zureise nach Ungarn von Juden und politischen Emigranten auch mit deutschem Pass zu verhindern. Die Tschechoslowakeihat die Grenze für Inhaber österreichischer Pässe grundsätzlich geschlossen. Ausnahmen werden nur gemacht, wenn besondere Beziehungen zum Lande nachgewiesen werden. Die tschechoslowakische Regierung will keine Emigranten zulassen, weil sie sie nur sehr schwer weiterbringt und zur Hauptsache, weil sie nicht neue Schwierigkeiten haben will mit Deutschland. Über Italienhaben wir erfahren, dass österreichischen Juden nur als Transitreisenden Einlass gewährt werde; die ändern würden an der Grenze zurückgewiesen, trotzdem das Visum für den österreichischen Pass nicht besteht. Aus Englandmeldet unsere Gesandtschaft, die Regierung beabsichtige, demnächst das Visum wieder einzuführen für alle Österreicher oder frühere Österreicher. Das Home Office sei sehr besorgt um die Einwanderung österreichischer Flüchtlinge und werde von der Regierung die Aufgabe der bisherigen sehr liberalen Politik den Flüchtlingen, namentlich den Juden gegenüber verlangen. Es seien bis zum 22. März ungefähr 350 österreichische Flüchtlinge zugelassen, 60 zurückgewiesen worden; doch sei die Zahl der sich bereits in London aufhaltenden jüdischen Flüchtlinge sehr gross. Unsere Gesandtschaft in London fügt bei, dem Vernehmen nach habe auch Belgiendas Visum für österreichische Pässe wieder eingeführt; Hollandhabe die Frage ebenfalls in Prüfung.

Das schweizerische Generalkonsulat in Wien hat vom Vorsteher des Passamtes der Staatspolizei Wien folgende Mitteilung erhalten:

«Die Staaten Ungarn, Jugoslavien und die Tschechoslowakei haben in Wien Massnahmen zur Verhinderung eines das normale Mass übersteigenden Zuzugs von Österreichern verlangt. Darauf wurde, nicht durch Verordnung, sondern auf dem Wege der Dienstpraxis des Passamts verfügt, dass Österreichern die Ausreise an allen Grenzen, auch an der deutschen Grenze, nur noch gestattet ist, wenn ihr Pass einen Vermerk des Passamtes Wien, lautend: «Einmalige Ausreise nach... gestattet», trägt. Dieser Vermerk wird nach Massgabe der besonderen Verhältnisse jedes einzelnen Falles Ariern und unter gewissen Umständen auch Nichtariern gegeben. Nicht wenige Nichtarier erhalten den Vermerk auf Grund einer Erklärung, sie wollten nicht nach Österreich zurückkehren. Andere Nichtarier wieder erhalten einen Vermerk darum, weil persönliche Gründe oder die Interessen der österreichischen Volkswirtschaft zu Gunsten einer Auslandsreise sprechen. Solche Nichtarier können selbstverständlich jederzeit wieder einreisen. Was die Passformulare anbelangt, so werden vorderhand keine Reichspässe in Österreich ausgegeben. Auch die Ausgabe neuer Pässe erfolgt in der Form der alten österreichischen Formulare. Diese Praxis dürfte sich voraussichtlich bis zum 10. April nicht ändern.»

Angesichts der von ändern Staaten gegen den Zustrom österreichischer Flüchtlinge bereits getroffenen und in Aussicht stehenden Massnahmen befinden wir uns in einer recht heikeln Lage. Klar ist, dass die Schweiz wie für die Flüchtlinge aus Deutschland auch für die aus Österreich nur Transitland sein kann. Abgesehen von der Lage unseres Arbeitsmarktes gebietet schon der Grad der Überfremdung die strikteste Abwehr eines längeren Aufenthaltes solcher Elemente. Wenn wir einer unseres Landes unwürdigen antisemitischen Bewegung nicht berechtigten Boden schaffen wollen, müssen wir uns mit aller Kraft und, wo es nötig sein sollte, auch mit Rücksichtslosigkeit der Zuwanderung ausländischer Juden erwehren, ganz besonders vom Osten her. Wir müssen an die Zukunft denken und dürfen deshalb auch nicht nur augenblicklicher Vorteile wegen solche Ausländer zulassen; die Vorteile müssten sich ohne Zweifel bald in die schlimmsten Nachteile verwandeln. Waren wir vor fünf Jahren, beim Beginn der jüdischen Auswanderung aus Deutschland, noch in der Lage, die Grenze offen zu lassen und den Verjagten unbesorgt einen vorübergehenden Aufenthalt zu gewähren, so ist das heute nicht mehr möglich. Es gibt kein aufnahmefähiges europäisches Land mehr, deshalb haben alle in Betracht fallenden Staaten bereits Abwehrmassnahmen ergriffen oder werden es bald tun. Auch können wir nicht erwarten, dass die deutsche Regierung ohne Zwang von der Anwendung der bisherigen für das Reich getroffenen Massnahmen zur Abschiebung der Juden aus Deutsch-Österreich absehen wird. Nach verschiedenen erhaltenen Mitteilungen und nach der ganzen Lage müssen wir gegenteils erwarten, dass ein beträchtlicher Teil der sehr zahlreichen Juden, namentlich aus Wien, werde abwandern müssen. Dazu kommt, dass diejenigen, die ihr Geld nicht rechtzeitig im Ausland angelegt haben, sozusagen mittellos über die Grenze gehen müssen. Es bleibt uns deshalb nichts anderes übrig, als dafür zu sorgen, dass die Auswanderer aus Österreich die schweizerische Grenze erst überschreiten können, nachdem wir festgestellt haben, wohin sie sich von hier aus wenden können.

Wir haben uns zuerst die Frage gestellt, ob wir die notwendige Kontrolle an der Grenze vornehmen könnten. Das geht aber nicht, denn abgesehen davon, dass die Abfertigung der Züge mit Rücksicht auf den Fremdenverkehr rasch vor sich gehen muss, müssten die ständig notwendigen Zurückweisungen von in der Regel weither kommenden Reisenden an der Grenze als brutale Massnahme wirken, die uns zudem international dem Vorwurf des schlimmsten Antisemitismus aussetzen würde. Auch wären die Passbeamten an der Grenze gar nicht in der Lage, die Prüfung richtig vorzunehmen.

Es bleibt uns deshalb nur die Wiedereinführung des Passvisums als wirksame Massnahme zur Verhinderung der unkontrollierten Einreise unerwünschter Elemente aus Deutsch-Österreich. Da zu erwarten ist, dass bald nach dem 10. April, an welchem Tage die Volksabstimmung über den Anschluss von Österreich an Deutschland stattfinden wird, auch für die Deutsch-Österreicher der deutsche Pass ausgestellt wird, müssten wir logischerweise das Visum nicht nur für die Inhaber des österreichischen Passes, sondern auch für diejenigen des deutschen Reichspasses einführen, sofern sie in Deutsch-Österreich wohnen. Da der Wohnort stets angegeben wird im Passbüchlein, so wäre das technisch durchführbar. Diese Massnahme drängt sich auch aus dem Grunde auf, weil der Inhaber des deutschen Passes für die Einreise nach Frankreich stets visumspflichtig war, sodass die ehemaligen Österreicher automatisch das Visum zur Einreise nach Frankreich benötigen, sobald sie deutsche Pässe besitzen werden. Wir sind uns jedoch bewusst, dass die Ausdehnung der Visumpflicht auf den deutschen Pass die Reziprozität für den Schweizerpass nach sich ziehen müsste. Diese Massnahme könnte heute auch deshalb eine unnötig ungünstige Auswirkung dem deutschen Reich gegenüber haben, weil die uns interessierenden Flüchtlinge - mit Ausnahme der seiner Zeit nach Österreich geflüchteten, vermutlich nicht sehr zahlreichen Deutschen - alle noch im Besitze des österreichischen Passes sind. Wir sind deshalb der Auffassung, der Bundesrat sollte sich heute darauf beschränken, das Visum nur für den österreichischen Pass wieder einzuführen. Dies immerhin in der Meinung, dass wir zusammen mit dem Politischen Departement prüfen und Ihnen im gegebenen Zeitpunkt Antrag stellen werden, was für Massnahmen zu treffen sind, wenn der österreichische Pass durch den deutschen ersetzt wird. Bis dahin liegen vielleicht auch die Absichten der deutschen Regierung gegenüber den österreichischen Juden klar zu Tage.

Durch die Wiedereinführung des Visums darf der normale Reiseverkehr aus Deutsch-Österreich und der in ändern Ländern ansässigen Deutsch-Österreicher nach der Schweiz nicht behindert werden. Die Konsulate müssen deshalb zuständig sein, das einfache Visum und, wo mehrere Reisen beabsichtigt sind, ein Dauervisum sofort, ohne Anfrage bei der eidgenössischen Fremdenpolizei zu erteilen in allen Fällen, in denen nicht eine Einreisebewilligung ohne die Absicht oder ein Verbot der Rückkehr in das Ausgangsland nachgesucht wird. Um die rasche Abfertigung der Gesuche zu ermöglichen, sollten auch die Konsularagenturen in Innsbruck und Bregenz zur Visumerteilung ermächtigt werden. Diesen und dem Generalkonsulat in Wien muss das nötige Personal zur Verfügung gestellt werden.

Die entstehenden Kosten müssen soweit wie möglich gedeckt werden durch die Erhebung einer Gebühr für das Visum. Die Gebühr sollte aber möglichst niedrig angesetzt werden. Wir schlagen vor, zwei Franken zu erheben für das einfache Visum, das von der visierenden Stelle in eigener Zuständigkeit erteilt wird; für das Dauervisum fünf Franken. Für das einfache Visum, das auf Weisung einer schweizerischen Inlandsbehörde erteilt wird, sollten wegen der vermehrten Umtriebe fünf Franken erhoben werden.

Die ohne Visum oder gar ohne Pass an der Grenze erscheinenden Flüchtlinge, die glaubhaft machen, dass sie wegen Gefahr für Leib und Leben das Land verlassen müssen, sind zu behandeln wie die Flüchtlinge aus Deutsch

[...]3

1
E 1004.1 1/371.
2
En date du 26 mars 1938, il s’agit, en fait, de la proposition du Département de Justice et Police au Conseil fédéral, cf. E 2001 (D) 2/114.Curieusement, le renvoi à la proposition ne figure pas comme d’habitude sur le procès-verbal du Conseil fédéral.
3
Für die Tabelle vgl. dodis.ch/46509. Pour le tableau, cf. dodis.ch/46509. For the table, cf. dodis.ch/46509. Per la tabella, cf. dodis.ch/46509.

Relations to other documents

http://dodis.ch/15664 is quoted in http://dodis.ch/46509