Streng vertraulich
Wien, 12. Februar 1938
Ich beehre mich, Bezug zu nehmen auf meine gestrigen telegraphischen Mitteilungen, woraus Sie ersehen haben werden, dass heute der österreichische Bundeskanzler, Dr. Kurt von Schuschnigg, und der Staatssekretär für Auswärtige Angelegenheiten, Dr. Guido Schmidt, in Berchtesgaden mit Reichskanzler Adolf Hitler sowie Botschafter von Papen Zusammentreffen.
Dr. Guido Schmidt bat mich gestern am späten Nachmittag zu sich und machte mir diese hochbedeutsame Eröffnung. Er fügte bei, dass neben dem diplomatischen Vertreter der Schweiz nur die Gesandten der Protokollstaaten, das heisst diejenigen Italiens und Ungarns von der Zusammenkunft in Berchtesgaden vorher unterrichtet würden. Die Tatsache, dass die österreichische Regierung mich bei dieser Gelegenheit orientiert hat, bedeutet eine wertvolle Geste vertrauensvoller Sympathie gegenüber dem schweizerischen Nachbarlande, seiner Regierung und seiner hiesigen Vertretung.
Nachdem der österreichische Bundeskanzler, so führte Dr. Guido Schmidt aus, teilweise vermittelst seines Staatssekretärs für Auswärtige Angelegenheiten in den letzten Jahren mit den führenden Männern Italiens, der Schweiz, Ungarns, der Tschechoslowakei, Frankreichs und Englands Fühlung genommen habe, sei es nur natürlich, dass Herr von Schuschnigg nun auch mit dem verantwortlichen Führer des Deutschen Reiches in näheren Kontakt trete. Die Zusammenkunft in Berchtesgaden sei durch Botschafter von Papen sowie durch den Ballhausplatz seit Wochen in vorsichtiger Weise vorbereitet worden. Die Initiative zur Besprechung sei von Deutschland ausgegangen. Allerdings habe ja auch in Österreich seit der Zeit des verewigten Bundeskanzlers Dollfuss stets das Bestreben bestanden, durch eine persönliche Aussprache mit den führenden deutschen Staatsmännern einen dauernden Ausgleich mit dem nationalsozialistischen Deutschland zu schaffen. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf Schuschniggs Werk «Dreimal Österreich», in dem er die ergebnislose Besprechung schildert, die er zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft in München mit Rudolf Hess, dem Stellvertreter des Führers und Reichskanzlers, pflog.
Die heutige Zusammenkunft in Berchtesgaden bestätigt somit die Meldungen gewisser schweizerischer Zeitungen, wonach Botschafter von Papen nach seiner Abberufung aus Wien neuerdings mit einer Mission betraut wurde.
Staatssekretär Dr. Guido Schmidt erklärte mir, dass es ihm nicht möglich gewesen sei, früher eine Andeutung über das Geplante auch seinen vertrautesten Freunden zu machen. Schon oft sei man nämlich Deutschland gegenüber auf dem Punkte gewesen, ins Gespräch zu kommen, und immer wieder habe im letzten Augenblicke ein radikaler Störenfried hüben oder drüben das in Aussicht genommene Zusammentreffen verhindert.
Es dürfte müssig sein, heute schon Kombinationen über die Entscheidungen anzustellen, die vielleicht in den nächsten Stunden in Berchtesgaden fallen. Eines scheint mir aber sicher: Wenn sich Hitler besonnen und mässig zeigt - nach den jüngsten Schwierigkeiten im eigenen Hause hat er vielleicht dazu besondere Veranlassung -, so wird auf österreichischer Seite nicht die Bereitschaft fehlen, in Fortführung der Politik des 11. Juli 1936 zu einem Ausgleich die Hand zu bieten, der unter Umständen für die Beruhigung in Mitteleuropa und somit auch für den Frieden der Welt von primordialer Bedeutung sein kann.