Classement thématique série 1848–1945:
II. LES RELATIONS INTERGOUVERNEMENTALES ET LA VIE DES ETATS
II.3 Autriche
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 7-II, doc. 106
volume linkBern 1984
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.53-02#1000/1760#7* | |
Old classification | CH-BAR E 2200.53-02(-)1000/1760 1 | |
Dossier title | Politische Gestaltung Oesterreichs (1919–1919) | |
File reference archive | C.4 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001B#1000/1501#606* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(B)1000/1501 18 | |
Dossier title | Anerkennung Deutsch-Österreich (1918–1920) | |
File reference archive | B.15.11.08 |
dodis.ch/44317
Sie hatten die Güte, mir mit Ihrem Schreiben vom 29. September (B. 15.11.8.111.My)2 Ihren Antrag an den Bundesrat, betr. die Frage der Anerkennung der österreichischen Republik, zur Kenntnis zu bringen. Sie kommen zum Schlüsse, dass, «ehe irgendwelche Massnahmen betreffend die Anerkennung Österreichs ergriffen werden, gewisse Zusicherungen gegeben werden sollten». Wie Sie wissen, hatte ich mich früher in dem Sinne ausgesprochem, dass jetzt der Moment gekommen sein möchte, die österreichische Republik anzuerkennen.
Ich bin weit entfernt davon, die dem politischen Departement obschwebenden Bedenken nicht als gewichtige anzuerkennen, doch nehme ich an, diese seien mir zu dem Zwecke zur Kenntnis gebracht worden, damit ich mich eventuell darüber äussern könne; Sie wollen mir daher einige Bemerkungen zu den im Antrage an den Bundesrat zur Geltung kommenden Argumenten gestatten.
Zunächst möchte ich erwähnen, dass im allgemeinen die Anerkennung eines Staates dann erfolgt, wenn: 1. dessen Existenz von den ändern Staaten im allgemeinen anerkannt wird, 2. dessen Regierung im Lande durch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ebenfalls anerkannt wird, 3. diese Regierung im Stande ist Ruhe und Ordnung zu gewährleisten, 4. der Staat als ein Rechtsstaat betrachtet werden kann (z.B. nichtbolschewistisch ist).
Alle diese Voraussetzungen scheinen mir bei Österreich vorzuliegen. Ich will allerdings nicht bestreiten, dass keine Regierung zur Anerkennung einer ändern gezwungen ist; es gibt genug Beispiele in der Geschichte, wo mit der Anerkennung zum mindesten lange gezögert wurde; so z.B. gegenüber Napoleon III, oder in neuerer Zeit, gegenüber verschiedenen mexikanischen Präsidenten. Doch darf hervorgehoben werden, dass eine solche Verzögerung nicht leicht als ein freundlicher Akt aufgefasst werden wird; im Falle Napoleons III soll die diesbezügliche Haltung Nikolaus I. sogar nicht wenig zur Entfesselung des Krimkrieges beigetragen haben. Jedenfalls sollten nur gewichtige Gründe für ein langes Hinausschieben der Anerkennung in Betracht kommen. Ist man von vorneherein entschlossen, zur Anerkennung in nicht ferner Zeit zu schreiten, so wird man vielleicht besser tun, nicht allzulange zu zögern, sondern im Gegenteil sich durch rasches Entgegenkommen die Freundschaft des neuen Staates oder der neuen Regierung in höherem Masse zu sichern, es sei denn, dass man durch die Verzögerung einen Druck ausüben könne, welcher zur Erlangung gewisser Vorteile führe.
Bevor ich zur Prüfung der vom politischen Departement aufgestellten Argumente im einzelnen übergehe, will ich noch erwähnen, dass eine Verzögerung auch dann am Platze erscheinen kann, wenn eine Regierung im eigenen Lande zwar momentan allgemein anerkannt ist, sich aber voraussichtlich dennoch nicht lange wird halten können; z.B. wenn Aussicht auf eine monarchistische Restauration in Österreich vorhanden wäre. Ich will nun freilich nicht behaupten, dass die spätere Wiedereinführung der Monarchie absolut ausgeschlossen sei, doch halte ich sie für die nächste Zeit für höchst unwahrscheinlich und nehme an, dass, bevor sie käme, wohl alle Staaten die österreichische Republik schon anerkannt haben würden.
Im Einzelnen habe ich nun folgendes zu bemerken:
Zu den Nummern I. 1. 2 und 3 (Finanzgesetzgebung) Ihres Antrages habe ich nur die Frage aufzuwerfen, ob unsere betreffenden Begehren ihrer Natur nach geeignet sind, mit der Anerkennung oder Nichtanerkennung in Verbindung gebracht zu werden.
No. I. 4. (Anwendbarkeit unserer früheren Verträge) behandelt eine Frage, die eigentlich erst mit einem anerkannten Staate geregelt werden kann. Sie liesse sich allerdings, vorgängig, im Hinblick auf die Anerkennung, mit den vorerwähnten wirtschaftlichen Fragen mit der Regierung besprechen.
I. 5. (Beibehaltung der liquidierenden Gesandtschaft) ist schon unserm Wunsch gemäss geregelt.
II. a. (Kriegsschäden) Die Ansprüche aus Kriegsschäden stellen keine Forderung an die deutsch-österreichische Regierung dar, sie konnten vielmehr bis jetzt nur an die liquidierenden Organe der ehemaligen österreichisch-ungarischen Regierung gerichtet werden und waren somit in der Hauptsache Reklamationen an das liquidierende K.&K. Kriegsministerium. Letzteres ist aber keineswegs von der österreichischen Regierung abhängig. Dass dieses Ministerium bis jetzt keinerlei Entschädigungen zahlte, erklärt sich durch dessen absolute Mittellosigkeit zur Genüge. Erst der Friedensvertrag von St. Germain scheint die Frage der Forderungen aus Kriegsschäden einer Lösung etwas näher zu bringen, wobei freilich auch noch die Bestimmungen des mit Ungarn abzuschliessenden Friedensvertrages abzuwarten sind. Aber die Liquidation der Kriegsschäden wird, angesichts der fatalen finanziellen Lage dieses Landes, voraussichtlich noch längere Zeit auf sich warten lassen, haben doch die Entente-Staaten selbst für die von ihnen als Staaten oder von ihren Staatsangehörigen erlittenen Schäden die jedenfalls langwierige Prozedur der Festsetzung dieser Schäden durch die Reparationskommission vorgesehen (Friedensvertrag Art. 177–191 und Annexes). Schweizerische Guthaben aus Requisitionen, Kriegsschäden etc. fallen wohl unter die «nicht titulierten Schulden» der ehemaligen österr. Monarchie (Art. 203 Z.2. Abs.3) und werden, insofern sie nicht auch auf Ungarn fallen, von der österreichischen Republik zu tragen sein; es ist aber leider vorauszusehen, dass die Reparationskommission dafür sorgen wird, dass in erster Linie die Angehörigen der Entente befriedigt werden. Wie dem auch sei, der Friedensvertrag von St. Germain ist noch nicht ratifiziert und rechtskräftig; somit kann Deutsch-Österreich noch nicht einmal de jure als der wirkliche Schuldner gelten. Es darf eben auch von uns nicht der auf der Seite der Entente so oft vorkommende Irrtum begangen werden, dass die Republik Österreich mit der ehemaligen Monarchie identifiziert wird; juristisch bildet sie nur einen Successions- oder Teilstaat in gleichem Masse wie die Tschechoslowakei. Von einem Verzüge von Seiten Deutsch-Österreichs kann somit bis jetzt nicht gesprochen werden, und scheint mir das angeführte Argument für die Frage der Anerkennung irrelevant.
II. b. (Publikation ohne Datumsangabe unserer Note über die Haftbarkeit). Es ist dies eine entschiedene Unkorrektheit, die aber durch die Verzögerung der Anerkennung nicht wieder gutgemacht wird; auch ist Dr. Bauer, der verantwortliche Staatssekretär für Äusseres, von diesem Amte seither zurückgetreten.
II. c und d. (Verbreitung falscher Gerüchte in Paris über die Haltung Italiens zur Vorarlberger Frage, Unterlassung eines Besuches in Bern und taktloses Interview von Seiten Dr. Renners). Diese Taktlosigkeiten gehören auch der Vergangenheit an und können nicht mehr korrigiert werden; es wäre auch eine sehr kitzliche Sache, den hiesigen Machthabern das Ungehörige ihres Benehmens begreiflich machen zu wollen und mit der Anerkennungsfrage in Verbindung zu bringen; Entschuldigungen kann man dafür nicht verlangen, und übrigens hat mir Dr. Renner, wie ich Ihnen s.Z. berichtete, schon sein Bedauern darüber ausgesprochen, dass es ihm wegen Zeitmangels nicht vergönnt gewesen sei, seinen Plan, den Bundesrat zu besuchen, auszuführen. In der Tat kam Renner jeweilen nur auf einen Sprung von St. Germain nach Österreich; reiste er doch meistens nicht einmal bis Wien, sondern bestellte er sich die Minister nach Feldkirch, um weniger Zeit zu verlieren. Herr Paderewski, der lange Jahre in der Schweiz gewohnt hat, dort eine Villa besitzt, wo er als Ministerpräsident verschiedentlich mehrtägigen Aufenthalt genommen hat, hat meines Wissens auch noch keinerlei offizielle Besuche in Bern gemacht, obwohl er einer anerkannten Regierung angehört. Ob er sich je entschuldigt hat, weiss ich nicht, aber dieser Präzedenzfall könnte dem Argumente des politischen Departements entgegengehalten werden. Im übrigen darf man homines novi, wie es Dr. Renner und seine Kollegen sind, wohl nicht nach dem gleichen Massstabe messen wie die routinierten Staatsmänner und Diplomaten der alten Monarchie; es fehlt ihnen natürlich etwas an internationaler Kinderstube.
II. e. (Österreich muss begreifen, dass es jetzt ein kleiner Staat ist). Man dürfte es, meines Erachtens, der Zukunft und den Ereignissen überlassen, Österreich die harte Lektion zu erteilen, dass es jetzt ein kleiner schwacher Staat sei; ich muss im übrigen bemerken, dass mir gegenüber immer wieder von Seiten der verschiedensten Regierungsorgane in dem Sinne gesprochen wird, dass Österreich jetzt ein bedauernswertes, kleines schwaches Staatswesen sei. Es seine traurige Lage noch speziell fühlen zu lassen, würde mir wenig chevaleresk erscheinen. Sollten hie und da Entgleisungen Vorkommen, so können sie schliesslich auf Konto der jahrhunderte alten Gewohnheit gebucht werden und dürfen nicht tragisch genommen werden.
II. f. und III. (Vorarlberg). Es ist hier nicht der Ort, die ganze Vorarlbergerfrage zum Gegenstände einer eingehenden Abhandlung zu machen; ich muss mir aber doch erlauben, einige Betrachtungen über die heutige Lage der Frage unter den von Ihnen erwähnten Gesichtspunkten geltend zu machen.
Allerdings war das Verweisen seitens der hiesigen Regierung auf die Zeit nach Friedensschluss für die Behandlung der Vorarlbergerfrage ein vielleicht nicht ganz loyaler Schachzug, wenn sie nachträglich, wie sich aus den Äusserungen Dr. Renners ergibt, diese Frage als durch den Vertrag von St. Germain endgültig geregelt darstellen will. Ein späterer Appell an den Völkerbund mag indessen nicht ganz ausgeschlossen erscheinen. Für den Standpunkt Renners scheint mir der Umstand besonders schwerwiegend wirken zu können, dass die Vorarlberger selbst, ohne Protest betr. ihr Selbstbestimmungsrecht, in der Nationalversammlung mitgeholfen haben, den Friedensvertrag zum Abschlüsse zu bringen. Die Diskussionen und Abstimmungen über die Ratifikation könnten ihnen indessen die Gelegenheit geben, diesen Fehler einigermassen wieder gutzumachen. Ob die Schweiz durch Hintanhaltung der Anerkennung Österreichs einen genügenden Druck auf diesen Staat ausüben könnte, um eine Änderung seiner Politik in dieser Frage zu erwirken, scheint mir andererseits zweifelhaft. Prinzipiell und abgesehen von dem nicht einwandfreien Vorgehen Renners, scheint mir der Standpunkt dieser Regierung erklärlich, weil sie, wenn sie auch nach anderer Richtung (Anschluss an Deutschland, deutsch-böhmische Frage, Westungarn) sich auf den Standpunkt des Selbstbestimmungsrechtes der Völker gestellt hat, doch bestrebt sein muss, den ihr anvertrauter Staat nicht ganz in die Brüche gehen zu lassen. Wie ich schon in meinem letzten Bericht über die Anerkennungsfrage hervorhob, können meines Erachtens im gegenwärtigen Stadium nur die Vorarlberger selbst im Sinne ihres Anschlusses an die Schweiz wirksam tätig sein. Ich bin weit entfernt davon, ein prinzipieller Gegner dieses Anschlusses zu sein; im Gegenteil, ich glaube, die Angliederung Vorarlbergs könnte für die Schweiz von grossem Vorteil werden; was ich, vertraulich gesagt, befürchte, ist, dass wir durch unser Verhalten, wenn wir zu stark aktiv vorgehen, den Italienern einen Vorwand geben, bei günstiger Gelegenheit in der Tessinerfrage eine ähnliche Stellung einzunehmen. Ich weiss wohl, dass gegenwärtig die Tessiner in ihrer überwältigenden Mehrheit gut schweizerisch gesinnt sind; aber sind nicht Umstände denkbar, unter welchen das leicht erregbare südliche Volk sich, momentan wenigstens, so weit für den stamm- und sprachverwandten Nachbarn begeistern dürfte, dass dieser behaupten könnte, der Kanton Tessin wünsche den Anschluss an Italien? Der Beweis, dass dem nicht so sei, könnte nur durch ein Plebiszit geleistet werden; dürften wir es aber auch nur so weit kommen lassen? Man muss bedenken, dass eine wenig rücksichtsvolle Regierung oder, wenn nicht sie, so doch irgend ein Garibaldi oder d’Annunzio, ohne weiteres eine solche Behauptung aufstellen kann. Wir würden und müssten uns dagegen wehren, meines Erachtens selbst dann, wenn die Mehrheit der Tessiner für den Anschluss an Italien wäre; denn sonst liefe die Schweiz Gefahr auseinanderzufallen. Das gleiche mag auch für andere Teile des Landes gelten, z.B. Pruntrut und Ajoie. Ich glaube nicht, dass wir der Erwerbung Vorarlbergs zu Liebe die Zugehörigkeit des Tessins zur Schweiz irgendwie kompromittieren dürfen; das Tessin scheint mir für uns wertvoller als das Vorarlberg. Am besten wäre wohl Tessin und Vorarlberg, aber, wie gesagt, grösste Vorsicht scheint mir am Platze. Auch für die Schweiz kann eine zu starke Betonung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker gefährlich sein. Ein frisches, keckes Vorgehen in der Vorarlbergerfrage betrachte ich weniger wegen unserer Stellung Österreich gegenüber, weniger wegen der Gegenwart als wegen der eventuellen Konsequenzen, die andere daraus ziehen könnten, als mit grösster Vorsicht zu behandeln. Allerdings, und das will ich keineswegs übersehen, eine gewisse Gefahr im Verzüge ist vorhanden, insofern als ein Auseinanderfallen des gegenwärtigen Österreich nicht als ganz ausgeschlossen erscheint, wenn die jetzige Misere weitergehen und die Entfremdung zwischen Wien und den «Ländern» noch akuter werden sollte; denn die Vorarlberger könnten sich, wenn wir ihnen nicht entgegenkommen, in die Arme Deutschlands werfen, was für uns ein grosses Unglück wäre. Nichtsdestoweniger bleibe ich dabei, dass es in erster Linie Sache der Vorarlberger sei, ihre Lostrennung von Österreich zu betreiben; gegen den Willen Österreichs und der Entente können wir das Vorarlberg doch nur in der Form einer Annexion uns angliedern. Wollen wir das? Ganz korrekt ist der Vorgang eigentlich nur mit Einwilligung des Völkerbundes denkbar.
Entschuldigen Sie, Herr Bundesrat, wenn ich Ihnen meine Bedenken so offen darlege; ich betrachte es als meine Pflicht, dies zu tun. Im übrigen sollten wir doch Mittel genug besitzen, um die Vorarlberger wissen zu lassen, wie wir denken und dass wir, wenn dies die Meinung des Bundesrates ist, gerne bereit sind, sie mit offenen Armen aufzunehmen, sobald es völkerrechtlich und ohne uns anderweitig zu kompromittieren, möglich ist.
P.S. In Bezug auf die finanziellen Fragen möchte ich noch darauf hinweisen, dass Österreich in einer ganz ändern Lage als andere Staaten, z.B. Deutschland, ist, indem in Folge des Zerfalles der Monarchie in Teilstaaten jedes Präjudiz zugunsten des Auslandes viel weitere Konsequenzen hat als anderswo, da es auch von den frühem Teilen des Ursprungsstaates angerufen werden kann.
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The Vorarlberg question (1919)