Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 360
volume linkBern 1986
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2#1000/44#60* | |
Old classification | CH-BAR E 2(-)1000/44 3 | |
Dossier title | Differenzen mit Deutschland über die Unterdrückung sozialistischer und anarchistischer Umtriebe in der Schweiz (1888–1888) | |
File reference archive | B.255 |
dodis.ch/42339 Streng confidentiell
Ich bestätige Ihnen:
1. Den Inhalt meines chiffrierten Telegramms von gestern Abend, lautend:
«Cassette heute erhalten. Habe Schreiben des Bundesrathes um 4 Uhr Grafen Bismarck vorgelesen. Er verhielt sich betr. Bundesräthliche Ausführungen über agents provocateurs und über den allgemeinen Character der Deutschen Reclamationen vom 4. Februar äusserst schroff. Am Schlüsse unserer fünfviertelstündigen Unterredung war er eher etwas ruhiger und erklärte, nach dem, was Bülow und ich ihm betr. den Fall Fischer und die ändern vom Bundesrath getroffenen Maassnahmen mitgetheilt haben, glaube er allerdings annehmen zu können, dass vor der Hand diese Angelegenheit beigelegt sei. Immerhin hat er seine Äusserung, er werde durch Herrn von Bülow gegen die Art der Beantwortung der Mittheilung vom 4. protestieren lassen, nicht zurückgenommen. Werde morgen Abend durch Extra-Dossier detaillierten Bericht an Sie abgehen lassen.» Und
2. Den Empfang:
a. Des Bundesräthlichen Schreibens ohne Datum2: Vernehmlassung gegenüber den Mittheilungen des Herrn von Bülow vom 4. d.M.
b. Ihres persönlichen Begleitschreibens vom 11.d.M.3
Der Berichterstattung über meine Unterredung mit dem Grafen Bismarck schicke ich, in Beantwortung Ihres oben gedachten Begleitschreibens folgende Bemerkungen voraus:
ad. 2. Ihrer persönlichen Mittheilungen: der officielle Geschäftsverkehr zwischen den fremden Missionschefs und dem hiesigen Auswärtigen Amt geschieht immer durch die Vermittlung des Staats-Secretärs (Graf Bismarck). Nur die Botschafter werden gelegentlich vom Fürsten Bismarck empfangen. Auch für sie bildet jedoch der Verkehr mit dem Staats-Secretär die Regel. Also war mir der Weg für die Kennt - nissgabe der gedachten Bundesräthlichen Mittheilungen von vornherein vorgezeichnet d. h. ich war hiefür auf den Grafen Bismarck angewiesen. Der Umstand, dass die Note vom 4. d.M.4 an Herrn von Bülow vom Reichskanzler gezeichnet war, konnte hieran nichts ändern.
Ad 3. Ihrer persönlichen Mittheilungen: Obschon ich sofort nach Durchsicht des Bundesräthlichen Schreibens die Empfindung hatte, dass es opportun gewesen wäre, in dieser Kundgebung die «désaprobation des Bundesrathes au sujet des agissements du capitaine Fischer» und was vom Bundesrath noch weiter in der Angelegenheit Fischer verfügt worden ist, bestimmt zum Ausdruck gelangen zu lassen, so konnte ich mich doch nicht veranlasst sehen, dieses Punktes wegen eine Umarbeitung des Bundesräthlichen Schreibens in Vorschlag zu bringen.
Ich stand ja diessbezüglich einem detailliert motivierten Beschlüsse des Bundesrathes gegenüber und sagte mir im Weitern, es stehe mir ja immer noch der Weg offen, den diessbezüglichen Passus der Bundesräthlichen Ausführungen durch mündliche Zwischenbemerkungen zweckentsprechend zu ergänzen, von welchem Mittel ich auch, wie Sie in der Folge sehen werden, in ausgiebiger Weise Gebrauch gemacht habe.
Bei der gegebenen Sachlage und namentlich auch mit Rücksicht auf die schwierige Situation des Bundesrathes gegenüber der öffentlichen Meinung in der Schweiz konnte ich auch betr. den übrigen Inhalt der Bundesräthlichen Äusserungen keine «motifs sérieux» für ein anderes Verfahren geltend machen, und musste ich meine perrsönlichen Empfindungen und Wünsche betr. diese oder jene Nuancen der Bundesräthlichen Redaction der auch nach meinem Dafürhalten unbestreitbar vorliegenden Nothwendigkeit, die gedachten schweren Angriffe entschieden zurückweisen und die Thatsachen ad vocum «agents provocateurs» ein Mal officiell zur Sprache zu bringen, unterordnen.
Der Erfolg hat übrigens gezeigt, dass kleinere Modificationen nichts genützt hätten, und dass das Resultat der Unterredung mit dem Grafen Bismarck zweifellos nur dann ein anderes geworden wäre, wenn ich mich an Stelle des Vorlesens des Bundesräthlichen Schreibens auf mündliche Mittheilungen nach eigener freier Wahl hätte beschränken können.
Dass dieses Procedere gegen den Willen des Bundesrathes gewesen wäre, geht sowohl aus dem Schlusspassus des Bundesräthlichen Schreibens, als auch aus Ziffer 1 Ihrer persönlichen Mittheilungen klar hervor. Dass meine letzten Mittheilungen vom 10. d.M.5 betreffend Handelsvertrag und Hauptmann Fischer «de nature» wären, «à modifier la manière de voir du Conseil fédéral» konnte ich ebenfalls nicht annehmen. Es ist denselben ja im Wesentlichen nur die Bestätigung dessen zu entnehmen, was Sie am 4. Februar bereits erfahren haben, nämlich die Bestätigung der Thatsache, dass der Reichskanzler diese Angelegenheit zu der Seinigen gemacht hat, bezw. dass er persönlich über die Fischer’schen Indiscretionen in hohem Maasse aufgebracht ist. Diesem Umstande ist auch das schroffe Verhalten des Grafen Bismarck bei unserer gestrigen Unterredung zuzuschreiben.
Also – mein Weg war mir bestimmt vorgezeichnet.
Ich erachtete es als meine Amtspflicht, den Instructionen des Bundesrathes in der Hauptsache unbedingt Folge zu geben und ersuchte daher im Laufe des gestrigen Vormittags den Grafen Bismarck schriftlich um eine Unterredung, welche er alsdann auf 4 Uhr Abends festsetzte.
Und nun zum Bericht über diese peinliche Unterredung, welche, – gestatten Sie mir diese Zwischenbemerkung – wenn mich die Natur nicht mit einem ruhigen Temperament bedacht hätte, zunächst zweifellos das Resultat gehabt haben würde, dass ich den Hohen Bundesrath noch gestern Abend um meine Entlassung hätte bitten müssen. Darüber, wie sich diese Special-Frage in der Folge noch gestalten wird, dürften wir bald ins Klare kommen. Selbstverständlich fallen bei meinen diessbezüglichen Entschliessungen Privat-Motive und persönliche Empfindungen in keiner Weise ins Gewicht, und werde ich hiebei und wird auch der Hohe Bundesrath ausschliesslich in Erwägung zu ziehen haben, ob mir, je nach dem weitern Gang der Dinge das hiesige Verbleiben als Gesandter vom Standpunkt unserer Ehre (dignité) möglich sein wird.
Vor weitern, sicherlich nicht ausbleibenden Unannehmlichkeiten schrecke ich im Übrigen nicht zurück, namentlich wenn ich dabei das Bewusstsein haben darf, dass ich mich durch mein Verbleiben dem Bundesrathe nützlich erweisen kann.
Nach gegenseitiger Begrüssung eröffnete ich dem Grafen Bismarck, ich sei beauftragt, ihm eine Kundgebung des Bundesrathes (an mich) in Beantwortung der Mittheilungen des Herrn v. Bülow zur Kenntniss zu bringen, worauf ich sofort mit der Verlesung des gedachten Schreibens begann.
Nachdem ich mit dem Passus betr. den Polizeihauptmann Fischer zu Ende war, machte ich eine Pause und legte, «in Ergänzung und Bestätigung der Mittheilungen, welche Herr v. Bülow dem Auswärtigen Amt gemacht haben werde», ganz ausdrücklich Betonung auf jedes einzelne Moment des Bundesräthlichen Vorgehens gegen Fischer.
Graf Bismarck erwiderte hierauf nur ganz kurz. «Ja, Herr von Bülow hat in Sachen berichtet.»
Sodann gieng ich in der Verlesung des Bundesräthlichen Schreibens weiter. Kaum mit dem Theile zu Ende, welcher die Anschuldigungen der Deutschen Regierung wegen des Gewährenlassens des Treibens der Anarchisten und Sozialisten behandelt, unterbrach mich Graf Bismarck mit den Worten: «Das ist aber unerhört.»
Ich: «Bitte, Herr Graf, gestatten Sie mir vorerst, weiter zu lesen. Sie dürften die Sache anders auffassen, wenn Sie den Zusammenhang kennen.»
Nun giengs wieder leidlich weiter mit der Verlesung; doch bemerkte ich bald, dass dem Grafen allmählig das Blut immer unheimlicher zum Kopfe stieg, und, als ich bei dem Passus «ein solches Vorgehen qualificiert sich ganz gewiss als eine Einmischung jener Agenten etc.» anlangte, fiel er mir mit ungefähr folgenden Worten hastig in die Rede:
«Das kann ich nicht weiter anhören. Das ist zu stark, das ist eine unerhörte Sprache. Was! Wir beschweren uns bei Ihnen über das bekannte unerhörte Vorgehen des dortigen Polizeibeamten Fischer, welches für uns, also für die Regierung eines Ihnen befreundeten Staates, die grössten Unannehmlichkeiten zur Folge hatte, welches uns erheblichen Schaden zufügte, und auf diese Beschwerde finden Sie uns mit einigen allgemeinen Bemerkungen ab! Aber nicht nur das! Sie antworten mit Beschwerden Ihrerseits, die für uns geradezu beleidigend sind.»
Der Einwand, wir hätten unsere Beschwerden betr. das Gewährenlassen des Treibens der Sozialisten mit keinen thatsächlichen Angaben unterstützt, sieht ganz so aus, als wollten Sie uns aushöhnen. Es ist notorisch, dass das ganze anarchistische und sozialistische Gesindel bei Ihnen Aufnahme findet und sozusagen tagtäglich zum Umsturz unserer staatlichen Ordnung aufreizt. Lesen Sie doch den in Zürich erscheinenden Sozialdemokrat; sozusagen jede Nummer hetzt die öffentliche Meinung in strafbarster Weise auf. Das alles haben Sie gewähren lassen und jetzt verlangen Sie von uns Anhaltspunkte für unsere Beschwerden. Und dann die Behauptung, wir halten in der Schweiz Polizei-Beamte, welche mit unserem Wissen agents provocateurs seien!»
Ich: «Pardon, Herr Graf, das behaupten wir nicht. Lassen Sie mich Ihnen sofort die Stelle des Bundesräthlichen Schreibens vorlesen, wo es heisst: ‹Der Bundesrath ist auch überzeugt davon, dass die Deutsche Reichsregierung dieses Vorgehen subalterner Angestellter, von dem sie sicherlich, wie auch Herr von Puttkammer im Reichstage erklärte, keinerlei Kenntniss gehabt hat, des Entschiedensten missbilligt etc.›»
Er, Graf Bismarck, fortfahrend: «Trotz allem, was Sie mir sagen, kommt der Ton dieses Schreibens eben doch auf obige Behauptung hinaus. Und wegen eines oder zweier Menschen, – wie nennen Sie sie? Ich glaube Schröder und Haupt – welche im der gedachten Weise auf ihre eigene Verantwortung und aus eigener Initiative verfahren sind, soll Ihre idyllische ruhige Schweiz gefährdet sein! Als ob nicht Ihre eigenen Leute in Zürich und Genf etc. durch ihren regen Verkehr mit dem dort angehäuften sozialistischen und anarchistischen Gesindel ohnehin schon ganz empfindlich sozialistisch inficiert wären!»
Ich: «Das letztere muss ich wieder bestreiten. Wir haben ja da und dort, namentlich in den grösseren Industrie-Centren auch Schweizer-Bürger, welche sozialistische Tendenzen verfolgen. Die grosse, sehr grosse Mehrzahl des Schweizer-Volkes hat sich jedoch bis jetzt der sozialistischen Bewegung gegenüber entschieden ablehnend verhalten etc.»
Er, Bismarck: «Factum bleibt, dass namentlich in Zürich und Genf und auch in ändern Städten wahre Nester der Umsturzparthei vorhanden, dass uns das agitatorische Treiben dieses Gesindels seit 20 Jahren schädigt, dass Sie, angeblich weil es Ihre constitutionellen Verhältnisse nicht erlauben, in der Hauptsache Nichts gegen dieses Treiben thun, dass der Bundesrath der Regierung von Zürich gegenüber ohnmächtig ist. Und bei dieser Sachlage sind wir eben schliesslich im Zustande der Nothwehr, und müssen wir uns die nöthigen Maassnahmen Vorbehalten, um uns für die Folge gegen eine solche Schädigung unserer politischen Interessen zu schützen. Ihnen fügen wir von Deutschland aus keinen Schaden zu. Das ist Ihnen indifferent, was die Sozialdemokraten bei uns anstiften. Uns dagegen schädigt das Treiben der Sozialdemokraten in der Schweiz constant sehr schwer.»
Ich: «Was Sie aus der Kundgebung des Bundesrathes herauslesen, steht entschieden nicht darin. Vor allem kann von «Aushöhnen» und dergleichen mehr keine Rede sein. Der Bundesrath vertheidigt sich einfach an der Hand der Aufzählung der seit 1885 erfolgten Ausweisungen gegen den schweren Vorwurf, dass von seiner Seite gegen die gedachten Aufreizungen nichts gethan worden sei, und er erklärt sich bereit, weitere Untersuchungen anzustellen, wenn ihm die nöthigen Anhaltspunkte an die Hand gegeben werden etc.
Ferner beweist der Bundesrath gestützt auf zuverlässiges Actenmaterial, dass wirklich diese und jene Individuen, welche als agents provocateurs entlarvt worden sind, mit der Deutschen Geheim-Polizei in Verkehr gestanden haben; er führt aus, wie sehr ihm derartige Vorfälle seine Aufgabe erschweren und spricht den Wunsch und die Zuversicht aus, dass die Kaiserliche Regierung, hievon in Kenntniss gesetzt, im gemeinsamen Interesse das Erforderliche veranlassen werde, um die Wiederkehr ähnlicher Vorgänge zu verhindern.
Das steht in dem Bundesräthlichen Schreiben, und nichts anderes!»
Graf Bismarck: «Nein, das sagen Sie persönlich. Sie hätten auch eine so befremdende Sprache, wie sie der Bundesrath führt, uns gegenüber nie gebraucht. Wir haben ja mit Ihnen immer den angenehmsten Verkehr gehabt. Was Sie persönlich sagen, kann aber in dem vorliegenden Falle nicht maassgebend sein. Wir müssen uns an den Wortlaut des Bundesräthlichen Schreibens halten, und gegen diese Sprache werden wir in Bern durch Herrn von Bülow protestieren. Ich glaube, ein derartiges Actenstück, bestimmt, einer befreundeten Regierung vorgelesen zu werden, steht einzig da in seiner Art. Dass eine Regierung der Redaction eines so wichtigen Actenstücks so wenig Sorgfalt zuwendet, ist mir unerfasslich. Wir wägen in solchen Fällen aufs Sorgsamste jedes Wort ab und sind in unsern Noten ausnahmslos immer höflich. Das war auch wieder der Fall betr. den fraglichen an Herrn v. Bülow gerichteten Erlass.»
Ich: «An Letzterem zweifle ich nicht. Doch bitte ich Sie, zu bedenken, welch eine harte Sprache zum Theil in dem gedachten Erlasse gegen den Bundesrath geführt wird. Den schweren Anschuldigungen gegenüber hat sich der Bundesrath allerdings in fester Sprache vertheidigt; durch das ganze Schreiben geht aber ein Zug unverkennbarer Loyalität, und schliesslich wollen Sie nicht ausser Acht lassen, dass beinahe jede Regierung ihren eigenen Amtsstyl hat, welcher sich gewöhnlich wenigstens in der Nuancierung von demjenigen anderer Regierungen unterscheidet, ohne dass deswegen au fond eine Verschiedenheit in der Auffassung der Höflichkeitsrücksichten vorhanden wäre.
Was Sie mich persönlich betreffend erwähnt haben, muss ich berichtigen. Der Bundesrath hat mich ausdrücklich ermächtigt, nöthigenfalls seine Ausführungen interpretierend zu ergänzen, und das habe ich in besten Treuen und in der festen Überzeugung gethan, dass meine Regierung jedes Wort, welches ich zu diesem Zwecke zu Ihnen gesprochen, billigen wird.
Nun komme ich noch auf den Hauptpunkt zurück.
Ist nicht durch die verschiedenen Maassnahmen, welche der Bundesrath gegen den Hauptmann Fischer d’abord aus freien Stücken getroffen, welche er dann ergänzend fortgesetzt hat, und welche seinerseits in nächster Zeit noch zu gewärtigen sind, Ihren Gravamina in der weitgehendsten, loyalsten Weise Rechnung getragen?
Diese Frage wird auch Ihrerseits bejaht werden müssen, und da darf ich doch annehmen, dass besondere Maassnahmen der Schweiz gegenüber um so mehr gegenstandslos wären, als der Bundesrath auch in anderer Richtung z. B. betr. die Genossenschafts-Druckerei in Zürich und betr. Fortsetzung des Untersuchs bereits schon in der letzten Woche das Erforderliche veranlasst hat.
Ich wüsste also in der That nicht, was bei dieser Sachlage noch weiter zu verhandeln wäre und wie die Kaiserliche Regierung dazu kommen sollte, neue Maassnahmen in Aussicht zu nehmen.»
Bei meinen letzten Ausführungen wurde Graf Bismarck sichtlich ruhiger. Er verstieg sich sogar zu der Äusserung, man anerkenne hier gerne, was wir in der Angelegenheit Fischer gethan, man werde sich zweifellos hiemit zufrieden geben, und bis auf Weiteres dürfte dieser Zwischenfall als erledigt angesehen werden können. Doch wiederhole ich, dass er auf seine Äusserung, das Auswärtige Amt werde in Bern gegen den Tenor der Bundesräthlichen Ausführungen protestieren, nicht zurückgekommen ist, bezw. dieselbe nicht zurückgenommen hat.
Den Rest des Bundesräthlichen Schreibens brachte ich ihm in freier Rede zur Kenntniss. Zur förmlichen Verlesung zurückzukehren, erschien mir inopportun.
Noch machte Graf Bismarck, mehr im gesellschaftlichen Conversationstone, einige Bemerkungen betr. «den übel beläumdeten Hauptmann Fischer» betr. «die sozialistischen Allüren des Herrn Stössel» und stellte einige Fragen betr. die politische Parthei-Richtung der «Herren vom Bundesrath».
Die Antworten, welche ich ihm hierauf ertheilte, führe ich nicht besonders an. Ich bemerkte nur noch, an eine seiner früheren Äusserungen anknüpfend, Graf Bismarck täusche sich, wenn er annehme, das Treiben der sozialistischen Agitatoren sei uns indifferent. Wir wünschten im Gegentheil, dass alle diese fremden agitatorischen Elemente die Schweiz sammt und sonders für immer verlassen, und dass wir vor neuem Zuzug dauernd gesichert werden. Da von diesen Umtrieben die Rede gewesen sei, möchte ich auch noch erwähnen, dass man übrigens auch Paris und London mit in Rechnung bringen müsse. Dort seien die Sozialisten offenbar in weit grösserer Zahl vorhanden, als bei uns in der Schweiz.
Um 5 Uhr war unsere Unterredung zu Ende, und entfernte ich mich dann nach normaler Verabschiedung.
Ich habe mich als verpflichtet erachtet, Ihnen den Verlauf dieser Unterredung materiell möglichst genau zu schildern und dabei nichts zu verschweigen. Wiederholungen in Rede und Gegenrede habe ich natürlich weggelassen. Nicht überflüssig dürfte die Bemerkung sein, dass Graf Bismarck als gelegentlich sehr heftig und aufbrausend bekannt ist.
Das Weitere muss ich nun Ihnen bezw. dem Hohen Bundesrathe überlassen. Sollten Sie sich veranlasst sehen, mich mit weitern Mittheilungen für den Grafen Bismarck zu beauftragen, so würde ich bis auf Weiteres unbedingt dazu rathen, dass hiefür nicht mehr der Modus von gestern zur Anwendung gelange, sondern dass ich ermächtigt werde, die Form der Mittheilung je nach den Umständen selbst zu bestimmen.
Auch einer Note von Regierung zu Regierung könnte ich vor der Hand nicht das Wort reden.
Übrigens hängt Alles weitere nun zunächst davon ab, welche Auffassung bei Ihnen und dem Hohen Bundesrathe betr. meine gestrige Entrevue mit dem Grafen Bismarck Platz greifen wird. Weiter werden hiebei auch eventuelle neue Demarchen des Herrn v. Bülow (im angedeuteten oder auch in anderem Sinne) maassgebend sein.
Ich habe wohl nicht nöthig, Sie zu ersuchen, mich fortwährend von Allem zu unterrichten. Ich selbst werde gewissenhaft Gegenrecht halten.6
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German Realm (Other)
Haupt Schröder Affair (1888)