Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 3, doc. 356
volume linkBern 1986
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2#1000/44#60* | |
Old classification | CH-BAR E 2(-)1000/44 3 | |
Dossier title | Differenzen mit Deutschland über die Unterdrückung sozialistischer und anarchistischer Umtriebe in der Schweiz (1888–1888) | |
File reference archive | B.255 |
dodis.ch/42335
Ich bestätige Ihnen den Inhalt meines heutigen Chiffern-Telegramms lautend:
«Gestern bei erster Lesung Sozialistengesetz hat Abgeordneter Singer die bekannten Details betreffend Schröder und Haupt etc. und deren Verbindung mit Polizeidirektor Krüger mitgetheilt und Brief von Polizeihauptmann Fischer Zürich, de dato 6. Januar dieses Jahres, vorgelesen, in welchem Fischer den Abgeordneten Bebel und Singer auf deren briefliche Anfrage und auf Grund des Untersuches 8 betreffend Schröder und 5 betreffend Haupt gestellte Fragen beantwortet.2 Eine Vervielfältigung dieses Schreibens, welches den amtlichen Stempel Polizeicommando Zürich trägt ist von Singer im Reichstage ausgetheilt worden.
Minister Puttkammer erwiderte betreffend diese Mittheilungen U.A., er erkläre hiemit offen, er werde in der Lage sein, beim Reichskanzler zu verlangen, dass er bei den schweizerischen Behörden gegen ein solches ganz unverantwortliches Benehmen eines Untersuchungsrichters protestire.
Heute Fortsetzung erster Lesung. Stenographischer Bericht3 über gestern folgt mit heutiger Abendpost. Es gilt schon jetzt als sicher, dass Verschärfungsvorschläge abgelehnt werden und nur 2 oder 3 jährige Verlängerung des jetzigen Gesetzes resultiren wird. Vor der Hand Überweisung an Kommission wahrscheinlich.»
Im übrigen darf ich Sie füglich auf den beigeschlossenen stenographischen Bericht und, mit Rücksicht auf die Stimmung in nationalliberalen Kreisen, auf den ebenfalls mitfolgenden Leitartikel der National-Zeitung4 (heutige Morgen-Ausgabe) verweisen.
Betreffend das Verfahren des Polizei-Hauptmann’s Fischer in Zürich kennen Sie bereits meine Ansicht. Eine solche Auffassung der Pflichten eines Untersuchungsrichters und eine derartige Fahrlässigkeit, um mich eines gelinden Ausdrucks zu bedienen, dürften ihres Gleichen kaum finden. Wir werden es in hervorragendster Weise Fischer zuzuschreiben haben, wenn nunmehr neue Recriminationen Seitens der Reichsregierung an uns gelangen – und sie werden sicherlich nicht ausbleiben – und wenn das Vertrauen der hiessigen amtlichen Kreise und der öffentlichen Meinung in die Zuverlässigkeit der schweizerischen Untersuchungs- und ändern höher stehender Behörden auf ein Minimum reducirt wird.
Damit, dass wir erklären, die Mittheilungen Fischers seien ohne Mitwissen und gegen den Willen der Bundesbehörden erfolgt, werden wir au fond wenig Effekt erzielen. Im Gegentheil wird man sich hier in dem Urtheile bestärkt zeigen, dass der Bundesrath, dessen korrekte Haltung nie bemängelt worden ist, gewissen Kantonsregierungen gegenüber (Zürich an deren Spitze) eben machtlos ist und dass die guten Dispositionen desselben daher materiell verzweifelt wenig nützen. Auf diesem Gebiete erscheint mir eine gründliche Remedur sehr dringlich. Nur unter dieser Bedingung werden wir die immer wiederkehrenden Frictionen mit der Reichsregierung in Sachen der Socialisten- und Anarchisten-Frage aus der Welt schaffen, bezw., so weit es von uns abhängt, auf ein minimum zurükführen können, welches nicht, wie die verschiedenen Vorfälle der letzten Zeit, die Gefahr in sich birgt, unsere guten Beziehungen zu Deutschland fortwährend in Frage zu stellen. Und dass wir dies in unserem Interesse wünschen müssen, dafür scheint mir die gegenwärtige politische Situation und speziell das Machtverhältniss des deutschen Reichs in unwiderlegbarer Weise zu sprechen.
Mit der gedachten Remedur würden wir uns zugleich in die Lage versetzen, anderseits dem Unwesen der agents provocateurs mit mehr Autorität und mit mehr Effekt entgegentreten zu können, als dies jetzt der Fall ist.5
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German Realm (Other)
Haupt Schröder Affair (1888)