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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 24, doc. 151
volume linkZürich/Locarno/Genève 2012
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E-01#1982/58#381* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)-01/1982/58 84 | |
Dossier title | Herrenlose Vermögen in der Schweiz (1968–1972) | |
File reference archive | B.42.13 |
dodis.ch/32250 Interne Notiz des Politischen Departements1 Erblose Vermögen
Herr Dr. Weber, Chef der Meldestelle, spricht am 6. Juni 1969 bei Herrn Dr. Zoelly in Anwesenheit des Unterzeichneten vor, um die Frage der Verschollenheitsverfahren2 zu besprechen. Herr Dr. Zoelly erläutert zunächst die Gründe, weshalb das Politische Departement wegen der seit dem 21. August 1968 eingetretenen Entwicklung3 in den Oststaaten noch keine materielle Stellungnahme übermitteln konnte. Herr Dr. Weber schildert zunächst, dass er viele Schreiben von schweizerischen Anwälten von Personen in den Oststaaten erhielt, in denen er dringend ersucht wurde, unter keinen Umständen irgendwelche Anfragen an Behörden in Oststaaten zu richten. Es bestehe sogar Gefahr für das Leben der Betreffenden; ein Brief mit einer Andeutung eines Bankverkehrs mit der Schweiz genüge. Dr. Weber hat sich deshalb immer strikte an die Richtlinien des EPD vom 20. November 19644 gehalten, die vor allem auch Nachforschungen durch schweizerische Botschaften verbieten.
Gemäss Art. 9 BB5 wäre nach durchgeführtem Verschollenheitsverfahren nochmals ein Aufruf (Erbenruf) durchzuführen (vgl. Art. 555 ZGB). Dr. Weber sieht vor, die beiden Verfahren zusammenzufassen, also bei der Publikation des Verschollenerklärungsgesuches auch den Erbenruf zu erlassen. Diese Änderung sollen in dem Kreisschreiben des Bundespräsidenten an die Kantone6, das er vorsehe, enthalten sein. Der Bundesbeschluss laufe am 31. August 1973 aus. Gerichte und Vormundschaftsbehörden bedürften nun dringend eines solchen Kreisschreibens für das weitere Vorgehen. Dr. Weber erwähnt dann noch verschiedene Fälle von «gesteuerten Briefen» von Privatleuten aus Oststaaten, die gezwungen wurden, an Banken in der Schweiz zu schreiben. Personen, die in die Schweiz flüchten konnten, hätten nachträglich den Banken auf den Knien gedankt, dass sie nicht geantwortet hatten.
Es sei mit einer grossen Hellhörigkeit der Behörden in den Oststaaten zu rechnen. Das Gesuch um Verschollenerklärung werde nicht nur in den kantonalen Amtsblättern, sondern auch im Bundesblatt, im SHAB und in den Lokalzeitungen publiziert werden. Das Generalsekretariat JPD wünsche eine weitgehende Streuung, und es sei zudem erforderlich, in der Publikation möglichst ausführliche Angaben zu machen.
Wir führen aus, dass grundsätzlich zwei verschiedene Fälle denkbar sind:
1. Der Eigentümer des deponierten Vermögens lebt noch. Dann hätte er theoretisch die Möglichkeit gehabt, sich an die Bank zu wenden. Es sind aber zahlreiche Gründe dafür denkbar, dass er dies nicht wollte oder nicht konnte (Devisenvorschriften, Zensur, Hoffnung auf Besserung der Verhältnisse oder auf eine Flucht in die Schweiz). Wird nun in einem solchen Fall das Gesuch auf Verschollenerklärung publiziert, so kommt der Eigentümer – weil mit Sicherheit damit zu rechnen ist, dass das Gesuch bei den Amtsstellen der Oststaaten verbreitet wird und irgendeine Behörde den Zusammenhang mit dem Eigentümer herstellt – in allergrösste Schwierigkeiten wegen Nichtanmeldung von Devisen, Unterlassung des Transfers in den Wohnsitzstaat usw.
2. Für den Fall, dass der Eigentümer nicht mehr lebt, ist der Sinn des Bundesbeschlusses der, allfällige Erben zu ermitteln. Wird das Gesuch um Verschollenheitserklärung publiziert, so werden auch solche Erben von den Behörden der Oststaaten mit Sicherheit eruiert werden. Zwar sollten nach rechtsstaatlichen Grundsätzen diese Erben nicht in Schwierigkeiten kommen, wenn sie von dem Vorhandensein des Vermögens nichts wussten; denn es würde hier am subjektiven Tatbestand fehlen. In den Oststaaten ist aber anzunehmen, dass die Erben vielen Unannehmlichkeiten ausgesetzt wären und jedenfalls kaum in den Genuss des Vermögens gelangen würden. Die Erben könnten vom Staat gezwungen werden, «gesteuerte Briefe» an die schweizerischen Behörden zu richten und sich zu melden. Das Bestreben um Ermittlung der Erben hat hinter diesen Gesichtspunkten des Schutzes vor Unannehmlichkeiten zurückzutreten.
Man könnte zwar daran denken, die Publikation des Verschollenheitsgesuches möglichst neutral durchzuführen, doch könnten auch dann die Behörden der Oststaaten den Zusammenhang mit dem Vorhandensein eines Vermögens in der Schweiz herstellen (denn wozu würde sonst ein Verschollenheitsverfahren in der Schweiz durchgeführt?).
Es sei zu prüfen gewesen, ob gewisse Oststaaten, mit denen zwischenstaatliche Vereinbarungen mit Bezug auf die erblosen Vermögen bestehen, Anspruch auf die Durchführung eines Verschollenerklärungsverfahrens haben. Wir hätten weder in den Vereinbarungen mit der Tschechoslowakei noch mit Ungarn oder Polen7 Ansatzpunkte für einen solchen Anspruch dieser Staaten gefunden. Es sei aber mit entsprechenden Demarchen zu rechnen. Es werde den Oststaaten nicht entgehen, dass keine Verschollenheitsverfahren durchgeführt werden. Ferner werde es zu gegebener Zeit zu entsprechenden Erörterungen in den eidgenössischen Räten kommen.
Im übrigen hätten wir uns überlegt, was mit den Fällen geschehe, in denen kein Verschollenheitsverfahren durchgeführt werde. In diesen Fällen könne offensichtlich kein Erbgang eröffnet und somit das Vermögen auch nicht in den Fonds gelegt werden.
Dr. Weber bestätigt zu letzterem Punkt, dass in dieser Hinsicht im BB eine Lücke besteht. Er wird dem JPD beantragen, diese Frage zu entscheiden. Nach seiner Auffassung kommt es nicht in Frage, diese Fälle auf unbestimmte Zeit pendent zu halten.
Dr. Weber wird nun seinen Entwurf zu einem Kreisschreiben im Sinne der heutigen Aussprache ergänzen, in dem Sinne, dass in den Fällen, in denen die Vermögenseigentümer aus Ländern des Ostblocks stammen, grundsätzlich auf die Durchführung des Verschollenheitsverfahrens verzichtet werden soll.
Wir präzisieren noch, dass es sich nicht um einen eigentlichen Verzicht handeln kann, sondern nur um die Feststellung, dass unter den heutigen Verhältnissen Art. 8, Abs. 3 des Bundesbeschlusses angewandt und somit das Verfahren auf Verschollenerklärung zurzeit nicht durchgeführt wird. Die Verhältnisse können sich aber ändern. Ferner geben wir zu bedenken, dass auch der Kreis der Fälle etwas anders umschrieben werden müsste. Es sollten auch solche Fälle erfasst werden, in denen anzunehmen ist, dass der Vermögenseigentümer, aus welchem Land er immer stamme, oder dessen Erben in Oststaaten leben.
- 1
- Notiz: E2001E-01#1982/58#381* (B.42.13). Verfasst und unterzeichnet von F. Moser. Handschriftliche Marginalie: Herrn Minister Diez z. K.↩
- 2
- Vgl. dazu die Notiz von F. Moser vom 20. Juni 1968, dodis.ch/32251 und das Schreiben von E. Diez an H. Weber vom 4. September 1968, dodis.ch/32249.↩
- 3
- Zur Krise in der Tschechoslowakei vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 100, dodis.ch/32192, bes. Anm. 3.↩
- 5
- Bundesbeschluss über die in der Schweiz befindlichen Vermögen rassisch, religiös oder politisch verfolgter Ausländer oder Staatenlosen vom 20. Dezember 1962, AS, 1963, S. 423–432. Vgl. dazu auch DDS, Bd. 24, Dok. 6, dodis.ch/32245, bes. Anm. 5.↩
- 6
- Kreisschreiben von L. von Moos an die Vormundschaftsbehörden und kantonalen Zivilgerichte vom 12. März 1970, Doss. wie Anm. 1.↩
- 7
- Zur Tschechoslowakei vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 179, dodis.ch/31451, bes. Anm. 21; zu Ungarn vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 21, dodis.ch/31540, Anm. 2 und zu Polen vgl. DDS, Bd. 17, Dok. 134, dodis.ch/4760.↩
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