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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 24, doc. 100
volume linkZürich/Locarno/Genève 2012
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2807#1974/12#485* | |
Old classification | CH-BAR E 2807(-)1974/12 53 | |
Dossier title | Tschechoslowakei (1966–1969) | |
File reference archive | 09 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2807#1974/12#348* | |
Old classification | CH-BAR E 2807(-)1974/12 27 | |
Dossier title | UdSSR (Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken) (1968–1968) | |
File reference archive | 051-30 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1980/83#4246* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1980/83 605 | |
Dossier title | Politische Bewegungen und Zustände. U.a. Einmarsch der Warschau-Pakt-Staaten (1968–1970) | |
File reference archive | B.73.0 • Additional component: Tschechoslowakei |
dodis.ch/32192
Notiz des Vorstehers des Politischen Departements, W. Spühler1
Unterredung mit Geschäftsträger Fedor A. Mikhailov, UdSSR, vom 21. August 1968
Der sowjetische Geschäftsträger hat um ca. 16.30 Uhr durch den Protokollchef2 eine dringliche Audienz bei mir verlangt, um eine Mitteilung der Sowjetunion vorzutragen. Geschäftsträger Mikhailov hat in Begleitung eines Übersetzers um 17.30 Uhr vorgesprochen.
Er erklärte, er habe den Auftrag seiner Regierung, den Bundespräsidenten persönlich über die Ereignisse in der Tschechoslowakei3 zu informieren. Infolge der Verschwörung der imperialistischen Kräfte und der Reaktion ausserhalb und innerhalb der Tschechoslowakei habe sich die Regierung der CSSR an die Regierungen der Warschau-Pakt-Staaten4 gewandt, mit der Bitte, eine unmittelbare militärische Hilfe zu leisten. Die Sowjetunion und die andern Staaten hätten mehrmals erklärt, der Verlauf der Ereignisse in der Tschechoslowakei bedeute eine Verletzung des zwischen ihnen abgeschlossenen gegenseitigen Vertrages. Sie bedeute eine Bedrohung des Friedens in Europa und der internationalen Sicherheit. Die Sowjetunion habe deshalb mit den andern Staaten beschlossen, der Bitte der tschechischen Regierung zu entsprechen und hätte deshalb die Anweisung erteilt, mit militärischen Einheiten das Territorium der CSSR zu betreten. Die Regierungen der betreffenden Länder würden die Truppen unverzüglich zurückziehen, sobald sie zur Überzeugung kämen, dass die Lage in der Tschechoslowakei wieder derart gefestigt sei, dass die andern Länder sich in ihrer bisherigen Politik nicht mehr bedroht fühlten. Diese Stellungnahme der Sowjetunion und ihrer Verbündeten sei nicht gegen irgendeinen Staat gerichtet, sondern erfolge nur aus der Besorgnis um die Erhaltung der bisherigen Staatsstruktur und des bisherigen Regimes. Es sei zu hoffen, dass die ausgezeichneten Beziehungen zwischen der Schweiz und der Sowjetunion davon nicht beeinflusst würden.
Ich erkläre von der Mitteilung Kenntnis zu nehmen, wonach die Streitkräfte der Sowjetunion von der Regierung der Tschechoslowakei gerufen worden seien. Diese Mitteilung stehe allerdings im Widerspruch zu den Mitteilungen5, die heute aus der Tschechoslowakei selber gekommen seien. Danach hätten die Regierungen der Sowjetunion und ihrer Alliierten die Tschechoslowakei von sich aus okkupiert. Die kommenden Tage würden zeigen, wo die Wahrheit liege. Das Schweizervolk habe mit Erschütterung die Ereignisse in der Tschechoslowakei verfolgt6. Der Geschäftsträger werde wohl nicht im Zweifel darüber sein, dass die Gefühle des Schweizervolks ganz auf der Seite des tschechischen Volkes seien. Unser Volk habe die Überzeugung, dass das Selbstbestimmungsrecht eines kleinen Staates, sein Streben, nach eigener und unabhängiger Art sein Leben einzurichten, gegenüber dem Herrschaftsanspruch einer Grossmacht nicht zähle.
Der Geschäftsträger hat in seinen Darlegungen besonders Gewicht darauf gelegt, dass die Äusserungen der tschechischen Presse sehr schwerwiegend gewesen seien und dass daraus die grössten Schwierigkeiten für das Verhältnis zu den übrigen kommunistischen Ländern entstanden seien. Ich antworte, dass die Pressefreiheit die Grundlage einer Demokratie sei und wo diese nicht vorhanden sei, es auch keine Demokratie gebe. Der Einmarsch der Sowjettruppen bedeute einen schweren Schlag gegen7 die Entspannung, die in den letzten Monaten eingetreten sei8.
- 1
- Notiz: E2807#1974/12#485* (09).↩
- 2
- Ch. A. Wetterwald.↩
- 3
- Vgl. dazu auch DDS, Bd. 24, Dok. 102, dodis.ch/32194; Dok. 105, dodis.ch/32176; Dok. 108, dodis.ch/33048 sowie die thematische Zusammenstellung dodis.ch/T941.↩
- 4
- Bulgarien, Ungarn, DDR, Polen, Rumänien und die UdSSR. Die DDR und Rumänien beteiligten sich nicht an der Militäraktion gegen die Tschechoslowakei.↩
- 5
- Vgl. diverse Agenturmitteilungen, Doss. wie Anm. 1. Zur Berichterstattung über die weitere Entwicklung der Lage in der Tschechoslowakei vgl. das Telegramm Nr. 209 der schweizerischen Botschaft in Prag an das Politische Departement vom 30. August 1968, dodis.ch/6160; das Telegramm Nr. 228 der schweizerischen Botschaft in Prag an das Politische Departement vom 1. September 1968, dodis.ch/32209; das Schreiben von S. F. Campiche an P. Micheli vom 8. Oktober 1968, dodis.ch/32516; das Schreiben von S. F. Campiche an P. Micheli vom 5. Februar 1969, dodis.ch/32210 sowie den Politischen Bericht Nr. 4 von S. F. Campiche an W. Spühler vom 1. April 1969, dodis.ch/32211.↩
- 6
- Zu den Reaktionen in der Schweiz vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 102, dodis.ch/32194.↩
- 7
- Handschriftliche Korrektur von W. Spühler aus: für.↩
- 8
- Handschriftliche Marginalie von W. Spühler: Dauer des Gesprächs ca. 1 Viertelstunde.↩
Tags
Czechoslovakia (Politics) Russia (Politics)