Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 23, Dok. 24
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2005A#1978/137#979* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2005(A)1978/137 298 | |
Dossiertitel | Frey, Hans Karl (1963–1966) | |
Aktenzeichen Archiv | t.441.1 |
dodis.ch/31351 Der Berater des ruandischen Präsidenten, H. K. Frey, an den Delegierten des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, G. C. Senn1
Ihre fünf Briefe vom 3., 7., 9. und 11. April sind gut eingetroffen2. Haben Sie vielen herzlichen Dank für die Offenheit Ihrer Darlegungen, für die überaus wertvollen Hinweise und Ratschläge!
Ich schicke Ihnen die (leider schlechte) Fotokopie der Notiz3, die ich am 9. April dem Präsidenten4 überreicht habe. Nachdem ich eingesehen hatte, dass der Präsident darauf spekuliert, es werde schon Gras über alles5 wachsen, und sich falsche Vorstellung über die Situation in Europa macht, entschloss ich mich zu dieser Handlung, damit der Präsident die Haltung seines Beraters einmal schwarz auf weiss besitzt. Seine Reaktion war erstaunlich: Zuerst beglückwünschte er mich, ihn schonungslos orientiert zu haben. Doch dann versuchte er in einem zweistündigen Ringen die Sache zu verharmlosen. Dass der Aussenminister6 unfähig ist, bestritt er nicht, doch was läge denn gegen den Justizminister7 vor? Ich sagte, ich sei noch nicht in Nyanza gewesen, daher könne ich ihm nicht mit einer Liste von Sünden dieses Ministers aufwarten. Aber die Verfehlungen kämen mir täglich zu Ohren, und übrigens: «je n’ai pas de confiance en cet homme». Ich fragte ihn dann, mir ganz offen zu sagen, ob diese drei Männer für ihn innenpolitisch unerlässlich seien. Mit einer Handbewegung wisch er dies zur Seite. «Je n’ai pas besoin d’eux, mais j’aime leurs jugements indépendants; je veux des Ministres qui me disent ce qu’ils pensent.» Seine Schlussbemerkung: Wenn das alles stimme, was ich sage, dann sei damit doch gerade der Beweis für die Notwendigkeit der Technical Assistance erbracht. Das kann man nun wohl nicht bestreiten. Aber ich habe ihm mit aller Krassheit vor Augen geführt, dass unser Beitrag von der Unterstützung unseres Volkes abhängt, das kein Geld für einen Staat geben wird, der die Spielregeln, wie sie nun einmal für einen zivilisierten Staat gelten, nicht einhalten will8. Man müsse sich entscheiden, was man wolle: ein moderner Staat zu werden oder eine afrikanische Stammesgemeinschaft zu bleiben.
Seither habe ich den Präsidenten nicht mehr gesehen, da ich für einige Tage in Kampala und Bujumbura war. Gestern kam ich neben den Präsidenten der Nationalversammlung Makusa zu sitzen. Links von mir war der Garde Nationale-Minister9 und neben Makusa sass der Aussenminister. Man sprach mich auf Vuillemin10 an. Das war das willkommende Stichwort. Ich verabreichte ihnen schwere Kost: während einer Viertelstunde sprach keiner von ihnen ein Wort. Am gleichen Abend klopft es plötzlich an meiner Tür. Makusa setzt sich hin und bleibt über zwei Stunden. Dies ist neben dem Präsidenten ohne Zweifel der bedeutendste Mann. Verheiratet mit einer Tutzi und der Typ der starken Persönlichkeit ausstrahlenden Hutu ist er auch rangmässig der zweite Mann im Staat. Wir haben sehr offen gesprochen. Ich gab ihm meine Notiz11 zum Lesen. Das Fazit ist aber nicht ermutigend: Auch Makusa ist im Hass gegen die Tutzi befangen und sagt, wir könnten das nicht verstehen. Die Spielregeln von denen ich spräche, seien in gewissen Ausnahmezeiten schwer anwendbar. Im übrigen seien eine Reihe von Bourgmestres12 bereits hinter Schloss und Riegel. Die Untersuchung werde durchgeführt, aber oberstes Gebot müsse bleiben, dass das Vertrauen des Volkes in seinen Präsidenten nicht erschüttert werde. Und dies sei bei der merkwürdigen Haltung der Hutus eine viel komplexere Sache, als wir Europäer uns das vorstellten. Auch er war skeptisch gegenüber dem Aussenminister. Den Justizminister mag er nicht, doch sind da vielleicht auch persönliche Gründe, weil er – wie Sie wissen – vorher dieses Amt hatte. Und unser Vorschlag, die Garde unter den Präsidenten zu stellen, fand er nicht ungefährlich. Er meinte, der Minister sollte ein Offizier sein, warum nicht überhaupt der Commandant? Die Idee des Generalsekretärs lehnte er nicht ab. Wir vereinbarten, in engem Kontakt zu bleiben, und ich werde dies, ohne es gegenüber dem Präsidenten zu cachieren, auch tun.
Nun muss ich sagen, dass in einem Gemeinwesen wie dem hiesigen Erfolge in unserm Sinn sich nur langsam einstellen. Man muss hartnäckig sein und immer wieder den Rechtsstandpunkt mit aller Schärfe verteidigen. Aber man darf auch nicht das Spiel des Gegners spielen. Und dieser ist skrupellos, verschlagen und gemein. Ich weiss nicht, ob Ihnen Herr Lindt von dem Pamphlet13 gesprochen hat, das zwei Inyenzys, Dom Bosco Kayonga und Michel Kayihura, durch einen schweizerischen Mittelsmann14 an den Bundespräsidenten15 geschickt haben. Dass ein Verbrecher wie Kayihura16, der schwere Mordtaten organisiert hat und von einem belgischen Gericht zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, sich das Vertrauen des Vatikans erringen kann und in der Welt herumreist, um für die armen Tutzis zu weibeln, stimmt die Leute hier natürlich nicht zur Milde. Man muss unbedingt die grosse Sorge in Rechnung stellen, die dieses von Flüchtlingen umzingelte Land bedrückt. Offengestanden habe ich mich selber mit einer Maschinenpistole bewaffnet, was doch eine groteske Sache ist.
Der Aufruf an die Flüchtlinge ist ernst gemeint17. Kayibanda und Makusa halten am Ziel der Integration fest. Sie sind überzeugt, dass die grosse Masse brav und harmlos ist. Eine allmähliche Rückkehr guter Elemente wäre zu wünschen. Aber das IKRK müsste eine Art Schiedsrichterrolle behalten. Das Ganze scheint im Moment illusorisch, da die wirtschaftlichen Voraussetzungen gar nicht gegeben sind.
Nun Ihre konkreten Anfragen:
1. Ich gehe am 28./29. April nach Nyanza, um mit allen wichtigen Leuten zu sprechen und in die Enquete Gikongoro und Shangugu18 Einblick zu nehmen.
2. Habamenshi ist der Name des Justizministers. Der Procureur, ein Tutzi, wird als anständiger Mann beschrieben.
3. Ein eingehender Brief an den Präsidenten mit Ihren Hauptanliegen wäre sehr gut. Tun Sie es bald.
4. Die beiden Fälle werde ich untersuchen. Verschiedene Leute, die als tot gelten, tauchen nun in den Prozessen der «Cour militaire» wieder auf. Bis jetzt sind 26 + 8 Leute zum Tode verurteilt. Der Präsident will die Gnadengesuche erst prüfen, wenn alle Prozesse durch sind. Der zweite Fall, den Sie schildern, könnte sehr wohl komplett erfunden sein. Die Tutzis sind hierin Meister. Man darf ihnen nichts glauben. Aber ich werde das Nötige tun.
5. Die Zusammenführung der Familien ist eine dringende Sache. Dies kann aber nur von Ihnen gemacht werden. Es ist so ungeheuer viel Lüge, Hass und Misstrauen als Sand im Getriebe, dass ein Aussenstehender schwer zu Erfolgen kommt. Ein Lichtblick ist die Sûreté. Von Tulpin geschult und geleitet ist der Chef ausgezeichnet. Letzthin kam eine Anfrage aus Bujumbura, die kranke Mutter eines UN-Angestellten hinauszulassen. Das Ganze war in einer Minute erledigt. Man will mir keine Inyenzy-Agenten ziehen lassen. Die von der «Cour militaire» Freigesprochenen meldeten sich unverzüglich bei Rukeba19, der eine Siegesfeier für sie veranstaltete. Solche Dinge schaffen natürlich böses Blut.
6. Das sogenannte «Livre blanc»20 habe ich nicht zur Hand, will es auch gar nicht mehr sehen. Die Hauptschuld trifft den Aussenminister und seine unfähigen Mitarbeiter, worunter ein Belgier. Dass der Präsident sein übles Machwerk vom 28. Januar publiziert hat, werde ich ihm nie vergessen. Er hat damit in einem entscheidenden Moment gegen meinen Rat gehandelt. Ich lasse ihn das spüren, wo es nötig ist.
Die Politik des Hochkommissars21 ist beunruhigend. Ich schicke Ihnen ganz vertraulich die Kopie meines heutigen Schreibens an ihn. Es tut mir leid es zu sagen: Jamieson trotz seiner schottischen Biedermeier-Art zaubert ein gänzlich falsches Bild der Lage an die Wand: Die grosse Masse der Flüchtlinge arbeitet nicht, sondern politisiert und hetzt22. Natürlich bekommt man in Genf und vor allem in New York eine bessere Note, wenn man sagen kann: wir haben mit den Terroristen nichts zu tun. Aber man geht der Frage aus dem Wege, wer Flüchtling und wer Terrorist ist, und dies mit der Ausrede, der HCR dürfe sich nicht in Politik mischen. Diese These wird aber logisch sinnlos, wenn man sich nicht mehr getraut, zwischen weissen und schwarzen Schafen zu wählen. Damit verdreht sich die Unparteilichkeit in ihr Gegenteil, gleichsam gegen den eigenen Willen.
Wann kommen Sie wieder her und von was hängt das ab? Hoffentlich schiebt sich dies nicht zu lange hinaus, weil man das Eisen schmieden muss, wenn es heisst ist.
- 1
- Schreiben (Kopie): E 2005(A) 1978/137 Bd. 298 (t.441.1). Kopie an A. R. Lindt.↩
- 2
- Alle 5 Schreiben nicht ermittelt.↩
- 3
- Nicht ermittelt.↩
- 5
- Zu den Massakern in Ruanda im Dezember 1963 und Januar 1964 vgl. Bd. 23Dok. 89, dodis.ch/31353, Anm. 7.↩
- 8
- Zu den Auswirkungen der Massaker auf die Entwicklungszusammenarbeit und den Abschluss eines Handels- und Investitionsschutzabkommens mit Ruanda vgl. die Notiz von A. Geiser vom 20. Januar 1964, dodis.ch/31385; das Protokoll von O. Hafner vom 10. Februar 1964, dodis.ch/31356 sowie das Schreiben von A. R. Lindt an J. S. Javet vom 13. Februar 1964, dodis.ch/31358. Zu den Auswirkungen der Unruhen vom November 1966 auf die Entwicklungszusammenarbeit vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 178, dodis.ch/31359. Generell zur Frage der Weiterführung der Entwicklungszusammenarbeit mit Ländern, die durch Unruhen destabilisiert werden vgl. das BR.-Prot. Nr. 1817 vom 26. Oktober 1965, dodis.ch/31740.↩
- 10
- Zur «Affaire Vuillemin» vgl. das Schreiben von A. R. Lindt an J. S. Javet vom 13. Februar 1964, dodis.ch/31358; die Notiz an F. T. Wahlen von 1964, dodis.ch/31357 sowie das Schreiben von H. K. Frey an G. C. Senn vom 17. März 1964, dodis.ch/31354.↩
- 11
- Vgl. Anm. 3.↩
- 12
- Bürgermeister.↩
- 13
- E 4001(D) 1973/125 Bd. 53 (006.66). Vgl. ferner das Schreiben von H. K. Frey an F. Schnyder vom 19. April 1964, E 2005(A) 1978/137 Bd. 298 (t.441.1): In diesem Pamphlet werden die Schweizer in Ruanda für die Massaker verantwortlich gemacht und insbesondere haltlose Angriffe an Erzbischoff Perraudin, mich [H.K. Frey]und an die Trafipro-Leute gerichtet. Ich wurde persönlich bedroht.↩
- 16
- M. Kayihura.↩
- 17
- Vgl. dazu Adresse du Président Kayibanda. Aux Rwandais Emigrés ou Réfugiés à l’Etranger vom 11. März 1964, E 2200.185 1983/6 Bd. 1 (J.10.2). Zu den Hintergründen des Flüchtlingsproblems vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 89, dodis.ch/31353, Anm. 8.↩
- 18
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 89, dodis.ch/31353, Anm. 8.↩
- 20
- Vgl. dazu auch das Schreiben von H. K. Frey an G. C. Senn vom 17. März 1964, dodis.ch/31354 sowie den Bericht von H. K. Frey vom Juni 1964, dodis.ch/31361.↩
- 21
- T. Jamieson.↩
- 22
- Vgl. dazu auch das Schreiben von H. K. Frey an G. C. Senn vom 17. März 1964, dodis.ch/31354.↩