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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 23, doc. 120
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
Plus… |Die Schweiz und die Konstruktion des Multilateralismus, Bd. 3. Diplomatische Dokumente der Schweiz zur Geschichte der UNO 1942–2002, vol. 15, doc. 22
volume linkBern 2022
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2001E#1978/84#5771* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2001(E)1978/84 934 | |
Titre du dossier | Anerkennung durch die Schweiz (1965–1967) | |
Référence archives | B.15.11 • Composant complémentaire: Rhodesien |
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2210.5-02#1976/193#462* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2210.5(-) 1976/193 15 | |
Titre du dossier | Rhodésie du Sud (1962–1965) | |
Référence archives | Inf.IV.84 |
dodis.ch/31085Der schweizerische Beobachter bei der UNO in New York, Botschafter Thalmann, an den Chef der Abteilung für Politische Angelegenheiten des EPD, Botschafter Micheli1
Wirtschaftsmassnahmen gegen Rhodesien
Ich bin Ihnen für die Überlassung einer Kopie der aufschlussreichen Notiz von Herrn Probst vom 2. d. Mts. zu Dank verpflichtet.2
Ich stelle fest, dass darin die Resolution des Sicherheitsrates vom 19. November3 überhaupt nicht erwähnt wird und schliesse daraus, dass allfällige schweizerische Massnahmen autonomen Charakter tragen und nicht in Ausführung des genannten Sicherheitsratsbeschlusses oder auch nur in Anlehnung an diesen getroffen würden.4
Dies mag selbstverständlich erscheinen. Wir sind ja gerade deswegen nicht Mitglied der UN, weil wir Sanktionen mit unserer Neutralität als nicht vereinbar erachten.5 Wir müssen uns indessen bewusst sein, dass es sich seit dem Bestehen der Organisation um den ersten Fall handelt, in welchem das Motiv für unsere Nichtmitgliedschaft konkret, praktisch in Erscheinung treten könnte.
Wie ich in meiner laufenden Berichterstattung schon oft unterstrichen habe, wird unser Abseitsstehen von der UN von den Mitgliedern im allgemeinen als eine bestehende Tatsache hingenommen, ohne dass man sich viel den Kopf darüber zerbricht, was eigentlich dahinter steckt. Während die Staaten, die seinerzeit dem Völkerbund angehörten und mit unserer traditionellen Politik vertraut sind, die Zusammenhänge zu erfassen vermögen, ist dies von den sog. jungen Staaten nur in sehr beschränktem Masse zu erwarten. Letztere sehen in unserer Nichtmitgliedschaft eher eine gewisse Eigenbrödelei, die sie nur sehr verschwommen mit unserer («überspitzten») Neutralität in Verbindung setzen, wobei sie mehr an unsern Wunsch denken, in politischen Fragen nicht Stellung zu nehmen (nicht an Abstimmungen teilzunehmen), was, wie mir einzelne ihrer Vertreter immer wieder sagten, besonders im Hinblick auf Genf auch ganz in Ordnung sei. Meinen Aufklärungsversuchen war wegen ihres «theoretischen» Charakters in diesen Kreisen wenig Erfolg beschieden.
Nun haben wir es aber gerade im Falle Rhodesiens in erster Linie mit diesen jungen Staaten zu tun, deren Erregung über das Regime Ian Smith alle Überlegungen der Vernunft und des Rechts in den Schatten stellt. Für sie wird es wie ein Schock wirken, wenn sie realisieren, dass unsere Nichtmitgliedschaft nicht nur eine originelle und im Grunde genommen harmlose Erscheinung ist, sondern praktische Folgen haben kann, die ihren «heiligen» Interessen zuwiderlaufen. Wir sind von einem Afrika-Kenner wie Simon Malley («JeuneAfrique») bereits freundschaftlich darauf aufmerksam gemacht worden, dass man uns sehr genau «auf die Finger sehen» und verfolgen werde, wie wir uns verhalten. (Diese «Warnung» erfolgte nicht etwa unter Bezugnahme auf unser Verhältnis zur UN, sondern in Verbindung mit Andeutungen über die schweizerische «Geschäftstüchtigkeit» und die Praxis unserer Banken.)
Ich erwähne dies natürlich nicht, um irgendwelchen Konzessionen grundsätzlicher Art das Wort zu reden. Wir müssen uns jedoch bewusst sein, dass die Reaktion auf unsere Nichtteilnahme am Embargo – das gleiche würde im Übrigen auch für eine sprunghafte Entwicklung unseres Handels mit Südafrika gelten – bei einzelnen afrikanischen Staaten sehr heftig sein dürfte und u. U. zum Abbruch diplomatischer Beziehungen führen könnte. Leider muss auch bezweifelt werden, dass eine Beschränkung auf den «Courant normal»,6 so bescheiden dieser auch sein mag, zur Beruhigung der Gemüter ausreicht. (Der Begriff dürfte den meisten nicht einmal bekannt sein.)7
Es kommt daher jedenfalls sehr darauf an, wie wir unsere Haltung begründen, sofern wir dazu durch die Verhältnisse gezwungen würden. Ich glaube nicht, dass wir selbst die Initiative dazu ergreifen sollten, z. B. durch Beantwortung der Note des Generalsekretärs.8 Ein Hinweis auf die Vertretung britischer und amerikanischer Konsularinteressen böte anderseits kaum eine tragfähige Grundlage.9
Sofern das Regime Ian Smith nicht sehr bald zu Fall gebracht wird, könnte somit der Preis, den wir für unsere Nichtteilnahme an den Sanktionen zu bezahlen haben, sehr hoch sein. Aus dieser Besorgnis heraus möchte ich Ihnen nachstehende Gedankengänge unterbreiten, die mir einer näheren Prüfung wert scheinen, wiewohl ich mir gleichzeitig der mannigfachen Schwierigkeiten bewusst bin, die ihrer praktischen Verwirklichung entgegenstehen.
Abgesehen davon, dass das Bestehen eines Kriegszustandes – heute wenigstens noch – zum mindesten höchst fraglich erscheint, bildet Rhodesien insofern einen Fall sui generis, als Rhodesien die Rechte eines selbstständigen Staatswesens nicht nur von der quasi Totalität der übrigen Staaten (die Schweiz inbegriffen), sondern vom «Mutterlande» selbst abgesprochen werden. Rhodesien ist daher als britisches Territorium zu betrachten, und Sanktionen gegen Rhodesien wären somit, theoretisch wenigstens, Sanktionen gegen Grossbritannien. Darin liegt natürlich ein offenkundiger Widersinn. Es ist ja nicht denkbar, dass ein Staat Sanktionen gegen sich selbst verlangt, ganz abgesehen davon, dass Rhodesien historisch gesehen eigentlich nie ganz «britisch» war. Ich frage mich jedoch, ob nicht gerade dieser merkwürdige Sachverhalt uns erlauben würde, allfällige schweizerische Massnahmen ihres politischen Charakters zu entkleiden und in den Rahmen der bilateralen britisch-schweizerischen Wirtschaftsbeziehungen zu stellen. Wir würden einerseits gewisse britische Lieferungen (nämlich jene aus Rhodesien) nicht mehr abnehmen und anderseits gewisse Lieferungen an Grossbritannien(jene, die für Rhodesien bestimmt wären) einstellen. Ob bei dieser Betrachtungsweise die notwendige rechtliche Grundlage im Bundesbeschluss betreffend wirtschaftliche Massnahmen gegenüber dem Auslande vom 28. September 195610 nicht doch gefunden werden könnte?
Wenn nicht, schiene mir vielleicht die Anrufung von Artikel 102, Ziff. 8 der Bundesverfassung11 dadurch erleichtert zu werden, dass wir die britische These akzeptieren, wonach es sich um eine Rebellion handelt, einen bürgerkriegsähnlichen Zustand, in welchem sich die Schweiz jeder Unterstützung der Aufständischen gegen die von uns anerkannte Regierung zu enthalten hat.
Nachdem es im vorliegenden Falle zweifellos nicht um eine Frage des Neutralitätsrechtes, sondern der Neutralitätspolitik geht, steht uns ein weiter Spielraum «d’appréciation politique» im Sinne von Max Huber offen, der uns erlauben sollte, den britischen Begehren in unserem eigenen Interesse Rechnung zu tragen und zwar bevor wir mit Bezug auf unsere Haltung zu den Sanktionsbeschlüssen des Sicherheitsrates interpelliert werden, womit wir Gefahr laufen würden, den ganzen goodwill, den wir uns im schwarzen Erdteil aufgebaut haben, zu verscherzen. Die Möglichkeit, dass uns deswegen das britische Mandat zur Wahrung seiner konsularischen Interessen entgehen könnte, scheint mir dem gegenüber von untergeordneter Bedeutung zu sein.
Die vorstehenden Überlegungen drängen sich m. E. auch deshalb auf, weil sich der Fall Rhodesien wegen seiner besondern Natur denkbar schlecht dazu eignet, einen Testfall mit Bezug auf unsere Einstellung zu Sanktionsbeschlüssen des Sicherheitsrates zu schaffen.
Nicht zuletzt scheint es mir wünschenswert zu sein, diesen Spezialfall nicht zum Gradmesser unserer öffentlichen Meinung mit Bezug auf unser Verhältnis der UN gegenüber werden zu lassen. Der Artikel, den von Hofmannsthal in der Schweizerischen Handelszeitung publiziert hat («Die hysterische UN», Ausgabe vom 2. Dezember 1965) enthält trotz der einseitigen, ultrakonservativen Einstellung des mir wohlbekannten Autors viel Wahres, und eine natürliche Sympathie mit den seit 75 Jahren praktisch unabhängigen rhodesischen «Settlers» könnte in unserer öffentlichen Meinung leicht eine Bewegung auslösen, die nur Verwirrung stiften würde.
Ich zweifle nicht daran, dass Sie sich all dieser Faktoren wohl bewusst sind. Es scheint mir, dass in dieser Frage praktische Lösungen gefunden werden sollten, die uns eine dogmatische Stellungnahme ersparen und uns nicht in unnötiger Weise exponieren.
- 1
- CH-BAR#E2001E#1978/84#5771* (B.15.11), DDS, Bd. 23, Dok. 120. Dieses an den Chef der Abteilung für Politische Angelegenheiten, Botschafter Pierre Micheli, gerichtete Schreiben wurde vom schweizerischen Beobachter bei der UNO in New York, Botschafter Ernesto Thalmann, verfasst und unterzeichnet. Das Schreiben wurde von Botschafter Micheli mit den Marginalien Urgent und M. Probst versehen und am 17. Dezember 1965 vom stv. Chef der Abteilung für Politische Angelegenheiten, Raymond Probst, visiert und um die handschriftliche Marginalie Durch Telegramm beantwortet ergänzt. Eine Kopie des Schreibens ging an die Abteilung für internationale Organisationen des EPD sowie an den Rechtsberater des EPD, Minister Rudolf Bindschedler.↩
- 2
- Notiz der Abteilung für Politische Angelegenheiten an den Vorsteher des EPD, Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen, vom 2. Dezember 1965, dodis.ch/53943.↩
- 3
- Es handelt sich um die Resolution Nr. 217 vom 20. November 1965, vgl. UN doc. S/RES/217. Zu einer ersten Einschätzung von Bundesrat Wahlen zu den UNO-Sanktionen betreffend Rhodesien vgl. das BR-Verhandlungsprot. der 83. Sitzung vom 26. November 1965 im Dossier CH-BAR#E1003#1994/26#6* (4.3), S. 3.↩
- 4
- Zur Einführung der Bewilligungspflicht und des «courant normal» für Importe aus Rhodesien vgl. das BR-Prot. Nr. 2189 vom 17. Dezember 1965, dodis.ch/31953.↩
- 5
- Zur Frage der Neutralität und inwiefern vom UNO-Sicherheitsrat beschlossene Sanktionen auch für Nicht-Mitgliedstaaten gelten vgl. dodis.ch/31066, dodis.ch/31113 und dodis.ch/31111. Zu den UNO-Sanktionen betreffend Südafrika vgl. QdD 15, Dok. 20, dodis.ch/31045 und DDS, Bd. 23, Dok. 156, dodis.ch/31047. ↩
- 6
- Zur Definition des «courant normal» vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 154, dodis.ch/31951.↩
- 7
- Zur Frage der Auswirkungen der schweizerischen Südafrika- und Rhodesienpolitik auf die Beziehungen zu den afrikanischen Staaten vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 104, dodis.ch/31614 und Dok. 130, dodis.ch/31089; dodis.ch/31050, dodis.ch/31066 sowie das BR-Verhandlungsprot. der 85. Sitzung vom 3. Dezember 1965 im Dossier CH-BAR#E1003#1994/26#6* (4.3), S. 8: «Wie aus der Note hervorgeht hätten wir, wenn wir keine Massnahme treffen, die afrikanische Welt und die UNO gegen uns. Wir müssen schauen, dass wir dort nicht in ein schlechtes Licht kommen. Der Eindruck, der unser Verhalten in Afrika machen könnte, muss sorgfältig bedacht werden. Das habe man immer übersetzt in einen ‹courant normal›. Mit anderen Worten, wir werden nicht Ersatzlieferanten der anderen werden.»↩
- 9
- Zur Frage der Interessenvertretung im Zusammenhang mit dem Rhodesienkonflikt vgl. das BR-Prot. Nr. 1969 vom 16. November 1965, dodis.ch/31118 sowie das BR-Prot. Nr. 1970 vom 16. November 1965, dodis.ch/31122. Vgl. dazu auch das BR-Verhandlungsprot. der 80. Sitzung vom 16. November 1965, dodis.ch/32006 sowie dodis.ch/31128.↩
- 10
- Bundesbeschluss über wirtschaftliche Massnahmen gegenüber dem Ausland vom 28. September 1956, BBl, 1956, II, S. 267–272.↩
- 11
- Art. 102 Ziff. 8: «Der Bundesrat hat innert den Schranken der gegenwärtigen Verfassung vorzüglich folgende Befugnisse und Obliegenheiten: [...] 8. Er wahrt die Interessen der Eidgenossenschaft nach aussen, wie namentlich ihre völkerrechtlichen Beziehungen, und besorgt die auswärtigen Angelegenheiten überhaupt.» Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, BS, 1947, S. 36.↩
Tags
Sanctions de l'ONU contre la Rhodésie (1966)
Politique de neutralité Zimbabwe (Général)