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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 22, doc. 123
volume linkZürich/Locarno/Genève 2009
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2804#1971/2#596* | |
Old classification | CH-BAR E 2804(-)1971/2 106 | |
Dossier title | Integration 1963 (1963–1963) | |
File reference archive | 060.7 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1976/17#983* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1976/17 212 | |
Dossier title | Eventueller Beitritt Grossbritanniens zur EWG (1961–1963) | |
File reference archive | C.41.770 • Additional component: Grossbritannien |
dodis.ch/30306 Der Chef des Integrationsbureaus, P. R. Jolles, an den Vorsteher des Politischen Departements, F. T. Wahlen, und an den Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements, H. Schaffner1
Die Rede de Gaulles2 hat in weiten Kreisen den Eindruck bestärkt, dass Frankreich nunmehr endgültig entschlossen sei, die England-Verhandlungen zum Scheitern zu bringen. Wir haben diesen Vormittag schon die ersten telephonischen Anfragen erhalten, welches die Rückwirkungen auf das Assoziationsgesuch der Schweiz sein werden. Ich wäre Ihnen um Mitteilung dankbar, ob es Ihnen richtig scheint, wenn das Integrationsbüro gegen aussen folgende Stellungnahme einnehmen würde:
1. Es ist nicht an uns, aus der Rede de Gaulles Folgerungen über ihren Einfluss auf den weiteren Gang der England-Verhandlungen zu ziehen. Diese Verhandlungen sind zur Stunde in Brüssel aktiv im Gange; offizielle Meldungen aus Brüssel über besondere neue Wendungen oder gar grundsätzliche Entscheidungen liegen nicht vor. Wir vermeiden jedenfalls, den Eindruck zu erwecken, dass das Scheitern der England-Verhandlungen von uns als sicher vorweggenommen wird.
2. Was die Haltung der Schweiz zur europäischen Integration anbetrifft hat die Rede de Gaulles keine überraschenden neuen Gesichtspunkte ergeben. Insbesondere war der Hinweis de Gaulles auf die Assoziation als Möglichkeit einer lockereren Verbindung, die den politischen Kern der EWG nicht tangiert, in einer Art und Weise formuliert, die unserer Konzeption der Assoziation in keiner Weise widerspricht.
3. Falls der Fragesteller insistiert zu wissen, was die Schweiz unter der Hypothese eines Scheiterns der England-Verhandlungen tun würde, könnte folgendes gesagt werden:
a. Das Assoziationsgesuch vom 15. Dezember 19613 und die Brüsseler Erklärung vom 24. September 19624 haben klar zum Ausdruck gebracht, dass die Schweiz von der Annahme einer allgemeinen Erweiterung der EWG ausgeht. Unsere Schritte sind im Rahmen der EFTA-Solidaritätserklärung von London5 erfolgt. Auch seitens der EWG wurde den England-Verhandlungen Priorität eingeräumt und die Beantwortung der Gesuche der Neutralen vorderhand zurückgestellt. Falls mit Bezug auf die England-Verhandlungen eine grundsätzlich neue Situation entsteht, muss diese von der Schweiz, vor allem auch im Rahmen der EFTA, neu geprüft werden.
b. Ob und inwieweit sich eine Änderung mit Bezug auf das schweizerische Assoziationsbegehren ergibt, wird erst beurteilt werden können, wenn die Stellungnahme der EWG in den England-Verhandlungen abgeklärt ist, insbesondere wenn bekannt ist, ob eine grundsätzliche Weigerung zur Erweiterung der EWG vorliegt oder lediglich eine Stellungnahme mit Bezug auf die möglichen Formen dieser Erweiterung.
4. Jedenfalls bleibt das Problem der Überwindung der wirtschaftlichen Spaltung Europas gestellt, so dass sich in der grundsätzlichen schweizerischen Haltung, die darauf abzielt, Mittel und Wege zu einer Überwindung dieser Spaltung und einer Erhaltung des wirtschaftlichen Integrationsgrades zu finden, nichts ändern wird. Über die Methoden, mit denen dieses Ziel erreicht werden kann, hat sich die Schweiz seit Jahren zu Konsultationen und Verhandlungen mit den übrigen europäischen Ländern bereit erklärt.
5. Allfällige Fragen mit Bezug auf die Rückwirkungen auf den Kennedy-Plan und die Möglichkeit einer Alternativlösung durch einen Zusammenschluss EFTA/Commonwealth/USA wären dahingehend zu beantworten, dass nach einer kürzlichen Erklärung von George Ball der Kennedy-Plan auch im Falle eines Scheiterns der England-Verhandlungen aufrechterhalten bleibt. Allerdings wäre die Bedeutung der 80%-Klausel in ihrer gegenwärtigen Formulierung ihres wesentlichen Inhaltes beraubt. Die im Frühjahr zusammentretende Ministerkonferenz des GATT wird die Durchführung der neuen Zolltarifkonferenz (Kennedy-Runde) im Jahre 1964 formell zu beschliessen haben. Diesem mit Sicherheit zu erwartenden Beschluss würde im Falle eines Scheiterns der England-Verhandlungen umso grössere Bedeutung zukommen.
Zu den Spekulationen über verschiedene Alternativmöglichkeiten von Zusammenschlüssen wird nicht Stellung genommen, dafür aber an die Bedeutung der bestehenden und wohl funktionierenden Organisation, der EFTA, erinnert6.
- 1
- Notiz: E 2804(-)1971/2/106. Kopien dieser Notiz gingen an P. Micheli, E. Stopper, O. Long, A. Weitnauer und P. Würth.↩
- 2
- Am 14. Januar hielt Ch. de Gaulle eine Rede, die seine ablehnende Haltung gegenüber dem britischen Beitrittsgesuch zur EWG klar zum Ausdruck brachte. Zu dieser Rede und den Reaktionen, die sie auslöste, vgl. Nrn. 130, 131, 136 und 139 in diesem Band sowie das Schreiben La conférence de presse du 14 janvier 1963 von A. Soldati an F. T. Wahlen vom 16. Januar, E 2300(-)1000/716/356.Für einen Überblick über die britischen Reaktionen auf die Rede de Gaulles vgl. den Politischen Bericht Nr. 6 von A. Daeniker vom 23. Januar 1963, E 2300 (-)1000/716/252.Zu den Rückwirkungen der Rede auf die Erweiterungsversuche der EWG und auf die schweizerische Haltung zur EWG, vgl auch. Nrn. 123, 130, 131, 136 und 139 in diesem Band. Vgl. auch das Telegramm Nr. 12 von Soldati an Wahlen vom 18. Januar 1963 (Do-DiS-30309), das Telegramm Nr. 14 von Soldati vom 22. Januar 1963 (dodis.ch/30311), den Bericht Erste Überlegungen zu den Rückwirkungen des Scheiterns der England-Verhandlungen auf die Schweiz von H. Schaffner vom 7. Februar 1963 (dodis.ch/30314) und den Politischen Bericht Nr. 14 von Soldati an Wahlen vom 13. Februar 1963 (dodis.ch/30702).↩
- 3
- Vgl. DDS, Bd. 22, Dok. 34, dodis.ch/30143.↩
- 4
- Vgl. DDS, Bd. 22, Dok. 102, dodis.ch/30292.↩
- 5
- Vgl. DDS, Bd. 22, Dok. 3, dodis.ch/30118.↩
- 6
- Für weitere Reaktionen auf die Rede de Gaulles vgl. das Telegramm Nr. 6 der schweizerischen Botschaft in London an das Politischen Departement vom 16. Januar 1963, E 2804(-)1971/2/107, das Telegramm Nr. 4 von P. Würth an das Integrationsbureau vom 16. Januar 1963, ibid., und das Telegramm Nr. 10 von Soldati an das Integrationsbureau vom 17. Januar 1963, ibid. Vgl. auch DDS, Bd. 22, Dok. 125, dodis.ch/30308.↩
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