Zuzug ausländischer Arbeitskräfte. Wegen der Absage Frankreichs, süddeutsche und österreichische Arbeitskräfte für die Arbeit in der Schweiz freizugeben, Fühlungnahme mit Italien.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 16, doc. 74
volume linkZürich/Locarno/Genève 1997
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E7001B#1000/1060#693* | |
Old classification | CH-BAR E 7001(B)1000/1060 543 | |
Dossier title | Ausländische Arbeitskräfte (1943–1955) | |
File reference archive | 4.2 |
dodis.ch/1715
ZUZUG AUSLÄNDISCHER ARBEITSKRÄFTE
Wie Sie wissen, sind wir seit längerer Zeit bemüht, den dringenden Bedarf an Arbeitskräften durch den Zuzug von Ausländern zu decken. Nach Prüfung des Spitzenbedarfs in den einzelnen Sektoren unserer Wirtschaft in Verbindung mit den Berufsverbänden hat unser Amt eine aktive Einreisepolitik verfolgt und sowohl die Eidgenössische Fremdenpolizei als auch die zuständigen kantonalen Behörden zu einer entsprechenden Praxis veranlasst.
Am dringendsten tritt der Bedarf an Arbeitskräften bekanntlich in der Landwirtschaft, im Gastgewerbe, im Hausdienst, in Spitälern und Anstalten sowie in der Textilindustrie auf. Da die ausländischen Arbeitskräfte für diese Tätigkeitsgebiete vor dem Krieg in der Hauptsache aus Österreich und Süddeutschland zugezogen wurden, haben wir durch das Politische Departement zu erreichen versucht, dass die Ausreise solcher Ausländer von den französischen Besatzungsbehörden gestattet werde. Trotz zweimaliger Intervention wurde das Begehren abschlägig beantwortet mit der Begründung, dass diese Arbeitskräfte in diesen Ländern nicht entbehrt werden können3. Wir liessen uns durch diese Absagen nicht abfinden und versuchten, durch unsere Gesandtschaft in Paris beim Arbeitsministerium und dem Ministerium des Äusseren in Frankreich durch direkte Vorstellungen ein Entgegenkommen französischerseits zu erzielen. Nach den Mitteilungen unserer Gesandtschaft in Paris scheinen die betreffenden Ministerien sich der Sache annehmen zu wollen, und sie versprachen, eine Delegation zum Kommandanten der französischen Besatzungstruppen in Süddeutschland zu entsenden, in der Erwartung, dass es auf diese Weise gelingen werde, uns entgegenzukommen4. Wir werden in der Sache nicht nachgeben und hoffen, dass uns doch ein gewisser Erfolg beschieden sein wird5.
Angesichts dieser Schwierigkeiten, mit denen gerechnet werden musste, haben wir schon gegen Ende des letzten Jahres mit der italienischen Gesandtschaft Fühlung genommen, um den Zuzug italienischer Arbeitskräfte für die in Betracht fallenden Wirtschaftszweige sicherzustellen. Nachdem die Zusage der italienischen Regierung anfangs Februar dieses Jahres vorlag, haben wir am 14. Februar der italienischen Gesandtschaft eine Aufstellung über die Anzahl der erforderlichen Arbeitskräfte für die Landwirtschaft, das Gastgewerbe, für Spitäler und Anstalten, für den Hausdienst und die Textilindustrie übermittelt mit dem Wunsch, die verlangten Arbeitskräfte so rasch als möglich zu rekrutieren. Die Anzahl der angeforderten Arbeitskräfte wurde mit den zuständigen Berufsverbänden vereinbart.
Trotz dem Versprechen der italienischen Gesandtschaft, dass die Rekrutierung drei bis vier Wochen in Anspruch nehmen werde und obschon wir immer wieder auf eine rasche Erledigung drängten, mussten wir noch vor kurzem feststellen, dass die Ergebnisse der Rekrutierung immer noch ausbleiben. Wir konnten immerhin erwirken, dass die italienischen Behörden entgegen ihrer bisherigen Praxis es gestatteten, dass die einzelnen Arbeitgeber von sich aus sich nach italienischen Arbeitskräften umsahen, wodurch schon eine grössere Anzahl solcher Kräfte in der Zwischenzeit angeworben werden konnte.
Da auf diesem Weg nicht genügend Arbeitskräfte innert nützlicher Frist hereingebracht werden konnten, wurde der Chef der Sektion für Arbeitskraft und Auswanderung, Herr Jobin, im Einvernehmen mit der italienischen Gesandtschaft und dem Politischen Departement nach Rom delegiert, um mit unserer Gesandtschaft, dem italienischen Aussenministerium und dem Arbeitsministerium die eingeleitete Aktion zu beschleunigen und die bestehenden Schwierigkeiten zu beseitigen. Auf diese Weise ist es nun in kurzer Zeit gelungen, Verzeichnisse von rund 5000 Arbeitskräften für die erwähnten Berufsgebiete zu erhalten, die durch ober- und mittelitalienische Arbeitsämter rekrutiert worden sind. Diese Arbeitskräfte werden nun sofort durch die interessierten Berufsverbände den Arbeitgebern entsprechend dem dringendsten Bedarf zugewiesen, und es ist auch mit der Eidgenössischen Fremdenpolizei wie mit den italienischen Behörden das Verfahren für die Erledigung der zahlreichen Formalitäten wesentlich vereinfacht worden6, so dass anzunehmen ist, dass die betreffenden Arbeitskräfte innert kurzer Frist in die Schweiz einreisen werden.
Bei dem bedenklichen Zustand der italienischen Verwaltung sowohl in Rom als auch in den Provinzen und der im Vergleich mit unseren Verhältnissen unglaublichen Unordnung, die dort herrscht, wird immer wieder mit Überraschungen gerechnet werden müssen7. Es wurde uns immerhin von leitenden Persönlichkeiten der zuständigen Ministerien in Rom versprochen, dass die Rekrutierung sorgfältig erfolgt sei, da auch Italien Wert darauf lege, dass die Schweiz gute Arbeitskräfte erhalte. Rom habe für jede einzelne Arbeitskraft einen Strafregisterauszug und ein Leumundszeugnis verlangt; es seien auch die uns übergebenen Verzeichnisse überprüft worden8.
PS: Herr Jobin steht selbstverständlich zu Ihrer Verfügung, falls Sie sich von ihm noch mündlich des Näheren orientieren lassen wollen.
- 1
- Die Notiz ist unterzeichnet von M. Kaufmann und richtet sich an W. Stämpfli.↩
- 2
- (Kopie): E 7001 (B) 1/543. Paraphe: FA.↩
- 3
- Vgl. die Notiz von A. Ochsenbein an A. Zehnder vom 21. Februar 1946, dodis.ch/2187.↩
- 4
- Zum Versuch der Schweiz, mit Frankreich ein Abkommen über den Austausch von Arbeitskräften auszuhandeln, vgl. E 7001 (B) 1/347.↩
- 5
- Zum Resultat dieser Anstrengungen vgl. u. a. die Notiz von M. Kaufmann an W. Stämpfli und G. Willi vom 13. Juli 1946, E 7001 (B) 1/543.↩
- 6
- Für statistische Angaben über die Einreise italienischer Arbeitskräfte in der ersten Jahreshälfte 1946 und für die eingeleiteten Sonderverfahren zur erleichterten Einreise italienischer und französischer Arbeitskräfte vgl. die Notiz von M. Kaufmann an W. Stämpfli vom 21. August 1946, dodis.ch/2188. Für eine umfassende Dokumentation der Bemühungen, die Einreise von italienischen Arbeitskräften in die Schweiz zu beschleunigen, vgl. E 2001 (E) 1/88, 90 und E 7001 (B) 1/347, 543.↩
- 7
- Die Schwierigkeiten bei der Rekrutierung, auf die Kaufmann hier Bezug nimmt, bleiben auch im Laufe des Jahres 1947 bestehen; vgl. dazu die Notiz von M. Kaufmann an W. Stämpfli vom 20. November 1947, dodis.ch/2189.↩
- 8
- Handgeschriebene Anmerkung von W. Stämpfli am Ende der Notiz, angebracht am 31. Mai 1946: Ablegen, Kreisschreiben an die Kantonsregierungen vereinbaren.↩
Relations to other documents
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