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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 20, doc. 123
volume linkZürich/Locarno/Genève 2004
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E4110A#1973/85#12* | |
Old classification | CH-BAR E 4110(A)1973/85 2 | |
Dossier title | Antrag an Bundesrat vom 15.4.1957 zum weiteren Vorgehen (1957–1957) | |
File reference archive | A.11 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern |
Old classification | CH-BAR E 6100(B)1973/141 182 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2801#1968/84#2241* | |
Old classification | CH-BAR E 2801(-)1968/84 98 | |
Dossier title | Erblose ausländische Vermögenswerte in der Schweiz (W.45) (1946–1957) |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1972/33 280 |
dodis.ch/13241
MITBERICHT ZUM ANTRAG DES JUSTIZ- UND POLIZEIDEPARTEMENTS VOM 15. APRIL 1957 BETREFFEND DIE ERBLOSEN VERMÖGEN2
I.
In seinem Antrag an den Bundesrat vom 15. April vertritt das Justiz- und Polizeidepartement3 im wesentlichen die Auffassung, es sei auf die Ausarbeitung einer Sonderregelung über die erblosen Vermögen entgegen dem Beschluss des Bundesrates vom 22. Januar 19524 zu verzichten. Statt dessen sei zu prüfen, ob dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund nicht vielleicht ex aequo et bono eine gewisse Summe für einen Fonds zugunsten seiner durch Gewaltakte des Nationalsozialismus in Mitleidenschaft gezogenen Glaubensgenossen zur Verfügung gestellt werden könnte.
Zur finanziellen Seite hat sich das Finanz- und Zolldepartement in seinem Mitbericht vom 13. Mai5 bereits ablehnend geäussert.
Die Vorschläge des Justiz- und Polizeidepartements vermögen indessen nach Auffassung des Politischen Departements auch nach der grundsätzlichen Seite hin aus mehreren Gründen nicht zu befriedigen.
1) Auf völkerrechtlicher Ebene ist die Schweiz zwar rechtlich nicht verpflichtet, eine Sonderregelung über die erblosen Vermögen (genauer: die Vermögen mit unbekanntem Eigentümer) zu treffen. Es bestehen aber Gründe politischer und moralischer Natur zu Gunsten einer solchen Regelung.
Bedeutsam ist in dieser Hinsicht vor allem die in einem vertraulichen Briefwechsel vom 25. Mai 1946 beim Abschluss des Washingtoner Abkommens von der Schweizerischen Delegation zusätzlich abgegebene Erklärung6, der Bundesrat «werde mit Wohlwollen die Frage der erforderlichen Massnahmen prüfen, um den drei alliierten Regierungen zu Unterstützungszwecken die in der Schweiz befindlichen Vermögenswerte zur Verfügung zu stellen, die ohne Erben verstorbene Opfer von Gewalthandlungen der früheren deutschen Regierung hinterlassen haben». Wegen ihres Zusammenhanges mit dem Washingtoner Abkommen ist diese Erklärung freilich sinngemäss dahin auszulegen, dass sie eine besondere Verpflichtung gegenüber den drei Alliierten nur mit Bezug auf deutsche Vermögenswerte begründen wollte. Diese Auffassung wurde bereits in der Antwort des Vorstehers des Politischen Departements vom 22. März 1950 auf die Interpellation Werner Schmid vom 14. März 1950 im Nationalrat vertreten7. Soweit es sich aber um deutsche Vermögenswerte handelte, ist die bezügliche Verpflichtung gegenüber den Alliierten gleichzeitig mit dem Abkommen von Washington infolge des Ablösungsabkommens zwischen der Schweiz und den drei Alliierten vom 28. August 19528 dahingefallen. Über jene besondere Verpflichtung hinaus erscheint jedoch die Erklärung vom 25. Mai 1946 als Ausdruck einer allgemeinen moralischen Verpflichtung der Schweiz, zugunsten der Glaubensgenossen der Opfer der nationalsozialistischen Gewalttaten gewisse Vorkehren hinsichtlich der erblosen Vermögen zu treffen. Dies ergibt sich gerade daraus, dass die Erklärung – wie ebenfalls in der Antwort auf die Interpellation Werner Schmid hervorgehoben wurde – nicht eine Verpflichtung zur Durchführung bestimmter Massnahmen enthielt, sondern eine allgemein gehaltene Zusicherung, die Frage der erforderlichen Massnahmen mit Wohlwollen zu prüfen. Dieses Versprechen erscheint als Ausfluss einer grundsätzlichen Verpflichtung, die nicht auf die deutschen Vermögenswerte beschränkt war und daher auch nicht durch das Ablösungsabkommen aufgehoben werden konnte.
Im gleichen Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Tragweite des Briefwechsels mit Polen über die erblosen Vermögen vom 25. Juni 19499, der anlässlich des Abschlusses des schweizerisch-polnischen Abkommens betreffend die Entschädigung schweizerischer Interessen in Polen erfolgte. Wie bereits in der Antwort auf die Interpellation Werner Schmid erwähnt wurde, hat diese Abmachung mit der polnischen Regierung einen rein technischen Charakter und schafft keine vom geltenden schweizerischen Recht abweichende Regelung. Sie bezieht sich nur auf Vermögenswerte von polnischen Staatsangehörigen mit letztem Wohnsitz in Polen, auf die nach dem schweizerischen internationalen Privatrecht das polnische Recht anwendbar ist und die gemäss diesem letzteren beim Fehlen natürlicher Erben einer polnischen öffentlich-rechtlichen Korporation anfallen. Der Zweck der mit dem Briefwechsel getroffenen Regelung beschränkt sich somit darauf, die rechtlich schon vorher begründete Rückgabe bestimmter Vermögenswerte an den polnischen Staat technisch zu erleichtern. Damit wurde freilich grundsätzlich das Erbrecht des polnischen Staates nach polnischem Recht anerkannt, weshalb eine Sonderregelung nicht zulässig wäre, welche dieses Erbrecht aufheben wurde.
2) Seit mehr als zehn Jahren haben sich interessierte Verbände, vor allem der Schweizerische Israelitische Gemeindebund, zugunsten der Glaubensgenossen der Opfer der nationalsozialistischen Gewalttaten bei den Bundesbehörden für eine Regelung betreffend die erblosen Vermögen verwendet. Es ist ihnen nie grundsätzlich entgegengehalten worden, dass eine solche Regelung rechtlich nicht möglich sei. Vielmehr wurde stets im Hinblick auf eine Sonderregelung verhandelt, und es musste der Eindruck entstehen, dass einer Lösung nur gewisse technische Schwierigkeiten entgegenstünden, die besonders eingehende Abklärungen verlangten. In diesem Sinne wurde auch Herrn NationalratPhilipp Schmid auf eine Kleine Anfrage hin am 22. Januar 195210 geantwortet, der Bundesrat sei auf Grund der gemachten Erfahrungen zur Auffassung gelangt, dass für die erblosen Vermögen eine besondere Regelung notwendig sei; der Bundesrat habe deshalb die Absicht, den Räten eine entsprechende Vorlage zu unterbreiten, sobald die Prüfung der Angelegenheit ihren Abschluss gefunden haben werde. Der Beschluss des Bundesrates vom gleichen Tage11 sah denn auch positiv die Ausarbeitung eines Bundesgesetzes bezw. eines mit der Referendumsklausel vor.
Die Bestrebungen der privaten Interessentenkreise sind überdies seit 1950 und besonders wieder seit 1954, durch offizielle Schritte des Staates Israel12 unterstützt worden, der damit ständig sein starkes Interesse an einer Regelung der Frage bekundet hat.
Angesichts dieser langen Vorgeschichte, und nachdem durch das bisherige Vorgehen bestimmte Erwartungen geweckt worden sind, scheint es nicht angängig, vor einer grundsätzlichen Lösung der Frage zurückzuweichen. Für einen gänzlichen Verzicht auf eine gesetzliche Regelung liegen keine stichhaltigen juristischen Gründe vor. Ein blosser Hinweis auf das Ergebnis der bisherigen, rein freiwilligen Umfragen bei Banken und Versicherungsgesellschaften, nach welchen es sich bei den erblosen Vermögen nicht um bedeutende Beträge handle, wäre nicht geeignet, den Verzicht auf eine gesetzliche Regelung zu rechtfertigen. Der Bundesrat hat Zusicherungen gegeben, auf die er heute kaum zurückkommen kann (Antwort an NationalratPhilipp Schmid).
3) Der heutige Zustand ist auch vom Gesichtspunkt der höheren Gerechtigkeit aus unbefriedigend. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass für gewisse Vermögenswerte mit unbekanntem Eigentümer noch Erben vorhanden sind, die aber davon keine Kenntnis besitzen. Dass es sich dabei nach den bisherigen freiwilligen Umfragen zu schliessen, wahrscheinlich nicht um eine sehr bedeutende Zahl von Fällen und nicht um einen sehr grossen Gesamtbetrag handeln dürfte, ändert nichts an der grundsätzlichen Seite der Frage.
Nach schweizerischem internationalem Privatrecht, das für die Erbfolge auf das Recht des letzten Wohnsitzes des Erblassers verweist (vgl. NAG Art. 22 und 23), wäre damit zu rechnen, dass ein Teil der erblosen Vermögen, sofern keine gesetzlichen Erben mehr vorhanden sind, an fremde Staaten namentlich Osteuropas – fallen könnten. Die Möglichkeit, solche Vermögenswerte schweizerischerseits den noch vorhandenen Erben oder eventuell Unterstützungszwecken zugunsten von Glaubensgenossen der Opfer des nationalsozialistischen Regimes zuzuwenden, würde damit dahinfallen. Hierfür besteht aber – mit Ausnahme des Sonderfalls Polen – keine Veranlassung.
Ebenso wenig rechtfertigt sich ein Anfall an schweizerische Gemeinwesen oder gar eine Aneignung durch Privatpersonen in der Schweiz (durch Ersitzung oder Verjährung), wie sie unter Anwendung der geltenden Ordnung eintreten könnten.
Aus den angeführten Gründen gelangt das Politische Departement zum Ergebnis, dass grundsätzlich entsprechend dem Beschluss des Bundesrates von 1952 eine Sonderregelung über die erblosen Vermögen getroffen werden muss. Die Überlegungen, die zu diesem Beschluss geführt hatten, sind weiterhin gültig.II.
In den Erwägungen zum Beschluss des Bundesrates vom 22. Januar 1952 war die Einsetzung eines Generalbeistandes für die Gesamtheit der erblosen Vermögenswerte in der Schweiz in Analogie zur Beistandschaft gemäss Art. 393 ZGB, verbunden mit einer Meldepflicht der Vermögensverwalter gegenüber dem Generalbeistand, als geeigneter Weg für die Regelung der Frage bezeichnet worden. Eine derartige Regelung würde dem Politischen Departement auch heute noch als die zweckmässigste Lösung erscheinen. Allerdings müsste die damit verbundene Meldepflicht derart ausgestaltet werden, dass sie lediglich gegenüber dem Generalbeistand gelten würde, während der Beistand seinerseits im Verhältnis zum Berechtigten verpflichtet wäre, das Geheimnis gegenüber Dritten zu wahren. Eine solche Sonderregelung böte den entscheidenden Vorteil, die erblosen Vermögenswerte zu sichern und sie den allenfalls vorhandenen Erben zuführen zu können, ohne dass hierfür wesentliche Grundsätze unserer Rechtsordnung angetastet werden müssten. Vor allem würde dadurch einerseits vermieden, die Berufsgeheimhaltungspflicht der Vermögensverwalter in der Schweiz, insbesondere das Bankgeheimnis13, zu durchbrechen, anderseits aber dafür gesorgt, dass diese Geheimhaltungspflicht eine wirksame Ermittlung der Berechtigten nicht behindern könnte. Gegenüber dem Beistand als Vertreter der Interessen der Berechtigten kann eine Geheimhaltungspflicht der Vermögensverwalter in der Tat nicht wohl geltend gemacht werden; Veranlassung hierfür bestünde umso weniger, als rechtliche Garantien vorhanden wären, dass der Beistand das Geheimnis gegenüber Dritten nicht preisgibt. Unter diesen Voraussetzungen hätten die Vermögensverwalter – Banken, Versicherungsgesellschaften, Notare, Anwälte, Treuhandgesellschaften – prinzipiell keine Veranlassung mehr, sich gegenüber der Errichtung einer Beistandschaft unter Berufung auf ihre Geheimhaltungspflichten ablehnend zu verhalten. Den grundsätzlichen Bedenken gegen eine Sonderregelung der Materie, die namentlich aus Bankkreisen stammen, wäre damit der Boden weitgehend entzogen.
Die Bestellung eines Generalbeistandes in der skizzierten Form, verbunden mit der Einführung einer beschränkten Meldepflicht, hätte dem ersten Ziel zu dienen, die erblosen Vermögen und, soweit möglich, deren rechtmässige Eigentümer zu ermitteln. Das Ergebnis dieser Ermittlungen ist heute, sowohl mit Bezug auf die Höhe der betreffenden Vermögenswerte als auch mit Bezug auf die Höhe der betreffenden Vermögenswerte als auch mit Bezug auf die Berechtigten (allfällige private Erben, deren Zahl und Nationalität, oder erbberechtigte ausländische Staaten), noch völlig ungewiss. Eine darüber hinausgehende Regelung der weiteren Frage, wie die erblosen Vermögen letztlich verwendet werden sollen, wird daher zweckmässigerweise erst in einem späteren Zeitpunkt getroffen werden können, sobald einmal die endgültig herrenlosen Vermögenswerte ermittelt sind.III.
Im Sinne der vorstehenden Ausführungen beantragt das Politische Departement, der Bundesrat möge in Abweichung von den Anträgen des Justizund Polizeidepartements beschliessen:
Das Justiz- und Polizeidepartement sei zu beauftragen, entsprechend dem Beschluss des Bundesrates vom 22. Januar 1952 möglichst rasch eine gesetzliche Regelung über die erblosen Vermögen auszuarbeiten, indem zum Zwecke der Ermittlung der Berechtigten ein Generalbeistand bestellt und eine die Geheimhaltungspflichten der Vermögensverwalter wahrende Meldepflicht gegenüber diesem Beistand eingeführt wird14.
- 1
- Bericht: E 4110(A)1973/85/2. Ausgeteilt.↩
- 2
- Dieser Mitbericht wurde von R. Probst und H. Zoelly verfasst. Vgl. auch die Notiz von R. Bindschedler an W. Stucki vom 23. Mai 1957, E 2801(-)1968/84/98 (dodis.ch/13454) und die Notiz von W. Stucki an R. Bindschedler vom 27. Mai 1957, E 2001(E)1972/33/280 (dodis.ch/13455).↩
- 3
- Vgl. E 2001(E)1972/33/280.↩
- 4
- Vgl. den BRB vom 22. Januar 1952, E 1004.1(-)-/1/537 (dodis.ch/8284).↩
- 5
- Vgl. E 6100(B)1973/141/182.↩
- 6
- Vgl. DDS, Bd. 16, Dok. 75, dodis.ch/17, Anm. 2, und für den Wortlaut der Erklärung vgl. das Schreiben an W. Stucki vom 25. Mai 1946, K I/646 (dodis.ch/1730).↩
- 7
- Vgl. die Antwort des EPD auf die Interpellation von W. Schmid vom 22. März 1950, E 1001(-)-/1/396 (dodis.ch/8676) und E 1301 I/396, S. 244–253.↩
- 8
- Vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 28, dodis.ch/10297(dodis.ch/10297).↩
- 9
- Vgl. DDS, Bd. 17, Dok. 134, dodis.ch/4760, Anm. 7.↩
- 10
- Vgl. die Antwort des Bundesrates auf die Kleine Anfrage von Ph. Schmid vom 22. Januar 1952, E 1004.1(-)-/1/537 (dodis.ch/8285).↩
- 11
- Vgl. BRB vom 22. Januar 1952, E 1004.1(-)-/1/537 (dodis.ch/8284).↩
- 12
- Vgl. E 2001(E)1969/121/155.↩
- 13
- Vgl. E 2001(E)1970/217/346.↩
- 14
- Vgl. das Schreiben von M. Feldmann an M. Petitpierre vom 17. September 1957, E 2001(E)1972/33/280.↩
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Dormant Bank Accounts (1947–1973)
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