Bericht über die Konferenz in Bandung: Rollen und Ziele der verschiedenen Persönlichkeiten.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 20, doc. 5
volume linkZürich/Locarno/Genève 2004
more… |▼▶2 repositories
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#271* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 133 | |
Dossier title | Djakarta, Politische Berichte und Briefe, Militärberichte, Band 6 (1955–1956) |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1970/217#6047* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1970/217 306 | |
Dossier title | Asiatisch-afrikanische Konferenz in Banung vom 18.-24.4.1955 und Vorbereitung weiterer (1955–1957) | |
File reference archive | B.73.08.3 |
dodis.ch/12134
Der schweizerische Gesandte in Djakarta, O. Seifert, an den Generalsekretär des politischen Departements, A. Zehnder1
Ich habe mir erlaubt, mit Brief vom 13. April3 Ihre Aufmerksamkeit auf die meines Erachtens etwas zu einseitige Berichterstattung unserer Presse zu lenken, da wo dynamische nationalistische Entwicklungen zur Eigenstaatlichkeit im südasiatischen Raume zur Debatte stehen.
Die Bandung-Konferenz4, über die ich so gewissenhaft, als es mir möglich war, rapportierte, hat vielleicht manchem, in «kolonialer» Denkweise befangenen westeuropäischen, Politiker die Augen geöffnet. Den Nummern der NZZ, die uns hier bisher erreichten, glaube ich aber entnehmen zu dürfen, dass man an der Sache, am Kern der Sache, immer noch vorbeiredet. Kein Wunder, denn die NZZ konnte sich ja nur aus zweiter und dritter Hand orientieren, während den AFP- und Reuter-Korrespondenten eine Loslösung von ihrem historischen machtpolitischen Hintergrund nur sehr schwer gelingt. Wenn auch die Spannung um Formosa5 und die Gefahr eines neuen Weltkrieges die, hinter geschlossenen Türen abgehaltenen Debatten überschattete, so wäre es falsch, anzunehmen, wie dies aus den veröffentlichten Berichten hervorgeht, die Formosa-Frage sei Gegenstand eingehender Beratung in einem speziell dafür vorgesehenen Komitee gewesen. Ein diesbezüglicher Vorschlag war zwar von Ceylon gemacht worden, konnte aber nicht verwirklicht werden. Hingegen gelang es, im Rahmen der geschlossenen Debatten über «Weltfrieden und Zusammenarbeit», Tschu En Lai davon zu überzeugen, dass die Mehrheit der Konferenz-Teilnehmer eine gewaltsame Befreiung Formosas missbilligt, so dass der geschickte Chinese wenigstens Miene machen musste, bereit zu sein, zu einer friedlichen Lösung Hand zu bieten. Dies ist zwar ein wichtiges Ergebnis der Konferenz, aber meines Erachtens nur ein schätzenswertes Nebenprodukt derselben.
Was nach meinen Beobachtungen hingegen von grösserer Bedeutung ist, liegt in der Tatsache, dass wir hier einmal mit der politischen Denkweise Asiens in ihrer offensten und spontansten Ausdrucksform vertraut gemacht wurden. Es ist möglich, dass im weitgehend von westlicher Tradition und Kultur, ja von westlicher Macht, westlichem Fortschritt, westlicher Beredsamkeit beherrschten «Ambiente» der Vereinigten Nationen gewisse Minderwertigkeitskomplexe die Ausdrucksweise der jungen asiatischen Staaten hemmen und sie manchmal in eine antiwestliche Haltung hineinmanövrieren, die im Grunde nicht ihrer innersten Denkweise entspricht. Der Westen war ihr harter, manchmal grausamer Lehrer, aber in vielen Dingen eben doch Lehrer. In Bandung fühlten sich die Delegierten wie zu Hause und sprachen in den offenen und in den geschlossenen Sitzungen frisch von der Leber weg. Und siehe da! Es zeigte sich, dass von den zwei Mitteln zur Förderung der wirtschaftlichen und politischen Entwicklung, dem kommunistischen System oder der vorsichtigen Entgegennahme westlicher Hilfe, das letztere die Zustimmung der Mehrheit der Konferenzteilnehmer fand und, dass sogar Tschu En Lai klein beigeben musste.
Zweifellos kann das Ergebnis der Konferenz von den beiden Blöcken vorläufig nur als Ausgangsposition im kommenden Kampf um ihren Einfluss in Asien betrachtet werden. Der Mehrheit der Konferenzteilnehmer ist heute aber sicherlich klar geworden, dass westlicher Imperialismus, Kolonialismus alten Stils und internationaler Kommunismus für ihre neu gewonnene Unabhängigkeit in gleichem Grade gefährlich sind. Sie scheinen aber auch zur Überzeugung gelangt zu sein, dass wenn der Westen auf eigene machtpolitische Ziele verzichtet und ohne Hintergedanken, in vernünftiger Partnerschaft wirtschaftlicher Natur an der Entwicklung dieses Raumes teilhaben will, seine Kooperation weniger gefährlich ist, als die des kommunistischen Blocks mit seinen subversiven Infiltrationsbestrebungen.
Im Verkehr mit den hiesigen Holländern, ja mit unsern seit vielen Jahren hier ansässigen Landsleuten, sehe ich nun aber im Kleinen, wie schwer es für den «weissen Mann» ist, seine Superioritätskomplexe abzustreifen. Wie unendlich schwerer muss es für die Lenker und Hüter der mächtigen Interessen westlicher Wirtschaftsgruppen sein, die ihre bisher durch Macht geschützten Privilegien gefährdet sehen, sich der neuen Lage anzupassen!
Und doch sollte diese Anpassung für sie nicht so unmöglich sein, wie es auf den ersten Blick scheint. Man wird nicht mehr 20%, 30% oder gar 50% Dividenden ausschütten können, sondern vielleicht «nur» noch 5% oder 10%; man wird von der technischen Unwissenheit der Eingeborenen nicht mehr so weitgehend und schamlos profitieren können wie in den alten Zeiten, die gelieferten Anlagen werden funktionieren müssen, bei Investitionen werden die Eingeborenen ihr Mitspracherecht ausüben wollen, man wird grosse Risiken eingehen müssen, ähnlich wie sie in Europa und Südamerika alle Ausland-Investitionen mit sich bringen. Aber wenn man an den ungeheuren Bedarf an Konsum- und Investitionsgütern der in Bandung vertretenen 1 1/2 Milliarden Menschen denkt, an die Möglichkeiten, die sich aus der Einschaltung dieser zum Teil noch sehr primitiv lebenden Massen in den Produktionsprozess in viel weiterem Masse als bisher für alle hoch industrialisierten Länder Europas ergeben, an den riesigen Vorsprung, den der Westen hat und der ihm doch hier nicht streitig gemacht wird, der vielmehr mit einer gewissen Würde und anerkennenswerten Bescheidenheit zugegeben worden ist, dann wird sich das Bild wesentlich ändern.
In seiner bemerkenswerten Rede an der Eröffnungssitzung in Bandung6 sagte der Philippiner Romulo unter anderm über Rassendiskrimination folgendes: «Um seine Herrschaft zu begründen, um seine Macht sich selbst gegenüber zu rechtfertigen, huldigte der westliche weisse Mann der Annahme, seine Überlegenheit habe ihren eigentlichen Ursprung in seiner Abstammung, in der Farbe seiner Haut. Dies machte den untersten betrunkenen Dummkopf in der kolonialen Gesellschaft zu einem Wesen, das dem höchsten Produkt von Kultur, Gelehrsamkeit und Geschicklichkeit des unterworfenen Volkes überlegen war.»
Ich muss in meiner Unwissenheit und angesichts meiner bis zum Antritt dieses Postens7 äusserst oberflächliche Kenntnis des «Kolonialismus» bekennen, dass ich von der Denkweise der europäischen Siedler dieses Landes, von ihrem unbändigen Stolz, von ihrer Verachtung für die Einheimischen, zutiefst beeindruckt war. Die wenigen Ausnahmen vereinzelter westlicher Intellektueller bestätigen im Grunde nur die Regel. Dass diese Gesinnung immer noch nicht überwunden ist, zeigt das hiesige Geschehen deutlich, und es scheint in Vietnam den Franzosen ebenso schwer zu fallen, wie den Holländern hier, ihr übermässiges Selbstbewusstsein abzustreifen.
Sowohl Holländer wie Franzosen bezichtigen immer wieder, im Verkehr mit andern Europäern, den «amerikanischen Wirtschafts-Imperialismus» in Asien als grösste Gefahr für die europäischen Interessen. Er ist es, der den asiatischen Nationalismus erweckte und förderte, er ist es, der die Europäer von ihren Positionen verdrängen will, um sie selbst einzunehmen.
Möge dem sein wie auch immer, Tatsache ist, dass die meisten nationalistischen Führer der Teilnehmerstaaten in Bandung, seien sie nun von Amerika unterstützt oder nicht, eine Sprache sprechen, die uns Schweizern viel verständlicher und sympathischer ist als diejenige, der von den europäischen Kolonialisten sorgsam gepflegten und bevorzugten Kreise der ehemals privilegierten Eingeborenen-Minderheiten, nämlich die Sprache der Freiheit, der Unabhängigkeit und des Fortschritts. Ich darf Sie in diesem Zusammenhang auf die Botschaft der nationalistischen Front von Süd-Vietnam verweisen, die ich Ihnen mit meinem Brief vom 27. April8 übersandte und die sich sowohl gegen den französischen Kolonialismus als, und zwar in noch heftigerer Form, gegen den kommunistischen Imperialismus wendet.
Traurig genug, aber eine schlechte Kritik hatte bei gewissen meiner europäischen Kollegen, dem französischen Botschafter9 und dem holländischen Hohen Kommissar10, just die Rede des Philippiners Romulo, desjenigen unter den Delegierten, der eigentlich den grössten Erfolg davon trug, weil er, als Asiate, für die westliche Auffassung eintrat und Nehrus Opposition11 gegen den SEATO-Pakt zum Schweigen brachte. Die westlichen Kollegen aber bezeichneten ihn als Werkzeug Amerikas und verfehlten nicht, ihn offen zu verdächtigen. Dabei hat sich bezeichnenderweise keine Stimme zur Verteidigung Frankreichs oder der Niederlande erhoben, offenbar weil es diesen Staaten nicht gelungen ist, sich hier Freunde zu machen.
Ich gestatte mir, Ihnen den Originaltext der Ansprache Romulos12 in der Beilage zu übersenden, in der Hoffnung, er finde Ihre Aufmerksamkeit und es sei möglich, ihn in einer unserer Tageszeitungen oder Zeitschriften, eventuelle im Bulletin unseres Informations- und Pressedienstes, in seinem vollen Wortlaut zu veröffentlichen. Es ist die Stimme eines Asiaten, eines freien Asiaten, eines Rassenbruders der Indonesier, die mit den übrigen hier versammelten nichtkommunistischen Vertretern der asiatisch-afrikanischen Völker von ihm stark beeindruckt waren.
Haben wir Schweizer nicht immer das Ideal der Menschenwürde, der Freiheit, der friedlichen Zusammenarbeit hochgehalten? Wäre es zuviel gewagt, zu wünschen, es möchte bei uns, mit gebührender Rücksichtnahme auf Neutralität und notwendige aussenpolitische Zurückhaltung, die dem Westen in Bandung ausgestreckte Hand ergriffen werden, den jungen freiheitsliebenden südostasiatischen Staaten unsere Sympathie bekundet und unsere Bereitschaft erklärt werden, ihnen beim Aufbau ihrer Wirtschaft, soweit dies in unserer Macht und in ihrem Willen liegt, behilflich zu sein?
Romulo sagte vorgestern in Manila: «Es kommt nun darauf an, wie wir die gefassten Beschlüsse verwirklichen.»
Ich habe in Bezug auf unsere westlichen Nachbarn in dieser Beziehung leider die grössten Bedenken. Das freie Wort der Schweiz könnte vielleicht auf die europäische Öffentlichkeit einen wohltuenden Einfluss ausüben und zum Verständnis des Gedankens beitragen, dass auf den Ruinen des westlichen Imperialismus und Kolonialismus, gemeinsam mit den Asiaten, der Aufbau einer besseren Welt mit westlicher Hilfe möglich ist.
- 1
- Politischer Bericht: E 2300(-)-/9001/133.↩
- 2
- Handschriftliche Anmerkung von A. Zehnder: M. le Chef du Département. Rapport sentimental, mais sympathique. Z. / 9. V.↩
- 3
- Nicht ermittelt.↩
- 4
- An der Konferenz von Bandung, welche vom 18. bis 24. April 1955 stattfand, nahmen die Delegationen aus 29 unabhängigen asiatischen und afrikanischen Staaten teil, vgl. E 2001 (E)1970/217/306 und E 2200.62(-)1977/42/4.Vgl. auch DDS, Bd. 20, Dok. 4, dodis.ch/11875 und die Notiz von A. L. Natural an M. Petitpierre vom 16. Mai 1955, E 2001(E)1970/217/292.↩
- 5
- Betreffend die Formosa-Frage vgl. DDS, Bd. 18, Dok. 56, dodis.ch/2703, Dok. 58, dodis.ch/8742, Dok. 121, dodis.ch/8703(dodis.ch/2703, 8742 und 8703), Bd. 19, Nr. 93 (dodis.ch/9435) und das Referat von H. de Torrenté vom 6. September 1957, E 2004(B)1970/2/7 –8 (dodis.ch/11356).↩
- 6
- Vgl. die Eröffnungsrede von C. P. Romulo an der Konferenz von Bandung vom 18. April 1955, E 2001(E)1970/217/306.↩
- 7
- O. Seifert begann seine Tätigkeit als Schweizer Gesandter in Djakarta am 19. Februar 1954.↩
- 8
- Vgl. das Schreiben von O. Seifert an A. Zehnder vom 27. April 1955, E 2001(E)1970/217/ 306.Unter den erwähnten Beilagen soll sich auch die Botschaft der Nationalistischen Front von Süd- Vietnam an die Afro- Asiatische Konferenz befunden haben, nicht ermittelt.↩
- 10
- W. F. L. van Bijlandt.↩
- 11
- Vgl. das Schreiben von O. Seifert an M. Petitpierre vom 5. Mai 1955, nicht abgedruckt (dodis.ch/12094).↩
- 12
- Vgl. Anm. 5.↩
Tags
Colonization and Decolonization
Indonesia (Politics) Non-Aligned Movement