Der Bundesrat beschloss aufgrund von Pressemeldungen über die Vermittlerrolle des umstrittenen Oktogon-Trusts, die Bewilligung für den Export von 46 Flugabwehrkanonen der Firma Hispano-Suiza nicht zu erteilen. Die deutsche Seite interveniert darauf mit der Versicherung, dass die Waffen nur für den Grenz- und Küstenschutz vorgesehen seien.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 19, doc. 89
volume linkZürich/Locarno/Genève 2003
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#564* |
Old classification | CH-BAR E 1004.1(-)1000/9 563 |
Dossier title | Beschlussprotokolle des Bundesrates März 1954 (1954–1954) |
dodis.ch/8938
Antrag des Politischen Departements an den Bundesrat1
LIEFERUNG VON WAFFEN UND MUNITION AN DIE BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND
I.
Die Firma Hispano-Suiza, Genf, hat im Sommer 19532 um die Bewilligung ersucht, 46 Flugabwehrkanonen, Kaliber 20 mm, mit Zubehör und Munition, im Gesamtwert von 2’878’636 Franken, an die Bundesrepublik Deutschland zu liefern. Gemäss Mitteilung der Kriegstechnischen Abteilung des Eidgenössischen Militärdepartementes hat die Genfer Unternehmung die fraglichen Geschütze auf Grund einer sogenannten «Fabrikationsbewilligung Stock» hergestellt. Sie war somit berechtigt, ein Gesuch um Ausfuhr dieser Waffen samt Zubehör und Munition nach Deutschland einzureichen, ohne hiefür noch einer speziellen Fabrikationsbewilligung zu bedürfen.
Im Zusammenhang mit den damaligen Pressemeldungen über den Oktogon-Trust entschied der Bundesrat am 18. September 19533, dass diesem Gesuch vorerst nicht zu entsprechen und bis auf weiteres keine Waffenlieferungen nach Deutschland zu bewilligen seien. Vorher waren lediglich kleinere Lieferungen, z. B. solche an Musterstücken und Prototypen, genehmigt worden, um es den bekanntlich auf ein gewisses Exportgeschäft angewiesenen schweizerischen Waffenfabriken zu ermöglichen, ein Minimum an Fühlungsnahme mit dem west-deutschen Markt aufrechtzuerhalten und sich dort von der ausländischen Konkurrenz nicht von vorneherein verdrängen zu lassen.
Seither erkundigte sich die deutsche Seite wiederholt nach den Möglichkeiten und Aussichten einer Wiedererwägung des genannten Gesuches: das Auswärtige Amt sondierte bei der Schweizerischen Gesandtschaft in Köln, die deutsche Delegation erkundigte sich während der Wirtschaftsverhandlungen, und schliesslich sprach auch der deutsche Gesandte in Bern vor4. Es wurde unsererseits jeweils dargetan, dass neben der politischen Beurteilung, die sich unter den gegebenen Umständen der Bundesrat selbst vorbehalten habe, auch gewisse technische Voraussetzungen erfüllt sein müssten. Im besondern sei eine deutsche Bestätigung erforderlich, wonach der Liefervertrag unter Ausschluss von Agenten direkt zwischen den Organen der Bundesrepublik und einer unserer Waffenfabriken abgeschlossen würde. Des weitern müsse die Stellungnahme der Besetzungsmächte abgeklärt werden, angesichts der noch beschränkten Zuständigkeit der Bundesrepublik auf diesem Gebiete. Schliesslich müsse Gewissheit darüber herrschen, dass die Waffen nur zu Defensivzwecken für den Grenz- und Küstenschutz bestimmt seien. Die Bezahlung hätte zudem ausschliesslich in freien Devisen zu erfolgen.
Die Gesandtschaft der Bundesrepublik bestätigte hierauf dem Politischen Departement, dass es sich «um einen unmittelbar zwischen dem Bundesinnenministerium und der Firma Hispano-Suiza abgeschlossenen Vertrag» handle (Note der deutschen Gesandtschaft vom 18. Dezember 1953; Beilage 1)5. Als Käufer der Waffen trete direkt das Bundesinnenministerium auf. Diesem sind die Polizeikräfte einschliesslich des Grenz- und Küstenschutzes unterstellt, zu dessen Aufbau die fraglichen Flugabwehrkanonen bestimmt sind. Auch eine nähere Überprüfung durch die Schweizerische Gesandtschaft in Köln hat ergeben, dass die betreffenden Geschütze tatsächlich zu polizeilichen Zwecken und zur Verhinderung von Zollumgehungen (in den Küstengewässern) dienen sollen.
Die deutsche Gesandtschaft brachte dem Politischen Departement ferner zur Kenntnis, dass die Bundesrepublik, die in Rüstungsfragen noch der Aufsicht der Alliierten untersteht, von diesen die Genehmigung zum Ankauf der fraglichen Waffen erhalten hat. Unsere Gesandtschaft in Köln besitzt ausserdem eine vom 31. Oktober 1953 datierte schriftliche Mitteilung des Bundesinnenministeriums, wonach das alliierte militärische Sicherheitsamt in Koblenz sich mit dem Ankauf der 20 mm-Geschütze einverstanden erklärt hat (Beilage 2)6.
Schliesslich liegt noch eine Erklärung des Bundesinnenministeriums in Bonn vom 15. Mai 19537 vor, wonach die fraglichen Waffen samt Munition ausschliesslich für den eigenen Gebrauch in Deutschland bestimmt sind und unter keinen Umständen zur Wiederausfuhr gelangen (Beilage 3)8. II.
Bei der politischen Beurteilung gehen wir davon aus, dass im Verhältnis zur Bundesrepublik nunmehr weitgehend geregelte Beziehungen bestehen und auch die aus der Kriegszeit stammenden Fragen, bis auf einige Restgebiete, bereinigt werden konnten. Die Bundesrepublik ist zu unserm Hauptlieferanten nicht nur lebens-, sondern auch versorgungswichtiger Waren geworden. Damit werden wir Westdeutschland auf die Dauer auch von einer Berücksichtigung in unserem Export von Kriegsmaterial nicht ausschliessen können.
Es dürfte ferner feststehen, dass die fragliche Lieferung für an sich normale Bedürfnisse vorwiegend polizeilicher Natur bestimmt ist. Die Befürchtung einer direkten schweizerischen Mitwirkung beim Wiederaufbau einer neuen deutschen Wehrmacht dürfte somit nicht zutreffen. Eine Bewilligung dieses auch zahlenmässig relativ bescheidenen Auftrages kann auch nicht ein Präjudiz für die Zukunft bilden, bleiben wir doch im Einzelfalle zu einer Beurteilung durchaus frei. Selbstverständlich könnte Bonn den fraglichen Auftrag heute ohne weiteres in einem anderen Lande unterbringen. So sehr auch für die Zukunft gegenüber Aufträgen aus Westdeutschland besondere Vorsicht am Platz sein wird, so darf doch auch auf die scharfe Konkurrenz anderer Länder hingewiesen werden; zudem ist unsere zurückhaltende Bewilligungspraxis allgemein bekannt.
Die gegen den Oktogon-Trust eingeleitete Untersuchung dürfte nach Mitteilung der Bundesanwaltschaft noch geraume Zeit andauern. Im vorliegenden Fall dürfte jedoch bereits feststehen, dass der Waffenkäufer, nämlich das Bundesinnenministerium, weder vom Oktogon-Trust noch von einem andern Vermittler, sondern direkt von der Hispano-Suiza kauft und den Liefervertrag bereits direkt mit dieser Genfer Unternehmung abgeschlossen hat. Die Bedenken hinsichtlich einer allfälligen Einschaltung des Oktogon-Trusts, die im vergangenen Jahr zur Ablehnung des Gesuches der Hispano-Suiza geführt haben, sind somit unseres Erachtens nicht mehr gegeben.
Damit, so scheint uns, ist nun der Zeitpunkt für eine Wiedererwägung des Entscheides vom 18. September 1953, bzw. für die Bewilligung der eingangs erwähnten Lieferung von rund 2,9 Millionen Franken nach der Bundesrepublik gekommen.
Wir sind dabei der Auffassung, dass neben dem zur Diskussion stehenden Einzelgeschäft gegebenenfalls auch weitere Gesuche ähnlicher Art, soweit unsere jeweils gestellten Bedingungen vom deutschen Partner akzeptiert und die von uns geforderten schriftlichen Garantien geleistet werden, in begrenztem Ausmasse genehmigt werden sollten. Gesuche dieser Art liegen jedoch zur Zeit nicht vor.
Die Öffentlichkeit wäre durch ein Communiqué zu informieren, in welchem insbesondere zu betonen wäre, dass die Regierung der Bundesrepublik sämtliche von den schweizerischen Behörden an diese Lieferung geknüpfte Bedingungen angenommen hat (Beilage 4: Entwurf für Communiqué)9.
Nach erneuter gründlicher Prüfung beehren wir uns somit, zu beantragen,
1) von den vorstehenden Ausführungen sei in zustimmendem Sinne Kenntnis zu nehmen;
2 das vorliegende Geschäft der Hispano-Suiza betreffend 46 Flugabwehrkanonen mit Zubehör und Munition, im Gesamtwerte von rund 2,9 Millionen Franken, zu genehmigen;
3) weitere Gesuche dieser oder ähnlicher Art bis auf weiteres jeweils dem
Bundesrat durch besonderen Antrag zu unterbreiten;
4) das im Entwurf beiliegende Communiqué zu veröffentlichen.
- 1
- (Kopie): E 1004.1(-)-/1/563.↩
- 2
- Zum Gesuch vom 21. Juli 1953 vgl. E 2001(E)1969/121/161.↩
- 3
- Vgl. BR-Prot. Nr. 1543, E 1004.1(-)-/1/557 (dodis.ch/9322).↩
- 4
- Es handelt sich um F. Holzapfel. Zu diesen Demarchen von Seiten deutscher Regierungsvertreter vgl. das Schreiben von M. Petitpierre an M. Feldmann vom 22. Dezember 1953, E 2001(E)1969/121/161.↩
- 5
- Ibid.↩
- 6
- Ibid.↩
- 7
- Ibid.↩
- 8
- Ibid.↩
- 9
- Ibid.↩
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