Sitzung mit Vertretern der SBV, der SNB und der Bundesverwaltung: Behandlung zentraler Fragen zur Vorbereitung der Verhandlungen mit den Alliierten.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 16, doc. 66
volume linkZürich/Locarno/Genève 1997
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2801#1968/84#94* | |
Old classification | CH-BAR E 2801(-)1968/84 30 | |
Dossier title | Verhandlungsunterlagen (W.10) (1945–1946) |
dodis.ch/67 Politisches Departement1 AUDIENZ DER SCHWEIZERISCHEN BANKIERVEREINIGUNG2 BEI EINER ABORDNUNG DER VERHANDLUNGSDELEGATION. 1. MÄRZ 1946, BANKAUSSCHUSSSAAL NATIONALBANK BERN
[...] 3
Der Vorsitzende eröffnet die Besprechung mit einem Hinweis auf den der anwesenden Abordnung der Verhandlungsdelegation erteilten Auftrag und gibt Herrn Dr. Caflisch das Wort. Dieser beschränkt sich auf einige allgemeine Ausführungen und stellt namentlich fest, die Bankiervereinigung habe diese Audienz nicht erbeten, um Forderungen zu stellen. Sie wünsche lediglich darauf hinzuweisen, welche Konsequenzen bei den bevorstehenden Verhandlungen für die Schweiz als Finanzzentrum zu beachten seien. Er verweist im übrigen auf die Ausführungen von Generaldirektor Nussbaumer, der nun näher auf diese Fragen eingeht.
Herr Nussbaumer umschreibt den Standpunkt der Bankiervereinigung wie folgt: Es wäre ausserordentlich gefährlich, wenn dem alliierten Ansinnen auf Übergabe oder Kontrolle der deutschen Vermögenswerte in der Schweiz stattgegeben würde. Die Frage ist von grossem nationalem Interesse. Die Stellung der Schweiz als Rechtsstaat steht auf dem Spiele. Diese Stellung kann unter keinen Umständen preisgegeben werden, «auch wenn wir weitere Opfer bringen müssten, etwa in dem Sinne, dass das Freezing der schweizerischen Guthaben in den Vereinigten Staaten aufrechterhalten bliebe». Für die Banken ist die Wahrung der rechtsstaatlichen Prinzipien im Hinblick auf die Rolle der Schweiz als Finanzzentrum besonders bedeutsam. Das Ausland, und in concreto die ausländische Kundschaft, vertraut auf den Charakter der Schweiz als eines Rechtsstaates. Durch ein Nachgeben würde das Vertrauen der ausländischen Kundschaft gegenüber den schweizerischen Banken getroffen.
Herr Nussbaumer weist in diesem Zusammenhang auch auf den Beitrag hin, den die fremden Gelder an die schweizerische Zahlungsbilanz und an das Steueraufkommen leisten. Er stellt fest, dass die Bankiers die Situation kaum zu meistern wüssten, die dann entstehen könnte, wenn den alliierten Begehren entsprochen würde. «Wir müssen auf Dekaden hinaus rechnen. Es wäre ein Unglück, wenn auf Jahrzehnte hinaus zerstört würde, was in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut worden ist.»
Ausserdem hätte man unmittelbar nach einem Amerika gezeigten Entgegenkommen mit entsprechenden Begehren anderer Staaten (z. B. Frankreichs) zu rechnen.
Ausser diesen Ausführungen zum Grundproblem der kommenden Verhandlungen erwähnt Herr Nussbaumer, ohne näher darauf einzutreten, folgende subsidiäre Punkte: Problem der Guthaben der Deutschen in der Schweiz, in USA, England, Guthaben in USA lebender Deutscher in der Schweiz, schweizerische Rückwanderer, Schweizer in Deutschland, Judenfrage, langjährige Bankkunden, die ihre Guthaben in Deutschland nicht angemeldet haben, Problem der Guthaben, die über holländische und andere drittländische Firmen bei uns liegen.[…]4
Was die sogenannte «Entdeutschung» deutschbeherrschter Gesellschaften in der Schweiz anbetrifft, vertreten die Banken den Standpunkt, dass einer solchen Massnahme, soweit sie auf legalem Wege geschieht, kein Veto der Alliierten entgegenstehen sollte, vorausgesetzt, dass das Politische Departement und die Verrechnungsstelle mit der geplanten Lösung einiggehen, dass der Erlös aus dem ausscheidenden deutschen Anteil diesem wertmässig entspricht und weiterhin unter der Sperre bleibt. Besonderer Wert ist dabei auf den Schutz der schweizerischen Minoritäten zu legen.
Nach diesen Ausführungen bemerkt der Vorsitzende, dass die Abordnung der Delegation selbstverständlich nicht ermächtigt sei, in diesem Rahmen über ihre Instruktionen zu diskutieren, sondern dass es ihr lediglich zustehe, von den Ausführungen der Bankiervereinigung Kenntnis zu nehmen. Im übrigen stünden die Darlegungen Nussbaumers in weitem Umfang in Übereinstimmung mit der Haltung, die die schweizerische Delegation in Washington einzunehmen gedenke. Es werde gemacht werden, was heute überhaupt möglich sei.
[…] 5
Die folgende Diskussion bringt keine wesentlichen Neuigkeiten. Die angekündigten «wichtigen Mitteilungen»6 bleiben aus. Das Gespräch dreht sich lediglich um gewisse Modalitäten der Durchführung der zusätzlichen Umfragen der Schweizerischen Verrechnungsstelle, namentlich über das Problem der über schweizerische Banken in den USA liegenden deutschen Werte. Herr Präsident Schwab benutzt die Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass die seinerzeit ziemlich umkämpfte Differenzierung der grossen Enquête sich heute in dem Sinne als gerechtfertigt erwiesen habe, dass eben eine weitgehende Differenzierung des Resultats dieser Umfrage erforderlich gewesen sei. Er legt Wert darauf, sich in diesem Kreise von den Bankiers bestätigen zu lassen, dass die Öffnung der Schrankfächer eine sehr grosse Arbeit bedeute. Die Grossbanken hätten ihm in verdankenswerter Weise Personal für diese Aktion zur Verfügung gestellt, ebenso die Versicherungsgesellschaften. Die Safe-Öffnung sei nun auf allen Plätzen neu organisiert worden. Man habe das halbe Personal der Schweizerischen Verrechnungsstelle für die Durchführung dieser Aktion eingesetzt und habe Überzeitarbeit eingeschaltet. Es könne erwartet werden, dass die Safe-Untersuchung bis zur Abreise der Delegation forciert werden könne.
Eine kleine Unterhaltung entwickelt sich auch über die im Jahre 1932 vorgenommene Schätzung des Bestandes an deutschen Werten in der Schweiz, der sich damals, nach Erinnerung des Herrn Schwab, auf etwa drei Milliarden Franken belief. Später sei infolge der Devisengesetzgebung ein grosser Teil dieser Werte abgeflossen. Die Bankiers versprechen auf Bitte von Herrn Schwab, die nötige Dokumentation über diese seinerzeitige Schätzung zu besorgen.
Herr Direktor Reinhardt weist auf die Bedeutung hin, die einer möglichst vielfältigen Differenzierung des Enquêteergebnisses zukommt. Die Aufgabe der Delegation bestehe in der Beseitigung des alliierten Misstrauens. Deshalb sei es am Platze, dass durch die Eliminationsmethode möglichst viele Ausscheidungen getroffen werden. Er bittet im übrigen die Bankiervereinigung, eine Dokumentation über das schweizerische Bankgeheimnis zu liefern, damit die Delegation eine Möglichkeit besitze, das ihr in dieser Beziehung entgegengebrachte Misstrauen zu zerstreuen.
Zu diesem letztern Thema bemerkt Herr Caflisch unter anderm, dass das Bankengeheimnis heute gar kein absoluter Begriff mehr sei, da es stets dann durchlöchert werde, wenn dies im öffentlichen Interesse liege. Es handle sich dabei lediglich noch um eine Art Diskretionspflicht gegenüber unberechtigten Dritten.
Anschliessend an diese Diskussion wird als zweites Traktandum die Frage des Standes des Zertifizierungsproblems behandelt. Über den Gang dieser folgenden Besprechung gibt die beiliegende Notiz7 von Herrn Dr. Gut Aufschluss. [...]
- 1
- E 2801/1968/84/30.↩
- 2
- Die Audienz war aufgrund einer vom 14. Februar 1946 datierten schriftlichen Anfrage (nicht ermittelt) der Schweizerischen Bankiervereinigung zustande gekommen. Das vorliegende, nicht datierte Protokoll der von R. Hohl geleiteten Audienz wurde von H. Lacher verfasst und unterschrieben.↩
- 3
- An der Sitzung nahmen teil: A. Caflisch, C.- A. Nussbaumer, A. Linder, A. Jann, F. Liebrich et M. Oetterli, Schweizerische Bankiervereinigung; R. Hohl, A. Daeniker, G. Gut, O. Exchaquet et H. Lacher, EPD; E. Reinhardt und M. Heimo, Finanzverwaltung des EFZD; A. Hirs, Schweizerische Nationalbank; M. Schwab, SVS.↩
- 4
- C.- A. Nussbaumer macht hier noch einige Bemerkungen zu den Entscheidungen der holländischen, belgischen, amerikanischen und britischen Behörden.↩
- 5
- R. Hohl und danach auch C.- A. Nussbaumer gehen auf verschiedene Punkte der Traktandenliste der Verhandlungen ein.↩
- 6
- Diese Mitteilungen sind höchst wahrscheinlich im nicht ermittelten Brief der Schweizerischen Bankiervereinigung vom 14. Februar 1946 enthalten.↩
- 7
- Nicht abgedruckt.↩
Tags
Monetary issues / National Bank
Allies (World War II) Economic relations Swiss financial market