Darin: Aussprachepapier des EDA vom 13. Januar 1999 (Beilage).
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Die Schweiz und die Konstruktion des Multilateralismus, Bd. 3. Diplomatische Dokumente der Schweiz zur Geschichte der UNO 1942–2002, vol. 15, doc. 47
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E1004-03#2002/157#3* | |
Dossier title | Bundesratssitzung vom 27.01.1999 (1999–1999) | |
File reference archive | 1-031 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2006A#2009/188#5049* | |
Dossier title | Neutralitätserklärung der Schweiz , Band 1 (1998–2001) | |
File reference archive | 818.10-5 |
dodis.ch/62546Aussprachepapier des EDA an den Bundesrat1
UNO-Beitritt: Abgabe einer Neutralitätserklärung
Im Rahmen der Diskussion eines Schweizer UNO-Beitritts bildet die Neutralität in der Öffentlichkeit eines der zentralen Themen. Dabei wird sich u. a. die Frage stellen, ob und wenn ja in welcher Form der Bundesrat auf den Neutralitätsstatus der Schweiz gegenüber der UNO resp. der Staatengemeinschaft hinweisen soll. Bereits im Sommer dieses Jahres2 wurde im Zusammenhang mit der Motion Gysin3 und der Beratung des Berichts des Bundesrates über das Verhältnis zwischen der Schweiz und der UNO vom 1. Juli 19984 denn auch immer wieder die Frage eines Neutralitätsvorbehalts oder einer Neutralitätserklärung aufgeworfen.5 Im Hinblick auf die kommenden parlamentarischen Debatten und die öffentliche Diskussion des UNO-Beitritts ist es daher wichtig, dass der Bundesrat zu dieser zentralen Frage eine klare und kohärente Position vertritt.
Dieses Aussprachepapier soll dem Bundesrat die Beurteilungselemente liefern, um sich bereits im heutigen Zeitpunkt auf eine klare Haltung festzulegen. Die politischen und rechtlichen Elemente, welche für einen Entscheid über eine Neutralitätserklärung massgebend sind, stehen heute schon fest und werden bis zum allfälligen UNO-Beitritt keine Änderungen erfahren. Um Missverständnissen und Unsicherheiten im Parlament und der öffentlichen Meinung vorzubeugen, ist es von Vorteil, wenn der Bundesrat im Sinne einer kohärenten Informationspolitik frühzeitig seine Absicht kommuniziert, im Falle eines UNO-Beitritts eine Zusicherung zur Beibehaltung der Neutralität abzugeben.
Das Aussprachepapier kommt zur Empfehlung, im schweizerischen Beitrittsgesuch an den UNO-Generalsekretär6 die Beibehaltung der schweizerischen Neutralität zu bekräftigen7 und dies sinngemäss in der ersten Ansprache vor der UNO-Generalversammlung8 nach der Aufnahme zum Vollmitglied zu wiederholen. Eine solche Willensäusserung entfaltet zwar keine Rechtswirkungen, sondern ist rein deklaratorisch. Als klares politisches Bekenntnis zur Neutralität hätte sie immerhin eine erhebliche Signalwirkung. Das Vorgehen wäre somit im wesentlichen dasselbe, welches der Bundesrat bei der ersten UNO-Vorlage vorgeschlagen hat.9 Ebenfalls geprüft, aber aus rechtlichen und politischen Gründen verworfen, wurde das Anbringen eines eigentlichen Neutralitätsvorbehaltes oder das Erwirken einer UNO-Resolution zur schweizerischen Neutralität.10
Die Vereinbarkeit von Neutralität und UNO-Mitgliedschaft ist international unbestritten. Andere Neutrale sind schon Mitglieder der Vereinten Nationen und spielen dort eine aktive Rolle. Ausserdem hat die UNO-Generalversammlung im Dezember 1995 die dauernde Neutralität Turkmenistans auf dessen Wunsch ausdrücklich anerkannt und die Mitgliedstaaten aufgefordert, diese zu respektieren.11 Die UNO geht also davon aus, dass es zwischen der Neutralität und der Mitgliedschaft bei der Organisation keine Widersprüche gibt, und sie anerkennt, dass ein Staat mit seiner Neutralität zur regionalen Sicherheit beitragen kann. Der Bundesrat hat bereits in seiner Beitrittsbotschaft von 1981 ausführlich dargelegt, wieso die Schweiz auch als UNO-Mitglied ihre dauernde Neutralität beibehalten kann.12 Diese Auffassung bekräftigte er in seinem neuesten UNO-Bericht vom 1. Juli 199813 sowie im Bericht zur Neutralität vom 29. November 1993.14 Abgesehen davon ist die dauernde Neutralität der Schweiz international anerkannt. Insofern erscheint es denn aus rechtlicher und neutralitätspolitischer Sicht nicht erforderlich, im Zusammenhang mit einem UNO-Beitritt die schweizerische Neutralität zu thematisieren. Des weiteren haben die Umwälzungen in Europa und das Ende des Ost-West-Konfliktes Ende der 80-er Jahre dazu geführt, dass dem Neutralitätsstatus im heutigen Umfeld der internationalen Beziehungen ein noch relativerer Stellenwert zukommt als dies in der Zeit der ersten UNO-Abstimmung der Fall war.15
Demgegenüber besteht aus innenpolitischen Erwägungen ein diesbezüglicher Handlungsbedarf. Es kann als gesichert gelten, dass im Rahmen einer UNO-Beitrittsdiskussion die Frage der Neutralität ein wesentliches Element der öffentlichen Debatte und Meinungsbildung darstellen wird. Die Vorlage über das Blauhelmgesetz16 hat gezeigt, dass bei zahlreichen Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern noch Unsicherheiten darüber bestehen, welche Folgen ein stärkeres Engagement im UNO-Kontext resp. eine Vollmitgliedschaft bei den Vereinten Nationen für unsere Neutralität hätte. Bei einem gänzlichen Verzicht auf eine Neutralitätsbekundung käme der Bundesrat nicht umhin zu rechtfertigen, wieso er von einem derartigen Vorgehen absieht, während er sich im Entwurf zum Bundesbeschluss über den Beitritt der Schweiz zur UNO von 1981 verpflichtete, vor dem Beitritt eine Neutralitätserklärung abzugeben.17 In der Folge erscheint es denn auch kaum denkbar, bei einem schweizerischen UNO-Beitritt die Neutralität gegenüber der Staatengemeinschaft überhaupt nicht zu erwähnen, wie dies z. B. Schweden (1946) und Österreich (1955) getan hatten.18
Vom Bundesrat wird somit erwartet, dass er für den Fall eines UNO-Beitritts eine Zusicherung abgibt, wonach er an der Neutralität als Maxime der Schweizer Aussen- und Sicherheitspolitik festhält. Gegenwärtig herrschen aber in Parlament und Öffentlichkeit z. T. diffuse Vorstellungen über Form und Inhalt einer derartigen «Neutralitätsgarantie». Im Vordergrund stehen dabei die Abgabe einer Neutralitätserklärung, das Anbringen eines Neutralitätsvorbehalts oder das Hinwirken auf die Verabschiedung einer Resolution der UNO-Generalversammlung, welche – ähnlich wie 1995 für Turkmenistan19 – die dauernde Neutralität der Schweiz ausdrücklich anerkennen würde.20 Eine frühzeitige Stellungnahme des Bundesrates hierzu wäre folglich geeignet, Spekulationen über das bundesrätliche Verhalten entgegenzutreten und allfällige Zweifel zu zerstreuen.
A. Ersuchen um einen Neutralitätsvorbehalt
Ein Vorbehalt stellt eine anlässlich der Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrages abgegebene einseitige Erklärung eines Staates dar, welche bezweckt, die Rechtswirkung einzelner Vertragsbestimmungen in der Anwendung auf diesen Staat auszuschliessen oder zu ändern. Mit dem Wunsch nach einem Neutralitätsvorbehalt anlässlich ihres UNO-Beitritts würde die Schweiz somit zum Ausdruck bringen, dass sie wegen ihrer Neutralität nicht willens oder nicht in der Lage ist, als künftiges UNO-Mitglied sämtliche aus der UNO-Charta erwachsenden Rechtspflichten zu übernehmen. Der Beitritt zur UNO soll aber gerade gegenüber der Staatengemeinschaft die Fähigkeit und den Willen der Schweiz manifestieren, die in der UNO-Charta festgelegten Rechtspflichten ohne Reservation zu erfüllen.
Des weiteren ist das Anbringen eines Vorbehaltes in der UNO-Charta weder vorgesehen noch bestehen Präzedenzfälle hierzu. Die UNO-Charta schreibt vielmehr vor, dass Neumitglieder die Charta-Verpflichtungen bedingungslos einzuhalten haben und dass diesen Verpflichtungen gegenüber anderen internationalen Rechtspflichten der Mitgliedstaaten Vorrang zukommt. Das Anbringen eines Vorbehalts wäre faktisch einem Begehren nach einer Charta-Änderung gleichzusetzen und somit nur wirksam, wenn dieser sowohl durch den UNO-Sicherheitsrat als auch durch die Generalversammlung mittels Zweidrittelsmehrheit ausdrücklich genehmigt würde. Abgesehen davon, dass die UNO-Mitglieder aus prinzipiellen Erwägungen kaum einem Neumitglied erstmals zugestehen würden, dieses von der Übernahme einzelner Rechtspflichten pro futuro zu dispensieren, hätte die Schweiz auch den rechtlichen Gehalt und die praktische Tragweite dieses Neutralitätsvorbehalts detailliert darzulegen. Angesichts der unbestrittenen Vereinbarkeit der UNO-Mitgliedschaft mit den völkerrechtlichen Pflichten eines dauernd neutralen Staates ist es nur schwer vorstellbar, wie der schweizerische Wunsch nach einem Neutralitätsvorbehalt rechtlich fundiert begründet werden könnte. Eine internationale Diskussion über unsere Neutralität wäre folglich unvermeidlich.
Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass ein Ersuchen um einen Neutralitätsvorbehalt weder rechtlich notwendig noch politisch erwünscht wäre. Die Neutralität unseres Landes ist mit der UNO-Mitgliedschaft vereinbar, so dass rechtlich keine Veranlassung besteht, einen Vorbehalt zur UNO-Charta anzubringen. Aus politischer Sicht sprechen die gleichen Gründe, die den Bundesrat bereits 1981 davon abgehalten haben, einen Vorbehalt ernsthaft in Erwägung zu ziehen, gegen eine derartige Vorgehensweise: Einerseits könnte unsere Neutralität in der UNO Gegenstand unerwünschter Diskussionen und Auslegungen werden, und andererseits bestünde keine Gewähr, dass ein solcher Vorbehalt tatsächlich die erforderliche Unterstützung in den UNO-Organen findet.21
B. Neutralitätserklärung
Mit einer Neutralitätserklärung würde im wesentlichen festgehalten, dass die Schweiz auch als Mitglied der UNO ihre dauernde Neutralität beibehalte und dies mit der Charta vereinbar sei. Unter der gleichzeitigen Bekräftigung ihres Willens, sämtliche mit dem Beitritt verbundenen Pflichten als UNO-Mitglied zu übernehmen, könnte dadurch dem Bedürfnis nach einer Neutralitätsbekundung ebenso Rechnung getragen werden wie dem Interesse der Schweiz, keine Zweifel an ihrer Bereitschaft zur Übernahme sämtlicher mitgliedschaftlicher Verpflichtungen aufkommen zu lassen. Im Gegensatz zum Neutralitätsvorbehalt zeitigt eine solche Willensäusserung keine Rechtswirkungen, sondern ist rein deklaratorischen Charakters. Als klares politisches Bekenntnis zur Neutralität hätte sie immerhin eine erhebliche Signalwirkung. Die Abgabe einer derartigen Willenserklärung wäre nicht der Zustimmung der UNO-Organe unterworfen. Bezüglich Form und Zeitpunkt einer solchen Erklärung stehen dafür folgende Optionen im Vordergrund:
Variante B 1: Erklärung im Beitrittsgesuch oder vor der UNO-Generalversammlung
Gemäss Art. 4 der UNO-Charta hat jeder Staat, welcher der UNO beizutreten wünscht, ein Gesuch an den Generalsekretär zu richten, worin er erklärt, dass er als friedfertiger Staat die in der Charta enthaltenen Verpflichtungen auf sich nimmt. Will die Schweiz bereits vor dem Beitritt ihren Neutralitätsstatus in Erinnerung rufen, so bestünde mittels einer entsprechenden Formulierung in ihrem Beitrittsgesuch die Möglichkeit, zeitgleich mit der Einleitung des eigentlichen Beitrittsverfahrens eine entsprechende Erklärung gegenüber der UNO abzugeben. Eine derartige Lösung wurde 1981 vom Bundesrat anvisiert, nachdem Vorabklärungen ergeben hatten, dass ein Hinweis auf die Neutralität im Beitrittsgesuch möglich wäre.22 Ob durch die alleinige Erklärung vor dem Beitritt dem innenpolitischen Zweck der Neutralitätsbekundung genügend entsprochen wird, erscheint zumindest zweifelhaft. Der Bundesrat hatte es anlässlich der Botschaftsverabschiedung 1981 offen gelassen, ob der Erklärung im Beitrittsgesuch zusätzlich eine Neutralitätserklärung nach dem Beitritt folgen sollte23 (vgl. dazu unten Variante B 2).
Einem neuen Mitglied der UNO steht das Recht zu, an der ersten Teilnahme als Vollmitglied an einer UNO-Generalversammlung im Plenum eine Erklärung abzugeben. Dieses Recht käme auch der Schweiz bei einem Beitritt zuteil; sie hätte somit dort Gelegenheit, sich zu ihrem Neutralitätsstatus zu äussern. Eine erstmalige Thematisierung der schweizerischen Neutralität anlässlich der ersten Intervention der Schweiz würde bedeuten, dass sich die Schweiz einzig nach ihrem Beitritt zur Neutralität äussern würde. Es ist im heutigen Zeitpunkt höchst fraglich, ob diese «Minimalvariante» den innenpolitischen Bedürfnissen nach einer möglichst klaren Absicherung des schweizerischen Neutralitätsstatus gerecht würde.
Variante B 2: Erklärung im Beitrittsgesuch und vor der UNO-Generalversammlung
Der Schweiz stünde es selbstverständlich frei, eine Neutralitätserklärung im Beitrittsgesuch zu formulieren und nach der formellen Aufnahme ihre Neutralität anlässlich der ersten Intervention in der Generalversammlung zu bekräftigen. Diese Variante hätte den Vorteil, dass sowohl vor als auch nach einem schweizerischen Beitritt innenpolitischen Befürchtungen um die Beibehaltung der Neutralität entgegengetreten werden kann, ohne dass gegenüber den UNO-Organen und den Mitgliedstaaten unsere Neutralität übermässig thematisiert würde.
Variante B 3: Erklärung im Beitrittsgesuch und vor der UNO-Generalversammlung einschliesslich separater Notifikation an alle UNO-Mitgliedstaaten
Diese Variante sieht die Möglichkeit vor, das Gewicht der Neutralitätserklärung vor dem Beitritt zu verstärken, indem der Bundesrat – neben der Erklärung im Beitrittsgesuch und vor der UNO-Generalversammlung – in einer an alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen gerichteten Note über die Beitrittsabsicht der Schweiz und ihre im Beitrittsgesuch formulierte Neutralitätserklärung unterrichtet.
Diese Variante kommt der von der Bundesversammlung hinsichtlich der Beitrittsabstimmung von 198624 getroffenen Lösung25 am nächsten. Ihr lastet insbesondere der Makel der Doppelspurigkeit an, zumal das Beitrittsgesuch eines Kandidaten ohnehin vom UNO-Generalsekretariat an die einzelnen Mitgliedstaaten weitergeleitet wird und die UNO-Mitglieder folglich auch ohne separate Note der Schweiz von der Neutralitätserklärung im Beitrittsgesuch Kenntnis erlangen würden. Des weiteren fragt es sich, ob mit dieser Variante die Neutralitätsfrage nicht übermässig betont wird und dadurch bei einigen Mitgliedstaaten gar Zweifel über den tatsächlichen Willen der Schweiz, ihre Pflichten als Mitglied uneingeschränkt zu erfüllen, aufkommen könnten.
Fazit
Ein Vergleich der drei zur Auswahl stehenden Varianten zeigt, dass dem Bedürfnis nach innenpolitisch motivierter Absicherung einerseits und der Vermeidung der Aussendung widersprüchlicher Signale andererseits einzig Variante B 2 (Erklärung im Beitrittsgesuch und vor der UNO-Generalversammlung) in befriedigender Weise gerecht zu werden vermag. Diese Lösung stellt denn auch einen vernünftigen und sowohl gegenüber dem Stimmvolk als auch gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft vertretbaren Kompromiss dar.
C. Ersuchen um eine Neutralitätsresolution
Am 12. Dezember 1995 verabschiedete die UNO-Generalversammlung eine Resolution über die dauernde Neutralität Turkmenistans.26 Darin hatte die Generalversammlung nicht nur die dauernde Neutralität von Turkmenistan anerkannt, sondern die Versammlung bestätigte erstmals ausdrücklich, dass auch aus Sicht der Weltorganisation UNO-Mitgliedschaft und dauernde Neutralität vereinbar sind. Für die Schweiz stellt sich die Frage, ob es auch in ihrem Interesse läge, eine derartige Resolution über die schweizerische Neutralität zu erwirken.
Anders als Turkmenistan, dessen Neutralität noch nicht bekannt und international verankert war, kann die Schweiz auf eine langjährige und gefestigte Neutralitätstradition zurückblicken, welche allgemein anerkannt ist. Entsprechend besteht weder ein rechtlicher noch ein neutralitätspolitischer Bedarf, um eine ausdrückliche Anerkennung nachzusuchen; die Bedeutung einer solchen Resolution wäre somit ausschliesslich symbolischer Natur. Folglich würde denn auch der schweizerische Wunsch nach einer ausdrücklichen Anerkennung der Neutralität wohl nur auf bedingtes internationales Verständnis stossen. Ähnlich wie bei einem Vorbehalt oder einer Notifizierung der Resolutionserklärung an sämtliche Mitgliedstaaten könnte die Schweizer Vorgehensweise von der UNO und seinen Mitgliedern als Signal missverstanden werden, dass wir unsere Mitgliedschaft ausschliesslich unter der Optik der Neutralität ausrichten werden. Eine Neutralitätsdiskussion in der Generalversammlung böte auch eine (schweizerischerseits unerwünschte) Gelegenheit für die UNO-Mitgliedstaaten, darüber zu debattieren, wie die Schweiz als UNO-Mitglied ihre Neutralitätspolitik auszugestalten hätte.
Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass kein UNO-Mitgliedstaat und erst recht kein Beitrittskandidat einen Rechtsanspruch auf die Verabschiedung einer Resolution geltend machen kann. Die Schweiz wäre somit auch hier auf das Wohlwollen der UNO-Organe resp. Mitgliedstaaten angewiesen. Es bestünde folglich keine Gewähr dafür, dass wir eine derartige Resolution tatsächlich erwirken könnten. Entsprechend wäre es denn auch problematisch, wenn im Vorfeld der Beitrittsabstimmung Bundesrat oder Parlament dem Souverän eine Neutralitätsresolution in Aussicht stellen würden. Auch der zeitliche Aspekt relativiert die innenpolitische Bedeutung einer Neutralitätsresolution: Ein Vorstoss der Schweiz hätte nur nach einem Beitritt reelle Chancen, und auch dann würde einige Zeit verstreichen, bis die Resolution durch die Generalversammlung tatsächlich verabschiedet würde. (Die Turkmenistan-Resolution erging erst drei Jahre nach der Aufnahme Turkmenistans in die UNO).
Zusammenfassend ist folglich festzuhalten, dass weder ein rechtlicher noch ein neutralitätspolitischer Bedarf für das Erwirken einer Neutralitätsresolution besteht. Darüber hinaus könnte von Bundesrat und Parlament eine derartige Resolution mangels Rechtsanspruch nicht ohne weiteres in Aussicht gestellt werden. Die mit der Neutralitätsresolution bezweckte innenpolitische Signalwirkung wäre folglich im Vorfeld der Beitrittsabstimmung äusserst bescheiden, während auf internationaler Ebene ein schweizerisches Bemühen um eine Neutralitätsresolution wohl nur auf bedingtes Verständnis stossen und Anlass zu möglichen Fehlinterpretationen bieten würde.
In der UNO-Vorlage von 1986 hatten Bundesrat und Parlament aus politischen Überlegungen vorgesehen, den Bundesrat im Bundesbeschluss über den Beitritt zur UNO zu verpflichten, vor dem Beitritt eine Neutralitätserklärung abzugeben.27 Die Frage, ob heute ein ähnliches Vorgehen angebracht wäre, kann offen gelassen werden, da angesichts der noch laufenden Unterschriftensammlung zur eidgenössischen Volksinitiative «Für den Beitritt der Schweiz zur Organisation der Vereinten Nationen (UNO)» 28im heutigen Zeitpunkt noch nicht feststeht, ob eine künftige UNO-Abstimmung gestützt auf eine verlangte Verfassungsänderung (Volksinitiative) oder auf einen Bundesbeschluss (Initiative von Bundesrat oder Parlament) stattfinden wird. Ähnliches gilt für den genauen Wortlaut der Erklärung. Deren Stossrichtung ist vorgegeben: Es geht um die Bekräftigung der schweizerischen Neutralität. Innerhalb dieses Rahmens wird der Spielraum für die Ausformulierung nicht unbegrenzt sein. Weil aber die Neutralitätserklärung einen stark innenpolitischen Bezug hat, wäre es ratsam, sich nicht jetzt schon definitiv festzulegen, sondern die Redaktion der Erklärung zum gegebenen Zeitpunkt gemeinsam mit den zuständigen parlamentarischen Kommissionen vorzunehmen.29
Auch wenn nicht sämtliche Einzelheiten des Verfahrens bereits im heutigen Zeitpunkt festgelegt werden sollten, um die Handlungsfähigkeit des Bundesrates nicht übermässig einzuschränken, muss doch schon heute Einigkeit darüber bestehen, welche Art von Neutralitätsbekundung im Zusammenhang mit einem Schweizer Beitritt zur UNO zu bevorzugen ist. Aus Gründen der Kohärenz und der Glaubwürdigkeit ist dabei eine Lösung zu favorisieren, die im wesentlichen dem bundesrätlichen Vorschlag von 1981 (Neutralitätsbekundung vor und evtl. nach dem Beitritt) entspricht.30
Ein Schweizer Hinwirken auf die Durchsetzung eines Neutralitätsvorbehaltes oder den Erlass einer Neutralitätsresolution durch die Generalversammlung ist nicht empfehlenswert. Das Anbringen eines Neutralitätsvorbehalts ist für einen Beitritt der Schweiz zur UNO rechtlich nicht notwendig, politisch unerwünscht und wäre in der Praxis kaum realisierbar. Auch hinsichtlich der Neutralitätsresolution besteht keine Gewähr, dass die Generalversammlung eine derartige Erklärung tatsächlich verabschieden würde. Darüber hinaus liegt angesichts der international anerkannten und völkerrechtlich verankerten Neutralität der Schweiz weder ein rechtliches noch ein politisches Bedürfnis vor, unsere Neutralität durch die internationale Staatengemeinschaft ausdrücklich anerkennen zu lassen.
Demgegenüber nimmt die Vornahme einer Neutralitätserklärung genügend auf innenpolitische Bedürfnisse Rücksicht, ohne dadurch die aussenpolitischen Interessen der Schweiz, namentlich was ihre internationale Glaubwürdigkeit bezüglich Willen und Fähigkeit der Schweiz zur Erfüllung der Mitgliedschaftspflichten betrifft, zu gefährden. Unter den dabei zur Verfügung stehenden Optionen ist Variante B 2 (Erklärung im Beitrittsgesuch und vor der UNO-Generalversammlung) zu bevorzugen, da dadurch der Bundesrat in verhältnismässiger Art und Weise sowohl vor dem Beitritt als auch nach der Aufnahme in die UNO eine entsprechende Erklärung formulieren kann.31
Begrüsst wurden die Bundeskanzlei, das Bundesamt für Justiz, das Bundesamt für Aussenwirtschaft sowie die Generalsekretariate von EDI, EJPD, VBS, EFD, EVD und UVEK. Den eingegangenen Bemerkungen wurde Rechnung getragen.
- 1
- CH-BAR#E1004-03#2002/157#3* (1-031). Dieses Aussprachepapier wurde von Jacques Ducrest von der Direktion für Völkerrecht des EDA unter der Verantwortung des Direktionschefs, Botschafter Nicolas Michel, verfasst, und vom Vorsteher des EDA, Bundesrat Flavio Cotti, unterzeichnet. Im Rahmen der Ämterkonsultation äusserten sich die Bundeskanzlei, das Bundesamt für Justiz des EJPD, das Bundesamt für Aussenwirtschaft des EVD, sowie die Generalsekretariate des EDI, des EFD, des EJPD, des EVD, des UVEK und des VBS zustimmend zum Entwurf des Aussprachepapiers. Der Bundesrat nahm am 27. Januar 1999 vom Aussprachepapier Kenntnis, vgl. das BR-Prot. Nr. 96 vom 27. Januar 1999, Faksimile dodis.ch/62546.↩
- 2
- Gemeint ist der Sommer 1998.↩
- 3
- Motion 97.3269 Uno-Beitritt der Schweiz von Nationalrat Remo Gysin vom 5. Juni 1997, dodis.ch/62880.↩
- 4
- Anmerkung im Original: BBl 1998 5242. Für den Bericht, welcher in Erfüllung des Postulats 97.3320 Verhältnis zwischen der Schweiz und der Uno von Nationalrat Andreas Gross vom 18. Juni 1997 verfasst wurde, vgl. QdD 15, Dok. 46, dodis.ch/60381.↩
- 5
- Vgl. die Diskussion der beiden Vorstösse im Nationalrat am 9. Juni 1998, dodis.ch/62393.↩
- 6
- Kofi Annan.↩
- 7
- Für den Text des Beitrittsgesuchs vgl. das Schreiben der Politischen Abteilung III an den schweizerischen Beobachter bei der UNO in New York, Botschafter Jenö Staehelin, vom 20. Juni 2002, dodis.ch/62675. Vgl. dazu auch die Zusammenstellung dodis.ch/C2250.↩
- 8
- Vgl. die Rede des Vorstehers des EFD, Bundespräsident Kaspar Villiger, vor der UNO-Generalversammlung am 10. September 2002, QdD 15, Dok. 50, dodis.ch/55178.↩
- 9
- Vgl. die Botschaft über den Beitritt der Schweiz zur Organisation der Vereinten Nationen (UNO) vom 21. Dezember 1981, dodis.ch/53990.↩
- 10
- Vgl. die Notiz der Sektion UNO, IO der Politischen Abteilung III des EDA vom 7. August 1998, dodis.ch/62682.↩
- 11
- Anmerkung im Original: Res. 50/80-A. Vgl. die Resolution Nr. 50/80A der Generalversammlung der UNO vom 13. November 1995, UN doc. A/RES/50/80A, sowie die Einschätzung dazu von Botschafter Staehelin vom 23. Juli 1998, dodis.ch/62663.↩
- 12
- Anmerkung im Original: Botschaft über den Beitritt der Schweiz zur Organisation der Vereinten Nationen (UNO) vom 21. Dezember 1981, BBl 1982 I 497ff, insb. Ziff. 41. Für die Botschaft vgl. dodis.ch/53990 sowie das BR-Prot. Nr. 2136 vom 21. Dezember 1981, QdD 15, Dok. 36, dodis.ch/59447.↩
- 13
- Für den Bericht vgl. QdD 15, Dok. 46, dodis.ch/60381, sowie die Zusammenstellung dodis.ch/C2248.↩
- 14
- Anmerkung im Original: BBl 1994 I 206. Der Bericht zur Neutralität befindet sich im Anhang des Berichts über die Aussenpolitik der Schweiz in den 1990er Jahren vom 29. November 1993, QdD 15, Dok. 44, dodis.ch/54677.↩
- 15
- Vgl. dazu die thematische Zusammenstellung Abstimmung über den UNO-Beitritt (1986), dodis.ch/T1772.↩
- 16
- Anmerkung im Original: Entwurf zu einem Bundesgesetz über schweizerische Truppen für friedenserhaltende Operationen (BBl 1992 V 1141), verworfen in der Volksabstimmung vom 12. Juni 1994. Vgl. dazu die Zusammenstellung dodis.ch/C2269, insbesondere QdD 15, Dok. 43, dodis.ch/54910.↩
- 17
- Anmerkung im Original: Entwurf zum Bundesbeschluss über den Beitritt der Schweiz zur Organisation der Vereinten Nationen, BBl 1982 I 584: «Art. 1: Dem Beitritt der Schweiz zur Organisation der Vereinten Nationen wird zugestimmt. Art. 2: Der Bundesrat wird ermächtigt, an den Generalsekretär ein Beitrittsgesuch zu richten, in dem erklärt wird, dass die Schweiz gewillt ist, die in der Charta der Vereinten Nationen enthaltenen Verpflichtungen auf sich zu nehmen. Art. 3: Vor dem Beitritt wird der Bundesrat eine Erklärung abgeben, in der er ausdrücklich darauf hinweist, dass die Schweiz ihre dauernde und bewaffnete Neutralität beibehält. Art. 4: Dieser Beschluss untersteht (...)». Für den Entwurf des Bundesbeschlusses vgl. die Botschaft über den Beitritt der Schweiz zur Organisation der Vereinten Nationen (UNO) vom 21. Dezember 1981, dodis.ch/53990, S. 584. Zur Frage der Form einer Neutralitätserklärung bei einem allfälligen UNO-Beitritt im Vorfeld der Abstimmung vom 16. März 1986 vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2287.↩
- 18
- Zum Vorgehen Schwedens und Österreichs vgl. den Entwurf eines Schreibens von Botschafter Staehelin an die Vorsteherin des EDI, Bundesrätin Ruth Dreifuss, vom 23. August 2000, dodis.ch/62662.↩
- 19
- Vgl. die Resolution Nr. 50/80A der Generalversammlung der UNO vom 13. November 1995, UN doc. A/RES/50/80A.↩
- 20
- Zur Abwägung der verschiedenen Optionen vgl. die Notiz der Sektion UNO, IO der Politischen Abteilung III des EDA vom 7. August 1998, dodis.ch/62682.↩
- 21
- Vgl. dazu die Notiz der Sektion Vereinte Nationen und internationale Organisationen vom 5. November 1981, dodis.ch/62694, sowie die Notiz der Sektion UNO, IO der Politischen Abteilung III des EDA vom 7. August 1998, dodis.ch/62682.↩
- 22
- Vgl. dazu die Botschaft über den Beitritt der Schweiz zur Organisation der Vereinten Nationen (UNO) vom 21. Dezember 1981, dodis.ch/53990, S. 584.↩
- 23
- Anmerkung im Original: vgl. Ziff. III. des Antrags zum Bundesratsbeschluss über die Genehmigung der Botschaft über den Beitritt der Schweiz zur Organisation der Vereinten Nationen vom 21. Dezember 1981. Für die Botschaft vgl. dodis.ch/53990, S. 584. Zum erwähnten Vorgehen vgl. auch die Bemerkungen des Chefs der ständigen Mission der Schweiz bei den internationalen Organisationen in Genf, Botschafter François Pictet, vom 28. Juli 1981, dodis.ch/62698.↩
- 24
- Vgl. dazu die thematische Zusammenstellung Abstimmung über den UNO-Beitritt (1986), dodis.ch/T1772.↩
- 25
- Anmerkung im Original: Bundesbeschluss über den Beitritt der Schweiz zur Organisation der Vereinten Nationen vom 14. Dezember 1984, BBl 1984 III 1464: «Art. 1: Dem Beitritt der Schweiz zur Organisation der Vereinten Nationen wird zugestimmt. Art. 2: Vor dem Beitritt wird der Bundesrat eine feierliche Erklärung abgeben, in der er ausdrücklich bekräftigt, dass die Schweiz ihre dauernde und bewaffnete Neutralität beibehält. In einer an alle Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen gerichteten Note, mit der er sie über die Absicht der Schweiz unterrichtet, der Organisation beizutreten, wird er sie auf den Inhalt dieser Erklärung aufmerksam machen. Art. 3: Der Bundesrat wird ermächtigt, an den Generalsekretär ein Gesuch der Schweiz um Aufnahme in die Organisation der Vereinten Nationen und eine Erklärung über die Annahme der in der Charta enthaltenen Verpflichtungen zu richten. Im Beitrittsgesuch wird die Schweiz ausdrücklich ihre Neutralität in Erinnerung rufen. Art. 4: Dieser Beschluss untersteht (...)». Für den Bundesbeschluss vgl. dodis.ch/53992.↩
- 26
- Resolution Nr. 50/80A der Generalversammlung der UNO vom 13. November 1995, UN doc. A/RES/50/80A.↩
- 27
- Anmerkung im Original: vgl. zum Wortlaut des Bundesbeschlusses oben (Fn 7). Für den Bundesbeschluss vgl. dodis.ch/53992.↩
- 28
- Anmerkung im Original: BBl 1998 IV 4371. Der Initiativtext lautet: «Die Bundesverfassung wird wie folgt ergänzt: Übergangsbestimmungen Art. 24 (neu): 1 Die Schweiz tritt der Organisation der Vereinten Nationen bei. 2 Der Bundesrat wird ermächtigt, an den Generalsekretär der Organisation der Vereinten Nationen (UNO) ein Gesuch der Schweiz um Aufnahme in diese Organisation und eine Erklärung zur Erfüllung der in der UN-Charta enthaltenen Verpflichtungen zu richten.» Zur Volksabstimmung vom 3. März 2002 vgl. die thematische Zusammenstellung Abstimmung über den UNO-Beitritt (2002), dodis.ch/T1773, insbesondere die Botschaft über die Volksinitiative «Für den Beitritt der Schweiz zur Organisation der Vereinten Nationen (UNO)» vom 4. Dezember 2000, QdD 15, Dok. 48, dodis.ch/53989.↩
- 29
- Vgl. dazu das Protokoll der Sitzung der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats vom 8. November 2001, CH-BARE2006A#2009/188#5050* (818.10-5).↩
- 30
- Vgl. die Botschaft über den Beitritt der Schweiz zur Organisation der Vereinten Nationen (UNO) vom 21. Dezember 1981, dodis.ch/53990.↩
- 31
- Für den Wortlaut des Beitrittsgesuchs vgl. das Schreiben der Politischen Abteilung III an Botschafter Staehelin, vom 20. Juni 2002, dodis.ch/62675; für die Rede von Bundespräsident Villiger vor der UNO-Generalversammlung am 10. September 2002 vgl. QdD 15, Dok. 50, dodis.ch/55178.↩
Tags
Neutrality policy Questions concerning the Accession to International Organizations