Darin: Notiz von F. Blankart an J.-P. Delamuraz vom 1.6.1992 (Beilage).
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1992, doc. 19
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Archive | Archives of Contemporary History, Zurich |
Archival classification | CH-AfZ NL Franz A Blankart 43(V) |
Dossier title | Korrespondenz 22.9.1992 - 12.5.1993 (1992–1993) |
File reference archive | 3. |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2210.7-05#2000/278#36* | |
Dossier title | Visites privées en Suisse (1989–1992) | |
File reference archive | 061.6 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E7115A#2000/385#1356* | |
Dossier title | Flug Jacobi (EDA) ab 7. Febr. nach Südafrika (1992–1992) | |
File reference archive | 821 • Additional component: Südafrika |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E7001C#2000/124#857* | |
Dossier title | Südafrika (1992–1992) | |
File reference archive | 2310-1 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E7115A#2000/385#1350* | |
Dossier title | Besuche (1992–1992) | |
File reference archive | 877.3 • Additional component: Südafrika |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2010A#2005/342#2385* | |
Dossier title | Mandela, Nelson, Staatspräsident (1992–1996) | |
File reference archive | B.15.50.4 • Additional component: Afrique du Sud |
Archive | Archives of Contemporary History, Zurich |
Archival classification | CH-AfZ NL Franz A Blankart 261(V) |
Dossier title | Südafrika 1 (1985–2005) |
File reference archive | 2.8 |
dodis.ch/61222
Gespräch des Direktors des Bundesamts für Aussenwirtschaft des EVD, Staatssekretär Blankart, mit dem Präsidenten des African National Congress, Mandela, vom 23. Mai 1992 in Genf1
Arbeitsessen mit Nelson Mandela2
Staatssekretär Blankart (Blf) traf am 23. Mai in der Genfer Residenz Botschafter de Riedmattens mit Nelson Mandela (M), Präsident des ANC, zu einem Arbeitsessen zusammen3. M[andela], der als klarer Mehrheitsführer des künftigen nicht-rassischen und demokratischen Südafrika auftritt, erwartet den rasch zu vollziehenden Übergang zu einer provisorischen Regierung und baldige allgemeine Wahlen für eine verfassungsgebende Versammlung.4 Er erbat finanzielle Beiträge für den ANC und gab zu erkennen, dass er an der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der Schweiz, deren demokratische und neutrale Tradition er bewundere, interessiert sei, obschon unser Land bei der schwarzen Bevölkerung Südafrikas ernsthafte Imageprobleme habe. B[lankart] zeigte sich über die irreversible Aufhebung der Apartheid und der eingeleiteten Demokratisierung befriedigt und fügte hinzu, die Eliminierung der Angst bei der weissen Bevölkerung dürfte sich als Schlüsselproblem des Übergangs erweisen. Hier könne die Schweiz, wenn gewünscht, ihre Erfahrungen zur Verfügung stellen. M[andela] lud B[lankart], der vom 3.–7. Juni in Südafrika weilen wird, ein, dannzumal den begonnenen Meinungsaustausch fortzusetzen.5
1. Das Verhältnis M[andela]s zu Präsident de Klerk (K) hat sich verschlechtert («I made all the publicity for him but I have difficulties looking at him the same way I looked at him when I left prison»). Hiefür sei weniger der mitunter mit versteckten Karten geführte Machtkampf, dessen jüngste Episode die erbitterte Auseinandersetzung im CODESA über die Mehrheitsverhältnisse, welche über künftige Verfassungsbestimmungen beschliessen können, verantwortlich, als vielmehr [de] K[lerk] ’s Bestreben, Butelezi an den Entscheidungen für die Zukunft paritätisch zu beteiligen. Für M[andela] gibt es keine Trojka, Butelezi habe lediglich 1–5% der Wähler hinter sich, während der ANC über 50% des Wählerpotentials verkörpere und daher geschwächt werden solle. Die Regierung unterstützt Butelezi erwiesenermassen finanziell. Gelockerte Bestimmungen für das Tragen traditioneller afrikanischer Waffen, insbesondere von Speeren, führen dazu, dass Banden sozial entwurzelter Wanderarbeiter die in den Städten etablierte schwarze Wohnbevölkerung terrorisieren (seit 1984 seien 40 000 Personen durch solche Banden ermordet worden), ohne dass die Polizei effektiv eingreife und ohne dass die Täter gerichtlich verfolgt würden. Mit der Aufhebung des Verbots zum Tragen von Speeren werde von der Regierung – ob wissentlich oder nicht, will M[andela] nicht beurteilen – ein Klima der Gewalt und der Verunsicherung gefördert. Zudem setze [de] K[lerk] die ihm zu Gebot stehenden Ordnungskräfte nicht zum Schutz der Bevölkerung vor destabilisierenden Elementen ein. Weil die zunehmende Unruhe der Schwarzen den ANC immer mehr zum Gefangenen dieses Kontextes mache, sinken die Chancen des ANC, einen friedlichen und gesicherten Übergang gewährleisten zu können.
B[lankart] zeigte sich über die irreversible Aufhebung der Apartheid und die eingeleitete Demokratisierung befriedigt und fügte hinzu, die Eliminierung der Angst bei der weissen Bevölkerung dürfte sich als Schlüsselproblem des Übergangs erweisen. Nur transparente Regeln, die den Minderheitsschutz gewährleisten, können Südafrika auf den Weg der Stabilität und Prosperität zurückführen. Das Geheimnis des Erfolgs der Schweiz bestehe darin, dass Minderheiten wesentlich mehr Macht zugestanden wird, als ihnen numerisch zukäme.6 Auch Luxemburg hat bei seinem 1958 vollzogenen EG-Beitritt klar die seither von allen Mitgliedstaaten respektierten finanzpolitischen Prioritäten eingebracht und sich damit in jenen Bereichen, die für das Land prioritär sind, ein «überproportionales» Mitspracherecht gesichert.
2. M[andela], der an einer vertieften Diskussion dieser Thematik interessiert ist, will B[lankart] anlässlich des zwischen dem 3. und 6. Juni in Südafrika stattfindenden Besuch persönlich treffen.7 Dem ANC komme ein singulärer Charakter zu, er sei keine Organisation für normale Standards. Die 1912 gegründete und seither der nicht-rassischen Demokratie verpflichtete Befreiungsbewegung verkörpere mehr als 50% des Wählerpotentials, weshalb ihr die entscheidende Rolle im künftigen Südafrika zukomme. M[andela] benützt den Ausdruck «the leadership» als Synonym zum Kürzel ANC. Die Regierung kann keine weittragenden Entscheidungen treffen und keine bindenden Verpflichtungen mit Dritten eingehen «without consulting the leadership of the country». M[andela] hat mit allen wichtigen Führern direkte Kontakte, Präsident Bush habe ihm vier Mal angerufen und mit ihm vor Entscheiden, die Südafrika betrafen, gesprochen. Auch die Schweiz sei zu einem solchen informellen Prozess, der ja heute begonnen habe, eingeladen. Der ANC spiele auch bei der Vorbereitung freier Wahlen eine unerlässliche Rolle, weil die Mehrheit der Bevölkerung nicht wisse, worum es bei Wahlen gehe, welches die Rechte des Einzelnen seien, welche Konsequenzen Wahlen hätten. Der ANC als einziger Garant eines geordneten Übergangs in eine nicht-rassische und demokratische Gesellschaft benötige zur Erfüllung seiner Aufgaben erhebliche Mittel (allein die monatlichen Saläre betragen 1 Mio US$) Die meisten Regierungen (all but two) hätten den ANC finanziell unterstützt (erwähnt werden die USA, die Nordiker, Australien mit 14 Mio$, Canada 5 Mio$, die Niederlande, Lateinamerika, asiatische Länder). Einzelnen Staaten verböten die Gesetze eine direkte Hilfe an den ANC, man habe sich in diesen Fällen darüber geeinigt, die Mittel über anerkannte öffentliche Kanäle zu leiten, andere Staaten übergeben dem ANC vor der Presse bedeutende Checks. Er hoffe, auch die Schweiz «will feel this special obligation to donate this money to us». M[andela] betont zwar, er wolle keinerlei Konditionalität zwischen der allfälligen schweizerischen Bereitschaft und künftigen Beziehungen aufkommen lassen, doch ist völlig klar, was er möchte, wenn er sagt, im Cricket sei es so: «they have complied with the conditions – now let us come to open sport». Wir können Gewalt nur vermeiden, wenn wir Hilfe erhalten.
Frau Funk erläutert die von der Schweiz in Südafrika finanzierten Projekte, deren Partner, wie M[andela] entgegnet, vom ANC sehr geschätzt werde.8 B[lankart] verspricht, M[andela]’s Wunsch der Regierung weiterzuleiten, stellt aber gleichzeitig fest, dass die Schweiz Rahmenbedingungen für die Demokratie bereitwillig unterstütze, aber stets klar reagiert habe, wenn das Ausland politische Parteien der Schweiz unterstützt habe. Obschon wir bisher jedem dieselbe Antwort gegeben haben, wird die Regierung das Anliegen überprüfen. Zusichern können wir schon heute, dass, sofern gewünscht, ein ausgewiesener Spezialist für Fragen des Föderalismus und Minderheitenschutzes zur Verfügung gestellt werden kann.9
3. B[lankart] leitet zum Thema Wirtschaft über.10 Schweizer Firmen haben nie Apartheid praktiziert, und diese, falls beim Erwerb von Tochtergesellschaften angetroffen, eliminiert. Dafür haben wir uns aber nicht an Sanktionen beteiligt, weil wir der Überzeugung waren, dass Sanktionen letztlich jene treffen würden, denen die Schweiz durch ihre positiven Massnahmen habe helfen wollen.11
M[andela] anerkennt die geschilderten Umstände, kritisiert aber, dass sich die Schweiz entgegen des klaren Willens des ANC und trotz universeller Befolgung den Sanktionen nicht angeschlossen habe. Dies sei der Schweiz in der öffentlichen Meinung Südafrikas sehr schlecht bekommen. Auch seien Schweizer Firmen ungenügend in der Ausbildung lokaler Kader engagiert; zudem werden sie fast ausschliesslich von importierten weissen Führungskräften geleitet. «Swiss business has the most negative image». Doch «let bygone be bygone, let us now normalize the perception» und zwar im Rahmen eines Beitrags an den ANC. Das Wirtschaftsprogramm des ANC werde Ende Jahr verabschiedet werden. M[andela] glaubt nach wie vor daran, dass Minen, Finanzinstitute und Monopole nationalisiert und zum öffentlichen Sektor geschlagen werden müssen. Dies entgegen eindrücklicher Ermahnungen verschiedener Wirtschaftsführer in Davos, die er zur Kenntnis genommen hat. Dennoch haben sich Nationalisierungen in traumatischen Situationen auch in Europa, Japan und Südkorea als unerlässlich erwiesen, ja sie sind in der deutschen Verfassung für Zeiten der Krise ausdrücklich vorgesehen. Im übrigen haben ausländische Investoren nichts zu befürchten, sie werden ihre Gewinne und Kapitaltransfers frei ins Ausland überweisen können. Im Falle der Nationalisierung sind die Entschädigung und deren Transfer gewährleistet. Der ANC wird die derzeit laufende Privatisierungswelle wegen mangelnder Chancengleichheit zwischen Schwarz und Weiss nicht anerkennen. M[andela] zeigt sich auch in Belangen der Weltbank, nach einem Treffen mit Präsident Preston, auffallend gut informiert.
Man sieht M[andela], der das Hotel um 5 Uhr zum Frühjogging verlässt, seine 73 Jahre nicht an. Die Herkunft von einem transkeiischen Fürstenhaus schimmert in der Auseinandersetzung mit Butelezi durch, wenn er dessen Abstammung zu würdigen weiss. Er hat die grosse Ausstrahlung des vom Leiden geläuterten und hinterlässt den Eindruck einer autoritären Führerpersönlichkeit, die die negoziatorischen Register gewinnend und brilliant zu ziehen versteht und ihre Dossiers kennt. M[andela] hört konzentriert zu, duldet keine Unterbrechung. Beim Gespräch nehmen weder er noch seine Umgebung Notizen. Einzelne seiner Argumente finden sich fast wörtlich in Reden, die Jahrzehnte zurückliegen. Oliver Tambo, mit dem er eine Anwaltskanzlei in Johannisburg geführt hatte, charakterisiert M[andela] als «leidenschaftlichen und gefühlsvollen Mann, der sich zu heftigen Reaktionen hinreissen lässt, wenn er beleidigt oder hochmütig behandelt wird. Er ist eine Persönlichkeit mit Charisma, hochgewachsen, gutaussehend. Junge Menschen vertrauen ihm ebenso wie er ihnen, denn ihre Ungeduld entspricht seinem Temperament. Auf Frauen übt er eine starke Wirkung aus.»
- 1
- CH-BAR#E7115A#2000/385#1356* (821). Diese Notiz wurde vom Chef des Direktionssekretariats des Bundesamts für Aussenwirtschaft (BAWI) des EVD, Martin von Walterskirchen, verfasst und unterzeichnet. Er nahm zusammen mit dem Direktor des BAWI, Staatssekretär Franz Blankart, am kurzfristig organisierten Abendessen mit einer von Nelson Mandela angeführten Delegation des African National Congress (ANC) teil. Die hier edierte Kopie der Notiz wurde am 1. Juni 1992 mit einem Begleitschreiben von Staatssekretär Blankart an den Vorsteher des EVD, Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz, übermittelt. Weitere Kopien richteten sich an diverse Personen im EDA und im BAWI, vgl. das Faksimile dodis.ch/61222.↩
- 2
- Zum Empfang von ANC-Vizepräsident Mandela durch den Vorsteher des EDA, Bundespräsident René Felber, vom 11. Juni 1990 vgl. DDS 1990, Dok. 25, dodis.ch/54851.↩
- 3
- Anmerkung im Original: Teilnehmer: Botschafter de Riedmatten (dem für das in grosszügiger Gastfreundschaft sehr kurzfristig organisierte Dîner auf diesem Wege bestens gedankt sei) D. Feldmeyer (PA II), Frau Funk (DEH), Unterzeichnender; Mr. T. Nkobi, Ms. J. Duarte, Ms. Gill Marcus, Mr. J. Tshabalala .↩
- 4
- Zu den allgemeinen Entwicklungen in Südafrika vgl. auch die Notiz zum Besuch des Direktors der Politischen Direktion des EDA, Staatssekretär Klaus Jacobi, in Südafrika im Februar 1992, dodis.ch/58968.↩
- 5
- Vgl. den zugehörigen Reisebericht von Staatssekretär Blankart an Bundesrat Delamuraz vom 22. Juli 1992, dodis.ch/61993, sowie der Beitrag im Wochentelex 25/92 vom 15. Juni 1992, dodis.ch/61128.↩
- 6
- Auf den «Modellcharakter des schweizerischen Föderalismus» kam auch Staatssekretär Jacobi anlässlich seiner Reise nach Südafrika im Februar 1992 zu sprechen, vgl. dodis.ch/58968.↩
- 7
- Gemäss dem zugehörigen Reisebericht, dodis.ch/61993, sowie dem Beitrag im Wochentelex [25]/92 vom [15.] Juni 1992, dodis.ch/61128, fand dieses Treffen statt.↩
- 8
- Vgl. dazu das Jahresprogramm 1992/93 für Südafrika der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe des EDA, dodis.ch/61995, zum positiven Massnahmenprogramm der Schweiz in Südafrika vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C1770.↩
- 9
- Der Dienst für Friedensfragen des EDA sah «[a]ngesichts der Fragwürdigkeit eines solchen Projekts und der damit verbundenen Risiken» davon ab, vgl. dodis.ch/61994.↩
- 10
- Zu den schweizerisch-südafrikanischen Wirtschaftsbeziehungen in den Jahren 1991 und 1992 vgl. dodis.ch/60297 und dodis.ch/63056.↩
- 11
- Zur Haltung der Schweiz zu den Sanktionen gegenüber Südafrika vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C1768.↩
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