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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2023A#2003/421#3369* | |
Dossier title | Siège de l'Agence international pour le contrôle des armes chimiques, Band 4 (1992–1992) | |
File reference archive | o.713.331.11 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2210.7-05#2000/278#209* | |
Dossier title | Organisation de contrôle des armes chimiques, vol. II (1992–1992) | |
File reference archive | 222.7 |
dodis.ch/60767Notiz des ständigen Beobachters bei der Genfer Abrüstungskonferenz, Botschafter von Arx1
Schweizerische Kandidatur für die kommende [Chemiewaffen]-Organisation – Beitrag zu einer «Gefechtskritik»
Nachdem nun die Hektik der vergangenen Wochen in der CD – Intensivierung der CW-Verhandlungen; Kandidatenauslese für den Sitz der kommenden CW-Organisation – vorüber ist, und bereits eine zeitliche Distanz zur Kandidatenkür vorliegt, ist es dem Unterzeichneten möglich, ein paar Gedanken zu diesem Unternehmen zu Papier zu bringen.2 Das Nachfolgende beruht zum Teil auf eigenen Beobachtungen und Überlegungen, mehrheitlich aber auf zahlreichen Gesprächen, die mit andern Delegationschefs und hohen Vertretern des CD-Sekretariats vor allem auch nach unserem Rückzug geführt wurden – die meisten übrigens auf Initiative der jeweilig andern Seite.
Demnach sind die Hauptgründe für das schlechte Abschneiden Genfs folgendermassen darzustellen:
1. Die schweizerische Kandidatur wurde, als sie schlussendlich erfolgte, zwar allerseits begrüsst, kam aber wahrscheinlich grundsätzlich zu spät.3 Die andern beiden Kandidaten waren bekanntlich schon zwei Jahre vorher ins Rennen gestiegen.
2. In Anbetracht dieses Zeitnachteils wurde unsere erste, mit der Beantwortung des «Questionnaire» verbundene Offerte von allen Gesprächspartnern, die dabei wohl das allgemeine Empfinden zum Ausdruck brachten, als völlig ungenügend und enttäuschend bezeichnet.4 Sie war in keiner Weise geeignet, den Vorsprung der andern aufzuholen.
3. Die am Tage der Kandidaten-«Hearings» unterbreitete Verbesserung der schweizerischen Offerte hatte zwar materiell die schweizerische Position wieder konkurrenzfähig gemacht, kam aber ihrerseits wiederum zu spät, um noch die nötige Wirkung zu zeitigen.5 Allerdings, so bemerkte ein Gesprächspartner, sei selbst sie, nach genauer Betrachtung, nicht in der Lage gewesen, die höheren Lebenskosten Genfs aufzuwiegen.
4. Als wesentlicher und grundsätzlicher Punkt wird von allen Gesprächspartnern, die hier zweifellos wiederum die allgemeine Stimmung wiedergeben, der Status derjenigen Botschafter bezeichnet, die, wie ein Grossteil der Chefs der Abrüstungsdelegationen, nicht gleichzeitig Missionschefs sind. Es besteht die Auffassung, die «unité de mission»-Doktrin werde schweizerischerseits zu extrem gehandhabt, und zwar nur zur Lösung intern-schweizerischer Organisationsprobleme.6 Dieses Verfahren sei jedoch mit der Würde, aber insbesondere mit den Aufgaben der Betroffenen nicht vereinbar. Es sei in der Realität eben keine Unité vorhanden, sonst hätten die betreffenden Regierungen nicht besondere Einheiten geschaffen. Verschiedene Gesprächspartner haben Notwendigkeit und Dringlichkeit einer befriedigenden Lösung dieser Frage als Hauptproblem für Gegenwart und Zukunft Genfs bezeichnet. Im Wortlaut eines als Freund Genfs zu betrachtenden CD-Botschafters tönte es ungefähr so: Wenn die schweizerischen Behörden hier nichts Konkretes tun, kann es sogar zu einem «take leave of Geneva» selbst für bestehende Organisationen kommen.
5. Im Zusammenhang mit dieser Kritik an den Bundesbehörden in der Status-Frage – jedoch als gesondertes Problem – wird von vielen Gesprächspartnern auch die Haltung der Genfer Behörden kritisiert. Der Eindruck scheint verbreitet zu sein, man schätze hier die Diplomaten nicht besonders, behandle sie dementsprechend «von oben herab» und erschwere ihnen häufig absichtlich und unnötigerweise das Leben.7
6. Unisono wird auf die nach dem Ende des Kalten Krieges veränderten Verhältnisse hingewiesen. Ein neutraler Standort sei nicht mehr «conditio sine que non» für eine internationale Organisation. Der entsprechende Vorteil Genfs und Wiens falle somit weg.8
7. Dazu komme nun zusätzlich, und zum Nachteil Genfs gegenüber Wien, das Abseitsstehen der Schweiz in der UNO. Hiemit verliere, so wiederum viele Stimmen, die Schweiz nicht nur Einfluss- und Lobbying-Möglichkeiten, sondern dieses freiwillige Abseitsstehen werde insbesondere von Staaten, die eine Mitgliedschaft in der UNO als Teil ihrer Selbstbestätigung sähen, als Überheblichkeit und Geringschätzung nicht nur der Weltorganisation, sondern indirekt ihrer selbst ausgelegt.9
8. Ausserdem habe sich, so die Meinung verschiedener Gesprächspartner, ihre Nichtmitgliedschaft in der CD zum Nachteil der Schweiz und Österreichs ausgewirkt.10 Zwar hätten sich die Niederlande korrekterweise bei der Auswahl des Standortes der Stimme enthalten, aber auf die Stimme dieses Landes komme es in der CD wegen des Konsensprinzips in andern Fragen halt doch wieder an, hingegen nicht auf diejenige der beiden andern Kandidaten. Im gleichen Atemzug wurde jeweils auf den Vorteil der Niederlande als EG- und NATO-Mitglied hingewiesen, was den beiden andern abgehe.11
9. Einige Kollegen sind denn auch der Auffassung, die Wahl wäre anders verlaufen, wenn sie, statt in der CD mit dem zur Wahrung des Konsensprinzips speziell ausgewählten Sondierungsverfahren, in der UNO-Generalversammlung nach Mehrheitsprinzip durchgeführt worden wäre. Dann hätte voraussichtlich aber nicht die Schweiz, sondern Österreich vor Holland das Rennen gemacht.
10. Schliesslich sei noch erwähnt, dass die in den letzten Tagen vor Beginn der CW-Standort-Kür aus Rio nach Genf geflatterte Meldung, wonach die Schweiz mit grosszügigen Gesten diese Stadt als künftiges globales Öko-Zentrum anpreise, für einige Verwirrung und gar ärgerliches Erstaunen unter den Entscheidträgern gesorgt hat.12 Dem Unterzeichneten war es, selbst nach Rücksprache in Bern, nicht möglich, diesen kleinen und vermeidbaren Sturm im Wasserglas wieder zu beruhigen; denn es konnten keine Angaben darüber verschafft werden, was die entsprechenden schweizerischen Angebote enthielten und ob sie allenfalls weiter gingen, als jene für die CW-Organisation. Dieser Paukenschlag hat die endgültige Entscheidung kaum mehr massgebend beeinflusst, aber nicht gerade das beste Licht auf unsere Standortstrategie geworfen.13 Das alte Wort von der Linken, die nicht weiss, was die Rechte tut (oder muss man es in unserem Fall andersherum formulieren?), ist nicht auszutilgen!
- 1
- CH-BAR#E2210.7-05#2000/278#209* (222.7). Diese Notiz wurde vom ständigen Beobachter bei der Abrüstungskonferenz in Genf, Botschafter Herbert von Arx, verfasst. Kopien dieser Notiz gingen an den Direktor der Politischen Direktion des EDA, Staatssekretär Jakob Kellenberger, an den Chef der Abteilung für Friedenspolitische Massnahmen im Stab der Gruppe für Generalstabsdienste des EMD, Brigadier Josef Schärli, sowie an diverse weitere Personen des EDA.↩
- 2
- Im ersten Wahlgang der Genfer Abrüstungskonferenz (Conference on Disarmament, CD) über den Sitz der künftigen Chemiewaffen-Organisation (CW-Organisation) am 15. Juni 1992 entfielen 14 Stimmen auf Den Haag, zehn auf Wien und zwei auf Genf, vgl. dodis.ch/62197.↩
- 3
- Für die Bekanntgabe der schweizerischen Kandidatur vgl. die Erklärung des Vorstehers des EDA, Bundespräsident René Felber, vor der Genfer Abrüstungskonferenz am 26. März 1992, DDS 1992, Dok. 11, dodis.ch/61983. Vgl. zudem das BR-Prot. Nr. 397 vom 2. März 1992, dodis.ch/60758.↩
- 4
- Für die Offerte vgl. dodis.ch/62721. Für die Reaktionen auf die erste Offerte vgl. diverse Notizen im Dossier CH-BAR#E2023A#2003/421#3368* (o.713.331.11).↩
- 5
- Für die Verbesserung des schweizerischen Angebots vgl. das BR-Prot. Nr. 1043 vom 1. Juni 1992, dodis.ch/60876.↩
- 6
- Zu den reduzierten Privilegien aufgrund der «unité de mission»-Doktrin vgl. dodis.ch/62889. Bei der Ernenung von Botschafter von Arx zum schweizerischen Beobachter bei der Genfer Abrüstungskonferenz stellte das EDA in seinem Antrag an den Bundesrat noch fest: «Gegenwärtig ist unter den Beobachterstaaten nur Spanien mit einer selbständigen, von der Mission unabhängigen und von einem spezialisierten Botschafter geleiteten Delegation an der Abrüstungskonferenz vertreten. Bei allen anderen Beobachterstaaten übernehmen faktisch die in Genf stationierten Missionschefs die Leitung ihrer Delegationen, was jedoch [...] in unserem Fall in diesem Ausmass praktisch nicht möglich ist.» Vgl. das BR-Prot. Nr. 2737 vom 13. Dezember 1990, dodis.ch/62289.↩
- 7
- Vgl. dazu auch die Notiz des Chefs der Sektion Vereinte Nationen und internationale Organisationen des EDA, Botschafter Hansrudolf Hoffmann, über die Unterredungen mit Botschaftern in Bern, dodis.ch/62705.↩
- 8
- Zur abnehemenden Bedeutung der Neutralität für die UNO nach dem Kalten Krieg vgl. auch DDS 1991, Dok. 30, dodis.ch/57379.↩
- 9
- Für die Einschätzung Genfs als Sitz- und Konferenzort durch UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali vgl. DDS 1992, Dok. 16, dodis.ch/58969.↩
- 10
- Der Bundesrat hat 1991 die Gesuchstellung der Schweiz um eine Mitgliedschaft in der CD beschlossen, vgl. das BR-Prot. Nr. 529 vom 18. März 1991, dodis.ch/57662. Vgl. ferner die Zusammenstellung dodis.ch/C2223.↩
- 11
- Zum schweizerischen EG-Beitrittsgesuch vgl. DDS 1992, Dok. 18, dodis.ch/58958, sowie die thematische Zusammenstellung Beitrittsgesuch der Schweiz zur EG (1991–1993), dodis.ch/T1955. Zum Verhältnis der Schweiz zur NATO vgl. DDS 1992, Dok. 62, dodis.ch/61267.↩
- 12
- Zur Sitzfrage der Kommission der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (CSD) vgl. DDS 1992, Dok. 56, dodis.ch/62551, sowie die Zusammenstellung dodis.ch/C2320.↩
- 13
- Zur Standortstrategie vgl. dodis.ch/59639.↩
Tags
Geneva Conference on Disarmament (1962 ...)