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Die Schweiz und die Konstruktion des Multilateralismus, Bd. 1. Diplomatische Dokumente der Schweiz zur Geschichte des Internationalismus 1863–1914, vol. 13, doc. 49
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001A#1000/45#564* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(A)1000/45 48 | |
Dossier title | Nr. 482. Vorbereitungen für eine dritte Friedenskonferenz (1911–1914) | |
File reference archive | B.231-3 |
dodis.ch/59568
Professor Huber an das Politische Departement1
Bericht über die Vorbereitung und Organisation einer III. Friedenskonferenz2
Der Verlauf der II. Friedenskonferenz hatte grosse Mängel in der Organisation und namentlich in der Vorbereitung der Geschäfte gezeigt. Diese Mängel bestanden insbesondere in folgendem:
1. Fehlen eines genauen und für die Arbeiten der Konferenz massgebenden Arbeitsprogramms: daher die Schwierigkeit und zum Teil Unmöglichkeit für die Regierungen, die zu behandelnden Fragen eingehend zu studieren und ihre Delegationen entsprechend zu instruieren; Einbringung von Anträgen erst bei Eröffnung der Konferenz oder während dieser, welche vollständige Nova bedeuteten (Prisenhof, obligatorischer Weltschiedsvertrag, Beseitigung des Kontrebandebegriffs).
2. Fehlen jeglicher gemeinsamen Vorbereitung der Traktanden für die Bedürfnisse der Konferenzarbeit, daher Überlastung der Kommissionen und des Sekretariates mit einer übermässigen Zahl von Anträgen der einzelnen Delegationen.
3. Fehlen einer Organisation für die Kommissionen, welche einerseits deren Arbeitsfähigkeit, anderseits eine planmässige Berücksichtigung aller Staaten garantiert hätte. Auf der einen Seite die allen Delegationen offenstehenden Kommissionen und Subkommissionen, die meist zu zahlreich für eigentliche Verhandlungen waren, auf der andern Seite die Comités d’examen und de rédaction, bei denen nicht nur die mehr technische Arbeit, sondern grossenteils auch die sachliche Behandlung lag, deren Zusammensetzung aber formell ganz von den Kommissionspräsidenten abhing und jeder grundsätzlichen Ordnung entbehrte.
4. Unsicherheit über die Bedeutung der Beschlüsse der Kommissionen, insbesondere über die Aufnahmefähigkeit eines Beschlusses in die Konferenzakte.
Die hauptsächlichen Folgen dieser Mängel waren:
1. Grosser Zeitverlust infolge der Notwendigkeit, die Anträge erst während der Konferenz zu sichten, sie den Regierungen zur Prüfung und Instruktionserteilung zuzustellen und dabei gleichwohl im allgemeinen unzureichendes Studium der vorgeschlagenen Konventionen.
2. Infolge davon reservierte Haltung der Regierungen in Form von Stimmenthaltungen, Vorbehalten zu einzelnen Artikeln, ausserordentliche Verzögerung der Ratifikationen oder gänzliches Ausbleiben dieser.
3. Durch die Verlegung der sachlichen Behandlung der Geschäfte in die kleinen Kommissionen, in denen nur wenige Staaten zu Worte kamen, waren die von ihnen ausgeschlossenen Staaten meist vor die Alternative gestellt, in den Plenarversammlungen der Kommissionen die Vorlage des Comité d’examen entweder en bloc zu akzeptieren oder aber abzulehnen, beziehungsweise durch «Vorbehalte» zu durchlöchern.
4. Die ausserordentlich lange Dauer der Konferenz wirkte ungünstig auf die Stimmung und hatte zur Folge, dass am Schluss die Arbeiten überstürzt wurden.
Es sind indessen nicht nur diese4 mehr äussern Umstände für die in manchen Beziehungen unbefriedigenden oder dürftigen Ergebnisse der Friedenskonferenzen verantwortlich zu machen. Während im allgemeinen an diplomatischen Konferenzen zum Abschluss von Verträgen nur solche Staaten teilnehmen, welche ein wirkliches Interesse am Zustandekommen eines Vertrages über eine gewisse Materie haben, hat man die Teilnahme an den Friedenskonferenzen 1898 und 1907 als eine Sache des politischen Prestige angesehen, ohne dass die Teilnahme begehrenden Staaten immer ein wirkliches Interesse den abzuschliessenden Verträgen entgegengebracht haben. Um nur das krasseste Beispiel zu nennen, sei auf die Tatsache verwiesen, dass von den 18 lateinisch-amerikanischen Staaten, welche auf Betreiben der Union zur II. Konferenz zugelassen worden sind, bis 1913 nur 8, und zwar darunter fast alle nur die unbedeutendsten, eine grössere oder kleinere Zahl Konventionen ratifiziert haben. Und doch war es gerade die Beteiligung dieser lateinisch-amerikanischen Staaten, welche nicht wenig zu dem schleppenden Gang der Konferenz beitrug und die Aufrollung der Frage der gleichmässigen Beteiligung grosser und kleiner Staaten an internationalen Institutionen ins Rollen brachte. Auf die Übelstände, die aus Mangel an wirklichem Interesse bei vielen Staaten an der Erzielung positiver, praktischer Resultate hervorgehen, hat Hold v. Ferneck (Die Reform des Seekriegsrechts durch die Londoner Konferenz, 1914, S. 13 f.) neuestens hingewiesen.
Unerfreulich ist es auch, wenn Staaten, mit Rücksicht auf welche ein Vertrag eine den Intentionen der meisten übrigen Kontrahenten nicht entsprechende Form erhält, den Vertrag schliesslich nicht oder nur teilweise ratifizieren. So ist die Konvention betr. die Neutralität im Landkrieg5 Grossbritannien zu Liebe in manchen Beziehungen arg beschnitten worden und schliesslich hat dieser Staat das Abkommen nicht ratifiziert!
So berechtigt einerseits das Bestreben ist, auf den Friedenskonferenzen zu universellen Abkommen zu gelangen, so ist doch anderseits die Gefahr sehr gross, dass dabei immer nur ein Minimum von wirklich bindenden Bestimmungen herauskommt, die wichtigsten Regeln durch Vorbehalte durchbrochen werden und dass man, um nach aussen ein sichtbares Resultat zu erhalten, die Konventionen mit nichtssagenden Normen auszufüllen sucht. Dieses Vorgehen ist aber weit entfernt, den gewünschten Erfolg zu haben angesichts des grossen Skeptizismus, der in weiten Kreisen den Friedenskonferenzen entgegengebracht wird.
Eine sorgfältige Vorbereitung der Konferenzen könnte diesen Übelständen einigermassen begegnen. Wenn durch Aufstellung eines Arbeitsprogramms durch einen Vorbereitungsausschuss und durch Sammlung der von den Regierungen eingebrachten Anträge eine Übersicht darüber geschaffen würde, in welchem Umfange eine wirkliche, d. h. eine sorgfältige Vorprüfung voraussetzende Geneigtheit der Regierungen zu Vertragsabschlüssen besteht, würde es möglich sein, zu beurteilen, ob eine Konferenz mit Aussicht auf positiven Erfolg zusammenberufen werden kann. Nichts ist für die Institution der Friedenskonferenzen gefährlicher als das ungestüme Drängen vieler pazifistischer Kreise für baldigen Zusammentritt einer III. Konferenz. Das ist der sicherste Weg, die ganze Einrichtung, als steril, und schliesslich als lächerlich, zu ruinieren.
Die Teilnehmer der II. Friedenskonferenz standen so sehr unter dem Eindruck der Unzulänglichkeit der Organisation und des Betriebes der Konferenz, dass der amerikanische Vorschlag betr. Einsetzung eines Vorbereitungsausschusses trotz seines ungewöhnlichen Inhaltes und anfänglicher Bedenken schliesslich einstimmig Annahme fand. Eine Hauptfrage, die Zusammensetzung des Ausschusses, blieb offen, weil damals die Diskussion über die Cour de justice arbitrale auf einen toten Punkt gekommen war und die Lösung der analogen Organisationsfrage beim Vorbereitungsausschuss präjudizierte.
Der Beschluss der Konferenz lautet:
«La Conférence recommande aux Puissances la réunion d’une troisième Conférence de la Paix qui pourrait avoir lieu, dans une période analogue à celle qui s’est écoulée7 depuis la précédente Conférence, à une date à fixer d’un commun accord entre les Puissances, et elle appelle leur attention sur la nécessité de préparer les travaux de cette troisième conférence assez longtemps à l’avance pour que ses délibérations se poursuivent avec l’autorité et la rapidité indispensables.
Pour atteindre à ce but, la conférence estime qu’il serait très désirable que, environ deux ans avant l’époque probable de la réunion, un Comité préparatoire fût chargé par les Gouvernements de recueillir les diverses propositions à soumettre à la Conférence, de rechercher les matières susceptibles d’un prochain règlement international et de préparer un programme que les Gouvernements arrêteraient, assez tôt pour qu’il pût être sérieusement étudié dans chaque pays. Ce Comité serait en outre chargé de proposer un mode d’organisation et de procédure pour la Conférence elle-même.»8
Für die im ersten Absatz des obigen Textes postulierte III. Konferenz hat, soweit bekannt, bis jetzt noch keine Regierung die Initiative ergriffen, abgesehen davon, dass nach Zeitungsberichten (Gazette de Hollande 1914 Nr. 279) Verhandlungen zwischen der niederländischen und russischen Regierung schweben und nach einem Anfang April erschienenen Zeitungstelegramm aus dem Haag angeblich zur Festsetzung der Konferenz auf 1917 geführt haben. Mittelbar aber sind der Aufforderung diejenigen Staaten nachgekommen, welche Organe eingesetzt haben zur Vorbereitung der von einer III. Konferenz zu behandelnden Geschäfte. Nationale Vorbereitung ist die unerlässliche9 Voraussetzung für ein Funktionieren der internationalen Vorbereitungskommission. Nationale Kommissionen oder Ämter sind eingerichtet worden in Österreich-Ungarn, Dänemark, Frankreich, Norwegen, Niederlande, Schweden und den Vereinigten Staaten von Nordamerika. Wahrscheinlich sind aber auch in andern Staaten, z. B. in Deutschland und Russland Vorbereitungen im Gange durch die ordentlichen Organe der auswärtigen Verwaltung wie z. B. schon vor der II. Konferenz. Positive Arbeit scheint weiter in den drei skandinavischen, der niederländischen und amerikanischen Kommission geleistet worden zu sein. Irgendwelche nähere und zuverlässige Nachrichten über das Ergebnis der Arbeiten dieser Kommission fehlen bis jetzt.
Ausser diesen Vorbereitungen von amtlicher Seite gibt es solche, die privater Initiative entspringen. Abgesehen von den Resolutionen des XX. Friedenskongresses im Haag (1913) sind zu nennen die Tätigkeit des Institut de Droit international, der Interparlementarischen Union und der American Society for Judicial Settlement of international disputes. Dabei handelt es sich aber entweder um Resolutionen zu Gunsten der Vorbereitung der Konferenz durch nationale Organe (Interparl. Union) oder um die Aufstellung von Traktanden für die III. Konferenz. M. W. ist nur auf der Lake Mohonk Conference von 1912 von dem amerikanischen Delegierten an der II. Konferenz, J. Brown Scott die Frage der Organisation von Vorbereitungsausschuss und Konferenz erörtert worden; auf dieses sehr beachtenswerte Referat wird im folgenden noch zurückgekommen werden.
Jüngst ist auch in den Vereinigten Staaten ein National Citizens Committee für die Propaganda und Vorbereitung der III. Konferenz gegründet worden, in dessen Exekutivausschuss ausser den amerikanischen Delegierten von 1899 und 1907 eine Reihe hervorragender Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sich befinden (vgl. Friedenswarte XVI, S. 103).
Über die bisherigen Vorarbeiten sind namentlich zu vergleichen: Annuaire de l’Institut de Droit international (Session de Christiania) 1912 vol. XXVI S. 23 ff. u. 579 ff.; Annuaire de l’Union interparlementaire 1913 S. 223 ff.; Jahrbuch des Völkerrechts I, 1380–1395, Nippold in Zeitschrift für Völkerrecht VII, S. 286 ff. Proceedings of the 6th meeting of the American Society of International Law, Washington 1912; Report of the 18th Lake Mohonk Conference, 1912; Proceedings of the Third national Conference of the American Society for Judicial Settlement of international Disputes, Baltimore, 1913. Ferner Revue générale de droit international public 1911, S. 216 ff., 1912 S. 597 ff.
1. Die «Recommandation» hat nicht den Gegenstand von protokollierten Verhandlungen gebildet, sondern ist, nach dem sie in formlosen Besprechungen erörtert und in einer Réunion der Ersten Delegierten in der Hauptsache beschlossen worden,10 von der Plenarversammlung vom 21. September 1907 angenommen worden. M. W. ist nur vom schweizerischen Ersten Delegierten11 ein konkreter Antrag gestellt worden, dahingehend, den Conseil Administratif der Konvention vom 29. Juli 1899,12 bezw. 18. Oktober 1907 (Convention pour le règlement pacifique des conflits internationaux du 18 octobre 1907 Art. 49)13 mit der Funktion des Vorbereitungskomitees zu betrauen. Leider ist dieser Vorschlag nicht angenommen worden. (vgl. Brief des Herrn Ministers Carlin an das Politische Departement vom 6. November 1907).14 Jüngstens hat die Regierung der Vereinigten Staaten, obwohl 1907 die amerikanische Delegation Herrn Carlin nicht unterstützte, die Idee aufgenommen, nachdem schon Scott, der Generalsekretär des Carnegie Endowment for International Peace, auf der Lake Mohonk Conference von 1912 diese Anregung gebracht [hatte].
Scott (1. c. S. 130) betrachtet u. a. als Vorzüge der Betrauung des Conseil Administratif die Vermeidung der Gefahr, Empfindlichkeiten zu wecken, da grundsätzlich alle Staaten sich in diesem Rat vertreten lassen können. Die amerikanische Note an den Bundespräsidenten (vom 12. Februar 1914)15 hebt mit Recht die Raschheit und Billigkeit einer solchen Ordnung hervor, da das Organ bereits existiert, keine Zeit mit Nominationen und mit Organisieren verloren geht und besondere Spesen von Bedeutung nicht zu gewärtigen sind. In meinem Brief vom 15. Februar 191416 habe ich mich bereits über den amerikanischen Vorschlag ausgesprochen. Sein Hauptvorteil liegt darin, dass er einerseits die Gleichheit aller Staaten formell – und soweit die Staaten im Haag diplomatische Agenturen unterhalten – auch materiell wahrt, anderseits dass er der Organisation der Konferenzen eine internationale Basis gibt und die Präsidialstellung Russlands wenigstens einigermassen abschwächen kann. Auf dieses Moment wiesen auch Carlin (1. c.) und Scott (1. c.) hin. Für die Schweiz besteht der besondere Vorteil, dass sie einen Vertreter im Haag 17 hat, der nicht nur bereits an der II. Konferenz teilgenommen, sondern zurzeit Doyen des Diplomatischen Korps ist und deshalb Anwartschaft auf eine einflussreiche Stellung bei der Behandlung der dem Conseil Administratif überwiesenen Geschäfte besitzt.
Die Gründe, welche gegen die Übertragung der Vorbereitungsaufgaben an den Conseil Administratif sprechen können und seinerzeit vielleicht gegen die Annahme des Vorschlags Carlin gewirkt hatten, sind folgende – abgesehen von dem für die Schweiz nur a contrario geltenden Argumente, dass diese Lösung der Präponderanz der Grossmächte oder einer besonderen von ihnen ungünstig ist:
a) Der Conseil Administratif ist ein ziemlich grosses Kollegium, das, wenn zugleich Vorbereitungskomitee der Konferenzen, noch eine beträchtliche Vermehrung durch neue Akkreditierungen erfahren dürfte. Es ergibt sich deshalb die Notwendigkeit der Delegation der Tätigkeit an kleine Ausschüsse. Dies ist namentlich nötig für die Sichtung der Anträge, den Verkehr mit den Regierungen etc; indessen ist dies nicht bedenklich, da es sich in diesem Falle wohl nur um Funktionen ohne politische Bedeutung handelt. Dagegen ist es wichtig, dass alle Regierungen schon in einem frühen Stadium zu Wort kommen, wenn es sich darum handelt, dass positive Vorschläge über die Organisation der Konferenzen gemacht werden. Bei jeder Organisation des Komitees, welche nicht allen interessierten Staaten eine direkte Mitwirkung bei der Ausarbeitung der Vorlage gestattet, besteht der Nachteil, dass die Komitee-Vorlage für die darin nicht vertretenen Staaten von vornherein ein fait accompli sein würde. Die mit der numerischen Stärke des Kollegiums zusammenhängenden Nachteile können deshalb wohl in Kauf genommen werden.
b) Die Betrauung des vertragmässig im Haag domizilierten und vom niederländischen Minister des Äussern 18 präsidierten Conseil Administratif bedeutet die Anerkennung einer dauernden Vorzugsstellung der Niederlande für die Friedenskonferenzen. Der Conseil Administratif ist nämlich eine Einrichtung, die auf den I. Konventionen von 1899, bezw. 1907 (betr. friedliche Erledigung von Streitigkeiten) beruht, an der19 somit nur die Kontrahenten dieser Konventionen teilnehmen können, und die deshalb nur zu der im Haag organisierten Justiz gehört. Die Konventionen über die friedliche Erledigung internationaler Streitfälle von 1899 bzw. 1907 ist lediglich einer der zahlreichen in den Schlussakten von 1899/1907 enthaltenen Verträge und geniesst formell keine Vorzugsstellung. Anderseits ist allerdings zu sagen, dass die genannten Abkommen die eigentliche Grundlage des ganzen durch die Haager Friedenskonferenzen repräsentierten Werkes darstellen. Die I. Konvention von 1899 ist von allen Staaten (ausser Honduras) ratifiziert worden. Der zentralen Stellung dieser Konventionen hat Schücking in seinem Buche «Der Staatenverband der Haager Konferenzen» (1912) einen entschieden übertriebenen Ausdruck gegeben. Abgesehen jedoch davon, dass in der Plenarsitzung der Konferenz vom 21. September 1907 zur Überraschung vieler Abordnungen durch eine Motion der österreichischen Delegation (Bericht der schweiz. Delegation S. 154) ein Präjudiz zu Gunsten des Haags als Sitzes einer dritten Konferenz geschaffen wurde,20 haben die Niederlande keinerlei Vorzugsstellung in Bezug auf die Konferenzen. Die Vereinigten Staaten scheinen 1907 mit der Möglichkeit gerechnet zu haben, die Konferenzen als ambulante Institution (wie die Weltpostkongresse) zu behandeln. Es wurde der schweizerischen Delegation seinerzeit auch gelegentlich angedeuetet, dass die Niederlande den Staatengerichtshof, die Schweiz dagegen die Verwaltungsbureaux und die Konferenzen beherbergen könnte.
Die ganze Frage erscheint in dessen heute durch die zweimalige Abhaltung im Haag, den oben erwähnten Vorgang, den Bau des Friedenspalastes im Haag und die jetzt schon zwischen Russland und den Niederlanden schwebenden Verhandlungen zu Gunsten der letztern entschieden.
Es ist in diesem Zusammenhang auf eine – wenn auch nicht unmittelbare Gefahr hinzuweisen, welche aus einer Konzentration21 von Friedenskonferenzen und Schiedsgerichten im Haag sich ergeben könnte. Die Idee liegt nicht fern – und ist auch schon ausgesprochen und befürwortet worden (vgl. den Bericht in Revue gén. de droit international public XVIII S. 216 ff.; ferner ibid. XIX, 586, Schücking 1. c. 309 ff., Jarousse de Sillac (Leiter der Abteilung für Friedenskonferenzen im französischen Ministerium des Auswärtigen) in American Journal of International Law V, 984 f.), dass dann auch die «internationale Verwaltung», wie sie namentlich in den Bureaux der Unionen verkörpert ist, zentralisiert werde, d. h. die Bureaux in den Haag verlegt oder zunächst wenigstens von einer dort befindlichen Instanz geleitet werden. Einmal tritt in den letzten Jahren – ganz im Gegensatz zu der Stimmung im Jahre 1907 – in Holland ein wachsendes, sehr lebhaftes Interesse für den Internationalismus an den Tag und sodann bekundet sich im modernen Pazifismus eine Tendenz, die im Haag bestehenden Institutionen zum Mittelpunkt der Staatenorganisation zu machen. Durch eine Zusammenlegung der internationalen Institutionen kann eine Fassade geschaffen werden, die über die Dürftigkeit des innern Ausbaues hinwegtäuscht; es ist nicht undenkbar, dass versucht werden könnte, die Forderungen eines ungestümen und auf äussere Erfolge ausgehenden Pazifismus in dieser Weise auf Kosten der Schweiz zu befriedigen.
2. Eine andere Lösung als die durch Verwendung des Conseil Administratif ist m. W. nicht vorgeschlagen worden. Es liegt aber in der Natur der Sache, dass für den Vorbereitungsausschuss eine ähnliche Organisation in Betracht kommt wie für die «Cour de justice arbitrale». Auch dort empfand man das Bedürfnis, im Interesse der Arbeitsfähigkeit ein Kollegium zu bilden, das weniger Mitglieder hat als Staaten sind, die Anspruch auf Mitwirkung erheben. So sind denn auch teils in formlosen Unterhaltungen im Haag, teils seither in der Literatur für die eine wie die andere Institution folgende Anregungen gemacht worden.
a) Es ist zunächst möglich, von einer formellen Regelung der Organisation des Vorbereitungskomitees abzusehen und dessen Zusammensetzung der Verständigung unter den Regierungen zu überlassen. Das setzt voraus, dass eine Regierung – also wohl die russische – diese Verhandlungen vermittelt. Das Ergebnis wäre jedenfalls eine Bevorzugung der acht Grossmächte wie bei dem unter c) erwähnten Modus. Die Zulassung der Mittel- und Kleinstaaten würde jedenfalls abhangen teils von deren besonderen Konnexionen mit einzelnen Grosstaaten (wie z. B. bei der Berufung der Londoner Konferenz22), teils davon, dass sie sich unter sich auf Bezeichnung gemeinsamer Delegierter einigen könnten. Verhandlungen zu diesem Zweck von Staat zu Staat würden kaum in nützlicher Frist zu einem positiven Ergebnis führen23 und konferenzielle Beratungen der Mittel- und Kleinstaaten unter sich müssten dem Gegensatz zwischen diesen und den Grossmächten im Hinblik auf die Konferenzen erst recht Relief geben. Die Grossmächte wären unter sich sicherlich darüber einig, dass jede von ihnen im Komitee ihren Vertreter haben soll; die übrigen Staaten aber, die sich über die Verteilung der vielleicht verfügbaren 7–12 Sitze unter sich und mit den Grossmächten erst zu verständigen hätten, wären dadurch zum vorneherein gegenüber letzteren in einer sehr ungünstigen Stellung.
b) Wahl eines Kollegiums von ca 15 Repräsentanten, die nicht Delegierte bestimmter Staaten sind, sondern instruktionslos handeln. Gewählt würden diese Repräsentanten entweder durch die Regierungen oder den Conseil Administratif (während der Konferenz war von der amerikanischen Delegation eine solche Wahl der Richter der Cour de justice arbitrale durch die Konferenz selber vorgeschlagen worden). Die Wahl käme so zu Stande, dass jede Regierung eine Anzahl Personen, nicht notwendig eigene Staatangehörige, vorschlüge. Diejenigen würden als gewählt angesehen, welche die meisten Stimmen auf sich vereinigen. Dieser Modus, obwohl dem auf die einzelnen Staaten abstellenden Prinzip des Völkerrechts nicht entsprechend, lässt den Grundsatz der Gleichheit der Staaten intakt; er dürfte aber den Grossmächten kaum annehmbar erscheinen, da er keine Garantie dafür bietet, dass sie wenigstens auf dem Fuss der Gleichberechtigung mit andern Staaten zur Mitwirkung kommen. Auch macht dieses System es nicht unmöglich, dass gerade diejenigen Angehörigen eines Staates, welche dieser in erster Linie berufen sehen möchte, durch andere Staaten eliminiert werden.
c) Vertretung jeder Grossmacht individuell und der Mittel- und Kleinstaaten kollektiv auf der Basis von Gruppen, die aus Staaten gebildet würden, die voraussichtlich verwandte Interessen haben (z. B. die Schweiz, Belgien und Luxemburg; die 3 nordischen Staaten etc.). Dieses System erscheint als unannehmbar, weil es den Grundsatz der Gleichheit der Staaten in der schroffsten Weise verletzt. Die Klein- und Mittelstaaten sind dabei nicht nur minderen Rechtes, wie beim Rotationssystem (vgl. unten 3), sondern als Individualitäten überhaupt ausgeschaltet. Zudem ist die politische Homogenität und die Interessenübereinstimmung solcher Gruppen stetem Wechsel ausgesetzt; die 1907 in Vorschlag gebrachte Gruppe der Balkanstaaten wäre heute z. B. unmöglich. In dem oben zitierten Buche (S. 260 ff.) befürwortet Schücking die Bildung eines Ausschusses von 15 Mitgliedern (und 5 von diesen gewählten Suppleanten), in dem die grössten Staaten einzeln, die andern gruppenweise vertreten wären.
d) Die für die Prisenhofkonvention angenommene Kehrordnung (Rotationssystem), die lange die meisten Aussichten für die Bildung der Cour de justice arbitrale besass, ist gänzlich unpraktisch für den Vorbereitungsausschuss, bei dem es sich um eine einheitliche, zusammenhängende Arbeit handelt, an der nicht wie an einzelnen Prozessen nacheinander verschiedene Personen mitwirken können.
e) Das Bureau international de la Cour Permanente d’arbitrage im Haag ist ein Organ des Conseil Administratif, der auch dessen Wahlbehörde ist. Dieses Bureau ist tatsächlich nur mit Niederländern besetzt und an seiner Tätigkeit ist verschiedentlich Kritik geübt worden; ob mit Recht, kann ich nicht beurteilen. Jedenfalls hat man auf der I. und II. Friedenskonferenz ängstlich vermieden, diesem Bureau irgend eine halbwegs politische Mission (z. B. Vermittlung von Schiedsanerbieten von einem Staat an einen andern, Vermittlung von Anerbietung guter Dienste, selbständige Initiative des Bureaus, Einverlangung von Schiedsverträgen etc.) zuzuerkennen. Immerhin liegt es nahe, dass der Conseil Administratif, wenn als Vorbereitungsausschuss fungierend, dem Bureau als seiner ständigen Kanzlei die formelle Erledigung der Geschäfte überträgt.
Es mag hier beigefügt werden, dass die III. panamerikanische Konferenz von dem panamerikanischen Bureau in Washington vorbereitet wurde.
f) Für die Konferenzen von 1899 und 1907 ist die Vorbereitung erfolgt durch das russische Ministerium des Äussern; allerdings beschränkte sich diese Tätigkeit – abgesehen von den diplomatischen Verhandlungen über den Zeitpunkt der Konferenz – auf die Aufstellung eines sehr wenig genauen Programmes und die Weiterleitung der von verschiedenen Regierungen dazu gemachten Bemerkungen.
Es besteht die Möglichkeit, in Übereinstimmung mit vielen Präzedenzfällen die Vorbereitung der Konferenz einer einzelnen Regierung zu überlassen, d. h. entweder derjenigen, welche die Initiative zur Einberufung ergreift (also wohl Russland) oder derjenigen, in deren Land die Konferenz tagt (Niederlande). So ist die Londoner Seerechtskonferenz von 1908/09 durch die britische Regierung – wie es scheint, vorzüglich – vorbereitet worden. Da aber die Tendenz dahin gehen soll, die Friedenskonferenzen zu internationalisieren, erscheint die hier in Betracht gezogene Lösung nicht empfehlenswert. Aus politischen Gründen dürfte, gegebenenfalls, die Heranziehung des niederländischen Ministeriums des Äussern der Stabilisierung der russischen Präsidialstellung vorzuziehen sein.
3. Im Hinblick auf eine wirkliche Periodizität der Friedenskonferenzen ist das Verlangen nach einer permanenten Verwaltungsstelle für diese aufgerollt worden. (Annuaire de l’Union interparlementaire 1912. S. 80). Ein eigentlich permanentes Organ neben dem Conseil Administratif zu schaffen ist jedenfalls überflüssig. Wenn die von der Schweiz und nun von den Vereinigten Staaten vorgeschlagene Lösung angenommen wird, ist die Frage der Permanenz24 des Vorbereitungsorganes ohne weiteres entschieden.
Die «Recommandation» von 1907 weist dem Vorbereitungsausschuss eine doppelte Aufgabe zu:
A. Vorbereitung der Traktanden der nächsten Konferenz.
B. Ausarbeitung von Vorschlägen für die Organisation der Konferenz.
Was zunächst die erst genannte Funktion betrifft, so kommt dreierlei in Betracht:
1. Sammlung der von den Regierungen eingebrachten Vorschläge.
2. Auswahl derjenigen, welche sich für eine allgemeine vertragliche Ordnung derzeit eignen und Aufstellung des Programmes.
3. Vorbereitung der in das Programm aufgenommenen Verhandlungsgegenstände.
Der Text der Schlussakte ist nicht sehr bestimmt und klar gefasst und lässt, da keine Protokolle über seinen Inhalt Aufschluss geben, verschiedene Deutungen zu.
1. Die Initiative zu Anträgen kommt jedenfalls nur den Regierungen zu, da nur diese in der Lage sind, solche auf der Konferenz zu vertreten. Auch «vœux» der II. Konferenz können nur auf die Traktandenliste gelangen, wenn sie wieder von einem Staate aufgenommen sind. Das Vorbereitungsorgan kann nicht initiativ vorgehen. Unter den Vorschlägen, welche es entgegennehmen und vorbereiten soll, sind wohl nicht nur, wie es beim «Programm» der I. und II. Friedenskonferenz der Fall war, allgemeine Bezeichnungen, wie z. B. Privateigentum im Seekrieg, Kriegsbräuche zur See etc., zu verstehen, sondern entweder ausgearbeitete Entwürfe oder Darlegungen der leitenden Grundsätze einer Konvention, ähnlich den zu Anfang der II. Friedenskonferenz von Deutschland, England u. a. eingereichten Anträgen oder den Denkschriften, welche die verschiedenen zur Londoner Konferenz geladenen Staaten auf das generelle Programm der britischen Regierungen hin dieser zugehen liessen (vgl. Englisches Blaubuch, Miscellaneous Nr. 5 (1909)). Nur einigermassen ausgearbeitete Entwürfe gestatten eine solche Prüfung des Programms und eine solche Instruktion der Delegationen durch die Regierungen, dass ein rasches Funktionieren der Konferenz möglich ist. Das Übel bei der I. und II. Konferenz lag darin, dass über die Verhandlungsgegenstände niemand zuvor einen Überblick hatte.
2. Sichtung der Vorschläge und Aufstellung eines Programms.
Hier handelt es sich um eine äusserst delikate Aufgabe des Komitees, die bei der Vorbereitung anderer diplomatischer Konferenzen kaum ihre Parallele findet. Die Konferenzen der Verwaltungs- und Rechtsunionen haben von vorneherein ein ziemlich scharf abgegrenztes Gebiet und ein Bedürfnis nach Eliminierung von Anträgen besteht kaum. Bei der Londoner Konferenz von 1908/9 war die Aufstellung des Programmes dadurch gegeben, dass ganz bestimmte, durch Praxis und Theorie gegebene Fragen des Seerechtes in Betracht kamen und jeder Staat die von seinen Organen zu vertretenden25 Standpunkte zu formulieren hatte; es handelte sich in London grundsätzlich nur um eine Feststellung dessen, was als gemeines geltendes Recht zu betrachten sei. Die Friedenskonferenzen dagegen haben neben solchen Feststellungen bestehenden Rechtes (z. B. Landkriegsordnung26) auch völlig neues Recht zu schaffen sich vorgenommen (Ständiger Schiedshof, obligatorisches Schiedsabkommen etc.). Es können somit namentlich «de lege ferenda» die verschiedenartigsten Vorschläge vorgebracht werden.
Die Vorbereitung der Geschäfte durch das Komitee hat einen doppelten Zweck:
a) die Auswahl derjenigen von den Regierungen in Vorschlag gebrachten Gegenstände, welche sich für eine demnächstige internationale Regelung eignen; d. h. von denen mit Grund angenommen werden kann, dass darüber Verträge zum Abschluss gelangen werden, welche von der Gesamtheit oder wenigstens einer sehr grossen Zahl von Staaten würden ratifiziert werden. Das Inkrafttreten der Verträge ist nicht nur deshalb notwendig, weil die Friedenskonferenzen positives Recht schaffen sollen und nicht – wie das Institut de droit international – dazu da sind, von wissenschaftlichen Standpunkten aus Vertragsentwürfe zu formulieren, sondern weil manche Verträge – insbesondere die kriegsrechtlichen – nur dann einen praktischen Wert haben, wenn sie von allen Staaten angenommen sind.27 Infolge der Reziprozitätsklausel findet ein Vertrag über Kriegsrecht – und diese bilden bis jetzt die grosse Mehrheit der Haager Abkommen – nur Anwendung, wenn alle an einem Kriege beteiligten Staaten durch ihn gebunden sind.
Sobald man allerdings in Aussicht nimmt, dass auf den Friedenskonferenzen einzelne Staatengruppen für sich partikuläres Recht sollen schaffen können, braucht man weniger sorgfältig zu sein bei der Auswahl der Traktanden, da sich dann immer eine Zahl von Staaten finden wird, welche an der Verhandlung und dem Abschluss eines Vertrages Interesse haben werden,28 der keine Aussicht hat, universelle Anerkennung zu finden. Über die Zulässigkeit von solchen partikulären Abkommen und die Präzedenzfälle von 1907 vgl. unten S. 34 f.
Unter dem «prochain règlement international» versteht aber die Recommandation indessen jedenfalls ein mehr oder weniger allgemein annehmbares Abkommen und somit kommt dem Vorbereitungskomitee zu, diejenigen Materien von der Traktandenliste zu eliminieren, gegen deren Behandlung entweder eine entschiedene Opposition von massgebender Seite (z. B. der Widerstand Englands bis 1906 gegen die Behandlung des Seekriegs- und Neutralitätsrechts durch internationale Konferenzen), oder für welche kein genügendes Interesse besteht oder über welche endlich gegensätzliche Auffassungen herrschen, deren Ausgleich unwahrscheinlich ist.
Diesen Aufgaben kann jedoch das Komitee nur gerecht werden, wenn es in steter Fühlung mit allen Regierungen ist. Abgesehen davon, dass es choquant wäre, einen Vorschlag einer Regierung ohne weiteres als unzeitgemäss zu eliminieren, kann auch erst dann ein Urteil gebildet werden über die Aussichten für einen möglichen Verhandlungsgegenstand, wenn sich alle Regierungen darüber haben grundsätzlich aussprechen können. Das ist aber erst möglich, wenn die eingegangenen Vorschläge den Regierungen zur Kenntnis gebracht sind. Das Vorbereitungskomitee hat demnach zuerst die Vorschläge einzusammeln, sie den Regierungen zum Zweck einer grundsätzlichen Stellungnahme vorzulegen und sodann auf Grund dieses Meinungsaustausches das Programm aufzustellen. Aus den zunächst von den Regierungen eingehenden vereinzelten Anträgen – manche werden vielleicht keinerlei Vorschläge machen – lassen sich keine Grundlagen für ein erfolgversprechendes Konferenzprogramm gewinnen.
b) Das in dieser Weise von dem Vorbereitungskomitee aufgestellte Programm ist zur formellen Genehmigung noch den Regierungen zu unterbreiten, da sie nach der Recommandation das Programm definitiv feststellen. Die praktisch wichtige Frage ist dabei die, welche rechtliche Bedeutung dem von dem Komitee aufgestellten und von den Regierungen gebilligten Programme zukommen soll. Einen wirklichen Nutzen und eine Sicherung gegen die Übelstände von 1907 kann nur dann von der Vorbereitung des Programmes erwartet werden, wenn letzteres in dem Sinne verbindlich ist, dass keine neuen Verhandlungsgegenstände eingeführt werden dürfen. Nur dann können die Verhandlungen der Konferenz sich auf Materien beschränken, für welche die Delegationen gehörig instruiert werden können und nur dann wird Zeitverlust durch Studium neuer Entwürfe und die Ungewissheit über die endgültigen Aussichten einer von der Konferenz gutgeheissenen Konvention vermieden. Selbstverständlich werden während der Konferenz noch neue Anträge gestellt werden können, aber diese sollen sich in der Hauptsache als blosse Ammendements zu den mit dem Programm den Regierungen bekannt gegebenen Hauptanträgen darstellen.
Wenn man diese – wohl notwendige – Konsequenz aus der Aufstellung und Genehmigung eines Konferenzprogrammes zieht, muss man sich allerdings auch vergegenwärtigen, dass die Gefahr einer Verengung der Wirksamkeit der Konferenzen entsteht. Ist der Vorbereitungsausschuss ängstlich und skeptisch – was leicht der Fall sein kann –, so wird er von vorneherein alle Materien ausscheiden, die nicht leicht geregelt werden können und nachher kann dann nicht mehr – wie 1899 und 1907 – eine neue Idee vor die Versammlung gebracht werden. Man läuft dann Gefahr, von dem Extrem eines kühnen Radikalismus in das andere eines lähmenden Skeptizismus zu verfallen. Das Vorbereitungskomitee sollte deshalb dahin instruiert werden, bei der Entscheidung über die Aufnahme einer Materie ins Konferenzprogramm sich nicht allzugrosse Reserve aufzuerlegen. Schliesslich kann auch die Konferenz eine Materie als vorläufig ungeeignet ausscheiden. Als Korrektiv gegen die hier geschilderte Gefahr könnte auch vorgesehen werden, dass über Materien, über welche ein Vertragsabschluss vorderhand nicht zu erwarten steht, doch ein Gedankenaustausch zu Handen einer späteren Konferenz unter den Delegationen stattfinden könnte. Immerhin wäre dies die Ausnahme, der Abschluss von Konventionen muss die Hauptsache bleiben.
Da die II. Konferenz eine ganze Reihe von Traktanden unerledigt gelassen hat, die voraussichtlich auf der III. Konferenz wieder aufgenommen werden, können sich die Regierungen auf Grund der Verhandlungen von 1907 ein ziemlich zuverlässiges Bild von den voraussichtlich wieder in Vorschlag kommenden Lösungen machen und zu diesen im voraus Stellung nehmen. Die Arbeit der II. Konferenz ist keineswegs verloren für die folgende; sie ist vielmehr der Diskussion einer parlamentarischen Eintretensdebatte vergleichbar. Es sollte also möglich sein, rasch zu den Hauptfragen Stellung zu nehmen, um alsbald der Detailausgestaltung der angenommenen Grundsätze sich zuzuwenden. Die Debatten der II. Konferenz litten an einer verwirrenden Vermengung von allgemeinen Grundsätzen und technischen Details.
3. Vorbereitung der Traktanden. Soll das Vorbereitungskomitee (abgesehen von den organisatorischen Fragen) sich auf die Aufstellung einer Traktandenliste beschränken oder eine weitergehende Vorbereitung der Geschäfte durchführen? Nach dem Wortlaut der Recommandation ist letztere29 nicht anzunehmen und es sprechen auch gute Gründe für eine Beschränkung der Befugnisse des Komitees.
Die britische Regierung hat die Londoner Konferenz in der Weise vorbereitet, dass sie zunächst ein ganz allgemeines, summarisches Programm aufstellte, aus den von den Konferenzstaaten eingereichten Denkschriften Auszüge herstellte und die30 von allen oder den meisten Staaten anerkannten oder eine sententia media darstellenden seerechtlichen Grundsätze zu sogenannten Leitsätzen (base de discussion) zusammenfasste.
Ein solches Vorgehen ist sehr zweckmässig; es eignet sich aber hauptsächlich für Beratungen wie diejenigen der Londoner Konferenz, bei denen es sich darum handelte, als bestehend anerkanntes Recht zu formulieren. Bei den Friedenskonferenzen indessen kommen grossenteils Vorschläge für neues Recht in Betracht und es beschränken sich die Gegensätze in den Standpunkten nicht auf spezielle Fragen, sondern es stehen sich selbständige Entwürfe gegenüber. Immerhin ist auch da zumteil eine Zusammenfassung der Anträge wohl möglich. Auf der II. Konferenz wurde die Schiedsgerichtskommission mit zumteil sehr ähnlichen Formulierungen ganzer Verträge von vielen Paragraphen überhäuft, über welche die wenigsten Teilnehmer eine Übersicht besassen. In solchen Fällen wäre es zweckmässig, den Inhalt der Verträge systematisch zu zergliedern und sachlich zusammengehörendes in eine bezw. mehrere Diskussionsthesen zu vereinigen. Die Fragen des Obligatoriums, der Interessenklausel, der Rechtskraft etc. bei den auf das Schiedsgericht bezüglichen Anträgen sollten zuerst allgemein und nicht im Zusammenhang mit einem einzelnen in Vorschlag gebrachten Artikel diskutiert werden. Die eigentliche Formgebung kann doch immer nur in einem kleineren Kollegium erfolgen.
Wenn die Tätigkeit des Vorbereitungskomitees auch nicht in einem blossen äusserlichen Sammeln von Anträgen bestehen soll, so darf ihm doch auch nicht eine materielle Behandlung derselben gestattet sein; insbesondere dann nicht, wenn die Organisation des Ausschusses nicht die Gleichheit der Staaten respektiert. Eine weitgehende Vorbereitung der Traktanden würde die Bedeutung der Tätigkeit der Konferenz zu sehr herabdrücken; sie ist auch nicht nötig, wenn die Regierungen in den Stand gesetzt sind, das definitive Programm mit seinen Hauptanträgen zeitig genug kennen zu lernen und ihre Delegationen eingehend zu instruieren.
Die Verworrenheit und Unfruchtbarkeit der Diskussionen von 1907 war allerdings auch dadurch mit verschuldet, dass viele Delegierte eine sehr unklare Vorstellung von den aufgeworfenen juristischen Problemen hatten, ein Umstand, der zumteil dadurch verursacht war, dass manche Fragen (wie z. B. die Rechtskraft von Schiedssprüchen) noch nie gründlich studiert worden waren. Der gewaltige Aufschwung, den seit 1899 und 1907 die Völkerrechtswissenschaft gerade auf den für die Friedenskonferenzen wichtigen Gebieten genommen hat, sollte auch für die praktischen Aufgaben einer nächsten Konferenz seine Früchte tragen.
Zu den Aufgaben des Vorbereitungskomitees gehört es auch, den Regierungen Vorschläge über Organisation und Verfahren der Konferenz zu machen.
A. Für die Organisation kommen namentlich folgende Punkte in Betracht: Kreis der einzuladenden Staaten, Initiative zum Zusammentritt, Wahl des Ortes und Zeitpunktes (Periodizität), Vorsitz, Bildung der Kommissionen.
1. Nachdem 1907 alle südamerikanischen Staaten und auch die nominell unabhängigen Staaten Asiens, die 1899 noch nicht an der Konferenz teilgenommen hatten, geladen worden waren, wird es kaum möglich sein, den Kreis wieder enger zu ziehen. Die Vereinigten Staaten würden eine solche speziell gegen das lateinische Amerika gerichtete Massregel nicht zugeben können und es würden auch diejenigen Kreise, welche die Bedeutung der Friedenskonferenzen gerade in der «Mondialität» erblicken, sich dagegen auflehnen. Solange die Initiative ganz von Russland ausging, konnte dieser Staat einladen, wen er wollte; nachdem die Institution international werden soll, ist gar nicht einzusehen, wie der Kreis der Eingeladenen anders als im Sinne der Zulassung aller bestimmt werden könnte. Jede Beschränkung führte dazu, die Konferenzen zu Grossmächtekonferenzen zu machen, zu denen nach Belieben der Mächte eine grössere oder kleinere Zahl von Mittel- und Kleinstaaten zugelassen würden, wie 1908 in London.
Eine Einschränkung der Teilnehmerzahl liesse sich – in Anlehnung an die Praxis von 1907 – dadurch erreichen, dass Staaten, welche keine Konventionen von 1907 ratifiziert haben, überhaupt nicht eingeladen und zu den Beratungen über die Revision einer bestehenden Konvention nur deren Kontrahenten zugelassen würden.
Soweit es sich um Materien handelt, die nur eine beschränkte Zahl von Staaten interessieren, oder bei welchen die Erzielung positiver Vertragsresultate nur bei einer Behandlung in einem engen Kreise möglich erscheint, sind die Sonderkonferenzen geeignete Organe. Eine Monopolisierung der Völkerrechtsbildung durch die Friedenskonferenzen ist für absehbare Zeit wohl undenkbar. Wichtig ist nur für die kleineren Staaten, dass nicht die Grossmächte, nach dem Vorgang von England 1908, in Konferenzen unter sich die wichtigsten Materien von allgemeinem Interesse regeln und die übrigen Staaten vor ein fait accompli stellen.
2. In Bezug auf die Berufung der Konferenz handelt es sich vor allem darum, ob Russland eine dauernde Präsidialstellung haben soll. Dass es diese Absicht hat, scheint sicher zu sein. Als 1904/5 die Vereinigten Staaten die Initiative für eine II. Friedenskonferenz ergriffen, zog Russland die Angelegenheit solange hinaus, bis es nach dem Frieden von Portsmouth die Sache31 selber in die Hände nehmen konnte. Betreffend die eigentümlichen Vorgänge vor und während der Plenarversammlung vom 21. September 1907, durch welche die Vorzugsstellung Russlands und der Niederlande sozusagen durch die II. Konferenz anerkannt wurde, sei auf den Bericht der schweizerischen Delegation S. 153 f. verwiesen.32 Die Erwähnung des Präsidenten Roosevelt als ursprünglichen Initiator der Konferenz ist nur auf sehr energisches Verlangen der amerikanischen Delegation in die Schlussakte vom 18. Oktober 1907 aufgenommen worden und in diesem Jahr hat Russland sofort Verhandlungen mit den Niederlanden eingeleitet, als der amerikanische Vorschlag vom Februar 1914 betreffend die Betrauung des Conseil Administratif mit den Vorbereitungsarbeiten erfolgt war.
In Amerika ist die Abneigung gegen die Präponderanz Russlands auf diesem Gebiete nicht verschwunden (vgl. Protokolle der Lake Mohonk Conference von 1912, S. 129 ff.). Es ist aber sehr fraglich, ob es möglich sein wird, ohne die ganze Institution zu gefährden, die Organisation der Konferenz strikt international zu gestalten. Vom schweizerischen Standpunkt aus wäre jedenfalls die letztere Lösung zu begrüssen. Der Conseil Administratif wäre – wenn er überhaupt mit den Friedenskonferenzen in organischen Zusammenhang gebracht werden soll – auch geeignet, den Regierungen die Einberufung einer neuen Konferenz vorzuschlagen. Auch wenn eine Periodizität festgesetzt würde, kann es sich nie um eine strikte Durchführung dieser handeln. Der Zeitpunkt muss gewählt werden mit Rücksicht auf die allgemeine politische Lage, den Stand der Ratifikationen, der Beschlüsse der vorgehenden Konferenz und der Möglichkeit, neue Materien durch allgemeine Verträge zu ordnen.
3. Über die Vorzugsstellung der Niederlande mit Bezug auf den Sitz der Konferenz ist schon oben S. 9 f. die Rede gewesen. Es kann sich jedenfalls nur noch um eine formelle Domizilierung der Konferenz im Haag oder um ein Beibehalten des jetzigen Zustandes, nicht aber um eine Verlegung an einen andern Ort handeln.
4. Auf Drängen der amerikanischen Delegation ist in der Schlussakte von 1907 den Regierungen die Wiedereinberufung einer Konferenz für die Zeit nach Ablauf einer ungefähr gleichen Zahl von Jahren, wie sie zwischen den beiden ersten Konferenzen verflossen sind, empfohlen worden. Man hat deshalb in den Kreisen der Pazifisten die III. Konferenz auf 1915 erwartet und die Friedensgesellschaften machen für einen baldigen Zusammentritt der Konferenz Propaganda.
Eine Reihe von einsichtigen Personen, welche sich zur Sache geäussert haben, warnten vor einer Überstürzung. Solange nichts reif ist für die Ernte, führt eine Konferenz nur zu einem Misserfolg und zur Schädigung der Interessen, denen sie dienen soll. Die Stellungnahme zur Frage des Zeitpunktes ist allerdings bedingt durch die Auffassung vom Wesen und Zweck der Konferenzen. Wenn diese lediglich eine moralische Autorität als Manifestationen der rechtlichen Organisation der Staatengesellschaft besitzen und mehr nur die Zielpunkte der Völkerrechtsentwicklung markieren sollen (Staatssekretär Root in der Vorrede zur Ausgabe der Haager Konventionen (Ginn & Co, Boston 1908)), so wird man weniger Bedenken haben, eine Konferenz schon nach einer kürzeren Reihe von Jahren einzuberufen und sich um die Aussichten auf greifbare Resultate weniger Sorge machen. M. E. ist aber eine diplomatische Konferenz nicht ein Sprechsaal zur Erörterung und Verkündung von Rechtsideen und es würde auch sehr bald ein Mangel an neuen, weite Kreise interessierenden Aufgaben – wie sie die Organisation des Schiedsgerichtswesens darstellt – sich geltend machen. Die Konferenzen sind vielmehr dazu da, das Brauchbare und im gegebenen Zeitpunkt Realisierbare aus den von dem Internationalismus und der Wissenschaft gemachten Anregungen auszuwählen und die Staatenpraxis in fortschrittlichem Sinne aus unsicherer Übung in klares Vertragsrecht hinüberzuleiten.
Der in der Recommandation vorgesehene Zeitraum von zwei Jahren zwischen der Bildung des Vorbereitungskomitees und dem Zusammentritt der Konferenz ist zu kurz. Wenn das Programm in der oben skizzierten Weise vorbereitet werden und die Regierungen genügend Zeit zum Studium der definitiv auf die Traktandenliste genommenen Geschäfte haben sollen und der Ausschuss auch noch Vorschläge über Organisation und Verfahren der Konferenz machen und auch darüber wieder ein Meinungsaustausch unter den Regierungen stattfinden muss, so sind 2 Jahre zu wenig. Später – wenn die Organisation einmal besteht – mag diese Frist genügen.
5. Eine sehr heikle Angelegenheit ist die Leitung der Konferenz und die Bildung der Kommissionen u. Ausschüsse. Diplomatischem Usus gemäss leitet der erste Vertreter desjenigen Staates, der die Konferenz einlädt und regelmässig bei sich empfängt, dieselbe. Die Präsidialstellung hängt also aufs engste mit dem Initiativrecht zusammen und eben deshalb ist die russische Initiative angefochten worden. Dem Präsidium der Konferenz kommt übrigens keine sehr grosse praktische Bedeutung zu, wenn es nicht mehr wie früher einen ausschlaggebenden Einfluss auf die Bestimmung der Kommissionspräsidenten hat.
1899 und 1907 bezeichnete der (russische) Präsident der Konferenz die verschiedenen Vizepräsidenten (diese ohne effektive Funktionen), die Präsidenten der Kommissionen, das Generalsekretariat und das Comité de rédaction de l’acte Final, dem auch die Bereinigung aller Texte oblag. In entsprechender Weise erfolgten die Nominationen der Vorsitzenden und der Mitglieder der Subkommissionen und deren Berichterstatter. Allerdings ging jeweilen der Ernennung eine formlose Besprechung mit einzelnen einflussreichen Delegierten und pro forma ein Vorschlag an das Plenum, bezw. die Kommission voraus; die stillschweigende Genehmigung der Präsidialvorschläge war eine gegebene Sache. Es ist klar, dass dieser Modus keinerlei Garantie für eine streng sachliche Behandlung der Ernennungen bürgt und es sind in der Tat auch 1907 einzelne Personen mit Rücksicht auf ihre Eigenschaft als Vertreter von Grossmächten in Stellungen berufen worden, denen sie – zum Schaden der Sache – keineswegs gewachsen waren.
Die Ersetzung dieses mangelhaften Verfahrens durch ein besseres bietet aber beträchtliche Schwierigkeiten, da die Berücksichtigung der Vertreter der einflussreichsten Staaten nicht wohl zu umgehen ist und zudem Personenfragen auf solchen Konferenzen eine bedeutende Rolle spielen. Wenn man sich über diese Bedenken hinwegsetzen will, so erscheint als der einzig gangbare Weg die Wahl der Organe der Konferenz. Sie dieser selbst zu überlassen ist unzweckmässig, da zu Beginn der Konferenz die Teilnehmer sich nicht kennen und die Wahlen entweder zufällige werden oder dann nach politischen Rücksichten erfolgen und deshalb sofort zu Verstimmungen führen könnten. Auch hier wäre der Conseil Administratif das geeignetste Organ, da er als kleines Kollegium von im persönlichen Kontakt stehenden Diplomaten am ehesten in der Lage wäre, die politischen und die sachlichen Rücksichten mit einander in Einklang zu bringen. Damit eine Wahl der Hauptfunktionäre der Konferenz durch den Conseil Administratif erfolgen könnte, müssten die Regierungen die Namen ihrer Delegierten zeitig genug bekannt geben. Eine Schwierigkeit liegt aber in dem Umstande, dass bei einer Wahl unter Umständen ein anderes Mitglied einer Delegation gewählt wird als dasjenige, welche die betreffende Regierung berücksichtigt zu sehen wünscht. Es müsste deshalb wohl für jede Wahl noch die Zustimmung der Regierung des Gewählten vorbehalten bleiben.
Die hohe Bedeutung der kleinen Ausschüsse geht daraus deutlich hervor, dass selbst auf der Londoner Konferenz, an der nur wenige Staaten beteiligt waren, sich ebenfalls die Notwendigkeit herausstellte, fast alle Arbeit in kleinen Komitees zu leisten. Die Plenarversammlungen hatten auch dort keinen deliberativen Charakter und selbst die Kommissionssitzungen dienten nur zur Entgegennahme, Annahme oder Rückweisung der Berichte der Komitee-Referenten (vgl. Hold v. Ferneck, 1. c. S. 18 ff.). Damit nun nicht durch die Einrichtung dieser Kommissionen der grösste Teil der Delegierten kaltgestellt werde, sollten die Geschäfte, soweit eine Teilung möglich ist, auf eine grössere Zahl von Ausschüssen verteilt werden. Es könnte dadurch die Intensität der Arbeit beträchtlich erhöht werden. Die Ausschüsse der II. Friedenskonferenz waren zumteil so überlastet, dass ihre Arbeiten langsam vorwärtsgingen und auch nicht immer mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt wurden. Das Vorbereitungskomitee wäre, wenn einmal die definitive Traktandenliste festgestellt ist, wohl in der Lage, die Verhandlungsgegenstände auf die zu bildenden Ausschüsse zu verteilen.
B. Das Verfahren erfordert eine Untersuchung namentlich nach folgenden Punkten: Stimmrecht und Beschlussfassung. Relativ untergeordneter Art sind die auf die Konferenzsprache, die Geschäftsverteilung, die formelle Behandlung der Anträge, die Protokolle etc. bezüglichen Fragen. Eine eingehende Reglementierung des Verfahrens ist für einen diplomatischen Kongress, bei dem eine eigentlich bindende Beschlussfassung nicht möglich ist, sondern im Grund alles freie Vertragsverhandlungen sind, unmöglich.
1. Was das Stimmrecht anbetrifft, so ist es von vorneherein klar, dass eine Abstufung des Stimmrechts nach der Bedeutung der Staaten indiskutabel ist. Jeder Staat, d. h. jede Delegation hat eine Stimme, die regelmässig von dem ersten Delegierten geführt wird. Eine Abstimmung nach Staaten erscheint aber nur zulässig bei Kollegien, in denen sich alle Staaten vertreten lassen können, wie in den Kommissionen und Subkommissionen der II. Friedenskonferenz. In den Comités d’examen, in denen nur einzelne Delegationen vertreten sein können, hat die Stimmabgabe einen persönlichen Charakter, wenn auch materiell ein Votum der Delegation vorliegt, dem das betreffende Mitglied angehört.
Die Frage der Kumulation von Stimmen für einen einzelnen Staat könnte sich aber dennoch in einer Form stellen, in welcher die Entscheidung nicht von vorneherein gegeben ist. Schon länger ist es gebräuchlich in gewissen – speziell wirtschaftlichen – Staatsverträgen den Nebenländern und Kolonien eine Sonderstellung einzuräumen in der Weise, dass das Stammland für diese Gebiete besonders beitreten oder zurücktreten kann. In einzelnen Fällen wie beim Weltpostverein, der Radiotelegraphenunion und einigen andern Verträgen erscheinen nicht nur Staaten (Puissances, États), sondern unselbständige Länder (pays) als Vertragsparteien und führen demnach eine eigene Stimme. Allerdings kann der Vertrag selbst, der den «Ländern» diese Rechte einräumt, nur von Staaten abgeschlossen werden, welche eine selbständige Stellung im internationalen Verkehr33 haben.
Nun hat die britische Imperial Conference von 1911 eine Resolution gefasst dahin gehend, dass die «Dominions» (Canada, Australien, Südafrika und Neuseeland) vor Erteilung der Instruktionen an die britischen Delegierten zu den Friedenskonferenzen sowie vor Ratifizierung der Konventionen34 sollten befragt werden. Es ist sogar sehr wohl möglich, dass Kolonialvertreter in die britische Delegation aufgenommen werden. Von da ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zur Forderung, dass die Dominions eine eigene Stimme führen wollen. Wenn die Frage einmal aufgerollt ist, so ist sie in ihren Konsequenzen schwer übersehbar. Wo ist die Grenze zu ziehen zwischen staatsartigen Nebenländern und Kolonien? Welche Stellung haben Glieder von Bundesstaaten und Realunionen?
Die prinzipiell richtige und bisher befolgte Regel ist die, dass im internationalen Verkehr als Einheit betrachtet wird, was eine selbständige Verfügungsbefugnis über die international zu ordnende Materie besitzt. Diese Befugnis besitzt im allgemeinen nur der souveräne Staat, in Bundesstaaten der Bund.
Die von den Friedenskonferenzen behandelten Materien gehören, weil in die hohe Politik einschlagend, zu denjenigen Gebieten des Staatslebens, in welchen eine autonome Sonderstellung einzelner Staatsteile unmöglich ist. Vor allem können die kriegs- und neutralitätsrechtlichen Abkommen nur einheitlich gelten für das Gemeinwesen, dessen Organe über Krieg und Frieden entscheiden. Würde z. B. Grossbritannien seinen Dominions gestatten, den von ihm abgeschlossenen Verträgen, z. B. über Handhabung der Neutralität nicht beizutreten, so würde eine ganz unhaltbare Situation eintreten, d. h. die Kriegführenden, bezw. bei kriegsrechtlichen Verträgen der Gegner, würden unter Berufung auf die allen diesen Verträgen angefügte Reziprozitätsklausel die Verbindlichkeit der Konvention nicht mehr anerkennen, denn was militärisch einheitlich ist, muss es auch rechtlich sein.
Eine Sonderstellung einzelner Staatsteile in Bezug auf Schiedsgerichtsabkommen ist ebenfalls nur soweit möglich, als nicht nur eine innere Selbstverwaltung, sondern auch ein eigener internationaler Verkehr besteht.
Die Zulassung von selbständigen Kolonien zu den Friedenskonferenzen bezw. deren besondere Berücksichtigung hinsichtlich der Geltung der Abkommen wäre jedenfalls geeignet, die Schwierigkeiten die beim Abschluss von Verträgen sowieso vorhanden sind, noch bedeutend zu vermehren. Eine befriedigende Lösung der um den Grundsatz der Staatengleichheit sich gruppierenden Schwierigkeiten würde auf diese Weise auch nicht herbeigeführt, da die Zahl der Stimmen, die einer Ländergruppe zukäme, von der innern staatsrechtlichen Struktur derselben abhinge. Über die Berechtigung eines Landes zur Konferenz zugelassen zu werden würden sich unfehlbar peinliche Streitigkeiten erheben (vgl. über diese Fragen Myers, Representation in public international organs in American Journal of International Law VIII. S. 81 ff.).
2. Eine zweite wichtige Frage betrifft die Beschlussfassung, speziell das Anwendungsgebiet des Mehrheitsprinzips gegenüber demjenigen der Einstimmigkeit oder annähernden Einstimmigkeit. Mit diesen Fragen hängt aufs engste zusammen die Möglichkeit der Zustimmung unter Vorbehalt (réserve).
a. Normalerweise kann für Abstimmungen nur die Mehrheit in Betracht kommen. So wurde es auch 1899 und 1907 bei allen Abstimmungen gehalten. Das Erfordernis der Einstimmigkeit beim Vertragsschluss besteht nur da, wo es sich um die Regelung konkreter Rechte, nicht aber – wie auf den Friedenskonferenzen – nur die Aufstellung abstrakter Rechtsregeln.35 Auch für die Vertragsrevision genügen Mehrheitsbeschlüsse, sofern der alte und der revidierte neue Vertrag neben einander bestehen können (so die Konventionen von 1899 und 1907 über die friedliche Erledigung von Streitigkeiten36 und die Gebräuche des Landkriegs37 u. a.). Nur bei der Revision organisatorischer Bestimmungen können in der Regel zwei Ordnungen nicht neben einander bestehen, und für die Abänderung der einschlägigen Vertragsbestimmungen wäre die Zustimmung aller bisherigen Kontrahenten erforderlich. Der Prisenhof, der eine feste Zusammensetzung hat, kann z. B. nicht verschiedene Zuständigkeit für verschiedene Staaten besitzen; der amerikanische Vorschlag (Zirkularnote von Staatssekretär Knox 18. Oktober 1909),38 diesem Gerichtshof die Funktionen der Cour de justice arbitrale zu übertragen, ist unausführbar, da man die Richter derjenigen Staaten, welche diese letztere Einrichtung ablehnen, nicht zwingen kann in Sachen mitzuentscheiden, für welche sie nicht ernannt worden sind. Nur solche Organisationen, die wie der Conseil Administratif eine gleichmässige und gleichzeitige Beteiligung aller Staaten aufweisen, lassen zu, dass sie bald mit dieser, bald mit jener Besetzung, je nach dem Kreis der an einem Abkommen beteiligten Staaten, funktionieren.
Das Einstimmigkeitserfordernis kann allenfalls in Betracht kommen in folgenden Fällen:
1. Zulassung von Staaten zur Konferenz,
2. Aufnahme eines Gegenstandes in das Konferenzprogramm,
3. Aufnahme eines Mehrheitsbeschlusses in die Schlussakte.
Anlässlich der I. Friedenskonferenz erfolgte ein Widerspruch Italiens gegen die Zulassung des H. Stuhls und Grossbritanniens gegen diejenige der Transvaal-Republik. Da zwei Grossmächte, deren Fernbleiben die Konferenz in Frage gestellt hätte, Einsprache erhoben hatten, beharrte weder die russische noch sonst eine der geladenen Regierungen auf der Zulassung des Papstes und der Transvaalstaaten. Ein Recht auf peremptorische Inhibition gegen die Beteiligung eines Staates entbehrt jeder Grundlage, da ein geschlossener Staatenverband für die Konferenzen nicht besteht. 1907 wurden grundsätzlich alle Staaten (mit Ausnahme von Abessynien und einigen Zwergstaaten) zugelassen. Aktuell kann die Frage der Konferenzfähigkeit eines Staates nur da werden, wo es sich um Staatsgebilde handelt, die nicht allseitig anerkannt sind. Da aber die völkerrechtliche Anerkennung auf Erklärungen oder konkludenten Handlungen einzelner Staaten, nicht auf Kollektivakt zu beruhen pflegt, muss es auch jedem Staat freistehen – aber nur dies – von einer Konferenz fernzubleiben, an der von ihm nicht anerkannte Staaten erscheinen. Es bleibt dann eine Frage der politischen Macht, ob eine solche negative Haltung zur Vereitelung der Konferenz oder zum Rücktritt des beanstandeten Staates führen kann.
Bei der Feststellung des Programms der II. Konferenz zeigte sich ein Gegensatz namentlich zwischen England, das die Rüstungsfrage behandelt wissen wollte, und Deutschland, das sich streng ablehnend verhielt. Es ist nicht zu einem prinzipiellen Entscheid über die hier zu Grunde liegende Rechtsfrage gekommen, da Deutschland sich mit der Erklärung begnügte, von Verhandlungen fern zu bleiben, welche keine Aussicht für positive Resultate böten. M. E. sind auch hier – und zwar mit noch mehr Recht – die Gründe ausschlaggebend, welche in Bezug auf die Zulassung von Staaten eine peremptorische Einsprache ausschliessen.
Dagegen hat 1907 die deutsche Delegation, bei der Behandlung der Anträge über obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit, die Frage der Ausschliessung eines Mehrheitsbeschlusses von der Schlussakte durch Einsprache einer Minderheit aufgeworfen und ihren Standpunkt auch durchgesetzt. Dass die Mehrheit, welche damals die Ausscheidung der von ihr gutgeheissenen Bestimmungen über obligatorische Schiedsgerichte aus der revidierten Konvention betreffend Erledigung von Streitigkeiten (Art. 16 ff.)39 und damit aus der in die Schlussakte aufzunehmenden Konferenzbeschlüsse zuliess, hiedurch den deutschen Standpunkt generell gutgeheissen habe, ist allerdings nicht anzunehmen; die amerikanische Delegation hat vielmehr scharf protestiert. Grundsätzlicher Widerspruch gegen eine von der Konferenz oder einer Kommission mehrheitlich angenommene Vorlage ist auch von anderer Seite erfolgt; so hat die Schweiz gegen die sogenannte Porterkonvention (Abkommen II von 1907)40 und gegen das «vœu» betreffend die Cour de justice arbitrale41 prinzipiell opponiert; ebenso legten eine sehr grosse Zahl von Staaten Verwahrung ein gegen Art. 15 der Prisenhofkonvention wegen der darin enthaltenen Verletzung der Gleichheit der Staaten. Es war nur das Deutsche Reich, welches sowohl 1899 als 1907, in letzterem Jahr durch Österreich unterstützt, seiner negativen Haltung die schroffe Form des Verlangens völliger Ausschliessung eines Mehrheitsbeschlusses gab. Dieses liberum Veto ist eine Übersteigerung des Souveränitätsprinzips und kann nur von einer Grossmacht mit Aussicht auf Erfolg geltend gemacht werden. Es ist also kaum geeignet, die kleineren Staaten gegen eine in der Richtung der Oligarchie der Grossmächte gerichtete Entwicklung des Völkerrechts zu schützen; die Anwendung des Grundsatzes würde auch zu absurden Konsequenzen führen.
Vereinzelt ist auf der Konferenz die Idee aufgetaucht, dass eine quasi-unanimité genüge, um einen Beschluss, auch gegen den Einspruch einzelner Staaten, als Konferenzbeschluss zu charakterisieren. Dieser Begriff ist aber vag und unbrauchbar. Es wäre geradezu bedenklich, wenn die Konferenz dazukäme zu entscheiden, ob eine Minderheit unbedeutend genug (nach Zahl oder politischem Gewicht?) sei, um ignoriert werden zu können. Eine Majorität kann wohl ihren Beschluss in Anbetracht einer widerwilligen42 Minderheit fallen lassen, sie kann aber eine Minderheit nicht formell auslöschen. Es bleibt somit für das Recht nicht als der Grundsatz der Mehrheit (allenfalls eine arithmetisch qualifizierte Mehrheit).
Die Stellungnahme des Deutschen Reichs ist wohl zumteil durch persönliche Momente zu erklären; als sachliche Gründe wurden angegeben einmal, dass durch Annahme unzweckmässiger Verträge die Rechtsentwicklung für die Zukunft verpfuscht werde und dass ohne die Möglichkeit, Majoritätsbeschlüsse zu eliminieren, die Majoritäten keine Veranlassung hätten zu Transaktionen Hand zu bieten, welche dem Standpunkt der Minoritäten gerecht werden. Dieses letztere Argument trifft da zu, wo über erworbene Rechte verfügt wird; hier ist Einstimmigkeit durch das Wesen des Völkerrechts gefordert und nur in aussergewöhnlichen Situationen (z. B. auf dem Wiener Kongress) beseitigt worden. Wo aber Rechtsregeln vereinbart werden, die keinerlei Anspruch auf Verbindlichkeit für nicht zustimmende Staaten beanspruchen, da können letztere ein Interesse an der peremptorischen Wirkung ihres Einspruchs nur unter dem Gesichtspunkt haben, dass, was einmal als Konferenzbeschluss aufgenommen ist, Aussicht hat, sich nach und nach auch den ursprünglich dissentierenden Staaten aufzudrängen (z. B. Stellung der Schweiz zur Konvention über die Gebräuche des Landkrieges vom 29. Juli 189943). Die Geschichte des Völkerrechts beweist die Richtigkeit dieser Auffassung; indessen ist anderseits zu berücksichtigen, dass niemand verhindern kann, dass nach und ausserhalb einer Konferenz die an einer bestimmten Regelung interessierten Staaten unter sich verwirklichen können, was sie auf der Konferenz nicht erreichen konnten (z. B. die Einberufung der Londoner Konferenz durch Grossbritannien 1908). Anderseits können völkerrechtliche Grundsätze – mögen sie noch so feierlich in einer Konferenzakte ausgesprochen sein – sich nicht in der Praxis durchsetzen, wenn sie nicht aus den wirklichen Bedürfnissen des Staatenlebens herausgewachen sind und stehen für die dissentierenden Staaten dann als völlig harmlos auf dem Papier. Auf der Londoner Seerechtskonferenz wurde der Grundsatz der Einstimmigkeit in der Weise durchgeführt, dass nur solche Bestimmungen, welche von allen 8 Konferenzmächten gutgeheissen wurden, in die Deklaration aufgenommen wurden. Hier lagen aber ganz besondere Verhältnisse vor: einmal waren nur acht Staaten beteiligt und deshalb die Einstimmigkeit möglich; sodann handelte es sich darum, mit England zu einer Verständigung zu kommen, die es diesem Staate möglich machen sollte, die Prisenhofkonvention anzunehmen. Die Errichtung dieses Gerichtshofs schien das erreichbare und wertvolle Ziel der Konferenz zu sein und deshalb war auf die Erreichung der Einstimmigkeit ein Preis von Bedeutung gesetzt. Übrigens hat – was zwar aus den Konferenzprotokollen nicht ersichtlich ist – (vgl. American Society of International Law, Proceedings III. S. 253), auch hier die Frage Schwierigkeiten bereitet, in welchem Zeitpunkt das Veto angemeldet werden muss: in der Kommissionsbehandlung über die spezielle Frage oder bei der Plenarabstimmung. Das Deutsche Reich hat 1907 erst inhibiert bei der Globalabstimmung in der Kommission, jedoch vor der Plenarversammlung der Konferenz.
Aus der Literatur über die Abstimmungen auf den Friedenskonferenzen vgl. Huber, im Jahrbuch des öffentlichen Rechts II, S. 475 ff., Oppenheim, Zukunft des Völkerrechts S. 169, Schücking 1. c. S. 203 ff.
b. Etwas wesentlich anderes als die Durchführung des Majoritätsprinzips ist es, wenn diejenigen Staaten, die mit ihrem Standpunkt nicht durchdringen, auf der Konferenz – wenn auch nicht in den offiziellen Verhandlungen dieser – sozusagen eine Sonderkonferenz organisieren, um dort ihre Beschlüsse zur Annahme zu bringen. 1907 machte die britische Delegation den Versuch, ihren Antrag betr. Beseitigung des Konterbandebegriffs in einer Separatkonvention zu verwirklichen. Gegen den Antrag Grossbritanniens waren alle sonstigen wichtigeren Seemächte, dafür eine starke Mehrheit von für die aktive Seekriegsführung belanglosen Staaten. Man fand aber auch in den Delegationen dieser Staaten ein derartiges, praktisch übrigens zweckloses Vorgehen für «unfair» und liess die Angelegenheit auf sich beruhen. Letzten Endes muss auf einer diplomatischen Konferenz von den Mehrheiten erwartet werden, dass sie den politischen Takt haben, auf eine arithmetische Mehrheit sich nicht zu versteifen, wo die tatsächlichen Voraussetzungen für die Durchführung eines Beschlusses fehlen. Gerade nach dieser Richtung erscheint eine Verständigung unter den kleineren Staaten wünschenswert, wie anderseits auch hier die Gefahr der Zulassung der zahlreichen amerikanischen Staaten liegt.
Beide Systeme, Majorität und Einstimmigkeit, können zu missbräuchlicher Anwendung Anlass geben; die Gefahren für das Einvernehmen der Staaten sind indessen beim Einstimmigkeitsprinzip wohl grösser; dieses ist auch für die kleinen Staaten praktisch wertlos; das Majoritätssystem ist für sie ungefährlich und mit Rücksicht auf das Zahlenverhältnis zwischen Gross- und Kleinstaaten sogar vorteilhaft.
c. Ein Punkt endlich, welcher bei einer Ordnung des Verfahrens der Friedenskonferenzen berücksichtigt werden sollte, ist die Zulässigkeit von Vorbehalten (vgl. meine Abhandlung über Gemeinschaftsrecht und Sonderrecht in der Festschrift für Gierke, Weimar 1911). Während früher, noch auf der I. Friedenskonferenz, die Anbringung von Réserves etwas ganz Ausnahmsweises war, gab es 1907 kaum eine Abstimmung, bei der nicht Vorbehalte seitens der Zustimmenden gemacht wurden. Diese Vorbehalte figurieren in den Protokollen der Unterzeichnungen der Schlussakte und der Konventionen und zumteil auch in den Ratifikationen. Um diesem Brauch, der in sehr vielen Fällen ein Missbrauch ist, zu steuern, hat die Londoner Konferenz von 1908/09 in Art. 65 der Seerechtsdeklaration erklärt, dass diese eine unteilbare Einheit bilde.
Die Vorbehalte bezwecken gewöhnlich, die Anwendbarkeit einer Bestimmung für den Reservierenden auszuschalten oder von besonderen Bedingungen und Auslegungen abhängig zu machen. Vermöge des das ganze Völkerrecht beherrschenden Grundsatzes der Gegenseitigkeit wirkt ein Vorbehalt auch zu Gunsten der andern Kontrahenten im Verhältnis zum Reservierenden und bei den kriegsrechtlichen Verträgen hebt eine Reserve die betreffende Bestimmung unter allen Kriegführenden auf, sobald der Reservierende Kriegspartei ist.
Die Zulässigkeit solcher Vorbehalte ist für das Zustandekommen von papierenen Verträgen sehr vorteilhaft, Ablehnungen können in die Form scheinbarer Zustimmung gekleidet werden; sie ist aber für die Erreichung von allgemein verbindlichen Abkommen viel gefährlicher als die Ausschliessung des Veto der Minderheiten. Die Unzulässigkeit solcher Vorbehalte zu einzelnen Artikeln erhellt daraus, dass ein Vertrag zumeist ein organisches44 Ganzes ist oder das Resultat gegenseitiger Konzessionen und Kompromisse darstellt. Durch Ausschaltung einzelner Artikel bekommt ein Abkommen für die verschiedenen Signatäre ganz ungleiche Wirkung, die keineswegs durch die reziproke Geltung des Vorbehaltes ausgeglichen wird. Gegen die Anwendung von Reserves wendet sich auch der österreichisch-ungarische Delegierte zur Londoner Konferenz (1. c. S. 25) Hold v. Ferneck mit berechtigter Schärfe.
Vorbehalte sind zulässig, wo ein Staat kein anderes geeignetes Mittel hat, um seine abweichende Meinung kund zu tun. So hat die Schweiz 1907 die Schlussakte unter Vorbehalt unterzeichnet,45 weil – entgegen den Präzedentien von 1899 (Haag) und 1906 (Genf) – in dieser nicht kenntlich gemacht war, dass das Vœu betreffend die Cour de justice arbitrale nicht allgemein angenommen worden war. Auch der traditionelle Vorbehalt der Vereinigten Staaten betr. die Monroedoktrin und die Nichteinmischung und die von der Türkei geforderte analoge Zulassung des Roten Halbmondes neben dem Roten Kreuz werden wohl unvermeidlich sein. Indessen ist das etwas ganz anderes als das Herausreissen einzelner Artikel aus einem Vertragsganzen.
Die Probleme der Organisation der Konferenzen, der Majoritätsbeschlüsse, der Einstimmigkeit und der Vorbehalte und der Sonderkonventionen stehen in engem Zusammenhang.
Auszugehen ist von der Tatsache, dass ein für die Fortbildung des Völkerrechts wichtiger Vertrag – und nur solche gehören in das Arbeitsgebiet der Friedenskonferenzen – zur Voraussetzung hat, dass er von allen für das betreffende Rechtsgebiet wichtigen Staaten vorbehaltlos und, wenn möglich, rasch ratifiziert wird. Sobald der Kreis der in Betracht kommenden Staaten gross ist, ist die Herbeiführung der Einstimmigkeit in allen Punkten nicht zu erreichen. Es bleibt alsdann nur die Alternative: entweder – wie auf der Londoner Konferenz – diejenigen Punkte einfach ungeregelt zu lassen, für welche eine allseitig annehmbare Lösung nicht gefunden wird oder die Nichtratifikation derjenigen Staaten in Kauf zu nehmen, die lieber dem Abkommen ganz fernbleiben als es mit den mehrheitlich beschlossenen Bestimmungen anzunehmen. Die dritte denkbare Lösung, durch Zulassung von Vorbehalten, welche die Geltung einer Konvention personell und materiell teilweise durchbrechen, ist als im allgemeinen höchst unbefriedigend für die Regel abzulehnen. Welche Eventualität eher zu vermeiden ist: Lückenhaftigkeit eines allgemein anerkannten Vertrages oder Beschränkung des Kontrahentenkreises bei relativ erschöpfender Regelung der Materie, diese Frage lässt sich nicht generell beantworten. Im allgemeinen wird man aber sagen können, dass kriegsrechtliche Verträge vor allem eine universelle Geltung haben sollen und dass ihre Lückenhaftigkeit das geringere Übel wäre im Vergleich zur räumlichen Beschränkung ihres Geltungsgebietes. Hier ist weniger, aber gesichertes Recht besser als weitreichende, aber verklausulierte und in ihrer Anwendung bedingte Bestimmungen. Das hängt nicht nur mit der Reziprozitätsklausel der kriegsrechtlichen Verträge, sondern mit der Tatsache überhaupt zusammen, dass an einem Kriege – wenigstens in Bezug auf Neutralität – immer viele Staaten zugleich interessiert sind.
Anders ist es bei denjenigen Rechtsnormen, die regelmässig ihre konkrete Anwendung nur in individuellen Beziehungen von einem Staat zu einem andern finden. Ob ein Schiedsvertrag zwischen zwei oder zwischen 40 Staaten gilt, ist für die Brauchbarkeit des Vertrages im Falle eines Streitfalles zwischen den Kontrahenten meist ohne Bedeutung.46 Wichtig ist, dass der Vertrag das Verhältnis, das er regeln will, gut und womöglich restlos ordnet.
Der Gegensatz zwischen den beiden Arten von Materien deckt sich zumteil auch mit demjenigen zwischen Gebieten der internationalen Beziehungen, die wie das Kriegs- und Neutralitäsrecht unter allen Umständen irgend eine positive Ordnung erfordern und solchen, bei denen an Stelle absoluter Unabhängigkeit der Staaten durch Vertrag erst eine Bindung (z. B. Schiedsgerichtsbarkeit, Auslieferungspflicht, Kollisionsnormen für das interne Recht etc.) eingeführt werden soll. Ob es möglich ist, die Geschäftsordnung den verschiedenen Arten von Geschäften anzupassen, ist nicht leicht zu beurteilen.
In jedem Falle bleibt die Hauptsache der gute Wille zu positiven Resultaten und die Anerkennung der politischen Tatsachen, zu denen nicht nur die Machtunterschiede und der Umfang der in Frage stehenden Interessen gehören, sondern auch der Anspruch der kleineren Staaten, mit ihren besonderen Bedürfnissen und in ihrer rechtlichen Gleichwertigkeit mit den Grosstaaten respektiert zu werden. Fehlt es an diesen Elementen, so ist ein Zerbröckeln der universellen Konferenzen, speziell in solche der Grossmächte oder auch territorial zusammengehörender Staaten wohl unvermeidlich. Ein solches Ergebnis müsste aber auch eine ungünstige Rückwirkung auf die partikulären Rechtsbeziehungen haben, da auch diese letzten Endes ihre moralische Kraft aus der Anerkennung der Rechtsgemeinschaft aller Kulturstaaten ziehen.
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- CH-BAR#E2001A#1000/45#564* (B.231-3). Dieser Bericht wurde von Max Huber, Professor an der Universität Zürich, verfasst und richtete sich an das Politische Departement. Professor Huber wurde anstelle einer Kommission alleine mit den Vorbereitungsarbeiten für die schweizerische Teilnahme an einer III. Friedenskonferenz in Den Haag betraut, vgl. das BR-Prot. Nr. 4677 vom 26. September 1913, dodis.ch/43238.↩
- 2
- Für das Inhaltsverzeichnis vgl. das Faksimile dodis.ch/59568.↩
- 3
- Vgl. dazu die thematische Zusammenstellung Haager Friedenskonferenzen (1899 und 1907), dodis.ch/T1503.↩
- 4
- Handschriftliche Korrektur aus: die.↩
- 5
- Abkommen betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkriegs vom 18. Oktober 1907, dodis.ch/62340.↩
- 6
- Schlussakte der II. Haager Friedenskonferenz vom 18. Oktober 1907, dodis.ch/65095.↩
- 7
- Handschriftliche Korrektur aus: écoulé.↩
- 8
- Vgl. dazu den Bericht des ehemaligen schweizerischen Delegierten an der II. internationalen Friedenskonferenz in Den Haag, Eugène Borel, an das Politische Departement vom 22. April 1913, QdD 13, Dok. 44, dodis.ch/59563. ↩
- 9
- Handschriftliche Korrektur aus: ausländische.↩
- 10
- Handschriftliche Korrektur aus: beschlossen und. ↩
- 11
- Gaston Carlin.↩
- 12
- Übereinkommen über die pazifische Beilegung internationaler Streitigkeiten vom 29. Juli 1899, dodis.ch/8394.↩
- 13
- Abkommen über die friedliche Erledigung internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907, dodis.ch/8405.↩
- 14
- QdD 13, Dok. 35, dodis.ch/43060.↩
- 15
- Note des amerikanischen Gesandten in Bern, Pleasant Alexander Stovall, an den Vorsteher des Politischen Departements, Bundespräsident Arthur Hoffmann, vom 12. Februar 1914, CH-BAR#E2001A#1000/45#564* (B.231-3).↩
- 16
- Schreiben von Professor Huber an das Politische Departement vom 15. Februar 1914, CH-BAR#E2001A#1000/45#564* (B.231-3). ↩
- 17
- Gaston Carlin.↩
- 19
- Handschriftliche Korrektur aus: an denen.↩
- 20
- Schlussbericht der schweizerischen Delegation an der II. Friedenskonferenz in Den Haag vom November 1907, dodis.ch/65103, S. 154: « [D] arauf erhob sich der erste Delegierte von Österreich-Ungarn, um [...] den Wunsch zu äussern, dass auch der III. Konferenz im Haag eine gastfreundliche Aufnahme gewährt werden möge.» ↩
- 21
- Handschriftliche Korrektur aus: Konvention.↩
- 22
- Die internationale Konferenz zur Revision des Seekriegsrechts fand vom 4. Dezember 1908 bis zum 26. Februar 1909 in London statt und wurde mit der Verabschiedung der Erklärung über das Seekriegsrecht abgeschlossen. Vgl. dazu die Zusammenstellung dodis.ch/C2475 sowie das Dossier CH-BAR#E2001A#1000/45#539* (B.231-0).↩
- 23
- Handschriftliche Korrektur aus: Ergebnis und.↩
- 24
- Handschriftliche Korrektur aus: Permanent.↩
- 25
- Handschriftliche Korrektur aus: seinen Organen vertretenen.↩
- 26
- Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs mit «Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs» vom 18. Oktober 1907, dodis.ch/8403.↩
- 27
- Handschriftliche Korrektur aus: sondern manche Verträge – insbesondere die kriegsrechtlichen – haben nur dann einen praktischen Wert, wenn sie von allen Staaten angenommen sind.↩
- 28
- Handschriftliche Korrektur aus: Vertrages finden wird.↩
- 29
- Handschriftliche Korrektur aus: dies.↩
- 30
- Handschriftliche Korrektur aus: herstellte. Die.↩
- 31
- Handschriftliche Korrektur aus: Angelegenheit.↩
- 32
- Schlussbericht der schweizerischen Delegation an der II. Friedenskonferenz in Den Haag vom November 1907, dodis.ch/65103, S. 153–154.↩
- 33
- Handschriftliche Korrektur aus: Vertreter.↩
- 34
- Handschriftlich gestrichen: diese die Dominion-Regierungen ↩
- 35
- Handschriftlicher Zusatz: handelt.↩
- 36
- Übereinkommen über die pazifische Beilegung internationaler Streitigkeiten vom 29. Juli 1899, dodis.ch/8394, bzw. Abkommen über die friedliche Erledigung internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907, dodis.ch/8405.↩
- 37
- Übereinkunft über die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs mit «Haager Landkriegsordnung» vom 29. Juli 1899, dodis.ch/1995, bzw. Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs mit «Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkriegs» vom 18. Oktober 1907, dodis.ch/8403.↩
- 39
- Abkommen zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907, dodis.ch/8405.↩
- 40
- Zur Haltung der schweizerischen Delegation gegenüber dem Abschluss des II. Haager Abkommen betreffend die Beschränkung der Anwendung von Gewalt bei der Eintreibung von Vertragsschulden vom 18. Oktober 1907 vgl. DDS, Bd. 5, Dok. 179, dodis.ch/43034, sowie das BR-Prot. Nr. 6551 vom 21. Dezember 1907, DDS, Bd. 5, Dok. 209, dodis.ch/43064.↩
- 41
- Zur Frage der obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2407.↩
- 42
- Handschriftliche Korrektur aus: willigen.↩
- 43
- Übereinkunft über die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs mit «Haager Landkriegsordnung» vom 29. Juli 1899, dodis.ch/1995. Vgl. zur schweizerischen Haltung DDS, Bd. 4, Dok. 322, dodis.ch/42732, und Dok. 351, dodis.ch/42761.↩
- 44
- Handschriftliche Korrektur aus: organisiertes.↩
- 45
- Schlussakte der II. Haager Friedenskonferenz vom 18. Oktober 1907, dodis.ch/65095. Vgl. zu den formulierten Vorbehalten das BR-Prot. Nr. 6551 vom 21. Dezember 1907, DDS, Bd. 5, Dok. 209, dodis.ch/43064.↩
- 46
- Handschriftliche Korrektur aus: Kontrahenten ohne Bedeutung.↩
Relations to other documents
http://dodis.ch/59568 | see also | http://dodis.ch/59563 |
Tags
Hague Peace Conferences (1899 and 1907)