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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 179
volume linkBern 1983
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001A#1000/45#559* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(A)1000/45 47 | |
Dossier title | Nr. 479. Berichte der schweizerischen Delegation (1907–1907) | |
File reference archive | B.231-2 |
dodis.ch/43034
[...]2Wir möchten Ihnen ferner im Folgenden Bericht erstatten über den von der amerikanischen Delegation eingebrachten Antrag, wonach ein Staat, der zur Eintreibung von Geldforderungen, welche seine Angehörigen aus Verträgen einem ändern Staat gegenüber geltend machen, militärische Zwangsmaassregeln anwenden will, zuerst dem von ihm belangten Staate die Beurteilung des Streitfalls durch ein Schiedsgericht anbieten muss. Es kann gewiss diesem Grundsatz an sich nur zugestimmt werden, da er geeignet ist die Möglichkeiten kriegerischer Verwicklungen einigermaassen zu verringern. Indessen hat der von der amerikanischen Delegation im Interesse namentlich schwächerer Staaten gemachte Vorschlag noch eine andere, unter Umständen auch für uns bedenkliche Seite. Die Verpflichtung zur Anbietung eines Schiedsgerichtes kann, wie uns scheint, leicht aus einem Schutzmittel für kleinere Staaten sich zu einer Bedrohung dieser gestalten, und zwar auch solcher, deren Finanzen, Verwaltung und Rechtssprechung wohl geordnet sind.
Gegenwärtig kann ein Staat, der einem ändern Staat gegenüber Forderungen seiner Angehörigen geltend machen will, entweder versuchen sich mit ihm zu verständigen oder tatsächlich Gewalt anzuwenden. Das letztere wird er nur in den seltensten Fällen zu tun. Dagegen wird ein Staat sich viel weniger lange besinnen, einem ändern mit militärischen Maassnahmen zu drohen und deshalb vorerst ein Schiedsgericht anzubieten. Das einzige Risiko, das er läuft, ist vor dem Schiedsgericht zu unterliegen, dagegen schafft er sich eine günstigere Rechtslage, wenn er vor dem Schiedsgericht obsiegt, oder wenn das Angebot abgelehnt wird. Der amerikanische Antrag kann daher unter Umständen die Drohung, mit Gewaltmaassregeln vorzugehen, geradezu begünstigen.
Anderseits sieht sich der Staat, dem ein Schiedsgericht unter solchen Verhältnissen angeboten wird, in die peinliche Lage versetzt, entweder die schiedsrichterliche Beurteilung des Falls abzulehnen, wodurch er sich nur allzu leicht in ein falsches Licht bringt, oder aber ein Schiedsgericht in einer Sache anzunehmen, die er als eine rein interne, vielleicht definitiv erledigte betrachtet, und die nur dadurch, dass die Interessen eines Fremden im Spiele sind, Gegenstand eines internationalen Konfliktes geworden ist. Gewiss kann ein Staat auch heute schon, wie es Deutschland gegenüber Venezuela getan hat, ein Schiedsgericht anbieten, aber der moralische Zwang zur Annahme ist offenbar bedeutend grösser, wenn der belangte Staat eine Konvention unterzeichnet und ratifiziert, die den von der amerikanischen Delegation formulierten Grundsatz ausspricht und dadurch gewissermaassen zu einem organischen Bestandteil des Völkerrechts macht.
Es kann bei der gegenwärtigen Rechtslage als sicher gelten, dass, auch wenn ein Ausländer sich durch unsere Gesetze und Urteile unserer Gerichte benachteiligt glaubt in seinen Rechten gegenüber dem Bund oder den Kantonen, der Staat, dem der Betreffende angehört, keine Zwangsmaassregeln anwenden, ja überhaupt nicht intervenieren wird, aber es ist nicht ausgeschlossen, dass nach Annahme des amerkanischen Antrages der gleiche Staat, unter der nicht ernst gemeinten Drohung militärischer Intervention, versuchen könnte uns ein Schiedsgericht aufzuzwingen. Gewiss ist ein solcher Fall unwahrscheinlich, aber immerhin möglich in Anbetracht unserer zahlreichen ausländischen Bevölkerung und des bedeutenden ausländischen Besitzes an schweizerischen Staatspapieren, Eisenbahnwerten u.s.w. Die Gefahr des amerikanischen Antrages besteht einerseits darin, dass der intervenierende Staat sich des heute in weiten Kreisen beliebten Mittels eines Schiedsgerichtes bedienen kann, um seinen Drohungen den Anschein der Rechtmässigkeit zu geben, und anderseits darin, dass für die Angehörigen derjenigen Staaten, die in der Lage wären auf uns einen Druck zur Annahme eines Schiedsgerichts auszuüben, auf diese Weise eine Art besonderen Gerichtsstandes geschaffen würde, indem von den Entscheidungen unserer obersten Organe unter Umständen eine Weiterziehung an 4as internationale Schiedsgericht möglich wäre.
Der amerikanische Antrag ist aber nicht nur deshalb für uns bedenklich, sondern ist auch für uns wie für alle kleineren und mittleren Staaten ungerecht, indem nur die Grossmächte in der Lage sind, unter Drohung von Maassregeln militärischer Natur die Einsetzung eines Schiedsgerichts zu erzwingen, während uns ein derartiges Vorgehen entweder durch die politischen oder durch die geographischen Verhältnisse versagt ist. Anderseits bestehen für uns die im Vorhergehenden erörterten Gefahren, während umgekehrt die Grossmächte natürlich keine Intervention zu gewärtigen haben. Das Endresultat ist also lediglich eine Vermehrung des schon bestehenden Übergewichts der Grossmächte und die Sanktionierung des Interventionsrechts unter der Form einer für die kleineren Staaten tatsächlich obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit.
Der von den Vereinigten Staaten eingebrachte Antrag findet, soviel wir wissen, die Unterstützung der Grossmächte. Es scheint, dass die Mächte sich über die vorliegende Form verständigt haben und deshalb an diesem Kompromiss nicht gerne etwas ändern lassen wollen. Es besteht deshalb die Aussicht, dass die amerikanische Vorlage, wie sie jetzt ist, in die Konvention betr. friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten aufgenommen wird. Um uns nun gegen eine für uns nachteilige Auslegung und Anwendung dieser Bestimmung zu schützen, scheinen uns folgende vier Arten des Vorgehens möglich:
I. Nach der Lage, soweit wir sie jetzt beurteilen können, dürfte es wohl am besten sein dahin zu wirken, dass der amerikanische Antrag nicht in die Hauptkonvention aufgenommen wird, sondern Gegenstand einer besonderen Deklaration bilden würde, ähnlich wie 1899 der Konvention über den Landkrieg drei selbständige Deklarationen beigegeben wurden. Wir wären in diesem Falle in der Lage, die Deklaration nicht zu unterzeichnen, dagegen die Hauptkonvention ohne Vorbehalt annehmen zu können.
II. Es könnte unsererseits ein Amendement zum amerikanischen Antrag vorgeschlagen werden. Betr. den Text dieses Zusatzes verweisen wir auf die Beilage A3.
Durch die Form eines solchen Amendements würden wohl die besten Garantien gegen eine missbräuchliche Anwendung des amerikanischen Antrages geboten, aber es ist indessen zu befürchten, dass die Staaten, die wie Deutschland, Frankreich, England, Vereinigte Staaten, hauptsächlich als Gläubiger in Betracht kommen und keinerlei Intervention je zu befürchten haben, die Aufnahme einer solchen, das Interventionsrecht, wenn auch sehr allgemein, umgrenzenden Bestimmung als inopportun betrachten werden und sich in Bezug auf ihr Vorgehen gegenüber ändern Staaten die Hände nicht mehr binden wollen, als die europäischen Grossmächte es sich nach dem amerikanischen Vorschläge, mit Rücksicht auf die Vereinigten Staaten schon thun müssen.
III. Wenn der sub II erwähnte Antrag nicht mit Sicherheit die grosse Mehrzahl der Stimmen der kleinen und mittleren Staaten auf sich vereinigen zu können verspricht, wo würde es sich empfehlen, um einer Niederlage zu entgehen, statt eines Antrages bloss eine Deklaration abzugeben. Der Wortlaut der Erklärung findet sich in der Beilage B4. Auf diese Deklaration könnte man sich bei der Unterzeichnung der Konvention berufen, und dadurch die Unanwendbarkeit der Stipulation auf unsere Verhältnisse feststellen.
IV. Da indessen unter Umständen auch die Anerkennung eines Interventionsrechts gegen willkürliche Staatsakte, in Anbetracht der Unbestimmtheit des Begriffs, Bedenken erregen könnte, so unterbreiten wir Ihnen in der Beilage C5 noch eine etwas schärfer formulierte Erklärung. Wir hegen indessen Zweifel wegen der Opportunität dieser Erklärung, weil unter Umständen auch wir ein Interesse haben zu intervenieren und die Mächte, welche jetzt bisweilen zu Gunsten von Schweizern intervenieren, vielleicht in Zukunft uns solche Dienste verweigern werden, wenn wir jetzt das Interventionsrecht so kategorisch bestreiten.
Da es sich in dieser Angelegenheit um Interessen von der grössten Bedeutung handelt, verfehlen wir natürlich nicht sowohl bei den Grossmächten wie bei denjenigen Staaten, die ähnliche Interessen wie wir in dieser Frage haben, dahin zu wirken, dass eine für uns annehmbare Lösung gefunden wird. Wir werden aber um so sicherer vorgehen können, wenn wir von Ihnen in diesem Punkte bestimmte Instruktionen haben und bitten Sie daher uns telegraphieren zu wollen, ob wir auf die Form einer selbständigen Deklaration dringen, oder den Antrag A - sofern er Aussicht auf Annahme hat - Vorbringen oder eine der Deklarationen B oder C, und wenn ja, welche, abgeben sollen, oder ob Sie uns ermächtigen das nach der Lage der Dinge, die sich im Laufe dieser Woche vielleicht abklären wird, Geeignetste zu wählen. Wir nehmen ferner an, dass Sie uns gestatten ohne hiefür neue Instruktionen einholen zu müssen, am Texte der Beilagen unwesentliche Änderungen vorzunehmen.
Zum Schlüsse möchten wir Sie noch auf eine unerfreuliche Seite dieser fatalen Angelegenheit aufmerksam machen. Der amerikanische Vorschlag spricht nur von Forderungen von ressortissants des reklamierenden Staates. Da nach dem Vorschläge Gewalt nur nach Anbietung eines Schiedsgerichts zulässig ist a fortiori unter anderen Umständen nicht, so wäre die gewaltsame Durchführung einer Intervention zu Gunsten von bloss Protegierten - in welcher Lage sich die Schweizer in vielen Länden befinden - überhaupt ausgeschlossen und damit jede Intervention zu Gunsten von Schutzgenossen auf blosse schriftliche und mündliche Ermahnungen beschränkt. Wir werden versuchen neben «ressortissants» auch die Bezeichnung «protégés» in den Text hineinzubringen, was allerdings in Anbetracht der Haltung, die einzunehmen wir im Übrigen diesem Vorschlag gegenüber gezwungen sind, ziemlich heikel sein dürfte6.
- 1
- Schreiben: E 2001 (A), Archiv-Nr. 479. Nr. 290 I. Kommission I. Subkommission Schiedsgerichte etc.↩
- 2
- Allgemeine Berichterstattung über den Konferenzverlauf.↩
- 3
- Wortlaut der Beilage A: Amendement de la Délégation de Suisse à la proposition de la Délégation des Etats-Unis d’Amérique concernant la limitation de l’emploi de la force pour le recouvrement de dettes publiques ordinaires, ayant leur origine dans des contrats. A ajouter comme alinéa 3: Cependant un Etat ne pourra intervenir en faveur de créances pécuniaires que l’un de ses ressortissants fait valoir contre un autre Etat que s’il y a eu de la part de ce dernier Etat un acte législatif ou administratif manifestement arbitraire ou contraire aux principes universellement reconnus du droit, de l’équité ou de la bonne foi, ou si cet Etat se refuse à payer une créance liquide ou à respecter des jugements définitivement rendus par les tribunaux compétents ou enfin s’il commet un déni de justice contraire à sa propre législation (E 2001 (A), Archiv-Nr. 479).↩
- 4
- Wortlaut der Beilage B: La Délégation de Suisse se plaît à reconnaître que la proposition de la Délégation des Etats-Unis d’Amérique tend à réduire l’éventualité de guerres futures et poursuit ainsi un but hautement désirable et humanitaire. Mais elle croit devoir faire remarquer que l’intervention d’un tribunal arbitral international ne paraît admissible, dans la matière dont il s’agit, que quand l’Etat requis est l’auteur d’un acte législatif ou administratif manifestement arbitraire ou contraire aux principes universellement reconnus du droit, de l’équité ou de la bonne foi, ou qu’il refuse à acquitter des créances liquides ou à observer des jugements définitivement rendus par les tribunaux compétents, soit, enfin, s’il commet un déni de justice contraire à sa propre législation. C’est dans ce sens seulement que la Délégation de Suisse peut interpréter la proposition de la Délégation des Etats-Unis d’Amérique et prendre part à la discussion sur cette proposition (E 2001 (A), Archiv-Nr. 479).↩
- 5
- Wortlaut der Beilage C: Tout en se plaisant à reconnaître que la proposition de la Délégation des Etats-Unis d’Amérique poursuit un but hautement désirable et humanitaire en tendant à restreindre l’éventualité de guerres futures, la Délégation de Suisse croit devoir rappeler que la Suisse, qui offre, à cet égard, les garanties les plus complètes, entend conserver intégralement, sous réserve des stipulations des traités internationaux, le droit exclusif de voir la juridiction nationale compétente prononcer souverainement sur l’existence, la validité et les effets juridiques de réclamations formulées par ses nationaux ou des étrangers contre elle-même, les Cantons ou les corporations de droit public sur son territoire. C’est dans ce sens et sous cette expresse réserve que la Délégation de Suisse pourra prendre part à la discussion sur la proposition de la Délégation des Etats-Unis d’Amérique (E 2001 (A), Archiv-Nr. 479).↩
- 6
- Randbemerkung: Nein.↩
Relations to other documents
http://dodis.ch/63158 | cf. | http://dodis.ch/43034 |
Tags
Hague Peace Conferences (1899 and 1907)