Darin: Antrag des EDA vom 14.10.1991 (Beilage).
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1991, doc. 45
volume linkBern 2022
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#1012* | |
Old classification | CH-BAR E 1004.1(-)1000/9 1436 | |
Dossier title | Beschlussprotokolle des Bundesrates Oktober 1991 (5 Bände) (1991–1991) | |
File reference archive | 4.10prov. |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2010A#2001/161#1565* | |
Dossier title | Allgemeines, Band 1 (1991–1992) | |
File reference archive | B.15.21 • Additional component: Vatican |
dodis.ch/57567
Ernennung einer Sondermission zum Heiligen Stuhl
1. Zweck des Antrages
Die diplomatischen Beziehungen der Schweiz zum Heiligen Stuhl bestehen zwar seit langem,2 werden jedoch nur einseitig ausgeübt, d. h. nur der Vatikan ist in Bern mit einer Botschaft vertreten. Diesem Defizit wird vom EDA seit 1989 durch jährliche offizielle Reisen des Chefs der Politischen Abteilung I3 im Vatikan begegnet.4
Im Sinne einer Optimierung der schweizerischen Interessenvertretung gegenüber dem Vatikan schlagen wir Ihnen vor, befristet bis 1992 einen Botschafter in Sondermission beim Heiligen Stuhl zu ernennen und dem Chef der Politischen Abteilung I5 den Titel eines Sonderbotschafters zu übertragen.
2. Ausgangslage
Die einseitigen diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Vatikan gewährleisten zwar einen minimalen Kontakt mit den Stellen des Vatikans, sie sind jedoch für die Schweiz als grundsätzlich nachteilig zu betrachten.6 Dies deshalb, weil die Erfahrungen aus jüngster Vergangenheit zeigen, dass zum einen die schweizerische Wirklichkeit nur in der Perzeption des Nuntius nach Rom gemeldet wird.7 Zum andern ist es der Schweiz nicht möglich, sich durch Kontakte vor Ort über gewisse Ereignisse (z. B. Reise der Schweizer Bischöfe nach Rom) zu informieren bzw. über die Hintergründe der päpstlichen Politik gegenüber der Schweiz. Schliesslich darf nicht vergessen werden, dass der Vatikan ganz allgemein eine interessante weltpolitische Informationsbörse darstellt.8
Es ist deshalb wünschenswert und liegt – nicht zuletzt bedingt durch die grosse innenpolitische Bedeutung der die Schweiz betreffenden Entscheidungen des Vatikans – in unserem Interesse, den Informationsaustausch direkt mit den diplomatischen Stellen des Vatikans zu pflegen.
Grundsätzlich wäre es deshalb angezeigt, einen schweizerischen Botschafter beim Heiligen Stuhl zu akkreditieren. Dafür bestünden drei abgestufte Möglichkeiten: Residenz in Rom, Doppelakkreditierung eines im Ausland (z. B. Madrid) residierenden Botschafters, Akkreditierung eines in Bern wohnenden EDA-Chefbeamten.9 Der Bundesrat hat aus bekannten Gründen vorläufig auf die Realisierung aller drei Varianten verzichtet, jedoch zustimmend von den 1989 und 1990 stattgefundenen offiziellen Arbeitsbesuchen des Chefs der Politischen Abteilung I Kenntnis genommen.10 Der Bundesrat hat in jüngster Zeit grundsätzlich seine Bereitschaft zu einer behutsamen Entwicklung der bilateralen Beziehungen mit dem Vatikan erkennen lassen, als er bereit war, das Postulat Pini vom 19. Juni 1991 («Diplomatische Beziehungen mit dem Vatikan») anzunehmen.11 Pini ersucht darin den Bundesrat «die Möglichkeiten zu einer Normalisierung unserer diplomatischen Beziehungen mit dem Kirchenstaat zu prüfen» mit dem Ziel, die Anomalie zu beseitigen, welche die Einseitigkeit der Beziehungen heute darstellt.
3. Antrag und Begründung
Wir beantragen, dem Chef der Politischen Abteilung I, Botschafter Jenö Staehelin, den Titel Sonderbotschafter beim Vatikan zu verleihen. Diese Ernennung ist bis Ende 1992 befristet. Dieser Antrag erfolgt aus nachstehenden Gründen:
Fast alle Staaten der Welt sind heute beim Heiligen Stuhl durch einen Botschafter vertreten. In neuester Zeit haben die UdSSR12 und die anderen Staaten Osteuropas inklusive Albanien ihre Beziehungen mit dem Vatikan auf diese Weise regularisiert.13
Bei seinem letzten Besuch in Rom wurde Botschafter J. C. A. Staehelin vom damaligen «Aussenminister» des Vatikans und inzwischen zum Nachfolger von Kardinal Casaroli aufgerückten Kardinal Sodano zu verstehen gegeben, dass der Heilige Stuhl Schritte zu einer gewissen Vertiefung der bilateralen Beziehungen begrüssen würde.14 Bei allem Verständnis der Gründe, welche unser Land davon abhalten, einen Botschafter beim Vatikan zu ernennen, bestünden doch andere Möglichkeiten zur positiven Entwicklung des Verhältnisses.
Die Möglichkeit, die von Bischof Sodano gesprächsweise angetönt wurde, ist die Institution des Botschafters in Sondermission.15 Dabei handelt es sich um eine völkerrechtliche Institution, welche zur Erfüllung zeitlich und sachlich begrenzter Aufgaben dient. Die Bezeichnung einer Sondermission hat aus völkerrechtlicher Sicht den Vorteil, dass diese Institution in der Staatenpraxis bekannt und verbreitet ist, was die Rechtssicherheit in der Anwendung fördert. Die Rahmenbedingungen für Sondermissionen haben sich aus dieser Staatenpraxis entwickelt und sind in der UNO-Konvention über Sondermissionen vom 8. Dezember 1969 kodifiziert, welche die Schweiz, nicht aber der Hl. Stuhl, ratifiziert hat (AS 1985 1260; SR 0.191.2). Da die Bestimmungen dieser Konvention jedoch im wesentlichen dem Völkergewohnheitsrecht entnommen sind, können sie im Verhältnis zum Hl. Stuhl analog herangezogen werden. Die Zuständigkeit des Bundesrates zur Ernennung einer Sondermission beim Hl. Stuhl stützt sich auf seine aussenpolitische Führungsgewalt gemäss Art. 102 Ziff. 8. BV.16 Diese Sondermission bedeutet keine Errichtung einer bleibenden Beamtung im Sinne von Art. 85 Ziff. 3 BV,17 welche vom Parlament zu genehmigen wäre. Zusätzliche personelle oder finanzielle Aufwendungen ergeben sich durch diese Massnahme nicht.
Der Bundesrat hat schon verschiedentlich Botschafter in Sondermission ernannt. So vertrat beispielsweise Botschafter Jenö Staehelin unter diesem Titel den Bundesrat bei den Feierlichkeiten aus Anlass der Verleihung der Kardinalwürde an Kardinal Schwery am 29. Juni dieses Jahres in Rom (Präsidialverfügung vom 25. Juni 1991).18 Es geht nun darum, diese Bevollmächtigung zu erneuern und auf eine gewisse Zeitperiode auszudehnen.
4. Wir laden Sie ein, den beiliegenden Beschlussentwurf zu genehmigen.
- 1
- CH-BAR#E1004.1#1000/9#1012* (4.10prov.). Dieser Antrag wurde von Beat Nobs von der Politischen Abteilung I des EDA unter der Verantwortung des stv. Abteilungschefs Daniel Woker verfasst und vom Vorsteher des EDA, Bundesrat René Felber, unterzeichnet. Der Bundesrat hat den Antrag in der Sitzung vom 30. Oktober 1991 ohne Diskussion angenommen, vgl. das BR-Prot. Nr. 2088 vom 30. Oktober 1991, Faksimile dodis.ch/57567 sowie das BR-Beschlussprot. II der 34. Sitzung, CH-BAR#E1003#2003/92#2* (4.32).↩
- 2
- Zu den diplomatischen Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Vatikan vgl. das Schreiben der schweizerischen Botschafterin in Rom, Francesca Pometta, an Bundesrat Felber vom 26. Juni 1991, dodis.ch/58645 sowie die Zusammenstellung dodis.ch/C1995.↩
- 3
- Botschafter Jenö Staehelin.↩
- 4
- Für die Besuche von Botschafter Staehelin im Vatikan vom 16. Juni 1989 und vom 18. bis 19. September 1990 vgl. dodis.ch/59222 bzw. dodis.ch/56615. Für den ersten Besuch von Botschafter Staehelin im Vatikan als Sonderbotschafter vom 14. November 1991 vgl. dodis.ch/58644.↩
- 5
- Die Politische Abteilung I des EDA war für die Beziehungen zum Heiligen Stuhl zuständig, vgl. dazu dodis.ch/58646.↩
- 6
- Diese Einseitigkeit wurde vom Bundesrat bei der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen am 17. August 1920 explizit gewünscht: «Le Conseil fédéral avait décidé, dans sa séance du 18 juin, de faire savoir à Monseigneur Maglione, délégué du Saint-Siège à Berne, – sur la demande officieuse que celui-ci avait formulée verbalement auprès du Chef du Département politique – que le Conseil fédéral aurait admis avec satisfaction la reprise des relations diplomatiques officielles entre la Suisse et le Saint-Siège, en posant toutefois la condition expresse que la Suisse, comme elle n’avait pratiqué la réciprocité dans le passé, n’aurait pas pu la pratiquer dans l’avenir.» Vgl. DDS, Bd. 7-II, Dok. 386, dodis.ch/44597.↩
- 7
- Der Bundesrat stellte auch im Zuge der umstrittenen Ernennung von Wolfgang Haas zum Bischof von Chur fest, dass die Ernennung eines akkreditierten Vertreters für die Wahrnehmung der schweizerischen Interessen vorteilhaft wäre. Für das Aussprachepapier des EDA vom 17. August 1990, Punkt III, vgl. das BR-Prot. Nr. 1653 vom 29. August 1990, dodis.ch/56234. ↩
- 8
- Vgl. dazu die Notiz von Rolf Bodenmüller von der schweizerischen Botschaft in Rom vom 18. August 1988, dodis.ch/59219.↩
- 9
- Diese drei Möglichkeiten wurden vom Bundesrat bereits im Jahr zuvor skizziert, vgl. dazu das BR-Prot. Nr. 1653 vom 29. August 1990, dodis.ch/56234.↩
- 10
- Vgl. Anm. 4.↩
- 11
- In seiner schriftlichen Erklärung vom 28. August 1991 zeigte sich der Bundesrat bereit, das Postulat von Nationalrat Massimo Pini anzunehmen. Es wurde jedoch von Nationalrat Otto Zwygart bekämpft, weshalb der Nationalrat darüber zu entscheiden hatte und das Postulat am 3. März 1992 mit 78 zu 14 Stimmen an den Bundesrat überwies, vgl. dodis.ch/59234.↩
- 12
- Vgl. dazu die Notiz der schweizerischen Botschaft in Rom über den Besuch des Generalsekretärs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Michail Gorbatschow, bei Papst Johannes Paul II. vom 21. Dezember 1989, dodis.ch/58600.↩
- 13
- Vgl. dazu die Auswertung der Rundfrage des EDA bei den schweizerischen Vertretungen im Ausland vom 24. September 1990, dodis.ch/59224.↩
- 14
- Vgl. dazu dodis.ch/56615. ↩
- 15
- Zum «Institut der Sondermission» vgl. die Notiz der Direktion für Völkerrecht des EDA vom 30. November 1990, dodis.ch/59223 mit der Ergänzung vom 12. März 1991, dodis.ch/58649.↩
- 16
- Der Bundesrat «wahrt die Interessen der Eidgenossenschaft nach aussen, wie namentlich ihre völkerrechtlichen Beziehungen, und besorgt die auswärtigen Angelegenheiten überhaupt.» AS, 1874–1875, S. 29 und BS, 1947, S. 36. ↩
- 17
- Art. 85 der Bundesverfassung von 1874 hält die Gegenstände fest, welche in den Geschäftskreis beider Räte fallen. Ziff. 3 nennt: «Besoldung und Entschädigung der Mitglieder der Bundesbehörden und der Bundeskanzlei; Errichtung bleibender Beamtungen und Bestimmungen ihrer Gehalte.» AS, 1874–1875, S. 25 und BS, 1947, S. 32.↩
- 18
- Vgl. das BR-Prot. Nr. 1252 vom 26. Juni 1991, dodis.ch/57497.↩
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