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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 27, doc. 70
volume linkZürich/Locarno/Genève 2022
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Archive | Archives of Contemporary History, Zurich |
Archival classification | CH-AfZ NL Paul R Jolles 1045 |
Dossier title | Wirtschaftshilfe für Polen (1976–1984) |
File reference archive | 7.5.8.6. |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.151#1995/425#35* | |
Old classification | CH-BAR E 2200.151(-)1995/425 6 | |
Dossier title | Bilateraler Handels-und Zahlungsverk.CH-Polen; Allgemeines (1977–1980) | |
File reference archive | 541.0 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2200.151#1995/425#45* | |
Old classification | CH-BAR E 2200.151(-)1995/425 8 | |
Dossier title | Posener Messe (1977–1980) | |
File reference archive | 551.55.1 |
dodis.ch/49268Der schweizerische Botschafter in Warschau, P. A. Nussbaumer, an den Direktor der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements, P. R. Jolles1
Sie finden anbei die von Herrn Lautenberg erstellte Notiz2 über Ihr Gespräch vom 18. Juni mit Vizeminister Długosz in Posen.
Stellt man dieses Gespräch in den Rahmen ähnlicher Aussprachen mit anderen führenden polnischen Persönlichkeiten – Ihr Gedankenaustausch mit Aussenhandelsminister Olszewski3; das Gespräch von Botschafter Sommaruga mit dem Präsidenten der Aussenhandelskammer Wiśniewski4; meine Aussprache mit dem Vizepräsidenten der Planungskommission Hrynkiewicz5 – so kann ff. festgehalten werden:
1. Mit einer fortdauernden dynamischen Entwicklung der polnischen Wirtschaft ist zu rechnen. Das Land befindet sich auf dem Weg vom Agrar- zum Industriestaat und wird mit seinen 34 Mio. Einwohnern auch weiterhin für die Schweiz ein wichtiger Handelspartner bleiben.
Ein Wechsel an der Spitze des Regimes ist z. Zt. nicht in Sicht. Auch im Fall eines solchen Wechsels müsste aber beim vorherrschenden sozialen und innenpolitischen Klima der auf die Modernisierung des Landes gerichtete Kurs grundsätzlich beibehalten werden6.
2. Das Problem ist die negative polnische Handelsbilanz. D[ługosz] liess durchblicken, dass die polnischen Importe gedrosselt werden müssten, wenn das Defizit mit der Zeit nicht vermindert werden kann. Gemäss W[iśniewski] hingegen dürften die schweizerischen Lieferungen wegen ihrer Unentbehrlichkeit (Qualität, Service, Einhaltung der Lieferbedingungen usw.) in Zukunft eher noch zu- als abnehmen. Was O[lszewski] betrifft, so nahm er Ihnen gegenüber eine pragmatische Haltung ein; seine Sorge gilt zur Zeit der Suche nach praktischen Lösungen zur Verminderung des Defizites (Kupfer-, Kohlenexporte; industrielle Kooperation; Zusammenarbeit auf Drittmärkten). Er ist gegen bilaterale Kompensationsgeschäfte und hat in seinem Ministerium einen Dienst errichtet, der als Clearing-Stelle für alle mit dem Ausland sich ergebenden Geschäftsmöglichkeiten zu funktionieren hat.
Längerfristig gesehen unterliegt es keinem Zweifel, dass Polens Westhandel vor steigenden Schwierigkeiten steht. Das von Partei und Regierung proklamierte Ziel, im Handelsverkehr mit dem Westen bis 1980 den Ausgleich herbeizuführen, scheint mir unrealistisch. Man möchte wohl den Westhandel im jetzigen Ausmass aufrecht erhalten oder in einzelnen Bereichen sogar noch ausweiten, ist aber aus ideologisch-politischen Gründen nicht bereit, die dafür erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen (Dezentralisierung der Wirtschaftslenkung und Förderung der internen Konkurrenz im Interesse einer Steigerung der Lieferflexibilität und -qualität; uneingeschränkte Zulassung ausländischer Firmenvertretungen; Tolerierung eines Minimums an ausländischen Investitionen; Erweiterung des Kreises der zugelassenen Aussenhandelsunternehmen, die sich bei ihrer jetzigen monopolistischen Struktur auf den Abschluss von Grossgeschäften mit dem westlichen Ausland konzentrieren und den Geschäftsmöglichkeiten mit kleineren Firmen weniger oder wenig Bedeutung beimessen; W[iśniewski] z. B. anerkannte, dass Polen hier mit einem echten Problem konfrontiert ist). So wie die Dinge politisch jetzt liegen, ist mit einem wesentlichen Abbau der bestehenden systembedingten Handelshindernisse nicht zu rechnen. Somit dürfte es bei halben Massnahmen bleiben und auch wir werden im Interesse unserer Polenexporte mit ihnen leben müssen. So ist es wohl die pragmatische Haltung von O[lszewski], die wir, soweit uns dies möglich ist, zur Richtschnur unseres Handelns machen sollten. Ein «Durchbruch» auf dem Kupfersektor wäre sicher äusserst wünschenswert. Was unsere grösseren Firmen betrifft, so ist es wichtig, dass sie einen engen Kontakt zu dem in ständiger Bewegung sich befindenden polnischen Markt pflegen und die Flexibilität bewahren, die nötig ist, um sich ihm anzupassen. Die spezialisierten kleineren Firmen haben in Polen weiterhin gute Absatzchancen (wobei sich der Druck auf Abschluss von Gegengeschäften vermehrt nachteilig auswirkt).
3. Natürlich stellt sich in diesem Zusammenhang die Kreditfrage7. Die Zahlen über den Umfang der polnischen West-Verschuldung werden wie ein Staatsgeheimnis gehütet8. Es ist indessen sicher, dass der Schuldendienst einen bereits bedeutenden Teil (über 25%) der im Westexport verdienten Devisen beansprucht. Was die Verschuldungsstruktur betrifft, so werden gemäss H[rynkiewicz] 30% der vom Westen gewährten Kredite auf dem Weg über Kohle- und Kupferlieferungen verzinst und getilgt; weitere 40% der Kredite dienen der Finanzierung von Investitionen, vor allem auf dem Rohstoffsektor, die als direkt-produktiv bezeichnet werden könnten; nur beim Schuldendienst für die restlichen 30% müssten die Devisen aus «kreditfremden» Quellen bestritten werden. Diese Angaben wurden von D[ługosz] im wesentlichen bestätigt. Auch wenn wir annehmen, dass sie zutreffen, so bleibt doch die Tatsache bestehen, dass die Verschuldung eine sehr grosse Belastung für die Wirtschaft des Landes darstellt.
Nach übereinstimmender Auffassung der hiesigen Beobachter gilt der polnische Finanzminister, Herr Kisiel, als ausgezeichneter Finanzspezialist, der auch über die zur Steuerung des Umfanges der Verschuldung erforderlichen technischen Mittel verfügt. Immerhin weiss man wie eng die wirtschaftlichen und politischen Fragen in Polen miteinander verknüpft sind. Ob eine gesunde Verschuldungspolitik aufrechterhalten werden kann, wird also stark vom Grad des Erfolges abhängen, den das Regime bei seinen Bemühungen um die Verbesserung der Lebensbedingungen in Polen erzielt.
Über die Frage, ob im Extremfall einer Zahlungskrise die Sowjetunion und die übrigen Ostblockländer Polen zu unterstützen bereit wären, lässt sich nur spekulieren. Ich hätte die Tendenz, diese Frage zu bejahen.
Soweit die Nationalbankdepots in Frage stehen, so sind sicher keine Befürchtungen am Platz. Bezüglich der Kreditwürdigkeit der polnischen Aussenhandelsorganisationen lässt sich höchstens sagen, dass sie in Anbetracht der allgemeinen Situation auf dem Gebiet des weltweiten Kreditgeschäftes eher zu den besseren Schuldnern unserer Handelsbanken zu zählen sind.
4. H[rynkiewicz] erklärte mir, Politik und Wirtschaft liessen sich nicht trennen. Er wollte damit sagen, unsere gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen könnten nicht losgelöst von den allgemeinen Beziehungen zwischen unseren Ländern9 betrachtet werden, was im Falle Polens, einem Staat, der selber als Handelspartner auftritt, im Grunde genommen eine Selbstverständlichkeit ist. Von hier aus gesehen, weiss ich es somit sehr zu schätzen, dass es in den letzten Monaten mehreren hohen Vertretern unseres Landes möglich gewesen ist, Polen einen offiziellen Besuch abzustatten. Ich weiss, dass diese Tatsache hier zur Kenntnis genommen und auch entsprechend gewürdigt wird.
P. S.: In der Uhren-Frage habe ich mich direkt mit der FH in Verbindung gesetzt. Sie hat mir die zur Durchführung einer Demarche erforderlichen Detailangaben in Aussicht gestellt10.
- 1
- Schreiben: CH-AfZ NL Paul R Jolles 1045(7.5.8.6). Kopie an C. Sommaruga und die Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements. Die handschriftliche Marginalie von P. R. Jolles an C. Sommaruga: Bitte verdanken wurde gestrichen. Für das von C. Sommaruga verfasste Dankesschreiben von P. R. Jolles an J. Olszewski vom 1. Juli 1977 vgl. Doss. CH-BAR#E7110#1988/12#995* (821).↩
- 2
- Notiz von A. Lautenberg vom 27. Juni 1977, dodis.ch/49271.↩
- 3
- Vgl. dazu die Notiz von P. R. Jolles vom 20. Juni 1977, dodis.ch/49270. Zum Besuch J. Olszewskis in der Schweiz vgl. das Schreiben von C. Sommaruga an P. A. Nussbaumer vom 20. Mai 1976, dodis.ch/49272.↩
- 4
- Vgl. dazu die Notiz von P. A. Nussbaumer vom 1. Juni 1977, CH-BAR#E2200.151#1995/425#35* (541.0).↩
- 5
- Vgl. dazu das Schreiben von P. A. Nussbaumer an P. R. Jolles vom 15. April 1977, dodis.ch/49273.↩
- 6
- Zur innenpolitischen Lage in Polen vgl. die Notiz von W. Meier vom 7. September 1978, dodis.ch/49269.↩
- 7
- Zu schweizerischen Kreditleistungen an Polen vgl. das Telegramm Nr. 122 von P. A. Nussbaumer an das Politische Departement vom 28. September 1976, dodis.ch/49275; die Notiz von L. Roches vom 30. Dezember 1976, dodis.ch/49277; die Notiz von F. Rothenbühler an P. R. Jolles vom 22. Juni 1977, dodis.ch/49279; die Notiz von I. Pawloff vom 16. Januar 1978, dodis.ch/49280 sowie die Notiz von I. Pawloff an C. Sommaruga und L. Roches vom 12. Juni 1978, dodis.ch/49278.↩
- 8
- Allgemein zur Aussenverschuldung der COMECON-Staaten vgl. das Schreiben von L. Roches an die schweizerischen Botschaften in Budapest, Bukarest, Prag, Sofia, Warschau und Moskau vom 23. März 1976, dodis.ch/52851.↩
- 9
- Vgl. dazu DDS, Bd. 27, Dok. 80, dodis.ch/49449; das Schreiben von P. A. Nussbaumer an die Politische Direktion des Politischen Departements vom 20. Dezember 1977, dodis.ch/49296 sowie das Schreiben von P. A. Nussbaumer an A. Weitnauer und P. R. Jolles vom 14. Mai 1976, dodis.ch/49274. Vgl. ferner DDS, Bd. 27, Dok. 169, dodis.ch/50892.↩
- 10
- Vgl. dazu das Schreiben von R. Retornaz und R. Gaulaz an P. R. Jolles vom 30. Juni 1977, CH-BAR#E7110#1988/12#995* (821) sowie Doss. CH-BAR#E7110#1988/12#1002* (842.0).↩
Relations to other documents
http://dodis.ch/49268 | refers to | http://dodis.ch/49272 |
http://dodis.ch/49271 | is mentionned in | http://dodis.ch/49268 |
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