Imprimé dans
Documents Diplomatiques Suisses, vol. 15, doc. 158
volume linkBern 1992
Plus… |▼▶Emplacement
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E4800.1#1967/111#273* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 4800.1(-)1967/111 62 | |
Titre du dossier | Weiterwanderung der Flüchtlinge (1944–1952) | |
Référence archives | 1.010 |
dodis.ch/47762 Notice de la Division de Police du Département de Justice et Police1 2 AUSREISE VON FLÜCHTLINGEN UND ENTWICHENEN KRIEGSGEFANGENEN
Herr Bundesrat von Steiger hat mich gebeten, vom rein rechtlichen Standpunkt aus zu prüfen, ob den entwichenen Kriegsgefangenen und den der Polizeiabteilung unterstellten Flüchtlingen z. B. im heutigen Zeitpunkt die Ausreise aus der Schweiz gestattet werden dürfe.
Ich erlaube mir, zuhanden von Herrn Bundesrat von Steiger folgendes darzulegen:
1. Die internationalen Abmachungen enthalten bloss eine Bestimmung, durch die das Ausreisenlassen von Personen aus einem neutralen Staate im Kriegsfall in gewissem Sinne beschränkt wird (abgesehen von Art. 11 des Haager Abkommens, der die Pflicht zur Internierung übergetretener Truppen und Truppenangehöriger vorsieht). Diese Bestimmung ist Art. 4 des Haager Abkommens betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges, vom 18. Oktober 1907. Er lautet:
«Auf dem Gebiet einer neutralen Macht dürfen zugunsten der Kriegführenden weder Korps von Kombattanten gebildet noch Werbestellen eröffnet werden.»
Diese Bestimmung verpflichtet uns, alles zu tun, um in der Schweiz die Organisation von Freischaren oder Partisanengruppen zu unterdrücken und die Anwerbung für Freischaren, Partisanenorganisationen oder fremde Armeen zu verhindern.
Es ist in erster Linie Aufgabe der Bundesanwaltschaft und der zuständigen militärischen Stellen, dafür besorgt zu sein, dass diese Neutralitätsverpflichtung schweizerischerseits eingehalten wird. Wir haben deshalb schon wiederholt Meldungen, die darauf schliessen Hessen, dass unter den französischen Flüchtlingen in der Schweiz paramilitärische Formationen für den künftigen Einsatz in Frankreich gebildet würden, an die Bundesanwaltschaft weitergeleitet, mit der Bitte um Untersuchung.
2. Demgegenüber erklärt Art. 6 des Haager Abkommens betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges:
«Eine neutrale Macht ist nicht dafür verantwortlich, dass Leute einzeln die Grenze überschreiten, um in den Dienst eines Kriegführenden zu treten.»
Die schweizerische amtliche Ausgabe der «Staatsverträge über Landkrieg und Neutralität» (Ausgabe 1939) enthält zu dieser Bestimmung folgende Bemerkungen: Es sei ins freie Ermessen des Neutralen gestellt, ob er den Übertritt über die Grenze bezw. die Durchreise solcher Leute gestatten wolle. Im Weltkrieg 1914/1918 sei die Ausreise nicht beschränkt worden. 1936 sei die Ausreise aus der Schweiz zur Teilnahme am spanischen Bürgerkrieg verboten worden, ausgenommen für spanische Staatsangehörige3. Die Staatsangehörigkeit der Ausreisenden sei gleichgültig; Freiwillige und Einberufene würden gleich behandelt. Es komme nicht auf die Zahl der ausreisenden Personen an, sondern bloss darauf, dass sie als Einzelne reisen, im Gegensatz zu den nach Art. 4 verbotenen Formationen von Kombattanten.
Art. 6 des Haager Abkommens ermächtigt also die Schweiz, ohne weiteres Ausländer über die Grenze ausreisen zu lassen, auch dann, wenn bekannt ist oder angenommen werden muss, dass die Leute im Ausland in eine Armee eintreten oder sich an kriegerischen Handlungen beteiligen wollen. Bedingung ist lediglich, dass diese Leute nicht in geschlossenen militärischen Formationen die Grenze überschreiten. Wie der amtliche Kommentar besagt, spielt die Zahl der Ausreisenden keine Rolle; wir dürfen somit beispielsweise mehrere hundert oder gar tausend Leute gleichzeitig gehen lassen.
Herr Prof. Dr. Schindler hat m.W. im Sommer 1943 im Auftrag von Herrn Minister Bonna ein Gutachten erstattet, in dem er diese Frage behandelt4. Ich habe leider dieses Gutachten nicht zur Hand. Ich hatte jedoch damals (zusammen mit Herrn Dr. Schürch) Gelegenheit, mit Herrn Prof. Dr. Schindler über die Sache zu sprechen. Er hat sich auf folgenden Standpunkt gestellt: Bei Ausbruch eines Krieges haben die neutralen Staaten von jeher die Angehörigen der kriegführenden Staaten in Massen und gleichzeitig über die Grenze ausreisen lassen, damit sie der heimatlichen Wehrpflicht genügen konnten. Wenn sich in der Schweiz Flüchtlinge befinden, die wir nicht neutralisieren müssen, z. B. entwichene Kriegsgefangene und Zivilflüchtlinge, dürfen wir sie ohne weiteres wieder über die Grenze ausreisen lassen. Wenn das aus bestimmten Gründen, z.B. weil unser Land vorübergehend ganz von den Truppen einer Kriegspartei umgeben ist, nicht möglich ist, hindert uns das in keiner Weise daran, diese Leute in dem Augenblick alle miteinander, also gleichzeitig in grosser zahl, über die Grenze ausreisen zu lassen, da die Ausreise möglich wird. Unsere Neutralitätspflichten stehen dem - rechtlich - nicht entgegen.
Ich halte die Auffassung von Herrn Prof. Dr. Schindler unbedingt für richtig. Wir dürfen nicht eine Verpflichtung (Flüchtlinge und entwichene Kriegsgefangene auf Schweizerboden zurückzuhalten) anerkennen, wenn eine solche Verpflichtung aus den internationalen Verträgen nicht hervorgeht. Die Frage, ob es (nicht aus rechtlichen, sondern) aus politischen Gründen angezeigt sei, Flüchtlinge eines Tages in grosser Zahl über die Grenze ausreisen zu lassen, ist hier nicht zu behandeln.
3. Für die entwichenen Kriegsgefangenen ist besonders noch Art. 13 des Haager Abkommens betreffend die Rechte und Pflichten der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Landkrieges massgebend. Er lautet:
«Die neutrale Macht, die entwichene Kriegsgefangene bei sich auf nimmt, wird diese in Freiheit lassen. Wenn sie ihnen gestattet, auf ihrem Gebiete zu verweilen, so kann sie ihnen den Aufenthaltsort anweisen.»
Wir haben über diesen Artikel schon viel geschrieben und gesprochen. Ich fasse lediglich kurz zusammen, wie diese Vorschrift von uns, im Einvernehmen mit dem eidg. Politischen Departement, seit Jahren ausgelegt wird: «in Freiheit lassen» bedeutet Weiterziehenlassen über die Schweizergrenze, bezieht sich also nicht auf die Bewegungsfreiheit des entwichenen Kriegsgefangenen während seines Verweilens auf Schweizerboden. Wir anerkennen seit jeher die Pflicht, einen über die Schweizergrenze gekommenen entwichenen Kriegsgefangenen ohne weiteres wieder über die Grenze ausreisen lassen zu müssen. Wir dürfen den entwichenen Kriegsgefangenen, wenn er Weiterreisen will, nicht auf Schweizerboden zurückhalten.
Vom September 1939 bis Juni 1940 war die Anwendung des Art. 13 durch die Schweiz einfach und unbestritten. Franzosen, die aus deutscher Kriegsgefangenschaft entwichen und über die Nordgrenze in die Schweiz gekommen waren, wurden ohne weiteres bei Genf nach Frankreich wieder ausgeschafft. Die Lage der Schweiz war damals so, wie das Haager Abkommen nach seinem ganzen Sinn und Geist die Lage eines neutralen Staates voraussetzt. - Auch noch von Juni 1940 bis November 1942 konnte diese Praxis fortgeführt werden. Erst die totale Besetzung Frankreichs durch deutsche Truppen machte dies unmöglich. Von November 1942 an konnten alliierte Wehrmänner, die aus deutscher Kriegsgefangenschaft entwichen und in die Schweiz gelangt waren, nicht mehr einfach weitergeschickt werden. Sie mussten auf Schweizerboden bleiben, aus tatsächlichen, nicht aus rechtlichen Gründen. Die Schweiz gestattete nicht etwa, wie Art. 13 als möglich vorsieht, den entwichenen Kriegsgefangenen das Verweilen auf schweizerischem Gebiet; sie erklärte vielmehr bei jeder Gelegenheit wieder, dass die entwichenen Kriegsgefangenen zur sofortigen Weiterreise verpflichtet seien. Die entwichenen Kriegsgefangenen waren und sind aber eben faktisch nicht in der Lage, weiterzureisen. Da das Haager Abkommen für diese Lage keine Regel aufstellt, ist ausschliesslich schweizerisches Fremdenpolizeirecht anwendbar. Wir haben deshalb, solange die entwichenen Kriegsgefangenen der Polizeiabteilung unterstellt waren, für diese Ausländer, gleich wie für andere Ausländer, die zur Ausreise verpflichtet sind aber faktisch nicht ausreisen können, auf Grund von Art. 14 Abs. 2 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer, vom 26. März 19315, die Internierung verfügt. Diese Internierungsverfügung gilt immer nur für solange, bis die Ausreise möglich ist, hindert also den Ausländer nicht, auszureisen wenn er will und kann. - Seit September 1943 unterstehen die entwichenen Kriegsgefangenen dem Eidg. Kommissariat für Internierung und Hospitalisierung. Das ändert an ihrer rechtlichen Lage mit Bezug auf Ausreisemöglichkeit nichts. Denn trotz der Unterstellung unter das Kommissariat sind die entwichenen Kriegsgefangenen nicht ausländische Militärpersonen, für die die Schweiz zur Internierung, d.h. Verhinderung der Ausreise, verpflichtet ist.
4. Die der Polizeiabteilung unterstehenden Flüchtlinge werden auf Grund des Art. 2 des Bundesratsbeschlusses über die Unterbringung von Flüchtlingen6, vom 12. März 1943, in Anwendung des Art. 14 Abs. 2 des Bundesgesetzes über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer, vom 26. März 1931, «interniert». Art. 14 ANA lautet:
«Kommt der Ausländer der Pflicht zur Ausreise nicht nach, so kann er ausgeschafft werden. Wenn die Ausschaffung nicht durchführbar ist, so kann an deren Stelle die Internierung treten.»
Die Internierung im Sinne des Fremdenpolizeirechtes ist also an die Voraussetzung geknüpft, dass der Ausländer zur Ausreise verpflichtet wäre, die Ausschaffung aber nicht durchführbar ist. Die rechtliche Grundlage zur fremdenpolizeilichen Internierung fällt dahin, sobald die Ausschaffung durchführbar wird. Wenn sich somit die Verhältnisse in einer Art und Weise verändern, dass einem Ausländer, für den die Polizeiabteilung eine Internierungsverfügung erlassen hat, die Ausreise aus der Schweiz möglich ist, fehlt uns die rechtliche Grundlage dafür, ihn in der Schweiz zurückzuhalten. Wir müssen ihn vielmehr ziehen lassen.
Hinzu kommt, dass nach Art. 7 des Bundesratsbeschlusses über die Unterbringung von Flüchtlingen, vom 12. März 1943, auch auf Flüchtlinge (wie für Emigranten) Art. 10 des Bundesratsbeschlusses über Änderungen der fremdenpolizeilichen Regelung, vom 17. Oktober 19397, anwendbar ist; dieser lautet:
« Die Schweiz kommt nach wie vor für Emigranten nur als Durchgangsland in Betracht. Vorkehren des Emigranten, die auf Festsetzung in der Schweiz gerichtet sind, wie Kapitalbeteiligung, Erwerb von Grundbesitz, Heirat mit einer Schweizerin etc. bleiben hierauf ohne Einfluss.»
Auch die Art. 11 und 15 des BRB 17.10.39 sind (wie für Emigranten) für Flüchtlinge anwendbar. In diesen Artikeln heisst es u.a. (Art. 11 Abs. 2):
«Sie (die eidgenössische Fremdenpolizei) wird, gegebenenfalls in Verbindung mit privaten Hilfsorganisationen, alle Möglichkeiten wahrnehmen, der Weiter Wanderung der Emigranten Raum zu schaffen. Sie hat dafür zu sorgen, dass diese auch benützt werden. Daneben bleiben aber auch die Emigranten verpflichtet, Möglichkeiten des Weiterkommens zu suchen und, wo sie bestehen, sie unverzüglich zu benützen.»
Ferner (Art. 15):
«Die eidgenössische Fremdenpolizei kann verfügen, dass ein Emigrant in das Land ausgeschafft wird, aus dem er gekommen ist oder dem er angehört, wenn er... (c) seine Bemühungen zur Weiterreise nicht mit allem Nachdruck fördert oder die Möglichkeit dazu nicht benützt.»
Aus diesen Vorschriften geht klar die Tendenz hervor, die Flüchtlinge möglichst unter Druck zu setzen, unser Land bei erster Gelegenheit wieder zu verlassen. Es besteht somit nicht nur keine Pflicht der Schweiz und keine rechtliche Grundlage dafür, Flüchtlinge von der Wiederausreise abzuhalten, es besteht vielmehr die klare Pflicht der Flüchtlinge, die Schweiz so rasch als möglich wieder zu verlassen.
5. Die in der Schweiz weilenden entwichenen Kriegsgefangenen und Flüchtlinge sind (nahezu ausschliesslich) über unsere Grenze gekommen, um sich dem Zugriff der deutschen Behörden zu entziehen. Die Möglichkeit der Wiederausreise wird daher grundsätzlich von jenem Augenblick an bestehen, da nicht mehr das gesamte Gebiet um die Schweiz herum von deutschen Truppen besetzt sein wird. Die entwichenen Kriegsgefangenen und ein grosser Teil der Flüchtlinge werden in dem Augenblick ohne weiteres ausreisen können, da es alliierten Truppen gelingt, bis an die Schweizergrenze vorzustossen. Dann werden übrigens auch kaum mehr wesentliche politische Bedenken dagegen bestehen, diese Leute abreisen zu lassen.
Fraglich ist es dagegen, wie die Ausreisemöglichkeit bei der heutigen Lage beurteilt werden soll. Es ist damit zu rechnen, dass ein Teil der entwichenen Kriegsgefangenen und der Flüchtlinge mit Rücksicht auf die Entwicklung der militärischen Lage schon in diesen Tagen über die Grenze gehen möchte oder auf jeden Fall dann, wenn z. B. von alliierter Seite die gesamte Französische Bevölkerung zum Widerstand gegen die Deutschen, also zum Volksaufstand, aufgerufen wird und mit kriegerischen Aktionen grösseren Stils auch im französischem Grenzgebiet gerechnet werden muss. Wer den Willen hat, heute schon über die Grenze zu gehen, wird praktisch auch die Möglichkeit dazu finden. Er wird allerdings heimlich über die Grenze gehen müssen, ohne Einreisebewilligung der Behörden des Nachbarstaates, zwischen den Grenzposten. Müssen oder dürfen wir ihn an dieser Ausreise hindern?
Eine Pflicht, den illegalen Grenzübertritt von der Schweiz in ein Nachbarland zu verhindern, könnte sich für die schweizerischen Behörden nur ergeben aus einer zwischenstaatlichen Vereinbarung. Eine solche Vereinbarung besteht mit keinem unserer Nachbarstaaten. Wir haben das in der Vorkriegszeit allmählich als unangenehme Lücke empfunden und Material gesammelt, um dem einen oder ändern Staat eine entsprechende Vereinbarung vorzuschlagen. Der Kriegsausbruch hat diese Bemühungen unterbrochen. Lediglich zwischen dem Kanton Genf und Hochsavoyen ist im Jahre 1939 eine regionale Abmachung8 dieser Art getroffen worden; sie wurde durch den Krieg stark eingeschränkt und ist mit der totalen Besetzung Frankreichs durch die deutschen Truppen ausser Anwendung gekommen. Es besteht somit schweizerischerseits keine Verpflichtung dazu, Ausländer daran zu hindern, illegal über die Schweizergrenze ins Ausland zu gelangen. Es besteht aber auch keine moralische Verpflichtung hierzu. Denn alle drei Nachbarstaaten der Schweiz haben in frühem Jahren mindestens ebenso oft, in der Regel aber in weit grösserem Umfange und skruppellos Ausländer polizeilich «schwarz» über die Grenze nach der Schweiz abgeschoben. Ich erinnere bloss daran, wie die deutsche Polizei im August 1938 Juden aus Wien in Massen über die Schweizergrenze befördert hat9.
Eine andere Frage ist, ob wir entwichene Kriegsgefangene und Flüchtlinge illegal ausreisen lassen müssen oder an der heimlichen Ausreise hindern dürfen. Der entwichene Kriegsgefangene und der Flüchtling haben Anspruch darauf, dass wir sie ausreisen lassen. Haben sie Anspruch darauf, dass wir sie illegal ausreisen lassen? Ich glaube nicht. Der Bundesratsbeschluss10 betreffend die teilweise Schliessung der Grenze, vom 13. Dezember 1940, mit Ergänzung vom 25. September 194211, stellt denjenigen unter Strafe, der «unter Umgehung der schweizerischen Grenzkontrollen das Land betritt oder verlässt». Die Grenzkontrolle findet an den ordentlichen Grenzübergangsstellen statt für solche Personen, die ordnungsgemäss die Grenze überschreiten. Die Ausreise zwischen zwei Grenzposten ist somit eine Verletzung schweizerischer Vorschriften. Ein Ausländer kann aber m.E. nicht Anspruch darauf erheben, in Verletzung schweizerischer Vorschriften über die Schweizergrenze fortzugehen.
Ich bin daher der Auffassung, dass den entwichenen Kriegsgefangenen und Flüchtlingen kein Anspruch darauf eingeräumt werden kann, bei der heutigen Lage illegal über die Schweizergrenze gehen zu dürfen. Wir haben deshalb auch schon in einzelnen Fällen Ausländern, die illegal ausreisen wollten, die Bewilligung dazu verweigert, nämlich dann, wenn militärische Gründe für diese Stellungnahme sprachen. Wir haben das jedoch nur in wirklichen Ausnahmenfällen getan und sollten es - vom rein fremdenpolizeilichen Standpunkt aus - auch in Zukunft so tun; denn wir haben ja andererseits - immer fremdenpolizeilich gesehen - alles Interesse daran, dass möglichst viele Flüchtlinge möglichst bald unser Land verlassen.
Wir könnten mit der hier gegebenen rechtlichen Begründung wohl den entwichenen Kriegsgefangenen und Flüchtlingen, die im Zusammenhang mit der Invasion jetzt schon illegal nach Frankreich ausreisen möchten, die Erlaubnis hierzu versagen, namentlich wenn politische Erwägungen hierfür sprechen würden. Wir dürfen uns aber keine Illusionen machen über die praktische Wirksamkeit eines solchen Verbotes; denn zurzeit fehlen uns in unseren Arbeitslagern und Heimen Personal und Mittel, um gegebenenfalls eine Massenflucht zu verhindern. In den Lagern des Interniertenkommissariates besteht zwar militärische Bewachung; diese ist aber zahlenmässig so schwach, dass auch sie praktisch eine Massenflucht nicht zu verhindern vermöchte.
6. Ich fasse zusammen:
a) Die internationalen Abkommen hindern uns nicht daran, entwichene Kriegsgefangene und Flüchtlinge über die Schweizergrenze ausreisen zu lassen. Wir haben lediglich dafür zu sorgen, dass keine Korps von Kombattanten gebildet werden.
b) Wir sind verpflichtet, entwichene Kriegsgefangene Weiterreisen zu lassen.
c) Wir haben die entwichenen Kriegsgefangenen und die Flüchtlinge verpflichtet, bei erster Gelegenheit die Schweiz wieder zu verlassen.
d) Wir dürfen entwichene Kriegsgefangene und Flüchtlinge heute schon illegal ausreisen lassen.
e) Wir sind aber nicht verpflichtet, den entwichenen Kriegsgefangenen und Flüchtlingen die illegale Ausreise zu gestatten.
- 2
- (Copie): E 4800 (A) 1967/111/273.↩
- 3
- Cf. DDS, vol. 11, doc. 279, dodis.ch/46200.↩
- 4
- Cf. E 2001 (D) 3/275, 310-311.↩
- 5
- RO, 1933, vol. 49, pp. 298-300.↩
- 6
- E 1004.1 1/431 (PVCF ° 476), et RO, 1943, vol. 59, pp. 207-209.↩
- 7
- E 1004.1 1/390 et RO, 1939, vol. 55, II, pp. 1167-1172.↩
- 8
- Accord du 17 juillet 1939, E 4260 (C) 1974/34/135.↩
- 9
- Cf. E 2001 (D) 2/114, E 4300 (B) 1969/78/1, E 4800 (A) 3/2.↩
- 10
- E 1004.1 1/404 (PVCF No 2010).↩
- 11
- E 1004.1 1/425 (PVCF No 1563), et RO, 1942, vol. 58, II, pp. 895-896.↩
Tags
Internés et prisonniers de guerre (1939–1946)