Das Statut, das die Beziehungen zwischen den Besatzungsmächten und den zukünftigen Behörden von Westdeutschland regeln wird, ist den Interessen der neutralen Staaten, worunter die Schweiz, abträglich. Das EPD interveniert bei den verantwortlichen alliierten Behörden.
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 17, doc. 104
volume linkZürich/Locarno/Genève 1999
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1000/1571#3674* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1000/1571 340 | |
Dossier title | Deutschland: Wirtschaftsverhandlungen und Abkommen mit der Schweiz nach dem 8. Mai 1945 (1945–1948) | |
File reference archive | C.45.111.0 • Additional component: Deutschland |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1000/1571#1353* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1000/1571 108 | |
Dossier title | "Occupation Statute" und seine Auswirkungen auf die schweiz. Vermögensinteressen (1948–1948) | |
File reference archive | B.51.33.10.02 • Additional component: Deutschland |
dodis.ch/4430
Der Chef der Abteilung für Politische Angelegenheiten, A. Zehnder, an den schweizerischen Gesandten in London, H. de Torrenté1
Wir beehren uns, zurückzukommen auf Ihre Schreiben vom 25. September und 18. Oktober d. J. sowie auf unsere vorläufige Mitteilung vom 5. November betreffend das von den westalliierten Besetzungsmächten vorbereitete «Occupation Statute» für Westdeutschland2. Nach eingehender Überprüfung dieser Angelegenheit sowie nach Fühlungnahme mit den schweizerischen konsularischen Vertretungen in Deutschland nehmen wir nunmehr zu Ihren Ausführungen Stellung3.
Durch das Besetzungsstatut sollen die Kompetenzen zwischen den Besetzungsbehörden und der offenbar in nächster Zeit in Funktion tretenden provisorischen westdeutschen Regierung abgegrenzt werden. Es handelt sich dabei um eine einseitige Massnahme der Siegerstaaten mehr formellen Charakters, und die Schweiz hätte an sich weder einen Anlass noch das Recht, in diese Angelegenheit sich einzumischen. Nun sollen aber nach Ihren vom Schweizerischen Generalkonsul in Frankfurt a. M. bestätigten Informationen in dieses Statut Bestimmungen über die Rechtsstellung des alliierten Privatund Industrie-Eigentums in den besetzten Gebieten aufgenommen werden, wobei an die Begründung gewisser Vorrechte und Befreiungen gedacht zu werden scheint4. Von dieser Sonderbehandlung sollen auch Bürger der den Vereinigten Nationen angeschlossenen Staaten, dagegen nicht Angehörige neutraler Nichtmitglied-Staaten Nutzen ziehen können.
Nach unseren bisherigen Erfahrungen zu schliessen, unterliegt es keinem Zweifel, dass eine solche Bestimmung die schweizerischen Interessen in West-Deutschland von grösster Tragweite sein wird. Deren bereits verschiedentlich praktizierte Diskriminierung durch die alliierten Besetzungsbehörden würde durch eine solche Generalklausel zum Dauerzustand erhoben. Wir dürfen in diesem Zusammenhang auf unsere Ausführungen vom 8. Oktober d. J. betreffend die deutsche Währungsreform verweisen (Ref. C.45.A.121.0.-BC)5. Da mit dem baldigen Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland nicht zu rechnen ist, würden sich daher nicht nur für den Bestand schweizerischen Privateigentums, sondern auch für schweizerische Industrie- und Handelsbetriebe, für längere Zeit sehr ungünstige Perspektiven eröffnen.
Aber nicht nur von alliierter, sondern auch von deutscher Seite könnte eine derartige Rechtslage zu ungunsten der schweizerischen Belange in West-Deutschland ausgenützt werden. Insbesondere würden schweizerische Vermögenswerte im Zuge der Abtragung der deutschen Reparationsverpflichtungen Gefahr laufen, ohne Rücksicht auf ihren neutralen Charakter zu unbeschränkten Leistungen herangezogen zu werden.
Angesichts dieser Bedrohung der schweizerischen Interessen in Deutschland haben wir uns dazu entschlossen, in vorliegender Sache bei den zuständigen alliierten Behörden vorstellig zu werden. Dabei ist von folgenden Überlegungen auszugehen.
Vor allem aus politischen Erwägungen muss die Schweiz jeder Diskriminierung ihrer Bürger gegenüber den Angehörigen von Mitgliedstaaten der Vereinigten Nationen mit aller Entschiedenheit entgegentreten. Es ist begreiflich, wenn die alliierten Siegermächte sich in Deutschland eine Vorzugsstellung einräumen. Sie können dies mit ihren Leistungen und Opfern im Kriege begründen. Dagegen besteht absolut kein Grund, die neutrale Schweiz auf internationalem Boden schlechter zu stellen als Länder, die den Vereinigten Nationen angeschlossen sind. Das während des Krieges ebenfalls neutrale Argentinien könnte vorliegendenfalls die in Aussicht genommenen Sonderrechte für seine Bürger beanspruchen, währenddem unsere Landsleute davon ausgeschlossen blieben. Eine derartige Benachteiligung der Schweiz würde ihrer Stellung innerhalb der Völkergemeinschaft in keiner Weise gerecht werden und schweizerischerseits als unfreundlicher Akt betrachtet.
Aber auch vom Standpunkt des Rechts und der Billigkeit aus ist die Schlechterbehandlung schweizerischer Belange, wie sie das Besetzungsstatut mit sich zu bringen scheint, zurückzuweisen.
Die allgemeine Staatenpraxis kennt zwar zahlreiche Fälle diskriminierender Behandlung und die Frage, ob das Prinzip der Gleichbehandlung aller Ausländer ohne Rücksichtnahme auf ihre Staatszugehörigkeit einen rechtlichen Grundsatz darstellt, ist umstritten. Immerhin könnte die Diskriminierung der den Vereinigten Nationen nicht angeschlossenen Staaten vorliegendenfalls als Rechtsmissbrauch bezeichnet werden, weil kein gerechtfertigter Grund für ihre Andersbehandlung vorliegt, wenigstens soweit es die Schweiz betrifft. Das besondere Verhältnis zwischen Sieger und Besiegtem gilt, wie wir erwähnten, z. B. für das den Vereinigten Nationen beigetretene neutrale Argentinien nicht. Es ist daher nicht einzusehen, aus welchem Rechtsgrund sich eine unterschiedliche Behandlung der ebenfalls neutralen Schweiz gegenüber diesem Staate ergeben soll. Eine solche Zurücksetzung unseres Landes erscheint umso willkürlicher, wenn man sich deren praktische Folgen vergegenwärtigt. Die allgemeine Rechtsstellung der Schweizerbürger in Deutschland würde in Zukunft derjenigen der deutschen Staatsangehörigen entsprechen. Dies würde bei den heutigen ausserordentlich schlechten Verhältnissen in diesem Staate zu einer Behandlung schweizerischer Interessen führen, die mit dem Mindeststandard des internationalen Rechts kaum noch in Einklang stände. Eine mit derart schwerwiegenden Konsequenzen verbundene Diskriminierung von Angehörigen eines neutralen Staates, der Nichtmitglied der Vereinigten Nationen ist, muss schweizerischerseits als völkerrechtswidriger Willkürakt abgelehnt werden. Ausserdem würde sich ein solches Prozedere der Schweiz gegenüber auch aus Gründen der Billigkeit nicht rechtfertigen lassen. Unter dem Regime des Nationalsozialismus waren die in Deutschland lebenden schweizerischen Staatsangehörigen durch zahlreiche einschneidende Massnahmen in der Ausübung ihrer Vermögensrechte ausserordentlich behindert. Der strengen Clearingvorschriften wegen war es ihnen in den meisten Fällen versagt, nach der Heimat zurückzuwandern, sodass sie infolge der kriegerischen Ereignisse bedeutende materielle und persönliche Verluste erlitten haben. Es wäre daher unbillig, wenn sie heute auf das Niveau der deutschen Bevölkerung herabgedrückt würden.
Einem schweizerischen Begehren um Ausdehnung der im Besetzungsstatut vorgesehenen Sonderstellung auf die Angehörigen neutraler Staaten stehen gewisse Schwierigkeiten entgegen.
Zunächst ist es nicht ganz unbedenklich, wenn sich die Schweiz zu Gunsten ihrer Bürger unbeschränkte Vorrechte einräumen lässt, auf Grund von Massnahmen, welche die Alliierten kraft ihrer Siegerstellung gegenüber den deutschen Behörden ergreifen. Immerhin hat unser Land, wie dargetan wurde, genügend Argumente, um sich über derartige politische Rücksichten gegenüber Deutschland hinwegsetzen zu dürfen.
Besonders zu beachten ist dagegen eine vertrauliche Auskunft, welche Herr Generalkonsul Huber vom britischen General Mac Ready erhalten hat6. Danach würden es die zuständigen Organe der alliierten Militärregierung zweifellos ablehnen, allen neutralen Staaten die im Besetzungsstatut vorgesehene Vergünstigung zu gewähren, da sie nicht gewillt sind, Spanien in dieser Richtung entgegenzukommen.
Wir glauben unter diesen Umständen auf eine praktische Lösung hintendieren zu sollen. Dabei denken wir an eine Klausel, die es ermöglicht, schweizerische Interessen in Deutschland später nicht schlechter zu behandeln, als diejenigen der begünstigten Ausländer. Es könnte z. B. im Besetzungsstatut festgehalten werden, dass die Vorrechte auch Ausländern gewährt werden «können», deren Heimatstaat nicht den Vereinigten Nationen angehört. Sollten sich die Alliierten zu einem derart weitgehenden Entgegenkommen nicht bereit finden, so liesse sich eine derartige Bestimmung durch einen entsprechenden Zusatz abschwächen (z. B.: … wenn nicht besondere Gründe dem entgegenstehen). Wir könnten uns schliesslich auch damit begnügen, wenn durch eine besondere Formel die Möglichkeit geschaffen würde, über die Gleichstellung von Schweizerbürgern mit den eine Sonderstellung geniessenden Ausländern zu verhandeln. Dies wäre zu erreichen, wenn das Besetzungsstatut durch eine Klausel ergänzt würde, wonach Ausländer, deren Heimatstaat den Vereinigten Nationen nicht angehört, ebenfalls in den Genuss von im Statut zu Gunsten der Angehörigen der Vereinigten Nationen vorgesehenen Vorrechten gelangen, wenn besondere Abmachungen dies vorsehen.
Solche Vorschläge können allerdings nicht ohne weiteres von uns gemacht werden, weil damit im Prinzip die von den Alliierten geplante Massnahme anerkannt würde. Vielmehr müssten sie von der anderen Seite kommen. Es ist dies der Grund, weshalb wir von der Übergabe einer Note, in der das schweizerische Begehren genau formuliert werden müsste, absehen möchten. Die vorliegende Angelegenheit besonders heikler Natur eignet sich besser zu einer gesprächsweisen Erörterung. Das weitere Vorgehen stellen wir uns so vor, dass die Frage des Besetzungsstatuts und der schweizerischen Interessen in West-Deutschland zuständigenorts im Wege einer mündlichen Demarche anhängig gemacht wird. Dabei wäre unter Verwendung der in diesem Schreiben enthaltenen Argumente gegen die drohende Diskriminierung schweizerischer Interessen mit allem Nachdruck zu protestieren und darzutun, dass eine praktische Lösung gefunden werden sollte, um die unerwünschte Schlechterbehandlung zu verhindern. Es wäre dann der Erwartung Ausdruck zu geben, dass alliierterseits die Angelegenheit unverzüglich geprüft wird und Vorschläge zu einer praktischen Regelung gemacht werden. Es wird besonderes Geschick erfordern, den Gesprächspartnern unsere Ideen in dieser Richtung zu suggerieren, sodass der entscheidende Schritt von alliierter Seite gemacht wird. Angesichts der Dringlichkeit der Sache – das Statut soll eventuell schon Ende dieses Monats den deutschen Behörden übergeben werden – wäre es auch wünschenswert, wenn ein Termin von ca. 10 Tagen vereinbart werden könnte, innerhalb welchem die Alliierten sich zu unserem Begehren äussern würden. Schweizerischerseits würde in der Folge umgehend zu den alliierten Vorschlägen Stellung genommen. Die Verständigung mit uns müsste auf telegraphischem Wege erfolgen.
Wir wären Ihnen verbunden, wenn Sie unverzüglich nach Erhalt dieses Schreibens im Sinne unserer Ausführungen beim Foreign Office intervenieren und unsere Auffassung in dieser bedeutenden Angelegenheit nach bester Möglichkeit vertreten würden7.
Die Schweizerischen Gesandtschaften in Washington und Paris sowie das Schweizerische Generalkonsulat in Frankfurt und das Konsulat in Baden-Baden wurden von uns ersucht, entsprechende Schritte einzuleiten8.
- 1
- Lettre (Kopie): E 2001(E)-/1/108. Paraphe: GB.↩
- 2
- Nicht abgedruckt.↩
- 3
- Vgl. das Schreiben des schweizerischen Konsulats in Baden-Baden von G. Naville an A. Zehnder vom 12. November 1948. Nicht abgedruckt. Der Leiter des schweizerischen Generalkonsulats in Frankfurt a. M., A. Huber, wurde anlässlich seines Besuches in Bern am 15. November instruiert, vgl. das Schreiben von A. Huber an F. Kappeler vom 2. Dezember 1948. Nicht abgedruckt.↩
- 4
- Hier ist die ganze Problematik des sogenannten Lastenausgleichs angesprochen, bei der es um die Verteilung der aus Kriegs- und Kriegsfolgeschäden resultierenden Lasten auf die gesamte Bevölkerung geht. Ein erstes diesbezügliches Gesetz wurde am 1. Dezember 1948 durch den Wirtschaftsrat des vereinigten Wirtschaftsgebietes (Bizone) verabschiedet. Vgl. das Merkblatt No. 5 betreffend die Frage des Lastenausgleichs in Westdeutschland des EPD an die schweizerischen Vertretungen in Deutschland vom 7. Februar 1949, E 2001(E)1967/113/402 (dodis.ch/4847). Vgl. auch das Schreiben von A. Huber an F. Kappeler vom 11. Februar 1949, ebd. (dodis.ch/4845), das Telegramm des EPD an A. Huber vom 30. Mai 1949, E 2001(E)1967/113/8 (dodis.ch/4846), und das Schreiben von A. Huber an F. Kappeler vom 2. Juni 1949, E 2001(E)1967/113/402 (dodis.ch/4848).↩
- 5
- Vgl. Nrn. 81, 88 und 115, insbesondere Anm. 1, in diesem Band.↩
- 6
- Vgl. das Schreiben von A. Huber an F. Kappeler vom 2. Dezember 1948. Nicht abgedruckt.↩
- 7
- Vgl. das Schreiben von H. de Torrenté an A. Zehnder vom 7. Dezember 1948. Nicht abgedruckt.↩
- 8
- Alle drei Schreiben vom 27. November. Nicht abgedruckt.↩
Relations to other documents
http://dodis.ch/4430 | is mentionned in | http://dodis.ch/4849 |
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