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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 318
volume linkBern 1983
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#10422* | |
Dossier title | Beschlussprotokoll(-e) 02.05.-02.05.1912 (1912–1912) |
dodis.ch/43173 Protokoll der Sitzung des Bundesrates vom 2. Mai 19121 2232. Organisation der Bundesverwaltung
[...]2 Herr Bundesrat Deucher: Ich berufe mich auf meine Äusserungen in der Sitzung vom 13. Juli 19113. Ich bin nun der Meinung, dass das ständige Politische Departement, nachdem im übrigen nach den reformierenden Massnahmen vorgegangen sein wird, die Präsidialleitung durch einen mit einer Departementalverwaltung beschäftigten Bundesrat zum grössten Teile möglich ist. Ich kann daher in dieser Richtung keinen Vorbehalt mehr machen.
Dagegen bin ich in anderer Richtung nicht beruhigt. Der Bundespräsident wird nach der vorgeschlagenen Ordnung entschieden an Ansehen verlieren, er wird nicht mehr die grosse Figur sein, die er bis jetzt war, sondern wird vor der Gestalt des Chefs des Departements des Äussern verschwinden.
Allein es sind, und das ist die Hauptsache, Tatsachen anzuführen, die beweisen, dass der Chef des Departementes des Äussern, und zwar in guten Treuen, zu weit gehen kann, dass er sich bindet in Fragen, in denen es besser wäre, es nicht zu tun. In solchen Lagen wird ein Kollege dann nicht desavouiert und dadurch kommt man zu Verpflichtungen, die schwer auf dem Rate liegen. Gegen solche Übergriffe ist in den Vorlagen keine Garantie gegeben. Wenn darum etwas geschaffen werden könnte, das dem, was ich befürchte, Vorbeugen könnte, so liesse ich mich eher für die Sache bestimmen. Wobei aber auf der ändern Seite auch gesagt werden muss, dass auch an dem jetzigen Stand der Dinge Verbesserungen angebracht werden könnten. Ich erinnere an die Aufstellung von Delegationen, die dann allerdings auch wirklich amten müssten. Die Wanderung des neuesten Bundesrates durch die verschiedenen Departemente wird als ein gewisser Nachteil bleiben. Im Grunde werde ich für die bestehende Ordnung, Vorund Nachteile allseitig abgewogen, als, trotz allem, die bessere eintreten.
Herr Bundesrat Müller: Ich glaubte und glaube, dass sich der Bundesrat bereits im Juli für ein ständig geleitetes Politisches Departement entschieden habe.
Ich möchte noch zu der Einrichtung eines ständigen Politischen Departementes folgendes beifügen:
In der Bundesversammlung ist jedenfalls eine starke Strömung für das ständige Politische Departement vorhanden. Die Leitung, die Direktion unserer Vertretung im Auslande, leidet unter den wechselnden Vorstehern des politischen Departementes. Diese Empfindung wird eine ziemlich verbreitete sein.
Die persönlichen Einflüsse, die man dem Leiter eines ständigen politischen Departementes zuschreibt, dürfen nicht übertrieben werden. Solche persönliche Präponderanzen können unter jedem System Vorkommen. Die Wanderung des jüngsten Mitgliedes ist gewiss auch etwas Unsympathisches. Allein trotz Erwägungen dieser Art wird es mir ausnehmend schwer über meine Bedenken gegen eine Änderung hinweg zu kommen. Es wird eben nicht ausbleiben, dass die Autorität des Chefs des Äussern überwuchern wird und dass die zweifache und gesonderte Stellung eines Chefs des Äussern und eines Bundespräsidenten von den auswärtigen Diplomaten ausgenutz werden kann, um den einen gegen den ändern auszuspielen.
Auch bin ich nicht ganz überzeugt, dass die gleichzeitige Verwaltung eines Departementes und die Durchführung der Präsidialleitung sich nicht vereinigen lassen.
Wenn man aber zu einem Politischen Departement übergehen will, so bin ich dafür, dass das nicht unter Mitleitung einer Delegation geschehe. Der Bundesrat als solcher muss die Entscheidung in der Hand behalten. Ich bin daher geradezu der Meinung, dass dies gesetzlich an irgend einer gegebenen Stelle festgelegt werden müsste. Für mich steht die Entscheidung, wenn ich so sagen soll, auf der Wage.
Herr Bundesrat Hoffmann: Es ist grundsätzlich kein Grund irgendwelcher Art aufzuführen, der dartun würde, dass die Behandlung der Geschäfte des politischen Departementes nicht die gleiche Kontinuität zu erfahren habe, wie die Behandlung irgend eines ändern Geschäftsgebietes. Ein Wechsel z.B. der Behandlung des Eisenbahnwesens würde in jeder Beziehung jedem höchst erstaunlich erscheinen.
Richtig ist, was schon bemerkt wurde, dass unter dem Wechsel der Leitung, die Anleitung und die Ausnützung unserer diplomatischen Vertretung in genügender Weise leidet. Überdies haben wir Geschäfte, die von wichtiger Natur sind, die nicht in einem Jahre erledigt werden können. Ich erinnere an die Ausländerfrage.
Das ständige Politische Departement hat gewiss auch seine Nachteile.
Aber wie steht es jetzt? Auch jetzt hat eigentlich der Bundesrat kaum einen vollständigen Einblick in die äussern Geschäfte. Die zirkulierenden Berichte der Gesandtschaften sagen doch nicht viel. Ich erinnere an die selbständige Behandlung der Geschäfte des Justizdepartementes, soweit sie Beziehungen zum Auslande betreffen. Hier geht das Justizdepartement sehr selbstherrlich vor. Ich denke an Verhandlungen, die das Justizdepartement über die Unterstützung von ausländischen Armen führt. Ich denke an den deutsch-schweizerischen Niederlassungsvertrag. In allen diesen Dingen könnte der Vorsteher des Departementes den Bundesrat ohne weiteres binden, wenn es die Verhältnisse mit sich bringen würden.
Man muss daher den Ausdruck System Droz mit Einschränkung brauchen und sagen, dass unter jedem System, je nach dem Charakter der Personen, Übergriffe stattfinden können. Herr Bundesrat Comtesse, obschon er nur ein Jahr das Präsidium führte, hat doch in einem Jahr in der Frage der internationalen Ämter den Bundesrat gebunden, und zwar in einer Weise, die dem Bundesrate Schwierigkeiten brachte.
Ich glaube im Ganzen, dass die Massnahmen, die man in Bezug auf die administrative Reform getroffen hat, die Möglichkeit schaffen werden, dass jedem einzelnen Mitglied die Präsidialverwaltung möglich ist.
Immerhin scheint es mir, dass gewisse Kautelen geschaffen werden sollten, wenn ein ständiges politisches Departement eingeführt werden wird.
Ich nehme an, dass die Vorschrift gegeben werden müsste, dass z. B. monatliche Rapporte dem Bundesrate über den Stand der Geschäfte vorzulegen sein werden. Dadurch würde der Rat stets richtig und fortlaufend orientiert sein.
Dann würde es mir doch richtig erscheinen, die kommissionale Behandlung der wichtigen Geschäfte vorzuschreiben. Ich meine nicht eine ständige Kommission, aber eine jeweilige Zusammensetzung je nach der Art des Geschäftes.
Autoritätsfragen, Ansehensfragen des Präsidenten sind mehr Fragen der Eitelkeit.
Grundsätzlich stehe ich, unter den angegebenen Verhältnissen, auf dem Standpunkte des Vorschlages des Herrn Bundesrat Comtesse.
Herr Bundesrat Motta: Die Frage stellen: Soll ein ständiges, Politisches Departement, das die Kontinuität der Geschäfte garantiert, eingerichtet werden, - heisst sie auch beantworten. Es ist für mich kein Zweifel, dass die politischen Geschäfte vor allem Kontinuität notwendig haben. Die Angelegenheit Droz ist doch gewiss ein durchaus spezielles Ereignis und keineswegs die Regel. Herr Droz mag selbstherrlich verfahren sein, allein die Natur der Dinge lässt doch darauf schliessen, dass die eigenmächtige Behandlung der Geschäfte die Ausnahme ist. Mit den von Herrn Bundesrat Hoffmann angegebenen Kautelen wird übrigens einem Missbrauch, wird Übergriffen vorgebeugt werden. Diese Kautelen finden sich übrigens im Berichte des Herrn Comtesse auch angedeutet.
Ich möchte auch anführen, dass die Opportunität, wenn diese auch nicht als ausschlaggebend in Betracht fällt, für die Änderung des bestehenden Systems spricht; denn die Räte sind augenscheinlich derart für die Änderung gewonnen, dass die Entwicklung der Angelegenheit nicht mehr gehemmt werden kann. Ich stimme mit Überzeugung für den Vorschlag des Herrn Comtesse.
Herr Bundesrat Perrier: Ich halte dafür, dass in der Tat, wie Herr Motta anführt, die allgemeine Strömung nach einer Änderung geht. Was die mögliche Autokratie eines Chefs des Äussern anbetrifft, so habe ich die Überzeugung, dass dieser Vorwurf, den man dem «System» macht, mehr der Persönlichkeit des Herrn Droz zu gelten hat als der Sache. Wer Herrn Droz gekannt hat, wird dieser Ansicht zuneigen.
Ich glaube auch, dass die Verbindung von Präsidialleitung und Departementalleitung sich praktisch ermöglichen lassen wird. Ich werde für den Vorschlag des Herrn Comtesse stimmen.
Herr Bundespräsident Forrer: Es mag sein, dass die Strömung in den Parlamenten so ist, wie sie geschildert wurde. Allein es ist unsere Pflicht, nach unserer Überzeugung zu handeln. Das gegenwärtige System wird vielseitig angeklagt. Es wird vielerorts gesagt, wir seien den fremden Diplomaten nicht gewachsen. Die Fehler, die man der Behandlung der auswärtigen Geschäfte vorwirft, sind jedoch meistens wenig begründet.
Ich komme nach wiederholter Prüfung dazu, dass wir besser tun, rebus sic stantibus bei der gegenwärtigen Ordnung zu bleiben. Gegenwärtig ist der Bundesrat das Politische Departement. Das hat seine Vorteile. Man kann sich immer darauf berufen, der Rat habe zu entscheiden. Dadurch gewinnt man Zeit und die Mitberatung aller Mitglieder des Rates.
Die Sache selbst prüfend vermag ich die Überzeugung nicht aufzugeben, dass die gleichzeitige Verwaltung eines Departementes mit den Präsidialgeschäften seine Schwierigkeit haben wird. Die Präsidialgeschäfte sind doch nicht wenig zahlreich und die Überprüfung der eingehenden Geschäfte, zu denen man das eine oder andere Mal eine Bemerkung zu machen wünscht, nimmt Zeit in Anspruch. Dann erinnere ich an die zahlreichen Präsidial Verfügungen. Im politischen bezw. im auswärtigen Gebiete hat man weniger zu tun. Dadurch gewinnt man die Möglichkeit, sich den Präsidialgeschäften zu widmen. Bei ändern Departementen - Eisenbahn, Militär- hat man nach meiner Überzeugung hiefür einfach keine Zeit. Dann noch etwas anderes. Der Bundespräsident hat bedeutende Repräsentationspflichten; es ergibt sich für ihn die Notwendigkeit in Audienzen zur Verfügung zu stehen. Auch den allgemeinen Überblick über die Politik muss er festzuhalten suchen. Es ist also meiner Meinung, wie gesagt, nicht möglich beide Geschäftsführungen zu erledigen, wenn er nicht ein Schattenpräsident werden will.
Was die monatlichen Berichte, die man verlangt, anbetrifft, so würde dabei nichts herauskommen, da in der Regel nicht viel zu berichten sein wird.
Herr Bundesrat Deucher gibt hierauf, auf eine Anfrage des Herrn Bundesrat Müller, Aufschluss über die Verhältnisse der Handelsabteilung. Auf die Führung des Handelsdepartementes hat es keinen Einfluss, ob die Handelsabteilung bleibt, wo sie gegenwärtig ist, oder ob sie zum geplanten ständigen Politischen Departement zugeteilt wird.
Das Verhältnis des Handels zur Industrie wird immerhin zu prüfen sein.
Es ist kurz gesagt, gut gegangen, wie es mit den jetzt bestehenden organisatorischen Bestimmungen gegangen ist, allein es wäre wohl bei einer Zuteilung zu einem politischen Departement nicht weniger gut gegangen. Besser würde es wohl bei dem gegenwärtigen Zustande marschieren.
Nachdem sich Herr Bundesrat Hoffmann noch über die regelmässigen Berichte ausgesprochen hat, wird zur Abstimmung geschritten.
Herr Bundesrat Hoffmann hat folgende Amendements zu dem Antrage des Herrn Comtesse gestellt:
Es soll darauf Bedacht genommen werden, dass die Mitglieder des Bundesrates durch regelmässige Berichterstattung seitens des Politischen Departementes auf dem laufenden erhalten bleiben;
Wichtigere Entscheidungen sollen dem Bundesrate überlassen sein;
Fragen von erheblicher Tragweite sollen durch kommissionelle Beratung vorbereitet werden. Abstimmung:
Die von Herrn Bundesrat Hoffmann beantragten Amendements werden ohne Gegenantrag angenommen.
In der Hauptabstimmung entscheiden sich drei Herren (Hoffmann, Motta und Perrier) für den bereinigten Antrag Comtesse.
Zwei Herren (Deucher, Müller) für den Antrag, den Zustand, wie er jetzt besteht, zu belassen.
Herr Bundespräsident Forrer würde zu letzterem Antrag stimmen, beantragt indessen, vorerst die Ansicht des Herrn Bundesrat Ruchet einzuholen.
Herr Bundespräsident Forrer und Herr Bundesrat Motta werden beauftragt, die Stimmabgabe des Herrn Ruchet einzuholen.
[...] N achmittagssitzung.
Herr Bundesrat Motta berichtet, dass Herr Bundesrat Ruchet sich entschieden für die Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Zustandes und gegen ein ständiges Politisches Departement ausgesprochen habe4.
Herr Bundespräsident Forrer beantragt, auf die weitere Beratung der Vorlagen einzutreten.
Herr Bundesrat Hoffmann beantragt, einfach auf die frühere Berichterstattung des Bundesrates5, die eine Änderung der Organisation des Bundesrates abgelehnt hat, zu verweisen, denn nachdem die Mehrheit für das bisherige System sich ausgesprochen hat, werden Revisionen der bestehenden Gesetzestexte kaum einen Sinn haben.
Herr Bundesrat Motta ist derselben Ansicht.
Herr Bundesrat Müller ist der Meinung, dass auf der Vorlage des Herrn Bundesrat Comtesse in der Tat nicht weiter beraten werden könne. Was allfällig nach dem heutigen Beschlüsse geschehen könnte, muss neuerdings überlegt und untersucht werden.
Sicherlich sind wir den Räten einen Bericht schuldig; denn wir haben einen solchen in Aussicht gestellt6. Über die Entlastungsfragen wird man noch weitere Beratungen zu pflegen haben, wenn die Vorlagen ergänzt sein werden. Heute die Diskussion fortzusetzen erscheint allerdings nicht ratsam.
[...]7
- 2
- Verfahrensfragen. In der gleichen Sitzung werden behandelt: Verfassungsrevision und Kompetenz der Abteilungsvorstände.↩
- 3
- Nr. 290.↩
- 4
- Forrer notierte am 2. Mai in sein Notizbuch: Um drei Uhr gingen dann Motta und ich zu Ruchet. Er erklärte bestimmt, dagegen zu votieren. Vier Uhr Nachmittagssitzung, in der Herr Motta über die Visite bei Herrn Ruchet referierte. Herr Hoffmann war sichtlich verblüfft und beantragte, nun nicht auf eine andere Verteilung der Geschäfte unter die Departemente einzutreten. Beschlossen (ZB Zürich Ms Z II 741).↩
- 5
- Bericht vom 2. Juli 1909, siehe BBl 1909, Bd. IV, S. 289 ff.↩
- 6
- Dieser Bericht erschien am 9. Juli 1912, siehe BBl 1912, Bd. IV, S. 61 ff.↩
- 7
- Der Bundesrat beschliesst, auf die Anregung, einen ständigen Vorsteher des Politischen Departementes vorzusehen, nicht einzutreten und auf dem in seinem Bericht vom 2. Juli 1909 ausgesprochenen Standpunkt zu verharren.↩