Darin: Fonjallaz ersucht Deucher, die Kündigung des Handels vertrages mit Spanien in die Wege zu leiten. Annex vom 29.7.1904
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 36
volume linkBern 1983
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E13#1000/38#545* | |
Old classification | CH-BAR E 13(-)1000/38 102 | |
Dossier title | Kündigung der Handelsübereinkunft auf den 31.08.1904 durch die Schweiz (1904–1904) |
dodis.ch/42891
Antrag des Vorstehers des Handels-, Industrie- und Landwirtschaftsdepartementes, A. Deucher, an den Bundesrat1
Im Anschlüsse übermittle eine Eingabe des Herrn Nationalrates Fonjallaz2, in welcher derselbe eine Kündigung unseres Handelsvertrages mit Spanien bis spätestens den 20. August verlangt. Die Sache beschäftigte mich seit längerer
Zeit3, sie ist so wichtig und dringend, dass ich auch ohne die Eingabe Fonjallaz
dem Bundesrate darüber berichtet hätte, was leider vor meiner Abreise in
Urlaub nicht mehr möglich war. Allerdings habe ich die ganze Angelegenheit schon vorher mit Dr. Eichmann besprochen, wobei derselbe die Ansicht äusserte, wir sollten Spanien nicht künden, bevor wir mit Deutschland und Österreich abgeschlossen hätten, da wir sonst unsere Position sowohl diesen Staaten als
Spanien gegenüber schwächen würden. Ich konnte damals noch zu keinem bestimmten Entschlüsse gelangen, wollte mir weitere, allseitige Erwägung Vorbehalten. Das ist nun geschehen und nach reiflicher Überlegung und scrupulösester Abwägung des Für und Wider und aller massgebenden Verhältnisse, gelange ich,
entgegen der Ansicht des Hrn. Eichmann, zu dem ganz bestimmten Schlüsse,
dass wir den Vertrag mit Spanien in einer für uns möglichst nützlichen Frist
künden müssen, und betrachte als diese Frist spätestens Ende August. Ich halte die Gründe des Hrn. Eichmann gegenüber den Gefahren einer zu späten
Kündigung als nicht stichhaltig; ich sehe vor allem nicht ein, warum wir den viel wichtigeren Vertrag mit Italien kündigen konnten, ohne vorher mit Deutschland und Österreich abgeschlossen zu haben, und warum wir jetzt, nachdem wir wenigstens den einen Vertrag mit Italien haben, Spanien nicht sollten kündigen
können. Ich halte im Gegenteil dafür, dass gerade der neue Vertrag mit Italien uns die Kündigung des spanischen zur gebieterischen Pflicht macht, da wir uns sonst der Gefahr aussetzen, zwar mit Italien, Deutschland und Österreich (das Abkommen mit Frankreich kommt einstweilen nicht in Betracht) Verträge zu besitzen, die nächsten Sommer in Kraft treten können, dass aber dann für uns eine der wichtigsten Positionen, diejenige des Weines, nicht zur Geltung kommen kann, weil dieselbe dann einzig noch im spanischen Vertrage gebunden ist,
sodass nicht nur Spanien, sondern Kraft Meistbegünstigung auch Italien, ihre gesamte Weinernte von 1905 noch zum alten Zollsatz von 3,50 bei uns einführen
könnten. Dieser Eventualität dürfen wir uns unter keinen Umständen aussetzen. Wie würden wir vor unserem Parlamente und vor unserem Volke dastehen? Man darf gar nicht daran denken. Nicht nur von unsern Agrariern, sondern noch von ganz anderer Seite würde uns, und zwar mit einiger Berechtigung vorgeworfen, wir haben die Lage nicht gehörig gewürdigt, nicht mit dem richtigen Verständnis gehandelt, und der Vorhalt, wir seien «leichten Herzens» über eine so wichtige und doch so einfache Sache hinweggegangen, wäre noch das Gelindeste, was wir zu hören bekommen würden.
Eine solche Verantwortung will und kann ich als Chef des betreffenden Ressortdepartements nicht übernehmen und deshalb erlaube ich mir, obschon abwesend, den förmlichen Antrag zu stellen:
Es sei unser Handelsvertrag mit Spanien spätestens Ende August zu kündigen.
Ich ersuche meinen Stellvertreter, diese Antragstellung in absentia mit dem Ernste der Sachlage und der schweren Last meiner Verantwortlichkeit zu entschuldigen und mir Indemnität zu erteilen, wobei ich voraussetze, dass vor der endgültigen Beschlussfassung des Bundesrates unsere drei Abgeordneten für den italienischen Vertrag, als in Sachen wesentlich beteiligt, zur Beratung mit der Delegation des Bundesrates, in der selbstverständlich für mich mein Herr Stellvertreter amten wird, einberufen würden, wobei ihnen diese meine Ansicht mitzuteilen wäre. Schliesslich erlaube ich mir, dem Bundesrate noch von einer Unterhaltung Kenntnis zu geben, die ich gestern abend mit einem hohen, mir längst bekannten österreichischen Beamten, der vertrauenswürdig und in Sachen versiert ist, über die Anschauungen der massgebenden Kreise in Wien betreffend die schwebenden Handelsvertragsverhandlungen hatte. - Derselbe erklärte mir, man halte es in Wien für völlig undenkbar, dass nicht ein neuer Vertrag zwischen Österreich-Ungarn und Deutschland zustande komme und zwar so zeitig, dass derselbe bis Mitte nächsten Jahres in Kraft treten könne. Auch mit der Schweiz hoffe man sich ohne Kündigung in der Weise, wie dies zwischen uns und Deutschland geschehen sei, zu verständigen, so dass ein Vertrag zwischen unsern beiden Staaten gleichzeitig mit dem österreichisch-deutschen in Kraft treten könnte. Schwieriger seien die Verhältnisse mit Italien, aber auch da müsse, schon aus politischen Gründen, ein Ausweg gefunden werden.
Man sei im übrigen in Wien der Ansicht, dass der deutsche Reichskanzler, ohne zurzeit etwas verlautbaren zu lassen, ein Inkrafttreten sämtlicher neuen Verträge Deutschlands auf Mitte nächsten Jahres in Aussicht nehme.
Wenn dem so ist, und warum sollte es nicht sein, denn es ist möglich, wäre dies ein weiterer Grund für uns, unsern Vertrag mit Spanien zu kündigen, um uns dadurch zu ermöglichen, auch unsere neuen Verträge in allen Teilen im Laufe des nächsten Sommers perfekt werden zu lassen. Dadurch würde auch die Doppelspurigkeit, die sich bezüglich des Inkrafttretens unseres Vertrages mit Italien ergibt, ganz oder doch grösstenteils beseitigt, was umso eher zu begrüssen wäre, als sonst diese Doppelspurigkeit mindestens zu unliebsamen Kritiken Anlass bieten könnte. Schliesslich empfehle nochmals die Annahme meines oben gestellten Antrages:
Es sei unser Handelsvertrag mit Spanien spätestens ende August zu kündigen.4
- 1
- E 13 (B)/255. Kündigung des Handelsvertrages mit Spanien.↩
- 2
- Als Annex ab gedruckt.↩
- 3
- Aufgrund von Anfragen des spanischen Konsuls in Bern vom 8. Februar 1904 und vom 23. Februar 1904. Das Protokoll der Bundesratssitzung vom 4. März 1904 hält fest: [...] Das Handelsdepartement hat dem spanischen Konsul die nötigen Aufschlüsse mündlich gegeben und ihn zum Verständnis seines Vorgehens besonders darauf aufmerksam gemacht, dass der hierseitige Weinzoll von Fr. 3.50 nicht nur mit Italien und Spanien, sondern auch mit Deutschland und Österreich-Ungarn gebunden ist, dass deshalb, wenn mit Italien ein erhöhter Weinzoll vereinbart würde, dieser Zoll einstweilen nicht in Kraft gesetzt werden könnte, bevor die Schweiz auch neue Verträge mit Deutschland und Österreich-Ungarn abgeschlossen hat. Bis dahin werde es aber voraussichtlich noch so lange dauern, dass es keinen Zweck hätte, jetzt schon mit Spanien in Unterhandlung zu treten, zumal eine Verständigung mit diesem Lande voraussichtlich nur wenig Zeit in Anspruch nehmen werde[...] (E 1004 1/216).↩