Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
II. BILATERALE BEZIEHUNGEN
10. Italien
10.2. Handelsvertragsverhandlungen
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 5, doc. 24
volume linkBern 1983
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E13#1000/38#300* | |
Old classification | CH-BAR E 13(-)1000/38 69 | |
Dossier title | Protokolle der Konferenzen der bundesrätlichen Delegation und der Delegation für die Vertragsunterhandlungen (1903–1904) |
dodis.ch/42879
Protokoll der Konferenz der bundesrätlichen Delegation und der Unterhändler des schweizerisch-italienischen Handelsvertrages1
Hr. Bundesrat Deucher, Vorsitzender: Wir haben uns erlaubt, Sie zu einer vertraulichen Besprechung über den Stand der Handelsvertrags-Unterhandlungen mit Italien einzuladen. Diese Unterhandlungen sind auf einem Punkte angelangt, wo wir uns darüber entscheiden müssen, ob und welche Konzessionen auf dem schweizerischen Tarif, insbesondere bei Wein und Vieh, eventuell noch gemacht werden könnten. Von unseren äussersten Anerbieten wird es im wesentlichen abhängen, ob ein Abbruch der Verhandlungen und damit der Zollkrieg vermieden werden kann. Die Schweiz würde unter einem Zollkrieg weniger zu leiden haben als Italien; trotzdem ist ernsthaft zu bedenken, dass ein solches Ereigniss immer etwas anormales ist, und dass dabei nicht nur das wirtschaftliche, sondern auch das politische Verhältniss zwischen beiden Staaten eine Änderung erleidet.
[...]2
Hr. Fonjallaz: Die Nothlage des schweizerischen Weinbaus ist eine allgemein bekannte Thatsache; ihr kann nur durch eine bedeutende Erhöhung des Zolles gesteuert werden. Der beständige Kampf gegen die Schädlinge der Rebe, die höhern Betriebskosten (in Italien löhnt man den Arbeiter mit 80 c. bis 1 fr., in der Schweiz mit 2.50 bis 3 fr.), die ausserordentlich niedrigen Verkaufspreise der fremden Weine (italienische sind öfters zu 10 bis 12 fr. per hl. erhältlich) haben den Ertrag unserer Rebberge auf ein Minimum herabsinken lassen. Die Zufuhr italienischer Weine wird ausserdem durch Frachtvergünstigungen ausserordentlich erleichtert.
Eine bedeutende Konzession liegt schon darin, dass die Alkoholgrenze auf 15 ° erhöht und dass für neuen Wein 6% Abzug gewährt wird. Die italienische Forderung eines Abzuges von 10 % und 15 % ist übertrieben und bedeutet einfach die Rückkehr zum heutigen Zoll von fr. 3.50. Italien hat von Deutschland einen Zoll von 20 Mark hingenommen; es wird auch die vom Bauernverband verlangten 10 fr. schliesslich acceptieren und es nicht auf einen Zollkrieg kommen lassen, weil sein Weinexport auf die Schweiz angewiesen ist. Italien befindet sich heute in einer ähnlichen Lage wie Frankreich 1895; nur ist die Situation für uns viel günstiger als damals. Der Weinzoll war in den früheren Verträgen mit Italien stets das Lösegeld (rançon); heute soll dieser Zweig unserer Landwirtschaft nicht wieder für die Industrie geopfert werden. Es liegen in unsern Weinbergen 300 Millionen investiert, die dahin wären, wenn nicht ein bedeutender Zollschutz eintritt.
Ein Zoll von 10 fr. ist also das Minimum dessen, was verlangt werden muss; wenn es aber schliesslich von einem Franken abhängen sollte, ob ein neuer Vertrag zustande komme oder nicht, so könnte im äussersten Falle ein Ansatz von 9 fr. bewilligt werden.
[...]
Hr. Schrämli: Italien steht vor einer riesigen Weinernte und fürchtet sehr für seinen Export, darum die ungeheuren Anstrengungen, einen Theil seiner Ernte noch vor dem 17. September in die Schweiz hereinzubringen3. Italienische Agenten bereisen heute schon unser Land und offerieren ab künftigen Zollagern in Chiasso, zu Preisen, für die sie sich bis zum 10. September binden wollen. Es handelt sich hauptsächlich um apulische und sizilianische Weine, die früh auf den Markt kommen.
Herr Bundesrat Comtesseist der Meinung, dass auf einem Minimalzoll von 9 fr. zu insistieren und dass eine Theilung der Position, die zu allerlei zweifelhaften Manipulationen Gelegenheit gäbe, zu vermeiden sei.
Herr Künzli: Wir werden wohl in die Lage kommen, noch eine weitergehende Konzession machen zu müssen, da wir uns sonst mit Frankreich Überwerfen; aber unter 9 fr. dürfen wir nicht gehen. Die Industrie kommt im neuen Vertrag mit Italien, wenn ein solcher zustande gebracht wird, nicht so günstig weg, wie Herr Fonjallaz angedeutet hat, und unter denjenigen Zweigen derselben, für die das meiste erreicht wurde, befinden sich solche, die mit unserer Milchwirtschaft in engem Zusammenhange stehen.
Die Unterhändler haben gewissenhaft die Interessen der Industrie, wie diejenigen der Landwirtschaft im Auge behalten. Einzelne Theile unserer Textil- und Maschinenindustrie, dann die Wolle etc. gehen ganz leer aus.
Herr Dr. Eichmann: Die Grosshandelspreise für italienische Weine bewegen sich zwischen 20 und 25 fr.; ein Zoll von 10 fr. brutto würde also bis 60% des Werthes betragen. Man muss bedenken, dass der Sprung von 3.50 auf 9 - ein gewaltiger ist und einer Verdreifachung nahekommt. Wenn wir den Zoll zu hoch schrauben, so kommt die italienische Regierung in eine schwierige Lage gegenüber dem Parlament; denn bekanntlich sind die Kammern stets die gefürchtetsten Opponenten. Die Konzessionen, die unserer Industrie bis jetzt von Italien angeboten wurden, sind nicht so wichtig, wie man sie dargestellt hat; für gewisse Maschinen müssen wir uns sogar eine Erhöhung gefallen lassen. Für Seide haben wir viel verlangt, aber hier spielt die Rückwirkung auf die deutschen und französischen Zölle eine wichtige Rolle. Frankreich droht mit einer Erhöhung seiner Ansätze für Seidenstoffe auf das Niveau der künftigen deutschen Vertragszölle; auch England ist nicht mehr absolut für den Freihandel gesichert. Wir haben übrigens den Vertrag mit Italien nicht gekündet, um für unsere Industrie nichts herauszuschlagen.
Wir haben einen grossen landwirtschaftlichen Import aus Italien, während wir aus Deutschland nur wenig landwirtschaftliche Erzeugnisse beziehen. Wenn wir für unsern Käse- und Viehexport in Deutschland Konzessionen herausschlagen wollen, so müssen wir dieselben mit Gegenkonzessionen auf unsern Industriezöllen erkaufen. Hier schlägt sich also die Industrie für die Landwirtschaft, und es ist daher keine übertriebene Forderung, dass sich unsere Landwirtschaft in den Unterhandlungen mit Italien solidarisch zeige.
Dr. Laur: Was für die Industrie bis jetzt erreicht wurde, darf nicht zu gering angeschlagen werden. Giolitti hat gesagt, dass 300000 italienische Arbeiter brotlos werden, wenn unsere Forderungen angenommen werden. Das ist nun freilich eine Übertreibung, aber es kann nicht geleugnet werden, dass wir Italien auf seinen Industriezöllen grosse Zumuthungen machen. Um diese zu verwirklichen ist unsere Landwirtschaft zu einem grossen Opfer bereit, und ein solches liegt nach dem Erachten des Bauernverbandes in dem proponierten Minimalzoll für Wein. Weiter darf aber nicht gegangen werden, wenn unsere Rebberge nicht veröden sollen. Mit abgewirtschaftetem Weinland ist aber nicht mehr viel anzufangen.
Die Berechnung, welchen Prozentsatz des Werthes der neue Weinzoll betrage, ist unrichtig: man muss mit den absoluten Zahlen rechnen. Wenn ein Wein in Italien 10 bis 12 fr. kostet, so kommt er auch mit einem Zoll 10 fr. doch nur auf 20 bis 22 fr. zu stehen. Für theure Weine, z. B. von 100 und mehr fr. per hl., könnte unser Weinbau den bisherigen niedrigen Zoll unbedenklich fortbestehen lassen.
Was die Unterhandlungen mit Deutschland anbetrifft, so deuten alle Anzeichen darauf hin, dass unser Viehexport abgeschnitten wird; die schweizerische Industrie wird also schwerlich Gelegenheit haben, sich für die agrarischen Zugeständnisse an Italien dort zu revanchieren.
Hr. Schrämli: Die Erhöhung unseres Weinzolles darf nicht so sehr auffallen; der Weinbau hat nur zu lange zugewartet. Wenn man sich schon früher besser gewehrt hätte, so würde der Zoll von 3.50 nicht so lange bestanden haben.
Hr. Bundesrat Deuchernimmt Vormerkung von dem Wunsche nach einem einheitlichen Weinzoll von 9 - im Minimum, und von dem Zugeständniss eines Gewichtsabzuges von 6 % für neuen Wein. Im Bundesrathe sei man einstimmig der Ansicht, dass eine Theilung der Position nicht stattfinden solle.
Hr. Laurbemerkt noch, dass der Verzicht Italiens auf jegliche Konzession für die Keltertrauben gesichert sei.
[...]4 Nr. 136. Ochsen. Jetzt 15-, neuer Tarif 50-Letzte italienische Forderung: Einheitszoll von 30.-Letzte schweizerische Offerte: Ochsen mit Milchzähnen 25.-Ochsen ohne Milchzähne 50-Hr. Moser: Der Verband betrachtet die Zollermässigung von 50 - auf 25.- für junge Ochsen als ein grosses Opfer unserer Landwirtschaft, das nur dadurch einigermassen kompensiert werden kann, dass man mit dem Zoll für ältere Ochsen nicht unter 40- herabgeht. Wir haben einen jährlichen Export von 6 Millionen fr. an älteren Kühen nach Deutschland; dieser wird uns mit dem Inkrafttreten des neuen deutschen Zolltarifes mit einem Schlage abgeschnitten; ein anderes Absatzgebiet haben wir für dieselben nicht und diese Thiere werden daher im Lande bleiben. Sie werden auf die Fleischpreise drücken, und die Baisse würde noch bedeutender sein, wenn uns Italien seine alten Ochsen zu einem niedrigen Zoll auf den Markt senden könnte. Der Verband wünscht daher:a) einen einheitlichen Zoll von 35.- im Minimum für alle Ochsen, oder, wenn eine Theilung der Position vorgezogen wird, b) für Ochsen mit Milchzähnen 25.für Ochsen ohne Milchzähne 40.-
Hr. Bundesrat Deucher: bringt in Erinnerung, dass es seiner Einwirkung zuzuschreiben sei, dass der Ständerath seiner Zeit einem Ochsenzoll von 50zugestimmt habe, der sonst wahrscheinlich auf 45.- oder vielleicht auf 40angesetzt worden wäre. Er selbst habe den Zoll von 50.- in den Räthen stets als einen Kampfzoll gegenüber Italien bezeichnet, und es liege ihm gegenüber denjenigen Mitgliedern der Räthe, die unter dieser Bedingung für einen so hohen Zoll gestimmt haben, eine gewisse Verpflichtung ob, für eine angemessene Reduktion bemüht zu sein. Allerdings habe man damals noch nicht bestimmt voraussehen können, dass Deutschland in seinem neuen Tarif das Schlachtvieh von der Einfuhr ausschliessen werde. Trotzdem dürfe man nicht zu hoch gehen; es müsse auch dem konsumierenden Publikum Rechnung getragen werden.
Ein Einheitszoll wäre entschieden vorzuziehen; derselbe sollte auf 30.- im Minimum festgesetzt werden.
Hr. Bundespräsident Comtessebefürwortet ebenfalls einen Einheitszoll von 30.-. Der Ansatz von 50.- ist ausdrücklich als Kampfzoll aufgestellt worden, und wenn man sich dessen heute nicht mehr erinnern will, so wird es kaum möglich sein, mit Italien einen neuen Vertrag zu vereinbaren. Ob wir mit Deutschland zu einem Vertrage kommen werden, ist fraglich; einen Zollkrieg mit zwei Nachbarländern gleichzeitig zu führen, würde unsere wirtschaftlichen Interessen ernsthaft gefährden.
Hr. Freygibt ein Resumé der Debatten über den Ochsenzoll in den beiden Räthen. Der Zoll von 50.- wurde stets und in erster Linie als ein Kampfzoll hingestellt. Wir werden sehen, wie sich Italien zu unseren neuen Anerbietungen stellt. Die Delegation wird versuchen, die Unterhandlungen mit einem Einheitsansatz von 35.- oder mit getrennten Ansätzen von 25.- und 40.- zum Ziele zu führen.
Hr. Dr. Laur: Man darf unter keinen Umständen unter 35.- gehen. In Deutschland werden unserem Viehexport von einem Tag auf den ändern 6 Millionen verloren gehen, und welche schweizerische Industrie hätte jemals mit einem Male eine solche Einbusse erlitten? (Zwischenruf: Mehr noch!) In landwirtschaftlichen Kreisen hat man sich immer darauf verlassen, dass uns mindestens ein vermehrter Schutz von 20.- fr. aus den Verhandlungen resultieren werde; also halte man an 35.- fest. Dieser Zoll ist im Vergleich mit den ändern Staaten immer noch ein bescheidener.
Hr. Moser: Den Interessen der Konsumenten wird dadurch Rechnung getragen, dass wir die jungen Ochsen, die das bessere Fleisch liefern, zu 25hereinlassen. Will man aber einen Einheitszoll, so muss derselbe über dem Mittel zwischen 25.- und 40.- stehen, weil % der Einfuhr auf die ältern Thiere fällt.
[...]5
- 1
- E 13 (B)/224. Anwesend: Delegation des Bundesrates (Comtesse, Deucher, Ruchet), Eichmann, Delegation für die Unterhandlungen (Künzli, Frey, Laur) und eine Abordnung des Schweizerischen Bauernverbandes (Jenny, Fonjallaz, Chuard, Moser, Müller-Thurgau, Schrämli, Wyssmann). Protokollführer: Kanzleisekretär Thomann.↩
- 2
- Detailberatung der Positionen Obst, Gemüsekonserven und Käse des schweizerischen Tarifs.↩
- 3
- Aufgrund der schweizerischen Kündigung vom 17. September 1903 sollte der Handelsvertrag vom 19. April 1892 am 17. September 1904 ablaufen.↩
- 4
- Diskussion betreffend Trauben.↩
- 5
- Diskussion betreffend Schweine, Frischfleisch und Charcuterie. - Am 4. Juni 1904 beauftragte der Bundesrat den schweizerischen Gesandten in Rom, der italienischen Regierung mitzuteilen, dass die schweizerische Delegation bereit sei, die Unterhandlungen mit der italienischen Delegation wieder aufzunehmen (E 1004 1/217).↩
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