Thematische Zuordung Serie 1848–1945:
IV. NIEDERLASSUNGS- UND ASYLPOLITIK
2. Die schweizerische Asylrechtspraxis
Pubblicato in
Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 3, doc. 372
volume linkBern 1986
Dettagli… |▼▶Collocazione
Archivio | Archivio federale svizzero, Berna | |
▼ ▶ Segnatura | CH-BAR#E2#1000/44#60* | |
Vecchia segnatura | CH-BAR E 2(-)1000/44 3 | |
Titolo dossier | Differenzen mit Deutschland über die Unterdrückung sozialistischer und anarchistischer Umtriebe in der Schweiz (1888–1888) | |
Riferimento archivio | B.255 |
dodis.ch/42351 Streng confidentiell
In meinem Berichte vom 7. d. M.2 habe ich die Ansicht vertreten, die Gründe für die Haltung der deutschen Regierung, anlässlich der Vorkommnisse der letzten Monate, dürften ausschliesslich in der «Sozialistenfrage» liegen.
Treten wir nun der Frage näher, wie wir uns nach dieser Richtung den akuten Charakter der gedachten Differenzen zu erklären haben.
Dass die deutsche Regierung dem Treiben der Sozialdemokraten in der Schweiz schon seit Jahren mehr Aufmerksamkeit zugewendet hat, als es bei uns gemeiniglich angenommen worden ist, und dass die hiessige Verstimmung über die Angriffe des «Sozialdemokrat» in Zürich gegen die staatliche Ordnung Deutschlands und gegen den Kaiser und die Kaiserliche Familie nicht neuern Datum’s ist, brauche ich nicht besonders hervorzuheben. So viel mir bekannt, trugen indess, trotz dieser Verstimmung, die deutscherseits gelegentlich in Bern gemachten Vorstellungen bis vor ganz Kurzem doch mehr das Gepräge von confidentiell und in ruhiger Sprache mitgetheilten Bedenken und Wünschen und schienen, dieser Angelegenheit wegen, unsere guten Beziehungen nie ernstlich in Frage zu stehen.
Ich kann mich wenigstens nicht erinnern, aus Berichten von Bern oder im mündlichen Verkehr mit Ihnen, Herr Bundesrath, und Ihren Herrn Collegen, früher jemals einen gegentheiligen Eindruk erhalten zu haben.
In Berlin, und zwar nicht nur im Verkehr mit dem Auswärtigen Amte, sondern auch im Privat-Umgange mit den massgebenden Spitzen und Räthen desselben und auch mit ändern offiziellen Persönlichkeiten, dessgleichen auch in der offiziösen Presse, bin ich ebenfalls keinerlei Kundgebungen begegnet, welche mich hätten befürchten lassen, es könnte die Sozialistenfrage zu ernsten Auseinandersetzungen und Frictionen zwischen uns und der deutschen Regierung führen, wie solche neulich nun doch stattgefunden haben.
Hiemit soll nicht gesagt sein, dass ich im gesellschaftlichen Verkehr mit der offiziellen Welt nicht dennoch oft Klagen über das Treiben der deutschen Sozialdemokraten in der Schweiz und Wünsche betreffend «strammeres» Vorgehen gegen dieselben Seitens unserer Behörden vernommen hätte. Hierüber und über sachbezügliche Auslassungen der Presse habe ich auch, je nach der Bedeutung der mir gewordenen Mittheilungen, periodisch nach Bern berichtet.
Anzeichen für eine merkliche Verschärfung der dieser Verhältnisse wegen hier herrschenden Misstimmung lagen aber, nach meinen Wahrnehmungen, bis vor kurzer Zeit, wie schon bemerkt, nicht vor.
Dass ich es von jeher vermieden habe, diese Frage im Auswärtigen Amte von mir aus zur Sprache zu bringen und dass mir von Bern aus auch zu keiner Zeit Instructionen ertheilt oder Andeutungen gemacht worden sind, welche mich hätten vermuthen lassen können, man wünsche dort, dass ich aus meiner reservirten Haltung heraustrete, ist Ihnen zur Genüge bekannt. Ich darf wohl beifügen, dass anlässlich meines mündlichen Verkehrs (in Bern) mit den jeweiligen Herrn Vorstehern des politischen Departements, mir im Gegentheil wiederholt ausdrüklich empfohlen worden ist, von meinem bisherigen Verhalten nicht abzugehen.
Diese letztem Ausführungen betrachte ich desswegen nicht als überflüssig, weil ich die Eventualität nicht als ausgeschlossen betrachte, dass bei der dermaligen Sachlage die Frage aufgeworfen werde, wie es komme, dass ich nicht in der Lage gewesen sei, den Bundesrath rechtzeitig über die Wendung der Dinge zu orientiren und gewissen Reclamationen vorzubeugen.
Auf welchen Zeitpunkt und auf welche Vorkommnisse dürfte nun die Verschlechterung der frühem Situation zurükzuführen sein?
Ich finde den Ausgangspunkt hiefür in dem Erscheinen des «Rothen Teufel».
Verschärfend wirkte dann offenbar der Umstand, dass die Erledigung des Untersuchs betreffend dieses Pamphlets und betreffend das Gebaren der Sozialdemokraten in Zürich im Allgemeinen so lange auf sich warten liess, bezw. dass dieser Untersuch, nach deutscher Auffassung, durch die «den Sozialdemokraten günstig gestimmten zürcherischen Behörden verschleppt und gar nie ernst genommen worden sei.»
Auch der Sozialisten Kongress in Schönenwegen, bei St. Gallen, trug dann das Seinige bei und gab derselbe betreffend «Gewährenlassen Seitens schweizerischer Behörden» viel zu reden und zu klagen.
Dass jedoch die Missstimmung der deutschen Regierung über diese verschiedenen Momente uns gegenüber, trotz der veränderten Sachlage, in ganz anderer und viel gemässigterer Form zum Ausdruk gebracht worden wäre, wenn sich inzwischen nicht neue Complikationen ereignet hätten, ist für mich zweifellos.
Mit der Affaire Fischerwar nun aber die Situation gründlich verdorben und selbst für den Fall, dass wir in der Lage gewesen wären, der deutschen Regierung noch vorder bewussten Reichstagssitzung Erklärungen betreffend amtliche Missbilligung und Ahndung des Fischer’schen Verhaltens abzugeben, würde diese neue Situation in der Hauptsache doch dieselbe geblieben sein.
Die Kaiserliche Regierung fühlte sich durch den Singer-Bebel’schen Überfall aufs Empfindlichste getroffen. Mitten in der Debatte über die neue Sozialisten-Vorlage und bereits nervös über die ungünstigen Aussichten betr. Durchbringen der Hauptbestimmungen derselben, griffen ihre grössten Gegner plötzlich mit Enthüllungen in die Verhandlungen ein, welche geeignet waren, ihre politische Polizei vor der ganzen Welt zu discreditiren und zwar mit Enthüllungen, welche – so hiesse es – von einem Beamten eines befreundeten Staates Vertretern derjenigen Parthei zur Verfügung gestellt worden waren, welche sich als offene Feinde der staatlichen Ordnung Deutschlands bekennen. Als Spezialmoment trat noch hinzu, dass durch diese Enthüllungen der Chef der hiessigen politischen Polizei, Direktor Krüger, ein im Auswärtigen Amte, welchem er zugetheilt ist, sehr geschätzter Beamter, auch persönlich in hohem Grade blossgestellt war.
Dass dieser Vorfall, zumal bei den hiessigen Begriffen von Beamten-Disciplin, in der öffentlichen Meinung und zwar bei allen politischen Partheien, – die Gegner der Regierung natürlich ausgenommen, – eine allgemeine Reprobation und Erbitterung hervorgerufen hatte, ist auch in der That begreiflich.
In dieser Erbitterung, sagen wir geradezu, in dem akut ausgebrochenen Zorne der Regierungskreise über die Fischer’schen Indiscretionen und deren Consequenzen und in dem nunmehr in hohem Grade genährten Misstrauen der Kaiserl. Regierung gegenüber unsern Kantonalen Behörden, Zürich an der Spitze, ist der Schlüssel zu suchen für die Erklärung der schroffen Form der letzten Reclamationen betreffend die Sozialdemokraten, für die Empfindlichkeit des Auswärtigen Amts gegenüber der Basler-Fastnachts-Affaire3 etc. etc. etc.
Dieses Misstrauen, namentlich Zürich gegenüber, dürfte auch sobald nicht weichen, namentlich wenn Taktlosigkeiten, wie die Theilnahme und Rednerei des Statthalteradjunkten Lang an der Abschiedsfeier der Sozialdemokraten, sich wiederholen sollten.
Hier liegt der Schwerpunkt. Anscheinliche Partheinahme schweizerischer Behörden oder Beamten zu Gunsten der Gegner der staatlichen Ordnung in Deutschland und Indiskretionen in Untersuchungssachen auf politischem Gebiet erbittern die Kaiserl. Regierung am Meisten und könnten schliesslich zu einer chronischen Verstimmung derselben führen, welche für uns in der That auch noch andere Gefahren in sich schliessen würde, als diejenigen von denen in der letzten Zeit die Rede war.
Nach dieser specieilen Richtung möchte ich nun unsern Behörden besondere Sorgfalt und Umsicht empfehlen und dürfte z. B. die Angelegenheit O’Danne4 in Zürich auch mit grosser Vorsicht zu behandeln sein.
Das Gebahren der sozialdemokratischen Presse fällt erst in zweiter Linie in Betracht und wird uns, Fälle arger Excesse natürlich ausgenommen, auch in der Folge nicht in so empfindlicher Weise Belästigungen durch die deutsche Regierung zuziehen, wie neue Vorfälle obiger Art.
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