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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 26, doc. 81
volume linkZürich/Locarno/Genève 2018
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
Cote d'archives | CH-BAR#E2200.70#1993/398#12* | |
Titre du dossier | Asile (1974–1980) | |
Référence archives | 131.4 |
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2001E-01#1987/78#558* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2001(E)-01/1987/78 154 | |
Titre du dossier | Frage der Anerkennung des Asylrechts, das diplomatische Vertretungen im Falle von Bürgerkriegen politischen Flüchtlingen gewähren (1971–1973) | |
Référence archives | B.41.20.5 |
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2210.7-04#1993/352#1157* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2210.7-04(-)1993/352 71 | |
Titre du dossier | Asile diplomatique (1975–1976) | |
Référence archives | 882.68 |
dodis.ch/38270
POLITISCHES ASYL IN SCHWEIZERISCHEN BOTSCHAFTEN2
Nach den Ereignissen in Chile im vergangenen September3 haben verschiedene Vertretungen angefragt4, ob im Licht der dort gemachten Erfahrungen unsere Instruktionen über das diplomatische Asyl5 immer noch als gül tig zu betrachten seien, oder ob sich im Gegenteil Abänderungen oder gar eine Neufassung aufdrängten. Eine von Nationalrat Ziegler eingereichte Motion6 geht in gleiche Richtung. Aus der Antwort des Bundesrats7 auf diese Motion übermitteln wir Ihnen beiliegend zu Ihrer Orientierung den Text, der sich auf das diplomatische Asyl bezieht8.
Wie Sie daraus ersehen, gewährte unsere Botschaft in Santiago für kürzere oder längere Zeit insgesamt 70 Personen offiziell diplomatisches Asyl, davon 31 in der schweizerischen Residenz und 39 im ehemaligen polnischen Kanzleigebäude, für welches die Schweiz nach Übernahme der polnischen Interessen in Chile9 die Verantwortung trug. Während mehr als zwei Monaten übernahm sie zudem das Patronat über ein Lager des UNO-Hochkommissariats für Flüchtlingswesen, das Hunderten von ausreisewilligen, ausländischen Flüchtlingen vorübergehend als Auffangstation diente. Mit der Asylgewährung in der schweizerischen Residenz ist ohne Zweifel ein Präzedenzfall geschaffen worden. Man muss sich indessen zum vorneherein darüber im klaren sein, dass zwei wesentliche Voraussetzungen gegeben waren, um nachteilige Folgen auf unsere bilateralen Beziehungen mit Chile auszuschliessen: Einmal das in Lateinamerika traditionell günstige Klima zur Lösung von Problemen, die mit dem diplomatischen Asyl zusammenhängen, zum andern die Haltung der Militärjunta, die unter dem Druck der Weltöffentlichkeit bis zum 11. Dezember 1973 Konzessionen machte, zu denen sie völkerrechtlich nicht verpflichtet war. Mit dieser Entwicklung konnte übrigens in den ersten Tagen nach dem Umsturz noch nicht unbedingt gerechnet werden. Eine vernünftige Aussicht auf die Erteilung von Ausreise-Geleitbriefen war aber Voraussetzung für eine largere Asylpraxis unsererseits.
Die Entscheidungsfreiheit der nicht-lateinamerikanischen Missionschefs war von allem Anfang an eingeschränkt. Unsere Botschaft in Santiago, die uns einen ausführlichen Bericht über den Fragenkomplex zukommen liess10, weist auf den Druck hin, dem die Vertreter der meisten europäischen Länder seitens ihrer eigenen öffentlichen Meinung ausgesetzt waren. Diese Reaktion der Öffentlichkeit11 war keineswegs nur durch die Kampagne der äussersten Linken hervorgerufen worden. Vielmehr hatten weite Kreise aus einem durchaus eigenen Gefühl des Unbehagens, aber auch aus mangelnder Sach- und Lokalkenntnis heraus am brutalen Vorgehen der neuen Machthaber z. T. recht scharfe Kritik geübt. Leider gab die zuweilen als Vergleich zitierte Haltung des schwedischen Vertreters in Santiago12 Anlass zu unsachlicher Kritik an andern Missionschefs. Dabei wurde aber der Tatsache nur selten Rechnung getragen, dass Schweden vom ersten Tag an die kubanischen Interessen in Chile vertrat und so für sich auf Grund der lateinamerikanischen Asylkonventionen ein u. E. völkerrechtlich nicht vertretbares Recht auf Asylgewährung glaubte ableiten zu können.
Von den eben erwähnten lateinamerikanischen Konventionen regelt diejenige von Caracas13 u. a. die Ausreise von Personen, die diplomatisches Asyl erhalten haben. Damit wird im regionalen Bereich eine enge Beziehung zwischen diplomatischem und territorialem Asyl geschaffen. Wer übrigens das lateinamerikanische Asylrecht für sich in Anspruch nehmen will, muss logischerweise auch dessen Konsequenzen mit in Kauf nehmen, nämlich, dass die Gewährung des diplomatischen Asyls meist auch die Gewährung des territorialen Asyls nach sich zieht. Wie aber die gegensätzlichen Stellungnahmen zur «Freiplatzaktion14 » zeigen, gerät letzteres heute sehr leicht ins innenpolitische Kreuzfeuer.
Zusammenfassend können wir sagen, dass wir auch nach Würdigung der in Chile gemachten Erfahrungen unsere Instruktionen über die Asylgewährung15 (Weisung 087, gelber Ordner) immer noch für zweckmässig halten. Sie bieten dem Missionschef, selbst bei zeitweiliger Unterbrechung der Verbindung mit der Zentrale, eine ausreichende Handhabe für seine Entscheide. Andererseits lassen sie ihm den nötigen Ermessensspielraum, um auch ausserordentlichen Situationen gerecht werden zu können. Man muss sich angesichts der Problematik dieses ganzen Fragenkomplexes klar sein, dass jeder Entscheid eines Missionschefs das Risiko in sich trägt, in der Öffentlichkeit auf Kritik zu stossen.
Rein vom Praktischen aus gesehen scheinen uns nachfolgende zwei Feststellungen unserer Botschaft in Santiago von Belang: – Unter Zeitdruck und vor allem angesichts der während der ersten Tage herrschenden chaotischen Zustände war es nicht immer möglich, eindeutig festzustellen, wie gross tatsächlich die Gefahr war, welcher sich der einzelne
Gesuchsteller ausgesetzt sah oder zu sehen glaubte. Als Folge der starken
Polarisierung der politischen und ideologischen Gegensätze bekamen nach dem Umsturz vermehrt auch «kleine Fische» den aufgestauten Hass der neuen Machthaber zu spüren; dadurch wurde die Zahl der potentiellen
Flüchtlinge grösser, die Auswahl schwieriger. – Der Asylsuchende kann den Entscheid des Missionschefs umgehen, indem er in einem unbewachten Augenblick heimlich oder mit Gewalt in die Botschafts- oder Residenzräume eindringt und so eine vollendete
Tat sache schafft. Dies war beispielsweise der Fall, als Anfang Dezember in einem Moment, in welchem das Gebäude nicht polizeilich bewacht war,
30 Chilenen in die ehemalige polnische Botschaftskanzlei eindrangen16.
Eine ständige Präsenz eines schweizerischen Beamten in allen in Frage kom menden Gebäulichkeiten liess sich trotz grössten persönlichen Einsat zes unseres Personals in Santiago nicht verwirklichen.
- 1
- Rundschreiben: CH-BAR#E2001E-01#1987/78#558* (B.41.20.5). Verfasst von H. Vogt und A. R. Hohl. Gerichtet an die schweizerischen diplomatischen Vertretungen.↩
- 2
- Zur Handhabung des politischen Asyls vgl. die Notiz von J. Monnier an R. Keller vom 30. September 1974, dodis.ch/38272. Zum Beispiel des Asyls in diplomatischen Vertretungen während des spanischen Bürgerkriegs 1936–1939 vgl. DDS, Bd. 11, Dok. 302, dodis.ch/46223.↩
- 3
- Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 85, dodis.ch/38253.↩
- 4
- Vgl. Doss. wie Anm. 1.↩
- 5
- Vgl. dazu die Notiz von J. P. Ritter vom 12. Februar 1971, dodis.ch/36384.↩
- 6
- Für die Motion Schweizer Botschaften. Asyl von J. Ziegler vom 3. Oktober 1973 vgl. das BR-Prot. Nr. 410 vom 11. März 1974, dodis.ch/39017.↩
- 7
- Für die Antwort des Bundesrats auf die Motion Ziegler vgl. das BR-Prot. Nr. 410 vom 11. März 1974, dodis.ch/39017 und für die Behandlung im Parlament am 22. März 1974 vgl. Amtl. Bull. NR, 1974, S. 665–668.↩
- 8
- Vgl. Doss. wie Anm. 1.↩
- 9
- Vgl. dazu die Notiz von A.-L. Vallon an E. Thalmann vom 17. Januar 1974, dodis.ch/38287.↩
- 10
- Schreiben von Ch. Masset an E. Thalmann vom 13. Dezember 1973, dodis.ch/38252.↩
- 11
- Vgl. dazu die verschiedenen Presseberichte in Doss. wie Anm. 1.↩
- 12
- H. Edelstam.↩
- 14
- Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 69, dodis.ch/38268.↩
- 15
- Vgl. Anm. 5.↩
- 16
- Vgl. dazu das Schreiben von H. Mumenthaler an K. Furgler vom 19. Dezember 1973, CH-BAR#E2001E-01#1987/78#2294* (B.41.21.0).↩
Tags
Chili (Général) Politique de l'asile Convention de Vienne sur les relations diplomatiques (1961–1964)