Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 24, doc. 153
volume linkZürich/Locarno/Genève 2012
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2807#1974/12#462* | |
Old classification | CH-BAR E 2807(-)1974/12 48 | |
Dossier title | Jugoslawien (1966–1969) | |
File reference archive | 09 |
dodis.ch/32372
Interne Notiz des Politischen Departements1
Konferenz der Blockfreien
1.) Die «Institution» der Konferenzen blockfreier Staaten geht zurück auf die denkwürdige afro-asiatische Konferenz von Bandung2 (1955); im folgenden Jahr (1956) trafen sich Tito, Nehru und Nasser nochmals und formulierten die Grundlagen einer «positiven Neutralität» (des Neutralismus)3, die zur Politik der blockfreien Staaten der Welt werden sollte. Es gelang indessen nicht, die Blockfreien zu einer handlungsfähigen Einheit zu verschmelzen; die Sonderinteressen erwiesen sich immer wieder als zu übermächtig. Die Staaten der dritten Welt kamen in mehr oder weniger grossen Abständen unter sich in den «Trikontinentalen Solidaritätskonferenzen» zusammen (wo sich Moskau und Peking gegenseitig den Einfluss streitig machten), und dies nahm den Konferenzen der Blockfreien zum vorneherein etwas Wind aus den Segeln.
2.) Eine erste Konferenz der Blockfreien fand 1961 in Belgrad4 statt; nach einleitenden Sondierungen5 bei uns, wurde von einer Einladung an die Schweiz abgesehen. Die nächste dieser Konferenzen fand 19646 in Kairo statt; auch hier wurden wir nicht eingeladen, aber von Belgrad eingehend orientiert7. Schweden, Österreich und Finnland wurden eingeladen8; lediglich Finnland liess sich (durch einen Beobachter) vertreten. Auch für die jetzt geplante dritte Konferenz9 erhielten wir bisher keine Einladung (und erwarten auch keine). Moskau betrachtet die Initiative Titos zu dieser Konferenz offensichtlich mit ironischer Ablehnung. Bei den Blockfreien scheint, soweit wir bis heute orientiert sind, der Enthusiasmus nicht sehr gross (obschon die Trikontinentale Solidaritätskonferenz, nach dem Fiasko von Algier10, als Konkurrenz kaum mehr in Betracht fällt.)
3.) Dass die «Institution» der Blockfreiheit und der dazugehörigen Konferenzen etwas aus der Mode gekommen ist, dürfte zwei Gründe haben: einerseits ist (bzw. war) die «positive Neutralität» (d. h. des Neutralismus) eine Neutralität in Funktion zum West-Ost-Konflikt; die Blockfreien nahmen zwischen den Fronten des Kalten Krieges eine neutrale Stellung ein, nicht aber gegenüber anderen Problemen der Weltpolitik. Nachdem heute der Kalte Krieg weitgehend einer Ost-West-Entspannung Platz gemacht hat, sehen sie sich im Grunde genommen ihrer «raison d’être» beraubt. Andererseits hat heute die seinerzeitige Euphorie der jungen Staaten dem grauen Alltag mit seinen zahlreichen Problemen Platz gemacht; aussen- und innenpolitische Schlappen haben diesen Staaten einen realistischen Massstab für ihre tatsächliche Macht und Rolle innerhalb des weltpolitischen Geschehens beigebracht; und sie haben erkannt, dass sie letzten Endes unter den heutigen Verhältnissen in den UN weit besser zum Zuge kommen können.
Tito sucht diesen veränderten Verhältnissen dadurch Rechnung zu tragen, dass er das Schwergewicht der Thematik an der geplanten Konferenz vom politischen auf das wirtschaftliche Feld zu verlegen sucht (gemeinsame Haltung gegenüber den Industriestaaten).
4.) Im Hinblick auf diese Verhältnisse gilt nach wie vor was in einer Mitteilung11 an unsere diplomatischen Vertretung im Juni 1964 ausgeführt wurde:
«Es liegt auf der Hand, dass eine schweizerische Beteiligung auch nur in der Form eines Beobachters nicht in Frage kommt. Die Tatsache, dass sich die Teilnehmer als keinem Block verpflichtet betrachten (wobei es eine Untersuchung wert wäre, inwieweit dies heute bei Jugoslawien noch zutrifft), verhindert nicht, dass die Konferenz starke politische Akzente tragen und setzen wird. Dies geht u. a. eindeutig daraus hervor, dass auch nationale Bewegungen und provisorische Regierungen noch nicht unabhängiger Gebiete als Vollmitglieder zugelassen sind. Ferner vermöchte die Schweiz schwerlich, etwas zur Lösung der Probleme beizutragen. Auch waren die Ergebnisse der Belgrader Konferenz von 1961 eher dürftig und mehr propagandistischer Art. Schliesslich haben wir alles Interesse, den Unterschied zwischen Neutralität und Neutralismus nicht verwischen zu lassen.»
- 1
- Notiz: E2807#1974/12#462* (09). Verfasst von H. Kaufmann.↩
- 2
- Zur Konferenz von Bandung vgl. DDS, Bd. 20, Dok. 5, dodis.ch/12134.↩
- 3
- Zur sogenannten Brioni-Deklaration vgl. das Schreiben von J. F. Wagnière an A. Zehnder vom 2. August 1956, E2300#1000/716#78* (018).↩
- 4
- Zur Belgrader Konferenz der blockfreien Staaten vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 3, dodis.ch/30896, Anm. 6 sowie den Politischen Bericht Nr. 9 von A. R. Ganz an F. T. Wahlen vom 5. September 1961, E2300#1000/716#81* (018).↩
- 5
- Vgl. die Notiz von R. Kohli vom 23. Mai 1961, E2001E#1976/17#704* (B.73.8.21).↩
- 6
- Zur Konferenz der blockfreien Staaten in Kairo vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 3, dodis.ch/30896, und Bd. 24Dok. 40, dodis.ch/31553 sowie den Politischen Bericht Nr. 17 von R. Maurice vom 15. Oktober 1964, E2300#1000/716#361* (075).↩
- 7
- Vgl. die Notiz von P. Micheli vom 13. März 1964 sowie das Schreiben von G. Lepori an P. Micheli vom 28. Mai 1964, E2001E#1978/84#1053* (B.73.8).↩
- 8
- Vgl. das Schreiben von R. Maurice an P. Micheli vom 4. Juni 1964, ibid.↩
- 9
- Zur Konferenz der blockfreien Staaten in Lusaka vgl. Doss. E2001E#1980/83#550* (B.73.8.21).↩
- 10
- Zur Konferenz der afro-asiatischen Staaten in Algier vgl. den Politischen Bericht Nr. 9 von S. Marcuard vom 5. November 1965, E2300#1000/716#10* (005).↩
- 11
- Vgl. die Mitteilung Zweite Neutralistenkonferenz Oktober 1964 Kairo von P. Micheli an die schweizerischen diplomatischen Vertretungen vom 11. Juni 1964, Doss. wie Anm. 7.↩