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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 23, doc. 151
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1978/84#5956* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1978/84 963 | |
Dossier title | Volkswirtschaftliche Berichte (1964–1967) | |
File reference archive | C.41.100.0 • Additional component: Russland |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern |
Old classification | CH-BAR E 2200.157-04(-)1985/132 9 |
Dossier title | Wirtschaftsberichte (1966–1967) |
File reference archive | 500.0 |
dodis.ch/31032 Der schweizerische Botschafter in Moskau, A. R. Ganz, an den Vorsteher des Politischen Departements, W. Spühler1 Zweiter Bericht über die Schweizerische Industrieausstellung in Moskau
Ich habe meinen ersten Bericht2 unmittelbar nach dem Besuch des rus sischen Regierungschefs3 in unserer Ausstellung am 9. Juni verfasst in der Annahme, der Reigen der interessierten Persönlichkeiten sei nun beendet. Wie ich Ihnen inzwischen telegraphisch mitgeteilt habe4, wurden wir jedoch wenige Stunden vor Ausstellungsschluss am Samstag 11. Juni avisiert, man möge den Termin bis Montag verlängern, da eine «wichtige Delegation der Partei» noch einen Besuch machen wolle. Es erwies sich als schwierig, diese Parteigruppe auf ihre Bedeutung zu identifizieren und andererseits den «Führungsbestand» unserer Ausstellung am Montag zur Stelle zu haben. Direktor Staehelin und der Leiter der einen grossen Ausstellergruppe5, Buchter, waren nach Poznań abgereist6, etliche Direktoren und Prokuristen einzelner Firmen bereits in die Schweiz zurückgeflogen oder auf vorbereitete Ausflüge in der Sowjetunion gegangen.
Montag früh entsandte ich meinen Mitarbeiter Pianca nach Sokolniki, der mich von dort aber sogleich persönlich aufbot. Kurz nach 10 Uhr erschien dann Parteichef Breschnew mit grossem Gefolge. Da ich weder Ingenieur noch Kaufmann bin, habe ich bei den anderen Führungen den Fachleuten stets den Vorrang gelassen. Diesmal habe ich jedoch den ganzen Rundgang, der mehr als zwei Stunden dauerte, in der Gruppe mitgemacht, da sofort ersichtlich wurde, dass hier die für uns massgebende Führungsspitze beieinander war. Vom Politbureau (Parteipräsidium) waren ausser Breschnew noch Kirilenko, Pelsche, Ustinow und Demitschew, von der Regierung die stellvertretenden Ministerpräsidenten I. T. Nowikow und Lessetschko, die Minister Patolitschew, Dojenin (leichte Maschinen), Kostoussow (Werkzeugmaschinen) und Rudnew (Automation und Gerätebau) und von der Handelskammer deren Präsident Nesterow anwesend. Ich habe mich persönlich mit fast allen diesen Herren unterhalten und berichte darüber folgendes.
In erster Linie fällt auf, mit welcher Gründlichkeit diese Männer, die immerhin die Geschicke der Sowjetunion persönlich leiten, die Stände unserer Ausstellung besucht haben. Wenn ich etwa mit den offiziellen Tagen der Mustermesse oder des Comptoirs vergleiche, stelle ich fest, dass Breschnew, Kossygin, Polianski, Kirilenko, Demitschew und die übrigen Führer weit über die verfügbare Zeit hinaus auch kleine Stände besucht, Fragen gestellt und die Erklärungen unserer Techniker aufmerksam angehört haben. Das hat unsere Aussteller sichtlich beeindruckt.
In zweiter Linie fiel auf, wie gründlich die Programme der ausstellenden Firmen und der ausgestellte Maschinenpark studiert worden waren. Ständig riefen Kossygin7 wie Breschnew einzelne Minister oder Vizeminister, Trustleiter oder Ingenieure herbei um Preise zu vergleichen oder Auskünfte erhalten zu können. Der Vizeminister für Aussenhandel, Komarow, konnte an den Fingern die zehn Firmen abzählen, die zu besuchen für Herrn Kossygin unerlässlich seien. Ohne Zweifel ist diese letzte Führung von Kossygin selbst veranlasst worden, der im obersten Gremium über seinen Besuch vom Donnerstag Bericht erstattet haben muss.
Herr Lessetschko sagte mir, wir sollten die Chefs der wichtigsten Einkaufsorganisationen (Stankoimport, Maschinoimport, Technopromimport etc.) in die Schweiz einladen, um unsere industrielle Produktion auf breitester Basis bekannt zu machen. Das sei wichtiger als eine Einladung an Patolitschew8. Den letzten Entscheid treffe sowieso die oberste Parteiführung auf Grund der fachmännischen Unterlagen und Empfehlungen (sic!). Herr Demitschew sagte mir, er sei soeben von einem offiziellen Besuch in Österreich zurückgekommen. Er habe von unserer Ausstellung einen besseren Eindruck als was er dort ähnliches habe sehen können. Auch trieben die Österreicher ein gefährliches Spiel mit dem gemeinsamen Markt9, was bei der Schweiz nicht der Fall sei. Er habe nunmehr Vizekanzler Bock zu einem Besuch in Moskau eingeladen. Herr Kirilenko fragte mich, ob wir den Begriff des «Einführungsrabattes» nicht kennen. Unsere Preise seien horrend, und wenn die Sowjetunion eine grössere Bestellung mache, müsse die Schweiz ihr preislich entgegenkommen. Bei den Maschinen der S. I. P. - Genève erklärte Breschnew, diese müssten in der Sowjetunion bleiben (Herr de Saugy hatte erklärt, dass dieselben bereits anderweitig versprochen seien). Gehe es nicht freiwillig, so werde er sie eben beschlagnahmen. (Überhaupt ist Breschnew der einzige, der noch an die guten alten Zeiten der bons mots von Chruschtschew10 erinnert. Die übrigen Führer nehmen ihre Aufgaben bitter ernst und scheuen die Improvisation). Mehrere Herren bedauerten, dass die Uhrenindustrie nicht habe an der Ausstellung mitmachen wollen, die doch, so sagte Lessetschko, hinter dem Tourismus und der Maschinenindustrie den dritten Platz in unserem Exportertrag einnehme und etwas zu zeigen habe.
Die massgebenden Verhandlungen mit den Ausstellern gingen Sonntag – Montag und gehen in diesen Tagen weiter vor sich. Viele Firmen habe ihre Exposita bereits verkauft und darüber hinaus Bestellungen erhalten. Andere stehen in hartem Kampf um Preise oder Zahlungsbedingungen. Wieder andere haben den Rücktransport ihrer zum Teil enormen Maschinen schon miteinkalkuliert, und erwarten langwierige Verhandlungen für eine fernere Zukunft.
Ziemlich zu reden gaben im Laufe der Ausstellung schliesslich die minutiösen Untersuchungen der russischen Fachleute an den ausgestellten Maschinen und Apparaten, die manchmal an Werkspionage grenzten. Böse Zungen befreundeter ausländischer Missionen behaupteten, man werde uns auf alle Fälle von jeder neuen Maschine ein Stück abkaufen, um die Serienfabrikation innerhalb der USSR zu ermöglichen! Verschiedene schweizerische Aussteller versicherten zu wissen, dass ihre Erzeugnisse in der Sowjetunion bereits nachgeahmt worden seien11. Andere wiederum erkannten, dass die jüngeren Ingenieure, Techniker und Spezialarbeiter aus den russischen Fabriken, die sehr zahlreich zur Ausstellung gekommen waren, aus echter Begeisterung und Wissensdurst Maschinenteile, Vorrichtungen und Verfahren (deren Patentschutz in Russland vorläufig ignoriert wird) unter die Lupe genommen haben mögen.
Hierzu ist festzuhalten, dass die Sowjetunion seit einiger Zeit im Begriffe ist, von ihrem patentrechtlichen und urheberrechtlichen Piratentum abzukommen. Seitdem sie ihrerseits Lizenzen zu vergeben hat, scheint sie einzusehen, dass nur die Einfügung in das Gebäude des internationalen Rechtsschutzes zu sinnvoller Zusammenarbeit führen kann. Auf den Beitritt zur Pariser Übereinkunft von 1883/195812 betreffend Schutz des gewerblichen Eigentums, rechtswirksam seit 1. Juli 1965, dürften daher in absehbarer Zeit andere folgen.
Natürlich haben wir uns gefragt, was dieses gewaltige Interesse der Führungsspitze an unserer Ausstellung praktisch zu bedeuten habe. Gehört diese «offensive du charme» einfach in den Rahmen der allgemeinen Sowjetpolitik der Anbiederung und Expansion nach dem Westen? Will die Führung unter Ausnützung dieses Ausgangspunktes mit der Schweiz ernsthaft Handel treiben, vielleicht ein Handelsabkommen vorschlagen? Oder haben wir gar das Gesuch um einen dreistelligen «Eröffnungskredit» des Bundes zur Ankurbe lung des russisch-schweizerischen Handelsvolumens zu erwarten? Bisher nichts von alldem. Sicher ist nur, dass die Russen auf eine ausgeglichene Handelsbilanz mit uns tendieren, was nur durch die Annahme russischer Fertigprodukte schweizerseits möglich ist. Hierfür ist jedoch der Absatz so beschränkt, dass es ohne massive Dreiecksgeschäfte kaum abgehen würde. Anderseits hängen die Zahlungsbedingungen doch wohl wesentlich von der Entwicklung des Auftragbestandes unserer Exportindustrie ab, die z. Zt. sehr unterschiedlich ist.
Die sowjetische Presse hat zunächst nur wenig über die Ausstellung publiziert. Am Radio und an der TV erfolgten Reportagen und einzelne Zeitschriften brachten eingehendere Artikel13. In den Schlusscommuniqués, die den Besuch der Parteigruppe zum Gegenstand hatten, wurde der Erfolg unserer Ausstellung hervorgehoben. Ich habe den Eindruck, dass wir im richtigen Moment, aber auch im letzten möglichen Moment, in Moskau aufgetreten sind, um unseren künftigen Anteil am sowjetrussischen Geschäft zu sichern. In der deutschschweizerischen Presse ist im Zusammenhang mit dieser Ausstellung leider viel ungereimtes und unsachliches geschrieben worden, was nur bedauert werden kann14.
- 1
- Schreiben: E 2001(E) 1978/84 Bd. 963 (C.41.100). Visiert von W. Spühler. Kopie an E. Stopper.↩
- 2
- Schreiben von A. R. Ganz an W. Spühler vom 9. Juni 1966, dodis.ch/31033. Die schweizerische Industrieausstellung fand vom 28. Mai bis 11. Juni 1966 im Messegelände Sokolniki in Moskau statt. Vgl. dazu auch Doss. E 2200.157(-) 1985/132 (551.55(2)).↩
- 4
- Vgl. das Telegramm Nr. 117 von A. R. Ganz an die Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements vom 13. Juni 1966, Doss. wie Anm. 1.↩
- 5
- Es handelt sich um die Maschinen-Export und Finanz AG in Zürich. Die andere grosse Gruppe, der sich eine grosse Zahl schweizerischer Unternehmen angeschlossen hatte, war die der Joseph Egli AG.↩
- 6
- Zur offiziellen Teilnahme der Schweiz an der Messe in Poznań vgl. das Foto vom 24. Juni 1966, dodis.ch/31314 und die Notiz von P. R. Jolles an H. Schaffner vom 5. Dezember 1966, dodis.ch/31313.↩
- 7
- Handschriftliche Marginalie: M. Kossygin est par sa formation ingéneur!↩
- 8
- Zur Einladung an N. S. Patolitschew durch den Bundesrat für einen Besuch in der Schweiz vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 51, dodis.ch/31030.↩
- 9
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 148, dodis.ch/31105, Anm. 13.↩
- 10
- Zur Absetzung Chruschtschows vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 47, dodis.ch/31312, Anm. 2.↩
- 11
- Fussnote im Originaltext: siehe hierzu auch Korrespondenz des Departements mit Gebr. Sulzer im Herbst 1963 betr. Nachahmung von Webmaschinen durch die Sowjetunion. Vgl. hierzu Doss. E 2001(E) 1976/17 Bd. 583 (B.34.821.1).↩
- 12
- Vgl. BBl, 1883, IV, S. 333–355 und BBl, 1961, I, S. 1278–1329.↩
- 14
- Zur deutschschweizerischen Presseberichterstattung vgl. Doss. wie Anm. 1.↩
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