Imprimé dans
Documents Diplomatiques Suisses, vol. 23, doc. 152
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
Plus… |▼▶2 emplacements
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2200.162A#1986/72#20* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2200.162(A)1986/72 2 | |
Titre du dossier | Exportation de matériel de guerre au Pakistan et à l'Inde (1962–1972) | |
Référence archives | 335.0 |
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2001E#1978/84#5450* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2001(E)1978/84 896 | |
Titre du dossier | Ausfuhr schweiz. Kriegsmaterials nach Pakistan (1958–1967) | |
Référence archives | B.51.14.21.20 • Composant complémentaire: Pakistan |
dodis.ch/30895 Der Stellvertreter des Chefs der Abteilung für Politische Angelegenheiten des Politischen Departements, R. Probst, an den schweizerischen Botschafter in Karachi, R. Stoudmann1
Ihren Brief vom 5. Juni2 zur Kriegsmaterial-Exportfrage3 habe ich mit Interesse gelesen. Meine Vermutung, dass Sie die Aufhebung des Embargos gegen Indien und Pakistan4 als verfrüht betrachten, war also zutreffend. Sie können Ihre Meinung ruhig auch gegenüber Bern äussern; denn man kann bei diesen Dingen in guten Treuen verschiedener Auffassung sein.
Sie stellen aber auch die Frage, was eigentlich entscheidend sein soll, «les intérêts de certaines de nos maisons ou nos principes et traditions». Wenn es wirklich nur darum ginge, wäre die Antwort leicht; in Wirklichkeit sind die Dinge aber doch etwas komplexer.
Unser Dilemma ist das folgende: Als neutraler Staat wäre uns am wöhlsten, wenn wir überhaupt kein Kriegsmaterial zu exportieren hätten. Da unsere Neutralität aber gleichzeitig eine bewaffnete ist, brauchen wir eine gewisse eigene Rüstungsindustrie, um für unsere materielle Bereitschaft nicht gänzlich vom Ausland abzuhängen5. Wir könnten die dafür benötigten Unternehmungen6 natürlich als Staatsindustrie betreiben, tun dies auch teilweise (Munitionsfabriken Thun und Altdorf, Pulverfabrik Wimmis, Konstruktionswerkstätte Thun, Waffenfabrik Bern, Flugzeugwerk Emmen); doch sind diese Betriebe weder besonders wirtschaftlich noch besonders «efficient», so dass die Hauptlast auf den viel wirkungsvolleren privaten Unternehmen ruht (Bührle7, Hispano8, SIG9). An der Erhaltung dieser privaten Rüstungsunternehmen besteht also – abgesehen von unseren liberalen Grundanschauungen – ein militärisches Landesinteresse. Für die wirtschaftliche Existenz dieser privaten Firmen ist aber der Schweizer Markt zu gering (enorme Entwicklungskosten für moderne Waffen, die nur wiedereinbringbar sind, wenn nachher grosse Serien hergestellt werden können); wir müssen also den fraglichen Firmen, damit sie weiter im Rüstungssektor verharren, einen gewissen Auslandabsatz gewähren. Der Ausweg aus dem geschilderten Gegensatz zwischen neutralitätspolitischen Bedenken und rüstungswirtschaftlichen Bedürfnissen ist die Ihnen bekannte Haltung des Bundesrates10, den Kriegsmaterialexport von einer Bewilligung abhängig zu machen und ihn nach Kriegsschauplätzen zu verbieten, nach anderen Gebieten aber zuzulassen. Eine Frage des Abwägens ist es dann, wo und wann örtlich und zeitlich die Grenzlinie zu ziehen ist, wobei sich die Zentrale natürlich um eine gewisse Einheitlichkeit der Praxis bemüht.
Übrigens: neutralitätsrechtlich (nicht neutralitätspolitisch) ist der neutrale Staat nicht gehalten, die Ausfuhr von Kriegsmaterial zu verbieten11; unterwirft er sie dennoch Restriktionen, so hat er diese auf alle Kriegführenden lediglich gleichmässig anzuwenden (Art. 7 und 9 des V. Haager Abkommens12).
Was endlich den Widerspruch betrifft, den Sie zwischen unserer «merkantilen» Haltung und der Antwort auf die UNO-Anfrage13 betreffend Abrüstung entdecken, so ist er nur ein scheinbarer. Dass all das Gerede über Abrüstung heute weitgehend «window dressing» ist, dürfte Ihnen wie mir klar sein. Die schweizerische Stellungnahme gegenüber der UNO ist in diesem Lichte zu werten. Sollte es tatsächlich eines Tages zu einer allgemeinen, umfassenden Abrüstung kommen, die auch uns eine Lockerung unserer noch so nötigen Wehrbereitschaft (womit Sie als Gst. Oberst sicher einiggehen) erlauben würde, so wären in der Tat unsere Kriegsmaterial-Exporte für die schweizerische Volkswirtschaft ein «élément négligeable»; dies wäre auch schon heute der Fall, und das meinten wir mit der Antwort an die UNO. Solange aber die Abrüstung erst ein Wunschgebilde ist und wir deshalb an unserer stark bewaffneten Neutralität samt privater leistungsfähiger Rüstungsindustrie festhalten, müssen wir diesen Betrieben den schon erwähnten Zugang zu ausländischen Märkten, soweit politisch möglich, gewähren. Täten wir es nicht, so wären die volkswirtschaftlichen Folgen zwar in der Tat «négligeables», nicht aber die rüstungstechnischen für unsere Verteidigungsbereitschaft.
Nachdem Sie schon die Freundlichkeit hatten, auf meinen Brief zu antworten, lag es mir daran, Ihnen auch meinerseits unsere «Philosophie» etwas näher darzulegen. Weiteres vielleicht mündlich.
[…] 14
- 1
- Schreiben: E 2200.162(-) 1986/72 Bd. 2 (335.1).↩
- 2
- Schreiben von R. Stoudmann an R. Probst vom 5. Juni 1966, E 2001(E) 1978/84 896 (B.51.14.21.2). Der Briefwechsel zwischen R. Stoudmann und R. Probst umfasst insgesamt vier Schreiben.↩
- 3
- Für eine Übersicht über die Problematik des Kriegsmaterialexports vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 176, dodis.ch/31195.↩
- 4
- Zur Aufhebung vgl. das BR- Prot. 909 vom 6. Mai 1966, E 1004.1(-) 1000/9 Bd. 709.1. Zum Embargo gegen Indien und Pakistan vgl. das BR- Prot. Nr. 1529 vom 10. September 1965, dodis.ch/30898; die Notiz von C. Jagmetti an R. Probst vom 27. Juni 1966, dodis.ch/30905; die Notiz von C. Jagmetti an R. Probst vom 28. Juni 1966, dodis.ch/30904; das BR-Verhandlungsprot. der 61. Sitzung vom 7. September 1965 E 1003(-) 1994/26 Bd. 3, S. 7 und das BR-Verhandlungsprot. der 62. Sitzung vom 10. September 1965, E 1003(-) 1994/26 Bd. 3, S. 2. Zur Ausfuhr von Mirageflugzeugen nach Indien vgl. das BR-Verhandlungsprot. der 29. Sitzung vom 6. Mai 1966, E 1003(-) 1994/26 Bd. 4.↩
- 5
- Zur Frage, inwiefern die Schweiz auf eine eigene Rüstungsindustrie angewiesen sei, vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 29, dodis.ch/31825.↩
- 6
- Handschriftliche Korrektur des Autors aus: benötigte Rüstungsindustrie.↩
- 7
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 45, dodis.ch/31327, Anm. 2.↩
- 8
- Zum Geschäft der Hispano-Suiza mit den USA vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 159, dodis.ch/30964. Zum Export der Hispano-Suiza nach Indonesien vgl. die Notiz von R. Probst an P. Micheli vom 19. Mai 1964, dodis.ch/31329.↩
- 9
- Vgl. dazu die Notiz von E. Stopper an H. Schaffner vom 20. Oktober 1965, dodis.ch/31800.↩
- 10
- Vgl. das BR- Prot. Nr. 641 vom 28. März 1949, dodis.ch/6460 und das BR- Prot. Nr. 2259 vom 18. Dezember 1960, dodis.ch/8933.↩
- 11
- Zur Frage von Neutralität und Kriegsmaterialexport vgl. auch DDS, Bd. 23, Dok. 176, dodis.ch/31195.↩
- 12
- Zur Haager Friedenskonferenz von 1907 vgl. DDS, Bd. 5, thematisches Verzeichnis: VIII.2 Zweite Friedenskonferenz von 1907.↩
- 13
- Zur schweizerischen Antwort auf die Umfrage der UNO über die Abrüstung vgl. das Schreiben von R. Hartmann an die schweizerischen Botschaften vom 28. Mai 1966, E 2003(A) 1978/29 Bd. 381 (o.713.33).↩
- 14
- Grussformel mit Hinweis auf Dienstreise von R. Probst nach Havanna. Vgl. dazu den Bericht von R. Probst vom 14. Juni 1966, dodis.ch/30986 und Postskriptum über Wiederaufnahme der Hilfe Washingtons an Indien und Pakistan. Für das vollständige Dokument vgl. dodis.ch/30895.↩
Tags
Exportation de matériel de guerre
Politique de neutralité Inde (Politique) Pakistan (Politique)