dodis.ch/30156
Der schweizerische Botschafter in
Moskau, M.
Troendle, an den Vorsteher des Politischen Departements,
F. T. Wahlen.
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Politischer Bericht Nr. 27. Gespräche mit Bundeskanzler Gorbach, Aussenminister Kreisky und Generalsekretär Bielka
Moskau, 5. Juli 1962, 10 Uhr
Gorbach ist mit dem Verlauf der Gespräche in Moskau zufrieden. Die sowjetischen Regierungsleute haben zwar konsequent ihre Feindschaft gegenüber dem gemeinsamen Markt bekundet, aber auf der anderen Seite Verständnis gezeigt für die Lage Österreichs, dem sie angesichts seiner wirtschaftlichen Verflechtungen mit Westeuropa und insbesondere mit Deutschland das Recht zubilligen, nach Mitteln und Wegen zu suchen, um eine handelspolitische Diskriminierung zu vermeiden. Allerdings dürfte gegebenenfalls auch die Sowjetunion nicht diskriminiert werden. Es fiel kein Wort der Drohung, wurde aber betont, dass Österreich die korrekten und freundschaftlichen Beziehungen zur Sowjetunion in Frage stelle, wenn es sich auf irgendwie geartete politische Bindungen mit der EWG einlasse. Gorbach erklärte mir, dass seit dem Abschluss des Staatsvertrages2 die Sowjetregierung darauf geachtet habe, nicht einmal den Schein einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten seines Landes zu erwecken. In seinen Ansprachen betonte der Bundeskanzler seinerseits die Bereitschaft, die im Staatsvertrag verankerte immerwährende Neutralität peinlich genau zu respektieren.
Auf meine Frage, ob während der Gespräche mit sowjetischen Partnern auch von unserem Land die Rede war, antwortete mir Aussenminister Kreisky, dass die Stellung der Schweiz nicht direkt diskutiert wurde, dass man aber in Moskau schwer verstimmt sei wegen unserer Osthandelskampagne3. Man könne mit dem besten Willen nicht verstehen, welche Gründe zu dieser isolierten Bewegung geführt haben. Generalsekretär Bielka, den ich von früher her gut kenne, will hingegen nichts derartiges vernommen haben, was mich den Mitteilungen Kreiskys gegenüber etwas skeptisch stimmt.
Über das Resultat der vorangegangenen Pariser Besprechungen4 äusserten sich alle österreichischen Gesprächspartner mit grosser Befriedigung, wegen des ihrem Land gegenüber bekundeten freundschaftlichen Verständnisses de Gaulles.
Das in Paris und Moskau gefundene Wohlwollen sei für die österreichische Regierung eine Ermunterung ihres Bestrebens, auf wirtschaftlicher Basis zu einem modus vivendi mit dem gemeinsamen Markt zu gelangen.