Ministerrat in Bern, vom 11. und 12.10.1960
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 21, doc. 101
volume linkZürich/Locarno/Genève 2007
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1972/33#1026* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1972/33 C66 | |
Dossier title | Conférence des ministres de l'AELE les 11 et 12.10.1960 à Berne - Conférence des ministres de l'AELE le 12.12.1960 à l'Ambassade de Sa Majesté britannique à Paris (1960–1960) | |
File reference archive | C.41.753.0.17n |
dodis.ch/15426 Die Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements an die schweizerischen diplomatischen Missionen1 Europäische Freihandelsassoziation. Ministerrat in Bern vom 11. und 12. Oktober 1960
Der Ministerrat der Europäischen Freihandelsassoziation trat am 11. und
12. Oktober in Bern, unter dem Vorsitz von Herrn Bundesrat Wahlen, zusammen. Es war das erste Mal, dass sich die höchsten Vertreter der EFTA-Staaten
über die praktischen Auswirkungen der EFTA-Bestimmungen aussprechen konnten, da seit dem Wirksamwerden der ersten Zollreduktion und der Kontingentserhöhungen doch schon ein Vierteljahr vergangen ist. Gleichzeitig konnten die Minister den neuen Generalsekretär der EFTA, Frank Figgures, in ihrer
Mitte begrüssen. Obwohl die Tagung in keiner Beziehung aufsehenerregende
Ergebnisse zeitigte, muss unterstrichen werden, dass sich die Beratungen im
Geiste grössten gegenseitigen Verständnisses vollzogen. Mehrere Minister erklärten, sich als Mitarbeiter eines Teams zu fühlen.
Nachdem wir nach Abschluss der Besprechungen den Posten in den
OECE-Ländern, in Washington und in Ottawa die wichtigsten Stellen des
Schluss-Communiqués auf schnellstem Wege übermittelten, möchten wir im
Folgenden auf jene zwei Punkte näher eingehen, die im Zentrum der Besprechungen standen.
1. Beschleunigung des Zollabbaues innerhalb der EFTA.
Wie Ihnen bekannt ist, haben die Minister der EWG am 12. Mai d. J. beschlossen, die Binnenzölle bereits am 1. Januar 1961 anstatt am 1. Januar 1962 um 30% zu senken. Demgegenüber sehen die EFTA-Bestimmungen vor, dass die nächste 10%ige Senkung nach der am 1. Juli d. J. wirksam gewordenen
20%igen Reduktion erst am 1. Januar 1962 erfolgen soll. Aus diesem Grunde hatte die Schweiz bereits an der EFTA-Ministertagung in Lissabon vom 19. und 20. Mai 1960 vorgeschlagen (vergl. unser Zirkular Nr. 16)2, dass auch in der EFTA der Zollabbau beschleunigt werden solle, damit in jedem Zeitpunkt der Gleichschritt mit der EWG gewahrt bleibe. Grossbritannien und Schweden hatten diesen Gedanken unterstützt.
In der Zwischenzeit hat sich nun allerdings gezeigt, dass die Regierungen von drei EFTA-Staaten (Norwegen, Dänemark und Österreich) gewisse
Schwierigkeiten haben, diesem Prinzip ihre Zustimmung zu geben. Teilweise sind diese Bedenken protektionistischer Natur (Befürchtungen der inländischen Industrie) teilweise innenpolitischen Charakters (bevorstehende
Wahlen), und teilweise wird die Zustimmung zu einem beschleunigten industriellen Zollabbau von Konzessionen auf andern Gebieten abhängig gemacht
(zusätzliche Verpflichtungen im Landwirtschafts- und Fischerei-Sektor).
Anlässlich der Berner Tagung erhob sich allerdings kein Widerspruch gegenüber der von schweizerischer Seite gemachten Feststellung, dass die in allen
EFTA-Ländern herrschende gute Konjunktur die besten Voraussetzungen für einen Schritt nach vorwärts verbürge. Auch wurde grundsätzlich nicht mehr bestritten – wie dies in einzelnen von den zögernden Ländern eingereichten
Memoranden der Fall war –, dass ein dauerndes Nachhinken der EFTA gegenüber der EWG als bedenkliches Schwächezeichen ausgelegt werden könne.
Anderseits müssten jene Länder, die die Beschleunigung befürworten, zugeben, dass die seit dem Wirksamwerden der ersten Zollreduktion verstrichene
Zeitspanne noch etwas kurz sei, damit die Regierungen der zögernden Partner die interessierten Wirtschaftskreise in ihren Ländern von der relativen Harmlosigkeit einer weitern Zollherabsetzung überzeugen können. Auch wurde allgemein anerkannt, dass es im Interesse von Produktion und Handel läge, wenn der Zeitplan für die weitern zukünftigen Senkungen einigermassen fest beschlossen werden könnte. So kamen denn die Minister zum Schlusse, dass die
Angelegenheit zu Beginn des Jahres 1961 von neuem behandelt werden sollte.
Schon jetzt konnte aber festgestellt werden, dass die Vorverlegung der nächsten
Zollsenkung um ein halbes Jahr, das heisst auf den 1. Juli 1961, kaum grösseren
Schwierigkeiten begegnen wird. Indessen werden die Vorverhandlungen über die Festlegung einer Beschleunigung nach der nächsten Etappe recht heikel werden, nicht zuletzt deshalb, weil dabei auch zusätzliche Verpflichtungen im
Agrarsektor und möglicherweise hinsichtlich der Wettbewerbsbestimmungen zur Sprache kommen werden.
Die Schweiz hätte eine zusätzliche Zollsenkung auf den 1. Januar 1961 begrüsst. Dadurch wäre auch unsere Verhandlungsposition gegenüber der
EWG in den GATT-Verhandlungen gestärkt worden. Das EFTA-Abkommen hatte es auch erlaubt, dass einzelne EFTA-Staaten, die sich dafür stark genug fühlen, von sich aus die Beschleunigung autonom durchgeführt hätten.
Die Minister fanden indessen, dass ein solcher Schritt in der Aussenwelt hätte Zweifel an der Solidarität aller EFTA-Partner hervorrufen können. Die nunmehr angenommene Formel, die auf eine eher langfristige Festlegung der
Beschleunigung hinzielt, hat für uns immerhin den nicht zu unterschätzenden
Vorteil, dass wir nur einmal mit unsern interessierten EFTA-Partnern über die Implementierung der Agrarverpflichtungen zu verhandeIn brauchen. Wiederholte, kurzfristige Beschleunigungsbeschlüsse wären in dieser Beziehung wahrscheinlich ungünstiger gewesen.
2. Die britischen Bemühungen um eine Auflockerung der Positionen,
in der europäischen Integrationsfrage.
Der britische Lordsiegelbewahrer Heath unterbreitete dem EFTA-Rat einen umfassenden Bericht über die Kontakte, welche die britische Regierung während der letzten Monate mit andern europäischen Regierungen und mit den Commonwealth-Ländern gepflogen hatte. Die britische Regierung ging bei ihrer Initiative davon aus, dass die internationale Lage, besonders in
Europa, seit dem Scheitern der Gipfelkonferenz3 eine Verschärfung erfahren hat und dass deshalb alles unternommen werden müsse, damit die wirtschaftlichen Differenzen zwischen EFTA und EWG die politische Kohärenz des
Westens in der kommenden kritischen Zeit nicht schwächen. Die Kontakte, die deshalb mit Adenauer, Fanfani und Couve de Murville aufgenommen wurden, dienten vorerst dem Ziel, die grundsätzliche politische Bereitschaft zu einer Wiederaufnahme der Ende 1958 abgebrochenen Verhandlungen abzutasten. Darüber hinaus sollten die Besprechungen mit den Finanzministern des Commonwealth Anhaltspunkte vermitteln, inwieweit von dieser Seite die
Zustimmung zu neuen britischen, wirtschaftlichen Verpflichtungen in Europa erreicht werden könnte.
Nach den Erklärungen von Lordsiegelbewahrer Heath verliefen die europäischen Fühlungnahmen recht ermutigend. In Bonn und Rom würde eine baldige Wiederaufnahme der Gespräche begrüsst. Auch in Paris sei man nicht mehr jeder Assoziation zwischen Grossbritannien und der EWG abgeneigt.
Man anerkenne auch dort, dass die zwischen Grossbritannien und dem Commonwealth bestehenden politischen und wirtschaftlichen Bande für Europa von
Bedeutung seien, was bei irgendwelchen Assoziationsformen zwischen EWG und EFTA berücksichtigt werden müsse. Indessen glaube man in Frankreich, dass die Zeit zu wirklich erfolgversprechenden Verhandlungen noch nicht gekommen sei.
Was die Besprechungen mit den Finanzministern des Commonwealth anbelangt, so bezeichnete Minister Heath die in der Presse geäusserte Meinung, die negative Reaktion des Commonwealth erschwere die Fortsetzung der britischen Bemühungen, als irreführend. Tatsächlich hätte die britische Regierung keine andere Antwort auf die von ihr vorgelegten Fragen erwartet. Die
Stellungnahme des Commonwealth, die im übrigen recht allgemeiner Natur gewesen sei, würde ihr aber bei der zukünftigen Behandlung der Probleme eine bessere Isolierung der wirklich kritischen Punkte erlauben.
In praktischer Hinsicht sei bis jetzt äusserst wenig geschehen. Die Deutschen hätten es übernommen, allgemeine Formeln zu studieren und mit ihren
EWG-Partnern zu besprechen, die als Ausgangspunkt einer neuen gesamteuropäischen Assoziations-Verhandlung dienen könnten. Sie würden darüber mit England einen informellen Gedankenaustausch pflegen, und Grossbritannien würde seinerseits seine EFTA-Partner über die Entwicklung auf dem
Laufenden halten. Nach welcher Richtung die deutschen Studienvorschläge konkret gehen (Beitritt der EWG zur EFTA oder Übernahme eines gemeinsamen Tarifs durch die EFTA), ist bis jetzt noch nicht bekannt. Jedenfalls hält die britische Regierung daran fest
– dass jeder Vorschlag auf Wiederaufnahme der gesamteuropäischen Assoziationsverhandlungen von Seiten der EWG kommen muss und
– dass England bei den vorbereitenden Sondierungen in engster Zusammenarbeit mit seinen EFTA-Partnern vorzugehen gewillt ist.
Die EFTA-Minister nahmen dieses Exposé mit grösstem Interesse entgegen.
Eine eigentliche Aussprache konnte in diesem Stadium noch nicht stattfinden, jedoch wurde der Wunsch unterstrichen, dass die Zusammenarbeit der EFTA-Staaten in dieser Angelegenheit bestmöglich ausgebaut werden sollte, damit niemand zu irgendeiner Phase der Entwicklung vor vollendete Tatsachen gestellt würde.
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