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Documents Diplomatiques Suisses, vol. 21, doc. 98
volume linkZürich/Locarno/Genève 2007
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2001E#1976/17#2323* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2001(E)1976/17 393 | |
Titre du dossier | Schutz der Schweizer und ihres Eigentums anlässlich von Revolutionen, Unruhen usw. (1951–1963) | |
Référence archives | B.51.30 • Composant complémentaire: Kuba |
dodis.ch/14968
Vor einigen Tagen hat die amerikanische Regierung allen in Kuba wohnhaften amerikanischen Staatsangehörigen angeraten, das Land unverzüglich zu verlassen, sofern nicht zwingende Gründe ein weiteres Verbleiben notwendig machten. Dieser Aufruf erfolgte kurz nach einem internen Entscheid der hiesigen USA-Botschaft, wonach alle Familienangehörigen des Botschaftspersonals nach den Vereinigten Staaten zurückbeordert wurden. Dem ebenfalls vom
Staatsdepartement ausgehenden Rat an Touristen, Kuba als Reiseland zu meiden, kommt infolge des ohnehin schon fast versiegten Touristenstromes aus dem nördlichen Nachbarland nur mehr propagandistische Bedeutung zu. (Meine europäischen Kollegen und der Vertreter Kanadas, mit denen ich die neue Lage eingehend besprochen habe, beabsichtigen einstweilen keinerlei besondere
Massnahmen zugunsten ihrer Staatsangehörigen. Der deutsche Botschafter lebt allerdings ständig in der Ungewissheit über eine allfällige Anerkennung der ostdeutschen Regierung durch Kuba, was voraussichtlich den Abbruch der
Beziehungen Bonn’s mit Havanna, mit allen sich daraus ergebenden Folgen, nach sich ziehen würde. Der französische Botschafter seinerseits sieht mit verständlichem Unbehagen der kommenden Algerien-Debatte in der UNO entgegen, wo die Haltung der kubanischen Delegation ebenfalls sein Schicksal als Vertreter de Gaulle’s bei Fidel Castro besiegeln könnte.)
Die erwähnten, fast gleichzeitig bekanntgegebenen Massnahmen Washingtons haben begreiflicherweise unter den hiesigen Ausländern – und auch unter den Kubanern – eine sichtliche Verschärfung der bereits seit längerer
Zeit äusserst nervösen Stimmung geschaffen, besonders wenn man bedenkt, dass bei meiner Ankunft2 in Havanna im März 1959 noch über 10’000 Amerikaner in Kuba ständigen Wohnsitz hatten. Im Zuge der fast vollständigen
Übernahme aller amerikanisch beherrschten Wirtschaftszweige und Landbesitztümer durch die Revolutionsregierung, ist diese Zahl allerdings bereits um mehr als die Hälfte zusammengeschrumpft. Immerhin ist der nun einsetzende, massive Exodus der Amerikaner in diesen Tagen recht eindrücklich, alles reisst sich um einen Platz auf einem der nordwärts ziehenden Flugzeuge der wenigen von Havanna aus noch operierenden Fluglinien.
Es ist müssig, näher auf eine Beurteilung der Massnahme Washingtons einzugehen. Im Hinblick auf die dadurch hier ausgelöste Schockwirkung wird sie auch nicht von allen hiesigen Amerikanern uneingeschränkt begrüsst, es sei denn, dass sie der Auftakt eines Abbruchs der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden früher so eng verbundenen Ländern, oder der Beginn einer schon längere Zeit gemunkelten totalen Wirtschaftsblockade der USA gegen Kuba, oder gar das Vorspiel eines direkten oder indirekten militärischen
Eingreifens von Seiten der Vereinigten Staaten wäre. Letzteres wage ich allerdings zu bezweifeln, da das durch Fidel Castro aufgeworfene Problem seit langem den rein kubanisch-nordamerikanischen Rahmen gesprengt hat, und ein direktes militärisches Eingreifen der Vereinigten Staaten offensichtlich allzu weite, unübersichtliche Folgen nach sich ziehen könnte; ich denke dabei nicht nur an die wohl eher nach einem propagandistischen Bluff aussehende
Drohung von Chruschtschew, im Falle eines Angriffs auf Kuba die USA mit
Raketen zu bekämpfen.
Tatsache ist allerdings, dass seit mehr als Monatsfrist in der Sierra del Escambray in Zentralkuba eine anscheinend recht zahlreiche, gut bewaffnete und ausgerüstete Rebellengruppe gegen die Ordnungstruppen der Revolutionsregierung in sporadische Gefechte verwickelt ist, wobei Waffen und Verpflegung für diese Guerillakämpfer hauptsächlich auf dem Luftweg aus dem benachbarten Florida in der unwirtlichen, waldigen Sierra abgeworfen werden sollen. Da allein in Miami und Umgebung, knapp 150 km von Kuba entfernt, gegen 50’000 meist rabiat castrofeindliche Exilkubaner leben, die zum Teil
über beträchtliche Geldmittel verfügen und von amerikanischer Seite neben moralischer wohl auch materielle Unterstützung erhalten, sind in Zukunft grössere Scharmützel auf dem langgestreckten Inselland oder intensivierte Terroraktionen wohl möglich oder, sogar wahrscheinlich. Einstweilen beschränkt sich der Nervenkrieg, abgesehen von der erwähnten Guerillatätigkeit, meist auf Gerüchteverbreitung aller Art, sowie auf kleinere, aber psychologisch doch recht wirksame Bombenattentate, die fast jede Nacht in irgend einem Stadtteil zu hören sind, bisher jedoch im allgemeinen nicht allzu viel Menschen- und
Sachschaden angerichtet haben, ausgenommen die Riesenexplosion eines Munitionsschiffes im Hafen von Havanna in diesem Frühjahr mit über 100 Toten, sowie die kürzliche Sprengung eines grossen Munitionsdepots an der Peripherie der Stadt, die sehr erhebliche Sachschäden und auch den Verlust von Menschenleben zur Folge hatte. Als Fidel Castro hier nach seiner Rückkehr von
New York vor über 100’000 Getreuen eine seiner berüchtigten Brandreden hielt, platzte in der Nähe des versammelten Volkes eine weit herum hörbare
Bombe. Nach viertelstündiger Unterbrechung verkündete Castro wutentbrannt, für jede weitere Bombe werde er eine amerikanische Bank konfiszieren. Nachdem in der Zwischenzeit alle Bankinstitute der Vereinigten Staaten in Kuba vom Staat übernommen worden sind, fragt man sich, woran er sich inskünftig schadlos halten werde?
Auf die erwähnte Evakuationsmassnahme der Amerikaner zurückkommend, ist zu bemerken, dass als offizielle Begründung die sich mehrende Belästigung von Amerikanern durch die Polizei (nicht durch die Bevölkerung!), sowie die kürzliche Verhaftung und anschliessende Ausweisung mehrerer
Angestellter und Beamten der hiesigen USA-Botschaft angeführt wird. Man gewinnt den bestimmten Eindruck – der amerikanische Botschafter bestätigte mir kürzlich diese Ansicht – dass die hiesige Regierung seit längerer Zeit alles versucht, um Washington zu einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu provozieren, um sich dann noch ostentativer als bisher als Märtyrer und Op fer des nördlichen Imperialismus gebärden zu können. Bisher hat Washington diesem Druck widerstanden und Botschafter Bonsal ist auf seinem undankbaren, fast zur Untätigkeit verurteilten Posten geblieben, obwohl Kuba bereits seit Jahresfrist keinen Botschafter mehr in Washington hat. (Der dafür auf dem
Papier ausersehene Miró Cardona, einst Premierminister in der Regierung
Fidel Castros, hat bereits vor drei Monaten auf der hiesigen argentinischen
Botschaft Asyl gesucht, wo er infolge Verweigerung sicheren Geleites ein Dauergast zu werden verspricht. Dieser hat übrigens letzte Woche in der Person des
Rechtsberaters des Staatspräsidenten einen asylsuchenden Zimmernachbarn erhalten.) In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinweisen, dass der kürzlich mit grossem Pomp hier eingetroffene Sowjetbotschafter Kudriávtsev, der in der bekannten Spionageaffäre um Igor Gusenko in Kanada im Jahre 1945 eine führende Rolle gespielt hatte, anlässlich seines mehr als einstündigen
Antrittsbesuchs bei mir die Frage eines eventuellen Abbruchs der kubanischamerikanischen diplomatischen Beziehungen angeschnitten hat. Er betonte mit einem gewissen Nachdruck, dass eine solche Tatsache (er dachte sichtlich an eine Initiative von Seiten der USA) sehr bedauerlich wäre, da dadurch die im karibischen Raum herrschende Spannung noch mehr verschärft würde. Auf meinen Hinweis, dass er unter den heutigen Umständen wohl in der Lage wäre, hier in Havanna einen mässigenden Einfluss auszuüben, verschanzte er sich, wie zu erwarten war, hinter der These, dass Moskau sich nie in die internen
Angelegenheiten unabhängiger Staaten einmische.
Der Abgesandte des Kremls, der während der letzten Besuche Chruschtschews in Paris auf der dortigen Botschaft tätig war, fand dann, etwas überraschenderweise, recht lobende Worte für die französische Regierung, mit welcher
Moskau «sehr gute» Beziehungen unterhalte, sowie für Grossbritannien, das, im
Gegensatz zu den USA, eine «vernünftige» internationale Politik betreibe.
Abschliessend möchte ich noch auf einen unsere hiesigen Landsleute betreffenden Aspekt der amerikanischen Evakuierung und der dadurch hervorgerufenen gespannten, um nicht zu sagen Panik-Stimmung hinzuweisen.
Unsere Kolonie ist zurzeit infolge der allgemeinen Lage in den letzten
Monaten von gesamthaft ca. 170 Personen im vergangenen Jahr auf ungefähr
125 zusammengeschmolzen, wovon etwa 60 Nur-Schweizer sind. Unsere
Landsleute haben im allgemeinen recht ruhig Blut bewahrt, sind jedoch verständlicherweise besorgt um die künftige Entwicklung der Lage in Kuba. (Ich werde oft recht ungläubig angeschaut, wenn ich meinen Bekannten freudig mitteile, dass in den nächsten Tagen meine Frau mit den zwei Kindern nach
Havanna zurückkehren werde.) Dabei taucht innerhalb der Kolonie immer wieder die Frage nach einer allfälligen Abgabe von Schutzbriefen auf. Nun bin ich mir über die Problematik dieser Frage wohl bewusst, wie sie ja auch in dem geheimen Kreisschreiben Nr. 229 vom 25. 3. 19523 klar umschrieben ist. Eine eventuelle Abgabe solcher Dokumente käme hier ohnehin nur im
äussersten Fall in Frage, etwa bei drohender Gefahr des bevorstehenden Ausbruchs eines eigentlichen Bürgerkrieges oder beim militärischen Eingreifen einer ausländischen Macht. Welcher Schaden bei einem verfrühten Vorgehen angerichtet werden kann, habe ich Ihnen in meinem vertraulichen Schreiben vom 18. Juni d. J.4, Seite 3, beschrieben, wo sich die USA-Botschaft durch das publik gewordene Drucken von Schutzbriefformularen den Zorn und die propagandistisch extrem aus geschlachtete Entrüstung der Regierung und ihrer gelenkten Presse zugezogen hat.
Daneben würde die Abgabe von Schutzbriefen hier insofern eine delikate
Lage innerhalb der Schweizerkolonie schaffen, als gut die Hälfte unserer Landsleute, darunter der Präsident und mehrere Vorstandsmitglieder des Schweizervereins, kubanisch-schweizerische Doppelbürger sind, denen schweizerische
Schutzbriefe hier in Kuba nicht ausgehändigt werden können.
Obwohl ich, wie angedeutet, den Wert von Schutzbriefen auf Grund früherer
Erfahrungen im allgemeinen nicht überschätze, könnte deren Abgabe unter gewissen Umständen doch wertvoll werden, besonders auch aus psychologischen Gründen. Um daher rechtzeitig für alle Eventualitäten gewappnet zu sein, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir in Ergänzung des Vorrats, den Sie mir mit Ihrem Schreiben vom 6. Mai d. J.5 im Hinblick auf den Schutz der hiesigen
Nestlé-Interessen übermittelt haben, noch weitere 30 Exemplare zukommen lassen wollten. Ich wiederhole, dass ich an eine tatsächliche Abgabe nur im wirklichen Notfall schreiten würde und mich dabei grundsätzlich von Ihren
Weisungen im erwähnten Kreisschreiben Nr. 2296 leiten lasse.
Besonders in Anbetracht dieser Bemerkungen betreffend Schutzbriefe, sende ich einen Durchschlag dieses Schreibens direkt an den Chef der Abteilung für Verwaltungsangelegenheiten.
- 1
- Schreiben: E 2001(E)1976/17/393.↩
- 2
- Vgl. den Politischen Bericht Nr. 1 von W. Bossi an M. Petitpierre vom 16. April 1959, E 2300 (-)1000/716/155.↩
- 3
- Vgl. das Kreisschreiben Nr. 229 an die diplomatischen und konsularischen Vertretungen von A. Zehnder vom 25. März 1952, E 2001(E)1973/157/1.↩
- 4
- Vgl. das Schreiben von W. Bossi an R. Kohli vom 18. Juni 1960, nicht abgedruckt (dodis.ch/14970).↩
- 6
- Vgl. Anm. 2.↩
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