Uhren-Antitrustprozess USA
Imprimé dans
Documents Diplomatiques Suisses, vol. 21, doc. 105
volume linkZürich/Locarno/Genève 2007
Plus… |▼▶3 emplacements
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E1001#1000/6#114* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 1001(-)1000/6 114 | |
Titre du dossier | Anträge des Eidg. Politischen Departementes Oktober - Dezember 1960 (1960–1960) | |
Référence archives | 1.2 |
Archives | Archives fédérales suisses, Berne |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E1004.1#1000/9#644* |
Ancienne cote | CH-BAR E 1004.1(-)1000/9 643 |
Titre du dossier | Beschlussprotokolle des Bundesrates November 1960 (2 Bände) (1960–1960) |
Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E2001E#1972/33#184* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 2001(E)1972/33 C171 | |
Titre du dossier | Uhrenindustrie (1957–1960) | |
Référence archives | C.41.126.01.1 • Composant complémentaire: Vereinigte Staaten von Amerika |
dodis.ch/14866
Uhren-Antitrustprozess USA
I.
Ende 1954 ist bekanntlich vom amerikanischen Justizdepartement gegen eine Anzahl amerikanischer Importeure schweizerischer Uhren sowie namentlich gegen Organisationen und Firmen der schweizerischen Uhrenindustrie
Zivilklage wegen Verletzung der amerikanischen Antitrustgesetze erhoben worden2. Nach den üblichen Vorverfahren wurde zunächst geprüft, ob es nicht möglich wäre, die Differenz durch einen gerichtlich zu sanktionierenden Vergleich (sog. «consent decree») aus der Welt zu schaffen3. Der zweite dieser Versuche unter dem Vorsitz des zuständigen amerikanischen Richters4 erstreckte sich über das ganze Jahr 1959 und führte im März 1960 tatsächlich zu einem Vergleich zwischen dem Justizdepartement und den amerikanischen Beklagten5.
Dagegen zerschlug er sich in Bezug auf die schweizerischen Hauptbeklagten
(insbesondere «FédérationHorlogère» und Ebauches SA). Der eigentliche
Prozessbeginn gegen die letzteren vor dem New Yorker Distriktsrichter6 (Bundesrichter) ist deshalb nunmehr auf den 6. November angesetzt7.II.
Wir haben den Antitrustprozess seit jeher als eine private Angelegenheit der betroffenen Organisationen und Firmen der schweizerischen Uhrenindustrie betrachtet. Indessen ist nicht zu Übersehen, dass manche amerikanische
Klagepunkte gegen Massnahmen und Handlungen gerichtet sind, die auf dem Uhrenstatut (Bundesbeschluss vom 22. Juni 19518 samt Vollziehungsverordnung9) und auf der in das Statut eingebetteten Kollektivkonvention der Uhrenindustrie beruhen. Nun lässt sich zwar nicht bestreiten, dass die
Uhrenindustrie, wenn sie ihre Produkte auf dem amerikanischen Markt abzusetzen und dort Niederlassungen zu unterhalten wünscht, dies im Rahmen der amerikanischen Gesetzesvorschriften zu tun hat. Problematischer wird die amerikanische Klage dort, wo sie darauf ausgeht, unsere Uhrenindustrie von
Amerika aus zu einem bestimmten Verhalten in der Schweiz oder im Verhältnis zu Drittstaaten zu verpflichten, das unter Umständen den Leitgedanken unserer eigenen Ordnung des Uhrensektors zuwiderlaufen könnte. Es stellt sich hier eine Frage der sachlichen und räumlichen Zuständigkeit zweier verschiedenartiger staatlicher Rechtsordnungen und ihrer gegenseitigen Abgrenzung, die sich zwar bei der heutigen weltwirtschaftlichen Verflechtung durch das Prinzip der reinen Territorialität nicht lösen lässt und einer subtilen Prüfung bedarf, wo es aber gleichzeitig allfälligen Übergriffen eines fremden Staates in die eigene
Hoheitssphäre zu wehren gilt. Ausserdem ist in den letztjährigen «consent de cree»-Verhandlungen das Bestreben des amerikanischen Justizdepartements offenbar geworden, in den Vergleichstext gewisse Sanktionsmöglichkeiten10 genereller Natur einzubauen, die sowohl gegen Bestimmungen des GATT11 wie auch des bilateralen schweizerisch-amerikanischen Handelsabkommens von 193612 verstossen würden.III.
Das Politische Departement ist dieserhalb in verschiedenen Phasen des bisherigen Verfahrens, so namentlich bei der Klageerhebung und dann wieder mehrmals im Laufe der letztjährigen Vergleichsverhandlungen, durch Vermittlung der schweizerischen Botschaft in Washington beim amerikanischen
Staatsdepartement vorstellig geworden13. Es erscheint notwendig, dies in der bevorstehenden eigentlichen Prozessphase erneut zu tun. Angesichts der auch in den USA streng durchgeführten Gewaltentrennung wird dies indessen gegenüber dem Richter auf dem üblichen diplomatischen Wege über das Staatsdepartement kaum wirksam genug geschehen können. Nun kennt aber das amerikanische Recht das uns in dieser Form unbekannte Institut des «amicus curiae». Nach amerikanischer Theorie und Praxis kann es dort zur Anwendung gelangen, wo sich ein Gerichtsurteil nicht nur auf die direkt beteiligten
Parteien, sondern auch auf weitere Kreise auswirken wird. Diese erhalten als «Freunde des Gerichtshofs» Gelegenheit, dem Richter ihre Auffassung zur Sache mitzuteilen. Auch ausländische Regierungen haben schon verschiedentlich von dieser Möglichkeit, direkt an den amerikanischen Richter zu gelangen,
Gebrauch gemacht. Wir gedenken nun ebenfalls, das Interesse des Bundesrates am Ausgang des Antitrustprozesses auf diese Weise zu manifestieren. Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Uhrenindustrie sowie der Umstand, dass sie auf dem amerikanischen Markt rund ein Drittel ihrer Produktion absetzt, ebenso die völker-, vor allem die souveränitätsrechtlichen Aspekte der Frage dürften uns dazu legitimieren. Wir glauben annehmen zu können, dass auch mit der Einwilligung des Richters, die über das Staatsdepartement einzuholen wäre, gerechnet werden kann. Die Darlegung des schweizerischen behördlichen
Standpunktes durch das Institut des «amicus curiae» könnte anderseits in keiner
Weise als eine Unterwerfung der Eidgenossenschaft unter die amerikanische
Gerichtshoheit ausgelegt werden.IV.
Konkret erfolgt die Orientierung des Richters, wie die Erfahrung gezeigt hat, am zweckmässigsten durch die Einreichung einer schriftlichen Eingabe, die durch eine als Autorität auf dem betreffenden Gebiet allgemein anerkannte Persönlichkeit zu verfassen wäre, welche mit Psychologie und Technik der amerikanischen Rechtssprechung vertraut sein müsste und gleichzeitig ihr persönliches Prestige in die Waagschale werfen könnte. Die Eingabe würde von dieser Persönlichkeit namens und im Auftrag der schweizerischen
Regierung, die selbst als «amicus curiae» gelten würde, unterzeichnet. Die
Vorbereitung der Eingabe14 würde natürlich in engem Einvernehmen mit dem Politischen Departement und den anderen interessierten Bundesstellen erfolgen.V.
Wir haben nach einer hiefür geeigneten Persönlichkeit Ausschau gehalten und glauben, sie im amerikanischen Professor Willis L. M. Reese, der uns von verschiedenen Seiten empfohlen wurde, gefunden zu haben. Prof. Reese,
47-jährig, ist ein bekannter Spezialist des Internationalen Privatrechts. Nach mehrjähriger Anwalts- und Lehrtätigkeit ist er seit 1955 Direktor der «Parker
School» für ausländisches und vergleichendes Recht der Columbia-Universität in New York. 1956 war er Delegierter der USA an der Haager Konferenz für internationales Privatrecht. Er hat zahlreiche Abhandlungen verfasst und fungiert u. a. auch als Vorstandsmitglied der «AmericanSociety of International Law».
Prof. Reese hat uns unlängst in Bern unverbindlich besucht15. Wir gewannen dabei einen sehr guten Eindruck von ihm und konnten feststellen, dass seine Ansichten mit den unsrigen in allen wesentlichen Punkten übereinstimmen. Wir glauben, dass eine Zusammenarbeit gedeihlich und nützlich sein wird. Der Umstand, dass es sich um einen akademischen Lehrer und nicht um einen Ahwalt handelt, ist auch insofern ein Vorteil, als damit die schweizerische offizielle Stellungnahme von vorneherein aus der Auseinandersetzung zwischen den Parteien, in die wir uns nicht einzumischen wünschen, herausgehoben wird.VI.
Die Honorarforderung von Prof. Reese für die ihm zugedachte Aufgabe, die grosse Sachkenntnis, ein sehr umfangreiches Aktenstudium und vielfältige eigene Nachforschungen verlangt, beläuft sich auf 10’000 Dollars (plus eventuelle Reise- und andere Spesen). Für amerikanische Verhältnisse ist dies durchaus angemessen. Wenn wir in der skizzierten Weise vorzugehen wünschen, ist die Mitarbeit eines erstklassigen Spezialisten Voraussetzung. Da
Prof. Reese im Auftrag des Bundesrates tätig würde, müsste seine Honorierung durch den Bund erfolgen. Eine andere Lösung wäre, wenn sie bekannt würde, geeignet, unsere Rolle als «amicus curiae» zu gefährden, die Wirkung ins Gegenteil umzuschlagen und den Bundesrat zu kompromittieren.
Vorbehalten bleibt selbstverständlich – wie beispielsweise in Streitfallen vor dem Internationalen Gerichtshof – nach Abschluss des Verfahrens die interne Abrechnung über die dem Bund entstandenen Gesamtkosten mit den
Organisationen der Uhrenindustrie. Diese haben sich zur Begleichung dieser
Kosten bereit erklärt.
Das Politische Departement beehrt sich daher, dem Bundesrat zu beantragen:
1. Der Standpunkt des Bundesrates wird dem amerikanischen Richter im
Uhren-Antitrustprozess durch das Institut des «amicus curiae» zur Kenntnis gebracht.
2. Prof. Willis L. M. Reese wird beauftragt, die Eingabe des Bundesrates an den Richter im Einvernehmen mit dem Politischen Departement, das seinerseits die anderen interessierten Bundesstellen konsultiert, vorzubereiten und einzureichen.
3. Das Honorar von Prof. Reese wird auf 10’000 Dollars (plus eventuelle
Reise- und andere Spesen) angesetzt. Die Bezahlung erfolgt durch den Bund.
Die spätere interne Rechnungstellung an die Uhrenindustrie für die dem Bund erwachsenen Gesamtkosten des Verfahrens bleibt vorbehalten16.
- 1
- Antrag: E 1001(-)1000/6/114. Paraphe: PO.↩
- 2
- Vgl. DDS, Bd. 19, Dok. 118, dodis.ch/9215, 130 (dodis.ch/9217), 136 (dodis.ch/9219) und Bd. 20, Nr. 102 (dodis.ch/12080).↩
- 3
- Für eine Zusammenfassung der Ereignisse im Uhrenantitrustverfahren bis September 1959 vgl. die Notiz von R. Probst an M. Petitpierre vom 28. September 1959, E 2001(E)1972/33/ C170 (dodis.ch/14850).↩
- 5
- Vgl. die Pressemitteilung des amerikanischen Justizdepartements vom 9. März 1960, E 2200.36(-)1972/18/37.↩
- 6
- Vgl. Anm. 3.↩
- 7
- Vorerst wurde der Prozessbeginn auf den 12. September 1960 festgelegt, vgl. die Notiz von R. Probst vom 2. März 1960, E 2001(E)1972/33/ C170 (dodis.ch/14865).↩
- 8
- Vgl. den Bundesbeschluss über Massnahmen zur Erhaltung der schweizerischen Uhrenindustrie vom 22. Juni 1951, AS, 1951, S. 1231–1238.↩
- 9
- Vgl. die Vollziehungsverordnung zum Bundesbeschluss vom 22. Juni 1951 über Massnahmen zur Erhaltung der schweizerischen Uhrenindustrie vom 21. Dezember 1951, AS, 1951, S. 1241–1258.↩
- 10
- Die geforderten Sanktionen sahen im Falle einer Verletzung des consent decree’s unter anderem das Verbot der Einfuhr schweizerischer Uhrenprodukte in die USA und die Aufhebung der geltenden Beschränkungen in Bezug auf den Verkauf von Uhrenteilen vor, vgl. das Schreiben von M. Petitpierre an H. de Torrenté vom 1. September 1959, E 2200.36(-)1972/18/37.↩
- 11
- Seit dem 1. Januar 1960 war die Schweiz provisorisches Mitglied der GATT, vgl. den Bundesbeschluss über die Genehmigung des provisorischen Beitritts der Schweiz zum Allgemeinen Zoll- und Handeslabkommen (GATT) vom 10. Juni 1959, AS, 1959, S. 1739, die Deklaration über den provisorischen Beitritt der Schweizerischen Eidgenossenschaft zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen GATT, (Datum des Inkrafttretens: 1. Januar 1960) AS, 1959, S. 1741–1744 und das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, AS, 1959, S. 1745–1822. Zur Frage der Zolltarifverhandlungen zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten im Rahmen der GATT unter Verzicht der Uhrenposition vgl. das Schreiben von H. Schaffner an H. de Torrenté vom 16. November 1959, E 2001(E)1972/33/ C168 (dodis.ch/14803).↩
- 12
- Vgl. DDS, Bd. 11, Dok. 197, dodis.ch/46118 und den Bundesbeschluss über das Handelsabkommen zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 23. April 1936, AS, 1936, Bd. 52, S. 241–271.↩
- 13
- Vgl. die Note an das amerikanische Staatsdepartement betreffend die Sanktionsbestimmungen im consent decree vom 24. September 1959, E 2200.36(-)1972/18/37 und die Note betreffend das Uhrenantitrustverfahren vom 6. Oktober 1959, ibid. Zur Frage der Intervention der Botschaft in das Uhrenantitrustverfahren vgl. E 2001(E)1972/33/ C170.↩
- 14
- Am 22. November 1960 übergab A. Lindt dem amerikanischen Staatsdepartement eine Note betreffend den amicus curiae, vgl. die Note an das amerikanische Staatsdepartement vom 22. November 1960, E 2001(E)1972/33/ C171. Die Antwort des amerikanischen Staatsdepartements erfolgte am 27. Dezember 1960. Das in dieser Frage konsultierte amerikanische Justizdepartement sah davon ab, den schweizerischen Antrag betreffend den amicus curiae zu kommentieren. Somit konnte Prof. W. L. M. Reese die Gesichtspunkte der Schweizer Regierung vor Gericht vortragen. Vgl. Verbalnote des amerikanischen Staatsdepartements an A. Lindt vom 27. Dezember 1960, E 2200.36(-)1972/18/37 und E 2001(E)1972/33/ C171.↩
- 15
- Prof. W. L. M. Reese traf sich am 24. Oktober 1960 mit M. Petitpierre, R. Kohli, Prof. R. Bindschedler, R. Probst, A. Weitnauer und C. Caillat zu einer Aussprache, vgl. das Schreiben von R. Kohli an E. Thalmann vom 26. Oktober 1960, E 2200.36(-)1972/18/37.↩
- 16
- Vgl. den BR-Beschluss Nr. 1910 vom 8. November 1960, E 1004.1(-)1000/9/643.↩
Tags
États-Unis d'Amérique (USA) (Economie)
États-Unis d'Amérique (USA) (Général) Conflit horloger avec les USA (1946–1975)