Abgedruckt in
Diplomatische Dokumente der Schweiz, Bd. 21, Dok. 43
volume linkZürich/Locarno/Genève 2007
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Archiv | Schweizerisches Bundesarchiv, Bern | |
▼ ▶ Signatur | CH-BAR#E2200.36-09#1972/18#148* | |
Alte Signatur | CH-BAR E 2200.36-09(-)1972/18 10 | |
Dossiertitel | Lieferung von Kriegsmat. durch USA (1958–1960) | |
Aktenzeichen Archiv | G.63.3 |
dodis.ch/14802
Interne Notiz des Politischen Departements1
Kriegsmaterial-Transit durch die Schweiz, Export von Kriegsmaterial aus der Schweiz
I. Aus der vertraulichen Notiz über eine Besprechung bei Minister Kohli vom 25. April d. J.3 sowie den uns übermittelten Beilagen ergibt sich:
1. dass kürzlich 58 amerikanische Panzerwagen durch die Schweiz transportiert worden sind4;
2. dass der Transit von 79 amerikanischen Raupen-Truppentransportwagen mit Panzertransportwagen der schweizerischen Armee bewilligt worden ist5;
3. dass der Bundesrat das Politische Departement beauftragt hat, über den
Komplex des Kriegsmaterial-Transits, speziell von amerikanischem bzw. NATO-Armeematerial, einen grundsätzlichen Bericht6 auszuarbeiten.
II. Grundsätzliche Bemerkungen von Minister Kohli «Rein neutralitätsrechtlich sind solche Transite an sich zulässig. Eine andere Frage ist es, ob sie politisch klug sind, namentlich wenn sie in grösserem
Ausmasse und in Zeiten erhöhter Spannung erfolgen. Man sollte auch dafür
Sorge tragen, sie für die NATO nicht zur Gewohnheit werden zu lassen; wir würden uns ansonst der Gefahr eines amerikanischen Druckes in Momenten aussetzen, in denen den Amerikanern an solchen Transporten am meisten und uns am wenigsten gelegen wäre.»
III. Diese Bemerkungen von Minister Kohli, verbunden mit der Tatsache, dass der Bundesrat über die Frage einen Bericht ausarbeiten lässt, zeigen, dass man sich in Bern über die politische Problematik des Transits von Kriegsmaterial Rechenschaft ablegt.
Das es sich in den erwähnten konkreten Fällen durchwegs um amerikanisches Kriegsmaterial gehandelt hat, wäre es wünschenswert gewesen, wenn der Botschafter in Washington7 konsultiert worden wäre.
IV. Von hier aus gesehen drängen sich folgende Feststellungen auf:
Im Zusammenhang mit verschiedenen Verletzungen unseres Luftraumes durch amerikanische Militärflugzeuge im Laufe des Monats Juli 19588 übergab das Departement am 5. August 1958 der USA-Botschaft in Bern eine Note9, in welcher u. a. ausgeführt wurde: «D’une manière générale, et pour des motifs inhérents à la sauvegarde de la souveraineté et la politique de neutralité, aucune autorisation de survoler le territoire suisse ou d’y atterrir n’est accordée dans les cas qui revêtent un caractère essentiellement militaire. Des permis peuvent, en revanche, être délivrés lorsque le vol a un caractère représentatif, comme par exemple le transport de personnalités officielles et la participation à des manifestations aéronautiques, ou de nature humanitaire, comme dans les cas d’opérations de sauvetage et de transports urgents de blessés ou malades.»
Diese Erklärung, die alle Züge einer Prinzipien-Deklaration trägt, visiert zwar nur Flugzeuge. Es ist aber schwer einsusehen, warum andere Kampf-Fahrzeuge grundsätzlich anders behandelt werden sollten. Man sollte auch annehmen dürfen, dass die blosse Tatsache der Bezahlung für den Transit von Kriegsmaterial10 die Schweiz nicht veranlassen kann, von ihren Prinzipien abzuweichen!
Das entscheidende Kriterium ist wohl im Satze zu suchen «… les cas qui revêtent un caractère essentiellement militaire». Der Transport von 58 Panzerwagen und von 79 Raupen-Truppentransportwagen stellt eine Kriegsmaterialverschiebung dar, deren militärischer Charakter nicht verkannt werden kann. Bezeichnend ist in dieser Hinsicht, dass der Transport gerade im
Zeitpunkt erfolgt, wo das Deutschlandproblem akut ist und in Richtung von
Italien nach Deutschland. (Dies trifft jedenfalls für die Truppentransportwagen zu; von den Tanks wissen wir es nicht, doch gehen wir in der Annahme, es sei so, kaum fehl).
V. Auf unser Begehren hin hat uns das Departement über die Frage des
Kriegsmaterialexports nach Kuba unterrichtet.
Aus den uns zur Verfügung stehenden Unterlagen ergibt sich, dass zum Teil vor, zum Teil nach dem Sturze von Batista11, von der Schweiz Kriegsmaterial im Werte von annähernd 1 Million Franken nach Kuba geliefert worden ist12.
In seinem Schreiben vom 25. März d. J.13 führt hierzu der Generalsekretär des
Departements14 aus: «… dass seit anfangs 1958 gewisse Verbindungsmittel und optische Geräte, die bewilligungspflichtiges Kriegsmaterial darstellen, nach Kuba ausgeführt wurden …»
Es wird also expressis verbis anerkannt, dass es sich um Kriegsmaterial handelt, und es tönt wenig überzeugend, wenn im gleichen Schreiben weiter unten gesagt wird: «Da dieses Material nicht als Kriegsmaterial im engern Sinne angesehen werden kann, zu dem Waffen, Munition und Sprengstoffe gezählt werden, wurden die entsprechenden Ausfuhrbewilligungen erteilt.»
Die Liste des exportierten Materials beseitigt im übrigen alle Zweifel über dessen rein militärischen Charakter: Kleinfunkgeräte, Handgeneratoren, tragbare Sende- und Empfangsgeräte, Infrarot-Beobachtungs- und Zielanlagen etc.
Am 29. April d. J.15 wurde uns vom Staatsdepartement ein vertrauliches
Aide-Mémoire übergeben, in welchem der Schweiz nahegelegt wird, in der
Lieferung von Kriegsmaterial nach der karaibischen Zone Zurückhaltung zu zeigen. Der Zusammenhang mit den tatsächlich erfolgten schweizerischen
Kriegsmateriallieferungen ist offenkundig.
- 1
- E 2200.36(-)1972/18/10. Paraphe: TH.↩
- 2
- Diese Notiz wurde mit grosser Wahrscheinlichtkeit von H. de Torrenté verfasst.↩
- 5
- Vgl. das Schreiben von A. Kaech an J. Annasohn vom 25. April 1959, ibid.↩
- 6
- Vgl. den Bericht von J.- P. Monnier vom November 1959, ibid.↩
- 8
- Zur Frage des Überflugsrechts des schweizerischen Territoriums vgl. Nrn. 16 und 18 in diesem Band und E 2001(E)1979/28/3.Betreffend die Verletzung des schweizerischen Luftraums durch amerikanische Militärflugzeuge, vgl. E 2001(E)1979/28/7.↩
- 9
- Vgl. die Note des Politischen Departements an die Botschaft der Vereinigten Staaten vom 5. August 1958, E 2001(E)1979/28/3.Dieselbe Note ging ebenfalls an die Botschaften von Österreich, Grossbritannien, Frankreich, Italien, der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland.↩
- 10
- Die Totaleinnahmen der SBB aus dem Transit mit der US-Army beliefen sich 1958 auf 2 Millionen Franken, vgl. die Notiz von R. Probst vom 27. April 1959, nicht abgedruckt.↩
- 11
- F. Batista wurde am 1. Januar 1959 von F. Castro gestürzt, vgl. das Schreiben von F. Brenni an R. Kohli vom 20. Januar 1959, E 2300(-)1000/716/155 (dodis.ch/14972).↩
- 15
- Vgl. das Aide-Mémoire des amerikanischen Staatsdepartements vom 29. April 1959, nicht abgedruckt. Zur Frage der Waffenausfuhr nach der karaibischen Zone vgl. auch das Schreiben von R. Kohli an H. de Torrenté vom 11. Mai 1959, nicht abgedruckt (dodis.ch/15100)↩
Tags
Kriegsmaterialexport Transit und Verkehr