dodis.ch/12614
Der Vorsteher des politischen Departements,
M. Petitpierre, an den Bundesrat
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MITBERICHT ZUM ANTRAG DES JUSTIZ- UND POLIZEIDEPARTEMENTS VOM 18. OKTOBER 1955 BETREFFEND GERICHTSPOLIZEILICHES ERMITTLUNGSVERFAHREN IN SACHEN OCTOGON2
Bern, den 29. Oktober 1955
Mit dem Antrag des Justiz- und Polizeidepartements3 gehen wir im allgemeinen einig, möchten jedoch noch auf folgende Punkte aufmerksam machen und eine kleine Änderung des Antrages vorschlagen.I.
Die ganze Angelegenheit darf in ihrer Bedeutung nicht dramatisiert werden. Eine ins Gewicht fallende Gefährdung der aussenpolitischen Beziehungen oder der äussern Sicherheit unseres Landes haben die Umtriebe der in Untersuchung gezogenen Personen kaum mit sich gebracht. Mit der Tatsache einer Wiederbewaffnung Westdeutschlands musste schon seit Jahren und vor dem Abschluss der Pariser Verträge gerechnet werden. Es war auch kein Geheimnis, dass auf deutscher Seite entsprechende Vorbereitungen getroffen wurden und zwar mit Wissen und im Einverständnis der Alliierten. Es kann also kaum davon die Rede sein, dass auf dem Gebiete der Schweiz Vorbereitungen für eine illegale Aufrüstung der Bundesrepublik getroffen wurden. Die ganze Angelegenheit weist weniger politischen Charakter auf, als dass sie einen Ausschnitt aus dem rücksichtslosen Machtkampf zwischen verschiedenen Rüstungsfirmen darstellt. Das ändert natürlich nichts daran, dass derartige Auswüchse des Konkurrenzkampfes in der Rüstungsindustrie höchst unerwünscht sind, besonders wenn sie noch zu strafrechtlichen Vergehen führen.
Mit dem Neutralitätsrecht hat die Sache nichts zu tun. Das V. Haager Abkommen findet in Friedenszeiten überhaupt keine Anwendung. Wir möchten wieder einmal betonen, dass vermieden werden muss, die Neutralitätspflichten ausdehnend zu interpretieren und damit für die Schweiz Behinderungen ihrer Bewegungsfreiheit zu schaffen, auf die sich unter Umständen das Ausland stützen könnte. Neutralitätspolitisch kann zwar der Handel mit Kriegsmaterial unerwünschte Auswirkungen haben, doch war das bei der Angelegenheit «Octogon» angesichts der besondern damals herrschenden Verhältnisse kaum der Fall. II.
Das Justiz- und Polizeidepartement hat mit Recht darauf hingewiesen, dass die Ergreifung fremdenpolizeilicher Massnahmen gegenüber Kraemer auf grosse Schwierigkeiten und Widerstände stossen wird. Dasselbe ist in Bezug auf den amerikanischen Staatsangehörigen Wight zu sagen, zu dessen Gunsten die Amerikanische Botschaft bereits zweimal interveniert hat, weil ihm die Aufenthaltsbewilligung nicht verlängert und sein Gesuch, ihm eine Niederlassungsbewilligung zu erteilen, bis jetzt nicht entschieden wurde. Es muss wohl mit weitern Demarchen der Amerikanischen Botschaft gerechnet werden. Die Wegweisung von Wight und die Verhängung einer Einreisesperre haben nur einen Sinn, wenn die Bundesbehörden von vorneherein entschlossen sind, auf amerikanische Schritte nicht einzutreten. Der Genannte ist seit neun Jahren in Liechtenstein ansässig, sodass ihn die geplante Massnahme besonders hart treffen würde. Wir möchten jedoch keinen Gegenantrag stellen.III.
Gemäss Ziff. 3 lit. b des Antrages soll das Militärdepartement beauftragt werden, in Verbindung mit uns bei der Liechtensteinischen Regierung die Schliessung des Octogon-Trustes zu verlangen und im übrigen darauf hinzuwirken, dass die liechtensteinischen Behörden den Kriegsmaterialbeschluss4 strenger handhaben. Obwohl der Vollzug des KMB dem Militärdepartement obliegt, erstrecken sich dessen Kompetenzen kaum auf Liechtenstein. Es ist unsere Sache, den vorgesehenen Schritt bei den liechtensteinischen Behörden, mit dem wir übrigens durchaus einig gehen, zu unternehmen. Wir beantragen deshalb, dass nicht das Militärdepartement sondern das Politische Departement beauftragt wird, bei den liechtensteinischen Behörden die Auflösung des Octogon-Trustes zu verlangen und darauf hinzuwirken, dass in Liechtenstein der KMB strenger befolgt wird.