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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 23, doc. 10
volume linkZürich/Locarno/Genève 2011
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1978/84#5753* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1978/84 928 | |
Dossier title | Ausfuhr schweiz. Kriegsmaterials nach Portugal und seinen Kolonien (1964–1967) | |
File reference archive | B.51.14.21.20 • Additional component: Portugal |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern |
Old classification | CH-BAR E 2210.5-02(-)1976/193 15 |
Dossier title | Portugal (1963–1965) |
File reference archive | Inf.IV.58.a |
dodis.ch/31455
Kriegsmateriallieferungen2 nach Portugal3
1. Ähnlich wie die südafrikanische Apartheid-Politik bildet bekanntlich auch die portugiesische Kolonialpolitik seit einiger Zeit das Ziel heftiger Angriffe, namentlich der afro-asiatischen Staatengruppen, in der UNO. In bezug auf beide Staaten liegen verschiedene UNO-Resolutionen vor, die besonders auch die Lieferung von Kriegsmaterial zum Gegenstand haben. Immerhin lässt sich zwischen der Haltung gegenüber Südafrika und derjenigen gegenüber Portugal eine gewisse Abstufung feststellen. Während die beiden Resolutionen betreffend Südafrika von August und Dezember 19634 kategorisch lauten und bezwecken, jede Ausfuhr von Kriegsmaterial und von Geräten, die zu deren Herstellung dienen, nach diesem Lande zu verhindern, hat sich die UNO gegenüber Portugal nuancierter ausgesprochen. In der Angola-Resolution der UNO-Generalversammlung vom 30. Januar 19625 wurden alle Mitglieder der UN und der Spezialorganisationen (also auch die Schweiz) ersucht, «de refuser au Portugal tout appui ou toute assistance qu’il pourrait employer à des fins de répression contre le peuple angolais.»
Die betreffend die afrikanischen Territorien Portugals am 31. Juli 1963 vom UNO-Sicherheitsrat gefasste Resolution6 sagt in Artikel 6:
«Le Conseil de sécurité … 6) Prie tous les Etats de cesser immédiatement d’apporter au Gouvernement portugais toute assistance lui permettant de poursuivre la répression contre les populations des territoires qu’il administre et de prendre toutes mesures pour empêcher la vente et la fourniture, à cette fin, d’armes et d’équipements militaires au Gouvernement portugais.»
Es ist also ausdrücklich nur die Lieferung von Waffen, die in den portugiesischen Territorien in Afrika verwendet würden, visiert, während die Defensivbedürfnisse Portugals in Europa (Portugal ist NATO-Mitglied) von der Resolution nicht betroffen werden sollten. Für nähere Angaben über diese nuancierte Haltung verweisen wir auf den beiliegenden Brief7 des schweizerischen UNO-Beobachters8 vom 7. August 1963.
2. Wie sich aus dem Bericht des UNO-Generalsekretärs9 vom 31. Oktober 1963 ergibt, hatten bis zum damaligen Zeitpunkt 55 Staaten in Beachtung der UNO-Resolution von 1963 Massnahmen ergriffen. Dabei haben verschiedene Staaten (so eine Zeitlang die Bundesrepublik Deutschland) auf die erwähnte Nuance Rücksicht genommen, indem sie zwar die Lieferungen nach Portugal nicht vollständig sistierten, aber mitunter eine Endverbleibbestätigung dar über verlangten, dass die gelieferten Waffen nicht in afrikanischen Territorien verwendet würden. Hinsichtlich der USA erklärte Stevenson schon anlässlich der Resolutionsdebatte, Amerika führe seit mehreren Jahren kein Kriegs material nach Portugal aus, das für die afrikanischen Territorien bestimmt wäre, und ebenso erfolgten keinerlei direkte Lieferungen an diese Gebiete. Eine entsprechende Erklärung wurden von Seiten Grossbritanniens abgegeben.
3. Die schweizerischen Kriegsmateriallieferungen nach Portugal waren in der Vergangenheit sehr gering. Von 1960 bis heute wurde Kriegsmaterial für total rund Fr. 600’000 ausgeführt. Aus der Zeit nach der UNO-Resolution vom Juli 1963 sind die beiden folgenden Einzelfälle zu erwähnen:
Im November 1963 erkundigte sich die Firma Polygone SA, Vouvry, über die Möglichkeit des Exports von Führungsringen für 10,5 cm-Granaten nach Portugal. Wir haben die Firma anfänglich entmutigt, dann aber auf unserer Ablehnung nicht mehr beharrt, als sich in der Folge ergab, dass die Führungsringe für die Herstellung von Granaten in Portugal bestimmt waren, die ihrerseits im Rahmen der NATO nach der Bundesrepublik Deutschland geliefert werden sollten.
Am 20. Januar 1964 haben wir uns in einem Einzelfall der Erteilung der Fabrikationsbewilligung für eine einzige 20 mm-Flab-Kanone alten Modells (ca. Fr. 90’000) der Firma Bührle wegen der Geringfügigkeit der Bestellung nicht widersetzt.
4. Am 20. Januar 1964 ersuchte uns nun aber die KTA um unseren Vorentscheid zur Absicht der Schweizerischen Industriegesellschaft Neuhausen (SIG), nach Portugal (Verteidigungsministerium) folgendes Material zu liefern:
1500 Maschinengewehre mit Lafetten, Kal. 7,62 mm 1500 leichte Maschinengewehre, Kal. 7,62 mm 2000 Maschinenpistolen, Kal. 9 mm 5000–10’000 Sturmgewehre, Kal. 7,62 mm im Wert von total ca. 20 Mio. Fr.
Es handelt sich dabei zunächst um eine Sondierung der SIG. Sollte sie positiv ausgehen, so käme es mit grosser Wahrscheinlichkeit zum Vertragsabschluss.
5. Die vorliegende Bestellung würde, wenn sie zustande käme, die Ausrüstung von 2 Divisionen mit automatischen Infanteriewaffen ermöglichen. Es dürfte schwierig sein, bei einem so umfangreichen Geschäft eine Endverbleibklausel anzubringen oder, auch wenn sie Portugal akzeptierte, Gewissheit zu haben, dass sie richtig eingehalten würde. Es liesse sich wohl kaum vermeiden, dass im Falle einer «emergency» auch die mit den schweizerischen Waffen ausgerüsteten Truppenteile nach den afrikanischen Gebieten verlegt würden. Es ist im übrigen auffallend, dass Portugal, welches bisher kaum zu unseren Kriegsmaterialkunden zählte, nun plötzlich für unsere Rüstungsindustrie so intensives Interesse zeigt. Die Vermutung liegt nahe, dass dies geschieht, nachdem andere Quellen (NATO!) wegen der UNO-Politik versiegt sind.
Es erscheint uns unter diesen Umständen aus Motiven, wie sie auch in der Südafrika-Frage10 für uns wegleitend waren, schwer zu verantworten, dem Exportgesuch der SIG zuzustimmen. Wir glauben deshalb, dass negativ geantwortet werden sollte11. Eine gewisse Verstimmung unseres EFTA-Partners Portugal müsste dabei allenfalls in Kauf genommen werden12.
- 1
- Notiz: E 2001(E) 1978/84 Bd. 928 (B.51.14.21.20). Verfasst von C. Jagmetti und unterzeichnet von R. Probst. Visiert von P. Micheli.↩
- 2
- Für eine Übersicht über die Problematik des Kriegsmaterialexports vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 176, dodis. ch/31195.↩
- 3
- Handschriftliche Marginalie von F. T. Wahlen vom 4. Februar 1964: Der Bundesrat beschliesst am 4. 2. 64 nach einer Aussprache es sei negativ auf die Sondierungen zu reagieren.↩
- 4
- Vgl. dazu DDS, Bd. 23, Dok. 7, dodis.ch/31045 sowie DDS, Bd. 23, Dok. 156, dodis.ch/31047.↩
- 5
- Vgl. dazu Doss. E 2001(E) 1976/17 Bd. 564 (B. 51.14.21.20) sowie Doss. E 2210.5(-) 1976/193 Bd. 15 (Inf. IV. 58).↩
- 6
- Ibid.↩
- 7
- Schreiben von L. Musy an P. Micheli vom 7. August 1963, E 2210.5(-) 1976/193 Bd. 15 (Inf. IV. 58).↩
- 8
- E. Thalmann.↩
- 9
- Bericht von S. U Thant vom 31. Oktober 1963, E 2001(E) 1976/17 Bd. 565 (B.73.0.1).↩
- 10
- Vgl. DDS, Bd. 23, Dok. 7, dodis.ch/31045 sowie DDS, Bd. 23, Dok. 28, dodis.ch/31386.↩
- 11
- Vgl. das BR-Verhandlungsprot. der 10. Sitzung vom 4. Februar 1964, E 1003(-) 1994/26 Bd. 2, S. 7, bes. die Position von F. T. Wahlen: Was die in Frage stehende Lieferung betreffe, könne man sich leicht vorstellen, welche Reaktionen das bei den afrikanischen Staaten auslösen würde, wenn sie bewilligt würde. Die mit diesen Waffen ausgerüsteten Truppen könnten ohne weiteres in Angola eingesetzt werden. Der Sprechende sei deshalb der Ansicht, dass auf die Sondierung negativ reagiert werden sollte. Der Herr Bundespräsident[L. von Moos]vertritt die Auffassung, dass uns die Resolutionen der UNO nicht verpflichten, dass aber hier unsere Neutralitätspolitik in Frage stehe. Aus diesem Grund sehe er auch keine andere Möglichkeit, als nein zu sagen. Der Rat teilt diese Auffassung.↩
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