Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 24, doc. 38
volume linkZürich/Locarno/Genève 2012
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1978/84#3039* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1978/84 714 | |
Dossier title | Communauté française, Conseil de l'Entente, Communauté francophone (1961–1963) | |
File reference archive | B.73.0.1.(5) • Additional component: Frankreich |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2003A#1980/85#1984* | |
Old classification | CH-BAR E 2003(A)1980/85 588 | |
Dossier title | Relations avec la Suisse (1967–1969) | |
File reference archive | o.714.0 |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2001E#1978/84#4295* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(E)1978/84 569 | |
Dossier title | Politische Zustände und Bewegungen (1964–1967) | |
File reference archive | B.73.0 • Additional component: Kanada |
dodis.ch/32700
Ottawa. Gespräch beim Prime Minister
Nach ein paar einleitenden Worten der Begrüssung brachte der PM das Gespräch auf die
1. Vereinigten Nationen
Er erläuterte die Haltung Kanadas und BRSpühler seinerseits jene der Schweiz2. Der PM gab der Hoffnung Ausdruck, dass der schweizerische Neutralitätspunkt, für den er volles Verständnis hat, sich im Laufe der Zeit mit dem Statut der UNO vereinbaren (reconcile) lässt. Die Schweiz könnte in seinen Augen einen wertvollen Beitrag leisten.
BRSpühler erinnerte an die Zeit von San Francisco und die damalige Einstellung gegenüber den Neutralen (Paul-Boncour3). Er betonte, dass die in der UNO-Charta vorgesehenen Sanktionen militärischer und wirtschaftlicher Natur das hauptsächlichste Hindernis für einen Beitritt der neutralen Schweiz bilden. Überdies muss in der Schweiz das Volk über einen Beitritt abstimmen. Eine Aufklärung der Bevölkerung ist im Gange. Es handelt sich u. a. um ein Generationenproblem. Ein negativer Abstimmungsentscheid wäre «désavantageux», d. h. höchst unerfreulich. BRSpühler unterstrich, dass die Schweiz bereits Mitglied fast aller nichtpolitischer Organisationen der UNO ist und dort einen wichtigen Beitrag leistet. Die Frage von «Peace-Keeping Operations» wird gegenwärtig eingehend geprüft4 und in der Öffentlichkeit diskutiert. Die kürzliche Nahostkrise brachte indessen einen Rückschlag.
Der PM begrüsste die vermehrte Aufklärung des Volkes und wies darauf hin, dass Kanada in gewisser Beziehung sich in einer ähnlichen Lage wie die Schweiz befinde, nämlich im Verhältnis zur Organization of American States (OAS). Kanada ist bekanntlich dort nicht beigetreten, trotz starkem Druck der beteiligten Staaten. (Kanadas Bedenken sind u. a. die militärische Hilfe und finanziellen Aspekte.)
Zurückkommend auf das Problem der Sanktionen bemerkte der PM, dass im Rhodesien-Konflikt5 deren Anwendung nicht so integral erfolgte wie dies der Fall hätte sein sollen. Leider bestehen zwischen der juristischen und der tatsächlichen Haltung Unterschiede.
BRSpühler wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass inbezug auf Rhodesien die Schweiz de facto aber in autonomer Weise dem Sanktionsbeschluss nachlebt.
Diese beschäftigt die kanadische Regierung ganz besonders. Der PM ist persönlich beunruhigt (worried) und ist hinsichtlich einer Lösung ohne Optimismus. Er sieht keine Möglichkeit für einen Brückenschlag und hofft lediglich, die Lage werde sich nicht noch verschärfen. Dies hängt ab von der Haltung der UdSSR. Berichte aus Moskau lassen erkennen, dass der Kreml sich über die Gefahr einer zu weitgehenden Unterstützung der Araber Rechenschaft gibt. Er ist anderseits aber darauf bedacht, sein eigenes diplomatisches Prestige wieder herzustellen (to restore its diplomatic position).
BRSpühler erwähnte die einseitig pro-israelische Haltung der schweizerischen Bevölkerung (Kollektivblutspenden, etc.), was den Bundesrat veranlasste – als Gegengewicht – humanitäre Subsidien für die arabische Bevölkerung zur Verfügung zu stellen7.
Der PM brachte spontan und von sich aus, das Gespräch auf den Besuch des französischen Staatschefs und gab seinem Bedauern über die Vorkommnisse Ausdruck. Man hätte es begrüsst, wenn de Gaulle zuerst nach Ottawa gekommen wäre, statt seine Reise in Quebec zu beginnen. Er ging damit ein Risiko ein. Sein Gehaben und seine doppelsinnigen (ambiguous) und anmassenden Reden, haben nicht nur Ottawa verstimmt, sondern die Kanadier, darunter auch viele Französischkanadier, schockiert. Seine Aussprüche wurden als «almost theological» empfunden. Darin war keine ambiguity enthalten, gebrauchte er doch den Slogan der kanadischen Separatisten. Was Pearson persönlich verletzte (hurt) und mit ihm auch viele Kanadier, war die Bemerkung de Gaulles, er habe auf dem Weg von Quebec nach Montreal die gleiche Atmosphäre wie anlässlich der Libération vorgefunden. Dies, wenn bedacht werde, dass Tausende von Kanadiern ihr Leben zweimal für die Befreiung Frankreichs verloren hätten.
Der PM und sein Kabinett hoffen bestimmt, dass diese Vorkommnisse «will not interfere with good relations with France and with the English and French speaking partnership» (in Kanada).
In diesem Zusammenhang sagte der PM die kanadische Regierung sei sich darüber im klaren, dass den französischsprechenden Mitbürgern nicht die gleichen Möglichkeiten gegeben worden seien wie dem englischsprechenden Bevölkerungsteil. «We are conscious of this problem». In den letzten Jahren sei aber ein bedeutender Fortschritt erzielt worden. Kanada sei indessen in der Lage, dieses Problem allein zu lösen. Leider sei nun zu befürchten, dass der im Gange befindliche Fortschritt möglicherweise (likely) durch diese Einmischung gestört werde. Wir werden bemüht sein, dieselbe einzudämmen (keep down). “We will not let de Gaulle stop the progress.”
Für Kanada könnte die Schweiz als Vorbild dienen. Immerhin sei zu bedenken, dass den 200 Millionen englischsprechender Nordamerikaner lediglich 6 Millionen Menschen französischer Zunge gegenüberstehen. Somit liegt das Problem nach seiner Ansicht weniger in der Konfrontation engl. versus franz. Kanadas, sondern vielmehr in derjenigen Kanada versus USA. Dieselbe ist vielleicht deshalb noch kraftvoller (forceful), weil sie einem freundschaftlichen Druck ausgesetzt ist. Auch Quebec ist in Gefahr amerikanisiert zu werden (Quebec is being americanized), wenn es nicht heftig (vigorously) reagiert.
Der PM musste sich zum Empfang einer Delegation der ukrainischen Jugendverbände wegbegeben und Mr. Charles M. Drury, Minister of Industry, übernahm das Gespräch.
Notiz Gasser
4. Man kam auf die Francophonie9 zu sprechen. Hier bestehen bekanntlich verschiedene Ansichten. BRSpühler nahm Bezug auf die Antwort10 des Präsidenten des Nationalrats an M. Chaban-Delmas und erklärte, dass die Beteiligung einer schweizerischen Gruppe von Parlamentariern an der ersten Versammlung der Union interparlementaire francophone abgelehnt worden sei. (Der Referent für Europa, John Halstead, war hierüber von seiten der Botschaft bereits orientiert und kennt unsere Einstellung.)
Eine einseitige Beteiligung an dieser Organisation komme für ein mehrsprachiges Land wie die Schweiz nicht in Frage. Logischerweise müssten ähnliche allfällige Vereinigungen für die «germanophone» bzw. die «italophone» Sprachgruppe ebenfalls beschickt werden. Man begäbe sich dadurch in eine Situation, die der Struktur und dem politischen Denken (dessein politique) unseres Landes nicht entsprechen würde. Anderseits sei die Romandie kulturell mit Frankreich durch eine Reihe von Beziehungen verbunden; dies sei indessen Sache der Bildungsinstitute und der Einzelpersonen.
Minister Drury versuchte, die grundsätzliche Einstellung der kanadischen Bundesregierung zur Francophonie zu erklären indem er darauf hinwies, dass im Rahmen des britischen Commonwealth seit Jahren in vielen Sektoren Beziehungen, Kontakte und Bindungen mit Grossbritannien und den Mitgliedern des Commonwealth bestehen. Die Regierung habe es deshalb «in all fairness» als ihre Aufgabe betrachtet, ähnliche Bindungen mit der französischsprechenden Welt zu ermutigen, um hier einen gewissen Ausgleich zu schaffen und den Französisch-Kanadiern in diesem Sinne entgegenzukommen. Im übrigen wies er auf die Erklärung des kanadischen Delegierten Gérard Pelletier an der ersten Versammlung (über welche die Botschaft im Detail berichtet hat11) hin, die den Standpunkt der Bundesregierung definierte und auch die Grenzen der Zusammenarbeit klar umschrieben habe.
BRSpühler erklärte noch, dass wir vor allem einer «Institualisation» im Rahmen der Francophonie abgeneigt sind. Es wurde entgegnet, dass auch Kanada in dieser Beziehung nicht zu weit gehen will.
Auf diesem Gebiet wird die Fortsetzung des bestehenden Gedankenaustauschs beiderseits als wünschenswert betrachtet.
5. Zur abschliessenden Feststellung, dass zwischen den beiden Ländern keine ernsten Probleme existieren, erwähnte Botschafter Gasser die Beunruhigung (Préoccupation) der schweizerischen pharmazeutischen Industrie12 inbezug auf bestimmte in Aussicht stehende gesetzgeberische Massnahmen (Patentfragen, Preise für Pharma-Spezialitäten), die allenfalls zu einem Problem werden und im schlimmsten Fall die weitere Existenz der kanadischen Filialbetriebe unserer chemischen-pharmazeutischen Industrie in Frage stellen könnten. Man hoffe schweizerischerseits, dass eine diesbezügliche Gesetzgebung solange nicht erfolge, bis die vorliegenden kanadischen Studien geprüft worden seien. Im übrigen glaube er, dass Industrievertreter die Angelegenheit in nächster Zeit mit den zuständigen Kabinettsmitgliedern zu besprechen wünschten.
Minister Drury, der das Problem genau kennt, erklärte sich jederzeit bereit, diese zu empfangen und erwähnte lediglich allgemein, dass die Regierung jede Industrieunternehmung unterstütze, welche leistungsfähig sei (profitable et efficace). (Siehe unsere Spezialberichte13).
- 1
- Notiz (Kopie): E2001E#1978/84#4295* (B.73.0). Anwesend waren Prime Minister L. B. Pearson; Hon. Charles M. Drury, Minister of Industry and Defence Production; Kanadischer Botschafter in der Schweiz René Garneau; Mr. John Halstead, Leiter der European Division im Aussenministerium; Mr. Fortier, Leiter der Information Division im Aussenministerium; Mr. Desrochers, Aussenministerium; Vizepräsident Spühler; Botschafter Gasser; Herr Walter Jäggi. Punkte 1–3 basieren auf einer Notiz von W. Jaeggi; Punkte 4–5 auf einer Notiz zu Québec vom 2./3. August 1967, Doss. wie Anm. 1.↩
- 2
- Zur Frage des Beitritts der Schweiz zur UNO vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 4, dodis.ch/33242; Dok. 32, dodis.ch/32940 und Dok. 141, dodis.ch/32892, Anm. 13.↩
- 3
- Französischer Delegierter an der Konferenz in San Francisco 1946. Vgl. auch die Rede von M. Petitpierre vom 9. November 1957, dodis.ch/14037.↩
- 4
- Zur Beteiligung der Schweiz an Friedensoperationen der UNO vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 141, dodis.ch/32892, Anm. 10.↩
- 5
- Zur Schweiz und zum Rhodesienkonflikt vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 8, dodis.ch/33239 und Dok. 171, dodis.ch/30859.↩
- 6
- Zum 6-Tage Krieg vgl. DDS, Bd. 24, Dok. 29, dodis.ch/33283.↩
- 7
- Vgl. dazu DDS, Bd. 24, Dok. 28, dodis.ch/33280; Dok. 138, dodis.ch/32241; das BR.-Prot. Nr. 1034 vom 13. Juni 1967, dodis.ch/33950; das BR.-Prot Nr. 1060 vom 19. Juni 1967, dodis.ch/33953 und das BR.-Prot. Nr. 1732 vom 17. Oktober 1967, dodis.ch/33957.↩
- 8
- Vgl. dazu den Politischen Bericht Nr. 6 La visite du Général de Gaulle au Québec von H. W. Gasser an W. Spühler vom 27. Juli 1967, dodis.ch/32706 sowie Doss. wie Anm. 1.↩
- 9
- Zur Diskussion über die Frankophonie vgl. auch DDS, Bd. 23, Dok. 6, dodis.ch/31298, und Dok. 170, dodis.ch/31304; DDS, Bd. 24, Dok. 19, dodis.ch/32591; Dok. 156, dodis.ch/32599 sowie die Notiz von R. Bär vom 10. Januar 1968, dodis.ch/32791.↩
- 10
- Vgl. das Schreiben von A. Schaller an J. Chaban-Delmas vom 15. März 1967, E2001E#1978/84#3039* (B.73.0).↩
- 11
- Vgl. Doss. E2300-01#1973/156#141* (A.21.31).↩
- 12
- Vgl. Doss. E7110#1979/14#2155* (841.9).↩
- 13
- Vgl. die Schreiben H. W. Gasser an P. R. Jolles vom 16. und 4. August 1967, E7110#1978/50#2142* (813).↩