Darin: Antrag des EDA vom 19.4.1993 (Beilage).
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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1993, doc. 14
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E1004.1#1000/9#1030* | |
Old classification | CH-BAR E 1004.1(-)1000/9 1531 | |
Dossier title | Beschlussprotokolle des Bundesrates April 1993 (4 Bände) (1993–1993) | |
File reference archive | 4.10prov. |
Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E1001#1997/165#20* | |
Dossier title | Anträge Nr. 728 - 762 (1993–1993) | |
File reference archive | 1 |
dodis.ch/64273
Anerkennung von Eritrea
In Eritrea wird vom 23. bis 25. April 1993 das Referendum über die Unabhängigkeit stattfinden. Der Ausgang des Referendums erscheint unzweifelhaft, d. h. die Eritreer dürften sich für die Unabhängigkeit entscheiden. Die Staatengemeinschaft wird nach Bekanntgabe des Resultates die völkerrechtliche Anerkennung Eritreas aussprechen.
Wir beantragen deshalb, dass die Schweiz Eritrea zu gegebener Zeit anerkennt und im Anschluss daran die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit diesem neuen Staat einleitet.2
Nach dem Sturz des äthiopischen Diktators Mengistu Haile Mariam im Mai 1991 fiel der Eritreischen Volksbefreiungsfront (EPLF) nach ihrem dreissigjährigen Kampf für die Unabhängigkeit die von ihr beanspruchte gesamte nordöstliche Küstenprovinz mit der Hauptstadt Asmara in die Hände. Fast zur gleichen Zeit drangen die Aufständischen der «Revolutionären Demokratischen Front des äthiopischen Volkes» (EPRDF) in Addis Abeba ein und übernahmen die Macht in Äthiopien, nachdem die Tage des Mengistu-Regimes mangels militärischer Hilfe und politischer Unterstützung gezählt waren.3
Es war diesem gemeinsamen Kampf der beiden Organisationen – allerdings mit unterschiedlichen Zielen – und der politischen Weitsicht deren Führer zu verdanken, dass im Zusammenhang mit den Unabhängigkeitsbestrebungen der Eritreer Äthiopien nicht auseinanderbrach. Nach dem Sieg über die Diktatur fand anfangs Juli 1991 in Addis Abeba eine Nationalkonferenz statt. Die teilnehmenden politischen, regionalen und ethnischen Organisationen verabschiedeten eine Charta, die freie Wahlen in Äthiopien binnen zweier Jahre vorsah. Die äthiopische Übergangsregierung und die EPLF legten in einem Abkommen fest, dass innerhalb von zwei Jahren in Eritrea eine Volksabstimmung über die Frage, ob Eritrea ein unabhängiger, souveräner Staat werden solle, durchgeführt werde. In demselben Abkommen verpflichtet sich Eritrea, Äthiopien den Zugang zum Roten Meer zu gewähren und den wichtigen Hafen Assab zu einem Freihafen zu machen. Weiter sah das Abkommen völlige Selbstverwaltung Eritreas in bezug auf innere Angelegenheiten und die Errichtung einer offiziellen eritreischen Delegation in Addis Abeba vor. Diese Vorgaben sind verwirklicht worden.4
In der Folge gelangte die provisorische Regierung Eritreas mit dem Gesuch an die UNO, eine Mission für die Beobachtung des Referendums bereitszustellen. Nach verschiedenen Vorabklärungen der UNO unterbreitete der UNO-Generalsekretär5 am 19. Oktober 1992 der Generalversammlung den Vorschlag einer «UN-Observer Mission to Verify the Referendum in Eritrea» (UNOVER),6 den diese in der Zwischenzeit verabschiedete.7
Die Volksabstimmung soll vom 23. bis 25. April 1993 stattfinden. Eritreer, die im ausländischen Exil, Flüchtlingslagern oder in Äthiopien leben, sollen ebenfalls teilnehmen können. Die eritreische Bevölkerung in Eritrea selbst wird auf 3,5 Millionen, diejenige ausserhalb Eritreas auf rund eine Million geschätzt.8
Die Schweiz hat der UNO im Zusammenhang mit der Wahlbeobachtung bereits US Dollar 50 000.– zukommen lassen. Sie stellt der UNO für die Mission UNOVER zudem 6 Beobachter zur Verfügung.9
Aus unserer Sicht sprechen folgende Gründe für die Anerkennung Eritreas durch die Schweiz:
– Die Interimsregierung in Addis Abeba, die Eritreer selbst und die internationale Völkergemeinschaft sind an einem geordneten und korrekten Übergang zur Unabhängigkeit Eritreas interessiert. Durch das von der UNO überwachte Referendum steht der Entscheid des eritreischen Souveräns auf einer demokratischen Basis.
– Eine frühzeitige Anerkennung durch die Schweiz wäre eine politische Geste der Anerkennung für den jungen Staat und würde sich positiv auf die spätere Zusammenarbeit auswirken.10
– De-facto ist der Unabhängigkeitsprozess Eritreas bereits weit fortgeschritten. Die ehemalige Provinzverwaltung ist in eine selbstständige Staatsadministration umgeformt worden.
– Unser Land unterstützt das Unabhängigkeitsreferendum in Eritrea, womit dessen Bevölkerung über seine Zukunft bestimmen kann.11
– Das EDA hatte früher vorwiegend Kontakte auf humanitärem Gebiet und in der jüngsten Vergangenheit informelle Kontakte auch auf politischer Ebene mit Vertretern Eritreas.12 Speziell erwähnen möchten wir die Dienstreise unseres Botschafters in Addis Abeba nach Asmara Ende 1992, anlässlich derer sehr geschätzte Kontakte mit der höchsten Führung Eritreas aufgenommen werden konnten.13
– Die provisorische Regierung Eritreas hat in nahezu 20 Ländern bereits halboffizielle Vertretungen und zwar in Äthiopien, Grossbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Schweden, Norwegen, USA, Australien, Kanada, Kenia, Uganda, Sudan, Djibouti, Ägypten, Tunesien, Yemen, Abu Dhabi und Jordanien. Eritreas Vertreter in Rom ist auch für die Schweiz zuständig.
Neben den üblichen völkerrechtlichen Kriterien, die erfüllt sind, muss die UN-Beobachter Mission zum Urteil gelangen, dass das Referendum ordnungsgemäss durchgeführt wurde und sich die Mehrheit der Eritreer für die Unabhängigkeit ausgesprochen hat.14
Die Trennung Eritreas von Äthiopien ist heute bereits eine politische Tatsache geworden und dessen Unabhängigkeit dürfte durch das von der UNO überwachte Referendum bestätigt werden. Falls der erwartete Referendumsausgang eintritt, wäre es opportun, Eritrea als unabhängigen Staat anzuerkennen, einerseits als Beitrag zur innenpolitischen Stabilisierung des neuen Staates andererseits, um die de facto bereits bestehenden bilateralen Beziehungen auf eine offzielle Ebene anzuheben und so die Grundlage für eine in Frage kommende spätere Zusammenarbeit zu schaffen.
Aufgrund dieser Erwägungen beantragen wir Zustimmung zum beigelegten Beschlussentwurf.15
- 1
- CH-BAR#E1004.1#1000/9#1030* (4.10prov.). Dieser Antrag wurde von André Brandel von der Politischen Abteilung II unter der Verantwortung des Abteilungschefs, Botschafter Pierre-Yves Simonin, verfasst und vom Vorsteher des EDA, Bundesrat Flavio Cotti, unterzeichnet. Der Antrag wurde am 26. April 1993 durch den Bundesrat angenommen, vgl. das BR-Prot. Nr. 734, Faksimile dodis.ch/64273.↩
- 2
- Noch zwei Jahre zuvor hielt die Direktion für Völkerrecht des EDA die Zeit nicht reif für eine Anerkennung Eritreas, vgl. die Notiz vom 4. Juni 1991, dodis.ch/58906.↩
- 3
- Vgl. dazu DDS 1991, Dok. 23, dodis.ch/58911.↩
- 4
- Zur Conference for the peaceful and democratic transition in Ethiopia vom 1. bis 5. Juli 1991 vgl. den Bericht des schweizerischen Botschafters in Addis Abeba, Gaudenz B. Ruf, vom 9. Juli 1991, dodis.ch/59210.↩
- 6
- Request to the United Nations to Observe the Referendum Process in Eritrea. Report of the Secretary-General, UN doc. A/47/544.↩
- 7
- Resolution 47/114 der UNO-Generalversammlung vom 16. Dezember 1992, UN doc. A/RES/47/114.↩
- 8
- Für die schweizerische Politik im Zusammenhang mit eritreischen Flüchtlingen vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2508.↩
- 9
- Für die Beobachtungsmission der Vereinten Nationen in Eritrea sowie die schweizerische Beteiligung vgl. den durch den Vorsteher des EDA, Bundesrat René Felber, genehmigten Antrag vom 4. Februar 1993, dodis.ch/64760, sowie die Beurteilung der Politischen Abteilung III des EDA im Nachgang der Mission vom 13. Mai 1993, dodis.ch/64762.↩
- 10
- Vgl. dazu auch die Notiz der Politischen Abteilung II an Bundesrat Cotti vom 29. April 1993, in der die Bedeutung einer Anerkennung vor der für den 24. Mai 1993 vorgesehenen offiziellen Ausrufung betont wird, dodis.ch/64770.↩
- 11
- Vgl. Anm. 9.↩
- 12
- Vgl. bspw. die Notiz der Politischen Abteilung II zur Vorsprache des für die Schweiz zuständigen Vertreters der provisorischen Regierung Eritreas in Rom, Amdemicael Kahsai, vom 11. Januar 1993 in Bern, dodis.ch/64759.↩
- 13
- Botschafter Peter Schweizer traf während seiner Dienstreise im November 1992 auf den Generalsekretär der provisorischen Regierung Eritreas, Issayas Afewerki, vgl. dodis.ch/62292. Zur Bedeutung der Reise aus Sicht der Politischen Abteilung II des EDA vgl. dodis.ch/61967.↩
- 14
- Gemäss der internationalen Beobachtungsmission verlief das Referendum regulär. Vgl. dazu auch den Bericht des schweizerischen Wahlbeobachters Giorgio Fontana vom 11. Mai 1993 in der Beilage von dodis.ch/64762.↩
- 15
- Die Anerkennung wurde am 6. Mai 1993 von Bundespräsident Adolf Ogi per Telefax dem Generalsekretär der provisorischen eritreischen Regierung, Issayas Afewerki, notifiziert, vgl. dodis.ch/64771. Mit Bundesrat Cottis Schreiben vom 4. Juni 1993 an den eritreischen Aussenminister Mahmoud Ahmed Sherifo leitete die Schweiz die Aufnahme diplomatischer Beziehungen ein. Der 11. Juni 1993, Datum des eritreischen Antwortschreibens, gilt als Tag der Aufnahme offizieller diplomatischer Beziehungen. Der Briefwechsel befindet sich im Dossier CH-BAR#E2010A#2001/161#1669* (B.15.21). Der schweizerische Botschafter in Addis Abeba, Peter Schweizer, wurde vom Bundesrat in Seitenakkreditierung zum schweizerischen Botschafter für Eritrea ernannt, vgl. das BR-Prot. Nr. 1243 vom 30. Juni 1993, CH-BAR#E1004.1#1000/9#1032* (4.10prov.). Für den Politischen Bericht Nr. 9 von Botschafter Schweizer über die Überreichung des Beglaubigungsschreibens in Asmara am 24. September 1993 vgl. dodis.ch/64764.↩
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