Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 1991, doc. 27
volume linkBern 2022
more… |▼▶2 repositories
Archive | Archives of Contemporary History, Zurich |
Archival classification | CH-AfZ NL Franz A Blankart 110(V) |
Dossier title | "High Level Negotiation Group, Sprachregelungen, Grundsätzliches" (1990–1991) |
File reference archive | 2.3.2 |
Archive | Archives of Contemporary History, Zurich |
Archival classification | CH-AfZ NL Franz A Blankart 407(V) |
Dossier title | Europäischer Wirtschaftsraum EWR (1989–1991) |
File reference archive | 2.8 |
dodis.ch/58039Gespräch von EVD-Staatssekretär Blankart mit dem Generaldirektor für Aussenbeziehungen der EG, Krenzler, am 6. Juni 1991 in Paris1
Tête-à-tête mit Krenzler
Am Rande der OECD-Ministerkonferenz2 hatte ich am 4.6.91 eine zweistündige Aussprache mit K[renzler]. Folgendes verdient, festgehalten zu werden.
1 Während des Nachtessens vom 13.5.913 sei ihm klar geworden, dass die Schweiz «across the board» über ein Modernitätsdefizit von 30 Jahren verfüge. Defizit in der Weise der Beschlussfassung, in der Gesetzgebung, im Solidaritätsbewusstsein und letztlich in der Mentalität. Falls ein solches Defizit durch den Beitritt korrigiert werden soll, so könne letzterer nur in zwei Schritten, d. h. via EWR, erfolgen.
2 Fond: Ratschlag, auf Darlehen zu insistieren (was die Österreicher trotz meiner Insistenz nicht begriffen haben).4
3 PTV: keine Chance.5
4 DS à 8:6 nur informell, der Auslauf für individuelle Äusserungen ist der EWR-Rat. Die MS [Mitgliedstaaten] beginnen, die Unumgänglichkeit des 2-Säulen-Prinzips mehr und mehr zu erkennen, da vermieden werden muss, dass die EG sich in intergouvernementalen Strukturen auflöst.7 Auch nütze es wenig, MS zu bearbeiten; das Entscheidende sei der EG-Rat: Senatori boni viri, senatus mala bestia.
5 Übergangsfristen: 4–5 Jahre für Lex und Freizügigkeit.8
6 Alleingang: Bilaterale Abkommen bringen nichts mehr, da heute in Europa der kollektive Entscheid die eigentliche Kraft ist.
7 Erweiterung: Zunächst sind drei Wellen zu unterscheiden:9
a) Österreich, Schweden
ad a): Beginn Beitrittsverhandlungen 1.7.93, Dauer 1½ Jahre (Lw,10 Fiskalität, Budget, Aussenbeziehungen,11 WWU,12 Neutralität13)
Beitritt: 1.1.96, ev. 1.7.95.
ad b): Delors will Welle 2 und 3 fusionieren und ins Jahr 2000 verlegen. K[renzler] bestätigt Wartsaaltheorie, vor allem für jene, die kein EWR-Ticket haben. Angesichts dieser Tatsache wird Frau Brundtland alles tun, um auf der ersten Welle zu reiten;14 damit würde die 2. um so unwahrscheinlicher, als auch SF15 auf die erste Welle aufsteigen dürfte. Dies hängt von der UdSSR ab. Wenn letztere auseinanderbricht oder die politische Konditionalität der G-24 akzeptiert, gibt es für die SF keine Beitrittshindernisse mehr.16
ad c): Die dritte Welle findet mit oder ohne zweite frühestens im Jahre 2000 statt. Die EG steht unter starkem US-Druck, die Türkei als MS [Mitgliedstaat] aufzunehmen.
- 1
- CH-AfZ#NL Franz A Blankart 110(V) High Level Negociation Group, Sprachregelungen, Grundsätzliches (2.3.2). Diese Notiz wurde unterzeichnet und höchstwahrscheinlich auch verfasst vom Staatssekretär Franz Blankart, Direktor des Bundesamts für Aussenwirtschaft des EVD und Verhandlungschef der Schweiz für den EWR-Vertrag. Generaldirektor Horst Günter Krenzler war der Verhandlungschef der Kommission der EG für die EWR-Verhandlungen. Ein früheres Treffen zwischen den beiden Verhandlungschefs fand am 20. August 1990 statt, vgl. dodis.ch/55368.↩
- 2
- Zur OECD-Ministerkonferenz von Paris vgl. das BR-Prot. Nr. 1103 vom 3. Juni 1991, dodis.ch/57418.↩
- 3
- Es handelt sich um das Nachtessen auf Ministerebene zwischen der EG und der EFTA vom 13. Mai 1991 in Brüssel. Die Vorsteher des EVD und des EDA, die beiden Bundesräte Jean-Pascal Delamuraz und René Felber, nahmen von schweizerischer Seite teil. Für einen inhaltlichen Überblick über das Treffen vgl. das Fernschreiben vom 15. Mai 1991 von Staatssekretär Blankart an das Integrationsbüro EDA–EVD, dodis.ch/58019. Für eine ausführliche Übersicht über den Ablauf des Brüsseler Treffens vgl. die Notiz des Sekretärs der High Level Negociating Group, Philippe Nell, vom 7. Juni 1991, dodis.ch/57973.↩
- 4
- Die Idee eines Kohäsionsfonds zugunsten der Länder der EG, insbesondere der Länder des Südens, wurde von der Kommission der EG eingebracht. Bereits in den Verhandlungen über die Landwirtschaftspräferenzen im November 1990 wurde ein solcher Fonds als Idee genannt, vgl. die Notiz von Hanspeter Maag von der Abteilung Fachdienst Landwirtschaft des EDA an den Vorsteher des EVD, Bundesrat Jean-Pascal Delamuraz, vom 15. November 1990, dodis.ch/55370. Ab Februar 1991 wurden die Landwirtschaftspräferenzen in den Kohäsionsfonds umgewandelt, der den am wenigsten integrierten Ländern, vor allem den agro-exportierenden Ländern Südeuropas, zugutekommen sollte. Vgl. dazu den Antrag des EDA und des EVD vom 14. März 1991, Punkt VI. Fonds AELE en faveur de la cohésion im BR-Prot. Nr. 563 vom 18. März 1991, dodis.ch/57677. Für weitere Dokumente zum Kohäsionsfonds vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2005.↩
- 5
- Für den passiven Textilveredlungsverkehr (PTV) und seine Bedeutung für die Schweiz vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C2006.↩
- 6
- Decision Shaping zu acht bezeichnete den Entscheidungsprozess zwischen den sieben EFTA-Ländern (Finnland, Island, Liechtenstein, Norwegen, Österreich, Schweden, Schweiz) und der Kommission der EG.↩
- 7
- Die Zwei-Säulen-Lösung wurde im Zusammenhang mit institutionellen Fragen zur Stärkung der EFTA diskutiert. Dabei ging es insbesondere um die Frage, welche rechtlichen Kontrollorgane bei Gerichtsverfahren existierten. Die EG und EFTA bildeten dabei die zwei Säulen, vgl. dodis.ch/55187. Zur Stärkung der EFTA vgl. auch die Notiz vom 4. November 1991 über den Besuch des Generalsekretärs der EFTA, Georg Reisch, dodis.ch/60408. Zu allgemeinen institutionellen Fragen vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C1886.↩
- 8
- Für die Verhandlungen im Bereich der Lex F. vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C1936. Für die Personenfreizügigkeit vgl. die Zusammenstellung dodis.ch/C1800.↩
- 9
- Vgl. dazu die thematische Zusammenstellung Vierte Erweiterung der EG: Österreich, Finnland, Schweden (1995), dodis.ch/T1878.↩
- 10
- Die Frage von Lastwagen in den Transitverhandlungen ist, für die Schweiz wie für Österreich, ein zentraler Diskussionspunkt in den Verhandlungen mit der EG, vgl. dodis.ch/57509. Vgl. dazu auch DDS 1991, Dok. 8, dodis.ch/57670.↩
- 11
- Zur Frage der Aussenbeziehungen der EG vgl. dodis.ch/58217.↩
- 12
- Vgl. dazu DDS 1991, Dok. 36, dodis.ch/57653 sowie das Schlagwort Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, dodis.ch/D1952.↩
- 13
- Für den Zusammenhang zwischen Neutralität und der europäischen Integration vgl. das Protokoll des Seminars der Studiengruppe Neutralität vom 8. Juli 1991, dodis.ch/58871 sowie den Abschnitt Neutralität und Europäische Gemeinschaft im Bericht der Studiengruppe Neutralität, der im März 1992 mit dem Titel Schweizerische Neutralität auf dem Prüfstand – Schweizerische Aussenpolitik zwischen Kontinuität und Wandel veröffentlicht wurde, vgl. dodis.ch/60120, S. 18 f.↩
- 14
- Für die Position der norwegischen Premierministerin Gro Harlem Brundtland vgl. die Notiz vom 11. Juni 1991 von Sekretär Nell über das EG–EFTA Ministertreffen in Brüssel vom 13. Mai 1991, dodis.ch/58657.↩
- 15
- Suomi-Finnland wird gleichzeitig mit Schweden und Österreich 1995 der EG beitreten, vgl. die thematische Zusammenstellung Vierte Erweiterung der EG: Österreich, Finnland, Schweden (1995), dodis.ch/T1878.↩
- 16
- Für den Zusammenhang zwischen der UdSSR, der G-24 und Finnland vgl. die Notiz von Emanuel Jenni von der Politischen Abteilung I des EDA vom 3. Dezember 1991 über die Arbeitsbesuche des Direktors der Politischen Direktion des EDA, Staatssekretär Klaus Jacobi, in Helsinki und Stockholm, dodis.ch/58997.↩
Tags
Negotiations EFTA–EEC on the EEA-Agreement (1989–1991)
Fourth enlargement of the EC: Austria, Finland, Sweden (1995)