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Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 27, doc. 116
volume linkZürich/Locarno/Genève 2022
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300-01#1988/91#273* | |
Old classification | CH-BAR E 2300-01(-)1988/91 26 | |
Dossier title | Washington (1978–1978) | |
File reference archive | A.21.31 |
dodis.ch/49372Politischer Bericht des schweizerischen Botschafters in Washington, R. Probst1
USA-Kuba
Seit vergangenem September werden bekanntlich im Zuge einer ersten amerikanisch-kubanischen Annäherung, die amerikanischen Interessen in Kuba, unter Schweizerflagge und im Rahmen der schweizerischen Botschaft, faktisch von einer Equipe des SD unter der Bezeichnung «US Interests Section» wahrgenommen2, während die kubanischen Interessen in den USA parallel dazu von einer entsprechenden «Cuban Interests Section» im Rahmen der Botschaft der CSSR (Schutzmacht) in Washington besorgt werden. Die Kubaner haben zu diesem Zweck ihr altes Botschaftsgebäude aus der Batista-Zeit wieder instand gestellt und übernommen. Es war kürzlich, mit dem Leiter der kubanischen Interessensektion3 als Gastgeber, der Ort eines diplomatischen Grossempfangs, zu welchem neben dem diplomatischen Corps auch zahlreiche amerikanische Persönlichkeiten aus Verwaltung, Wirtschaft und Kultur (so u. a. auch die bekannte Schauspielerin Shirley MacLaine, eine Bewundrerin Fidel Castros) erschienen waren.
Dieser Tage hat mir der Leiter der «Cuban Interests Section», ein intelligenter, wohlerzogener, geschickter jüngerer Mann mit dem diplomatischen Rang eines Botschafters, vom Bildungsgang her ursprünglich Ingenieur, der ausgezeichnet Englisch spricht (war, wie er selbst erzählte, vor dem Umsturz in Havanna Zögling der amerikanischen Schule), einen Höflichkeitsbesuch abgestattet. Er ist, wie er betonte, von der Aufnahme, die er in den USA gefunden hat, durchaus befriedigt. Man legt ihm keine Hindernisse in den Weg und zeigt sich grosszügig. So wurde ihm stillschweigend gewährt, seinen Stab, der vereinbarungsgemäss auf 10 kubanische Mitarbeiter beschränkt war, vorderhand auf fünfzehn zu erhöhen. Parallel dazu sei indessen auch der amerikanische Stab bei unserer Botschaft in Havanna auf Grund einer entsprechenden Toleranz von 10 amerikanischen «Einheiten» sogar auf rund 30 angestiegen (ohne das zahlreiche an Ort angestellte kubanische Hilfspersonal hinzuzurechnen).
Arbeitsmässig stellen sich der Interessensektion in Washington konsularisch vor allem im Zusammenhang mit der kubanischen Emigration aufwendige Aufgaben. Rund eine halbe Million habe Kuba (das damals 6,9 Millionen Einwohner zählte, gegenüber 9,5 Millionen im heutigen Zeitpunkt) nach dem Castro-Umsturz4 verlassen, allein mehr als 260'000 davon im Zuge des sich über sieben Jahre erstreckenden, durch schweizerische Vermittlung arrangierten Air-Lift von Varadero nach Miami5. Ein Grossteil dieser Leute leben in den USA. Viele davon wünschen heute ihre in Kuba verbliebenen Familienangehörigen zu besuchen oder mit ihnen sogar wieder dauernd vereint zu werden und wenden sich zu diesem Zweck in rasch wachsender Zahl an die kubanische Interessensektion. Sofern es sich um Leute handelt, die nicht mit der Waffe in der Hand gegen Kuba gekämpft haben oder politisch aktiv gegen ihre Heimat tätig geworden sind, stehe die kubanische Regierung solchen Wünschen grundsätzlich positiv gegenüber, wobei freilich jeder Einzelfall «selon ses mérites» geprüft werden müsse. Prinzipiell betrachte Havanna aber auch die Emigranten – wiederum mit den obigen Ausnahmen – weiterhin als kubanische Staatsangehörige, die, wenn sie nach Kuba reisen wollten und dazu als tauglich befunden würden, zu diesem Zweck mit kubanischen Reisepässen zu versehen seien. Kuba habe, obwohl der Substanzverlust durch die Emigration seither weit mehr als wettgemacht worden sei, an der Rückwanderung besonders qualifizierter Kräfte sogar ein gewisses Interesse. Dies gelte auch für Leute, die inzwischen die amerikanische Staatsangehörigkeit erworben haben: Da Kuba prinzipiell kein doppeltes Bürgerrecht anerkennt, würden auch sie gegebenenfalls mit kubanischen Reisepässen ausgerüstet.
Im Zentrum des kubanisch-amerikanischen Verhältnisses steht aber die Frage nach den Aussichten und dem Zeitpunkt der Wiederaufnahme voller diplomatischer Beziehungen. Drei wesentliche Hindernisse stehen diesem Schritt im Weg: Das amerikanische Wirtschaftsembargo gegen Kuba, die amerikanischen Forderungen nach Entschädigung der durch Kuba enteigneten amerikanischen Vermögenswerte (denen Kuba Gegenforderungen entgegenstellt) und die kubanischen Interventionen in Afrika6. Kuba stellt sich, wie S[anchez-Parodi] betont, auf den Standpunkt, dass das Embargo, da es seinerzeit einseitig von den USA verfügt wurde, als erstes ebenso einseitig von Washington aufgehoben werden müsse. Nur wenn dies geschehen sei, könnten auch die anderen anstehenden Fragen (unter Ausschluss des Afrika-Problems, das Kuba als eine souveräne Angelegenheit betrachtet) an die Hand genommen werden. Die USA dagegen beharrten darauf, zunächst alle noch hängigen Probleme zu regeln, bevor das Embargo aufgehoben und in der Folge volle diplomatische Beziehungen aufgenommen werden könnten. Das sei jedoch für Havanna unannehmbar. S[anchez-Parodi] glaubt zu wissen, dass Weisses Haus und SD für diesen kubanischen Standpunkt nicht ganz ohne Verständnis seien. Wäre die Carter-Administration in ihren Entschlüssen frei, so würde es seines Erachtens keine allzu grosse Mühe bereiten, diesen Knoten in absehbarer Zeit zu lösen. Am guten Willen fehle es offenbar nicht. Doch werde der Spielraum des Präsidenten und des Staatssekretärs7 durch die Agitation der Medien und die emotionellen Widerstände im Kongress sehr stark eingeschränkt. Es werde also wohl noch eine geraume Weile beim gegenwärtigen Zustand verbleiben, bis – abgesehen von der Regelung sekundärer technischer Teilprobleme, an denen weiter gearbeitet werde – ein eigentlicher Durchbruch gelinge.
Diese Meinung von S[anchez-Parodi] wird vom amerikanischen assistierenden Staatssekretär für Lateinamerika8, den ich in der gleichen Woche zu sehen Gelegenheit hatte, geteilt. Auch T[odman] erklärt sich über das gegenseitige Funktionieren der neuen Interessensektionen in Havanna und Washington durchaus befriedigt. Auch er sieht aber für den Moment keine raschen Fortschritte in Richtung auf volle diplomatische Beziehungen. Stein des Anstosses sei eindeutig Kubas Afrikapolitik im Dienste der Sowjets. Solange der massive Einsatz kubanischer Kräfte andauert, sei an eine volle Normalisierung nicht zu denken. Zu viel stehe hier für die USA politisch auf dem Spiel. Da anderseits Kuba in diesem Kernpunkt keine Anstalten zum Einlenken erkennen lässt, werde man sich bis auf weiteres wohl oder übel mit dem heutigen Stand der Beziehungen abfinden müssen.
- 1
- Politischer Bericht Nr. 17, gleichzeitig Telegramm Nr. 113 (Empfangskopie): CH-BAR#E2300-01#1988/91#273* (A.21.31). Erhalten: 7. Februar 1978, 18:00 Uhr. Quelle: R. Sanchez-Parodi und T. A. Todman.↩
- 2
- Vgl. dazu DDS, Bd. 27, Dok. 63, dodis.ch/49370 und Dok. 67, dodis.ch/49371.↩
- 3
- R. Sanchez-Parodi.↩
- 4
- Vgl. dazu das Schreiben von F. Brenni an R. Kohli vom 20. Januar 1959, dodis.ch/14972.↩
- 5
- Vgl. dazu DDS, Bd. 26, Dok. 26, dodis.ch/30966, Anm. 4.↩
- 6
- Vgl. dazu den Politischen Bericht Nr. 2 von S. Marcuard vom 20. Februar 1976, dodis.ch/50851 sowie den Politischen Bericht Nr. 17 von F. Bohnert vom 24. Juni 1977, dodis.ch/50852.↩
- 7
- J. R. Vance.↩
- 8
- T. A. Todman.↩