dodis.ch/49329Der schweizerische Botschafter in Berlin (DDR), F. Schnyder, an den Generalsekretär des Politischen Departements, A. Weitnauer1
Vertraulich
Berlin (DDR), 5. Juli 1978
Ihr Besuch in Berlin2 ist in der obersten Führung der DDR offenbar stärker beachtet worden als aus der eher bescheidenen Aufmachung zu schliessen wäre. Dabei scheint gerade auch die von Ihnen übermittelte Einladung des Departementschefs3 an Aussenminister Fischer, nach Bern zu kommen, grosses Interesse gefunden zu haben – lebhafter als es dessen etwas unbeholfene Reaktion zeigte. So wie ich Fischer kenne, unterdrückte er in jenem Augenblick eine gewisse innere Bewegung; denn die Einladung stellt für die DDR-Aussenpolitik einen «Normalisierungsschritt» dar, der hier hoch bewertet wird.
Zu diesen Eindrücken gelangte ich jedenfalls bei einem Gespräch, das ich am amerikanischen Empfang zum 4. Juli mit Hermann Axen, dem für die auswärtigen Beziehungen der DDR massgebenden Mitglied des Politbüros hatte. Axen äusserte Freude und Genugtuung über die eingetretenen Fortschritte in den Kontakten mit der Schweiz, die er als «nicht übereilt, aber stetig, realistisch und vorurteilslos» bezeichnete4. Nier, der von Ihrem Besuch sehr befriedigt sei, habe ihn entsprechend informiert. – Selbstverständlich blieben noch etliche Punkte zwischen den beiden Ländern zu regeln (was auch ich unterstrich) – aber Streitigkeiten (Axen gebrauchte dieses Wort) lägen nicht vor. Im weitern offenen Gespräch würden nach und nach Lösungen sicher gefunden werden. Und zu dem ebenfalls anwesenden Politbüro-Mitglied Joachim Herrmann gewandt: «Weisst Du, dass Oskar (Fischer) nächstes Jahr nach Bern geht, ist doch ein hervorragendes Ereignis.» – Schliesslich bedankte sich Axen noch seinerseits für die Einladung.
Axen hatte sich fast etwas in eine Begeisterung hineingeredet. Ich überschätze dabei nichts; aber die Bedeutung des vereinbarten Besuchs in Bern für das Ansehen der DDR im Ausland darf auch nicht unterschätzt werden.