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Documenti Diplomatici Svizzeri, vol. 27, doc. 189
volume linkZürich/Locarno/Genève 2022
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Archivio | Archiv für Zeitgeschichte, Zurigo |
Segnatura | CH-AfZ NL Paul R Jolles 1127 |
Titolo dossier | Goodwill-Mission vom 18.-29.9.1978 in China (11.1977–12.1978) |
Riferimento archivio | 7.5.13.2 |
dodis.ch/49088Notiz des Direktors der Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements, P. R. Jolles1
Die erstaunlichen Chinesen
Wir erfahren auf irgendeinem indirekten und zufälligen Wege einige Tage zum voraus, dass der chinesische Vize-ministerpräsident Wang Chen die Schweiz privat besuchen wird2. Wang Chen ist u. a. auch für das 5.3 Maschinenbauministerium zuständig, das sich mit Kriegsmaterial befasst. Daher findet das Politische Departement, wir sollten keinerlei Anstalten treffen, ihn einzuladen. Wang Chen hat aber auf seinem Besuchsprogramm rein zivile Besuche, nämlich das Kraftwerk Emosson, die Schokoladenfabrik Broc der Firma Nestlé, die Uhrenfabrik Rolex und die Genfer Instrumentenfirma SIG. Bundesrat Honegger und ich finden deshalb, dass sich eine Geste lohnen würde. Wang Chen ist schliesslich, da er Mitglied des Zentralkomitees der Partei ist, der höchste chinesische Regierungsvertreter, der die Schweiz seit dem neuen Regime4 besucht. Er nimmt die Einladung zu einem Nachtessen in Genf an.
Dieses improvisierte Zusammentreffen hat sich offensichtlich gelohnt. Erstens einmal die Person des Gastes: ein steinalter Chinese, mit einem feinziselierten Gesicht, der an einem Stock geht und den Langen Marsch mitgemacht hatte. Er erzählt uns, dass er acht Mal verwundet und operiert worden sei. Als Greis scheint er am Tisch einzuschlafen. Er öffnet die Augen kaum und murmelt nur leise vor sich hin. Wir nehmen an, der alte Mann sei völlig senil. Plötzlich aber erhebt er den Kopf und spricht mit lauter und nachdrücklicher Stimme. Der Dolmetscher5 übersetzt: «Ich möchte Ihnen mitteilen, dass wir soeben beschlossen haben, ausländische Investitionen, d. h. ‹joint ventures›, entgegenzunehmen und selbstverständlich auch Kredite, und zwar nicht nur private, sondern auch staatliche, da diese zu günstigeren Bedingungen gewährt werden. Ich hoffe, dass die Schweiz als befreundetes Land auf diesen Gebieten mittun wird.» Wir glauben, nicht recht verstanden zu haben; denn noch vor eineinhalb Monaten bei meinem Besuch in China6 hiess es ausdrücklich, dass Privatinvestitionen nicht in Frage kommen können, weil sie mit dem sozialistischen System unvereinbar wären. Auch unser Hinweis auf die Leistungsfähigkeit des schweizerischen Kapitalmarktes für die Gewährung von Krediten wurde zwar mit offensichtlichem Interesse registriert, aber ohne irgendwelche Reaktion, ausser der Feststellung, dass China jedenfalls keinerlei staatliche Kredite zu erhalten wünsche7. Ist dieser alte Mann senil, erzählt er Dinge, die mit der Regierungspolitik überhaupt nichts zu tun haben, oder hat der Dolmetscher falsch übersetzt? Wir tasten das Terrain ab. Ich frage ihn, welche Art von Investitionen erwünscht seien und wie, d. h. in welcher Form, sich ausländisches Kapital an chinesischen Produktionsstätten beteiligen könnte. Der Chinese antwortet sofort und recht lebhaft. Er scheint plötzlich erwacht zu sein: «Wir haben die Worte Maos falsch ausgelegt. Wir haben im höchsten Planungskomitee die Angelegenheit gründlich geprüft und erwogen und sind zum Schluss gekommen, dass Mao gegen Investitionen und Kredite nichts einzuwenden hatte, vorausgesetzt, dass sie im gegenseitigen Interesse liegen. Solange dieser Grundsatz angewendet wird, ist die Form der aussenwirtschaftlichen Zusammenarbeit nebensächlich. Was nun Investitionen anbetrifft, so könnten ausländische Firmen ohne weiteres mit unseren chinesischen staatlichen Organisationen gemeinsame Produktionsstätten errichten und hiefür Kapital, Maschinen und Technologie einführen. Zurückzahlen würden wir dann allerdings am liebsten mit unseren Rohstoffen. Wir sind reich an Bodenschätzen, und die Schweizer Unternehmen würden überall zugelassen. In China steht den Schweizern sowohl der Himmel wie die Erde und das, was unter ihr liegt, offen.» Ich sondiere weiter und frage ihn, ob derartige gemeinsame Projekte bereits realisiert worden seien oder ob es sich um eine ganz neue Idee handle. Er ist wiederum nicht um die Antwort verlegen: «Die Idee ist neu. Wir haben diesen Beschluss erst vor kurzem gefasst, aber wir stehen bereits mit einigen amerikanischen Firmen für ‹joint ventures› in Verhandlungen. Das mag Sie erstaunen, denn die Vereinigten Staaten haben die Volksrepublik China bis heute diplomatisch noch nicht anerkannt. Aber dieser Umstand stellt für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Privatfirmen kein Hindernis dar. Ich hoffe, dass die Schweizer Magistraten die schweizerische Privatwirtschaft ermuntern werden, derartige Projekte vorzuschlagen. Jedes Unternehmen, dass eine Delegation mit Vorschlägen nach Peking schicken will, ist bei uns willkommen.» Der chinesische Botschafter in Bern8, der mir, obschon ich ihn kürzlich gesehen hatte, diesen Besuch nicht bekanntgab – auch unser Botschafter in Peking9 hat davon nichts gewusst – und der mir noch die gegenteilige chinesische Politik erläutert und bestätigt hatte, nickt verständnisvoll, lächelt undurchsichtig und nimmt diese Erklärung respektvoll und als wäre es eine Selbstverständlichkeit hin. So rasch schreitet die Öffnung gegenüber dem Westen und dem Kapitalismus in China fort10.
Die Stimmung ist ausgezeichnet. Ein Delegationsmitglied, Vizeminister für Wissenschaft und Forschung11, zieht ein Blatt Papier aus der Tasche und sagt, er habe beim Besuch des Kraftwerkes Emosson ein Gedicht über die landschaftliche Schönheit der Schweiz und den hohen Stand unserer Technik gemacht. Das Gedicht wird vorgelesen und übersetzt und dann mit schöner Kalligraphie hinten aufs Menü geschrieben und Bundesrat Honegger als Erinnerung an den Abend überreicht. Ich versuche, das Gespräch fortzusetzen mit detaillierten Fragen über die Zuständigkeiten innerhalb der chinesischen Regierung bei der Vergabe von Projektaufträgen und über die Art und Weise, wie schweizerische Firmen vorzugehen haben, um den richtigen Kontakt zu schaffen. Bundesrat Honegger will wissen, wie lange es dauert, bis ein Projektentscheid getroffen ist. Das könne innerhalb weniger Wochen geschehen, lautet die Antwort. Höchste Entscheidungsinstanz sei die Planungskommission der Volksversammlung. Der Vizeministerpräsident, trotz seines hohen Alters und trotz des Umstandes, dass die Chinesen am Schluss des Nachtessens immer sofort aufstehen und nach Hause gehen, bleibt sitzen und trifft keinerlei Anstalten, aufzubrechen. Im Gegenteil, das Gespräch scheint ihn zu interessieren. Schliesslich sind wir es, die 23 Uhr 15 auf unseren Stühlen unruhig zu rücken beginnen. Wang Chen verspricht, den Vorsitzenden Hua Kuo-feng, den Vizeministerpräsidenten Teng Hsiao-ping und den für Planung zuständigen drittwichtigsten Mann der Hierarchie, den Vizeministerpräsidenten Yu Chiu-li über die gute Aufnahme zu orientieren, die er in der Schweiz gefunden hat. Er lädt Bundesrat Honegger ein, mit seiner Frau12 nach China zu kommen, entweder für die Eröffnung der HUMATEX oder sonst zu einem ihm genehmen Zeitpunkt. Er würde sich jedenfalls freuen, ihn dann dort persönlich empfangen zu können.
- 1
- Notiz: CH-AfZ NL Paul R. Jolles Bd. 1127 (7.5.13.2).↩
- 2
- Gemäss Telegramm Nr. 168 von P. R. Jolles an die schweizerische Botschaft in Peking, dodis.ch/49093, wurde der Besuch erst in letzter Stunde von der chinesischen Botschaft in Bern bekanntgegeben. Tatsächlich wurde die Handelsabteilung des Volkswirtschaftsdepartements bereits durch das Telegramm Nr. 163 von W. Sigg an die Politische Abteilung II des Politischen Departements vom 31. Oktober 1978 über den anstehenden Besuch orientiert. Während W. Sigg eine Höflichkeitsgeste in Form eines Essens empfahl, plädierte P. R. Jolles selbst für eine Zurückhaltung der Bundesbehörden. Für VIP Abfertigung am Flughafen & eventuelle weitere Hilfeleistungen protokollarischer Natur solle der Protokolldienst des Kantons Genf besorgt sein (kein Essen). Vgl. die Notiz von P. Bettschart an P. R. Jolles vom 7. November 1978, dodis.ch/52802.↩
- 3
- Wang Zhen stand dem Vierten Maschinenbauministerium (Elektronik-Industrie mit militärischer Applikation) vor. Vgl. Anm. 2. Zu Wang Zhen vgl. auch DDS, Bd. 27, Dok. 53, dodis.ch/49021.↩
- 4
- Zur politischen Situation in China vgl. die Notiz von J. Cuendet an P. Aubert vom 14. Februar 1978, dodis.ch/49095.↩
- 5
- Chu Hung-fa.↩
- 6
- Vgl. dazu den Bericht von P. R. Jolles vom 5. Oktober 1978, dodis.ch/49077.↩
- 7
- Vgl. dazu auch DDS, Bd. 27, Dok. 168, dodis.ch/49076.↩
- 8
- Li Yunchuan. Zum Gespräch mit P. R. Jolles vom 20. Oktober 1978 vgl. die Notiz von P. Bettschart vom 23. Oktober 1978, CH-BAR#E7110#1989/32#2163* (821).↩
- 9
- W. Sigg. Vgl. Anm. 2.↩
- 10
- Vgl. dazu das Schreiben von W. Sigg an P. R. Jolles vom 20. November 1978, dodis.ch/49096 sowie das Telegramm Nr. 174 von W. Sigg an P. R. Jolles vom 30. November 1978, dodis.ch/49094.↩
- 11
- Gemäss Telegramm Nr. 168 von P. R. Jolles an die schweizerische Botschaft in Peking, dodis.ch/49093, handelt es sich um Duan Yun, den Vizeminsiter der Staatlichen Planungskommission.↩
- 12
- L. Honegger-Jacot.↩
Collegamenti ad altri documenti
http://dodis.ch/49093 | vedere anche | http://dodis.ch/49088 |
Tags
Cina (Politica) Investimenti e GRI