Classement thématique série 1848–1945:
7. ATTITUDE DE LA SUISSE À L’ÉGARD DES JUIFS
7.2. ATTITUDE DE LA SUISSE FACE AUX PERSÉCUTIONS ANTISÉMITES
7.2.3. FRANCE
Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 14, doc. 234
volume linkBern 1997
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
Archival classification | CH-BAR#E2001D#1968/74#358* | |
Old classification | CH-BAR E 2001(D)1968/74 | |
Dossier title | Enfants de juifs de la France non-occupée et de la France occupée déportés (1942–1945) | |
File reference archive | B.55.47.05 |
dodis.ch/47420
Wie ich am 7.ds. mit Herrn Minister Bonna vereinbart hatte, verlangte ich sofort nach meiner Rückkehr eine Audienz beim Regierungschef Laval2, der mich denn auch schon Donnerstag, den 10. September zu sich bat. Er empfing mich mit den Worten: «Est-ce que vous aussi, vous voulez venir me faire de la morale à cause de mes mesures contre les juifs?»3 Ich erwiderte sehr ruhig, dass ich allerdings mit ihm über gewisse Auswirkungen der in Frankreich gegen die Juden getroffenen Massnahmen auf die schweizerisch-französischen Beziehungen sprechen möchte, mir aber durchaus bewusst sei, dass es nicht die Rolle der Schweiz sein könne, Frankreich in dieser Hinsicht Lehren zu erteilen. Ich setze auseinander, dass die Tatsache, dass mitten in der Nacht jüdische Kinder durch bewaffnete Mobilgarden aus den schweizerischen Heimen in Frankreich herausgeholt und abgeführt worden seien, in der Schweiz eine sehr beträchtliche Erregung verursacht hätte. Nicht nur die grossen Kreise, die das schweizerische Hilfswerk für die Franzosenkinder in der Schweiz sowohl als in Frankreich betreuen und finanzieren, sondern auch der Bundesrat selber sei peinlich überrascht gewesen über diese Massnahme4. Allfällige Wiederholungen solch brutaler Eingriffe könnten in den beteiligten schweizerischen Kreisen mit Sicherheit zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Hilfswerkes für die Franzosenkinder führen, worunter diese zu leiden hätten. Ich bat ihn deshalb, mir wenn irgend möglich ganz bestimmte Garantien dafür zu geben, dass in Zukunft die von der schweizerischen Kinderhilfe in Frankreich betrauten Heime unter keinen Umständen mehr Gegenstand solcher Eingriffe sein würden.
Laval versuchte zunächst sehr eindringlich, mich von der Richtigkeit der von ihm allgemein gegen die Juden bestimmter Nationalitäten getroffenen Massnahmen zu überzeugen. Die Juden seien, sagte er, weitgehend schuldig am französischen Zusammenbruch. Trotzdem handle es sich bei seinen Massnahmen viel weniger um Vergeltung für das Geschehene als um eine prophylaktische Vorbeugung: Die Juden seien ausnahmslos gegen ihn und das Régime, sie seien anglophil und vor allem aus gaullistisch, sie seien die Träger unterirdischer Wühlarbeit und falls es zu revolutionären Aktionen kommen sollte, würde man sie zweifellos an erster Stelle finden. Sie seien endlich auch, fügte er bei, weitgehend verantwortlich für den schwarzen Handel und die durch diesen bewirkten Schwierigkeiten. Er wolle und müsse deshalb Frankreich soweit als möglich von dieser Plage befreien. Seine Massnahmen seien zunächst ja sehr beschränkt: Sie betreffen nur die Angehörigen der von Deutschland besetzten Gebiete, mit Ausnahme von Norwegen, Belgien und Holland. Es kämen also in Frage deutsche, polnische, österreichische, tschechische, griechische und staatenlose Juden und zudem nur solche, die nicht normal, sondern durch die kriegerischen Ereignisse veranlasst in Frankreich Asyl gesucht hätten, d. h. seit 1936 sich in Frankreich aufhalten. Von diesen Juden werde er sich unter allen Umständen befreien, «même si tous les jours 50 diplomates étrangers et les représentants de toutes les églises du monde» bei ihm dagegen protestierten.
Was im speziellen die von uns beanstandeten Massnahmen gegen die Insassen schweizerischer Kinderheime in Frankreich anbelangt, so müssten zwei Dinge auseinandergehalten werden: Soweit es sich um Kinder handle, die das sechszehnte Altersjahr überschritten haben, so würden diese den Erwachsenen gleichgestellt und wie solche behandelt. Mit Bezug auf sie könne er lediglich die Erklärung abgeben, dass man in Zukunft die betreffenden Heime vorher in korrekter Weise avisieren und sehr schonungsvoll vorgehen werde. Hinsichtlich der Kinder unter sechszehn Jahren sei die Massnahme lediglich deshalb erfolgt, um die Kinder nicht von ihren Eltern zu trennen, sondern sie deren Schicksal teilhaftig werden zu lassen. Man habe nämlich vorher bei ihm schweren Protest erhoben, dass die Kinder von den Eltern getrennt würden. Mit Rücksicht auf die grosse und von ihm restlos anerkannte Tätigkeit der Schweiz für die französischen Kinder, wolle er mir aber die bestimmte Erklärung abgeben, dass die französische bewaffnete Macht unter keinen Umständen mehr in schweizerische Kinderheime in Frankreich eindringe und dort Kinder wegnehme. Bei besonderen Verhältnissen würde er sich vorher mit mir in Verbindung setzen.
Im Übrigen, sagte Laval, sei die Aktion zur Hauptsache beendigt. Es seien cirka 12000 Juden der oben umschriebenen Kategorien in ihre Ursprungsländer zurückgesandt worden. Er wisse nun allerdings, dass sich noch zahlreiche Juden der gleichen Kategorien im ganzen Lande herum, auch in den Klöstern, versteckt hielten. Diese würden weiter mit allen Mitteln gesucht und später ebenfalls deportiert.
Was das Schicksal der Kinder dieser deportierten Juden anbelangt, die aus irgend einem Grunde nicht mit den Eltern nach dem Osten abgeschoben wurden, so beschäftige sich damit das Innen-Ministerium in Verbindung mit der «Assistance publique» und namentlich dem «Comité de coordination des œuvres des réfugiés en France» in Marseille. Die dominikanische Republik habe sich übrigens freundlicherweise bereit erklärt 3500 dieser Kinder, fast die Totalität, aufzunehmen und er werde alles tun, damit diesem Antrag entsprochen würde. Es wäre wünschenswert, sagte er endlich, dass auch andere Länder die gleiche Bereitschaft zeigten. Ich antwortete lediglich, dass die Schweiz schon verhältnissmässig mehr als andere Länder von Flüchtlingen aller Art überschwemmt sei und auch mit Rücksicht auf die Schwierigkeiten ihrer Ernährung vorsichtig sein müsse.
Ich wiederhole also, dass hinsichlich der von der schweizerischen Kinderhilfe in Frankreich beherbergten Judenkinder unter 16 Jahren vom Regierungschef persönlich bestimmte Garantieerklärungen vorliegen und dass die ganze Aktion in ihrer jetzigen Etappe zur Hauptsache abgeschlossen erscheint. Ich halte es allerdings nicht für unmöglich, dass später neue Aktionen gegen jüdische Angehörige von Frankreich selber oder von ändern Nationen vorgenommen werden könnten.
Über die innerpolitischen Auswirkungen der letzten Massnahmen Lavais berichte ich an anderer Stelle.
- 1
- Rapport: E 2001 (D) 1968/74/15. Französische Massnahmen gegen die Juden. Ce dernier a noté: Lu au C[onseil] F[édéral] le 21.9.42. A communiquer à M. de Haller. 21.9.42.↩
- 2
- Cf. à ce propos la notice rédigée par W. Stucki le 11 septembre: [...] 3. Massnahmen gegen Juden: Ich bitte R[ochat] mir eine Audienz beim Regierungschef zu vermitteln, da ich beauftragt sei, diesem zum Ausdruck zu bringen, dass in der Schweiz eine grosse Entrüstung bestehe weil man ohne jede Voranzeige mitten in der Nacht Judenkinder aus vom schweizerischen roten Kreuz in Frankreich unterhaltenen Asilen herausgeholt habe. Im darauffolgenden einlässlichen Gespräch bringt R. unverhohlen zum Ausdruck, dass er und viele der engsten Mitarbeiter des Regierungschefs mit dessen letzten Massnahmen gegen die Juden durchaus nicht einverstanden sind. Er betrachtet sie als schwere aussenpolitische und innerpolitische Fehler und sagt wörtlich: «Même un Chef de Gouvernement n’a pas le droit de changer vis-à-vis du monde et de l’histoire le visage noble de la France.» Er bittet mich, diese Angelegenheit Laval gegenüber eindringlich zur Sprache zu bringen, verhehlt aber nicht, dass es kaum möglich sein dürfte, den Regierungschef, der sich in dieser Frage verbohrt habe, umzustimmen (J I. 131/53).↩
- 3
- Rafles organisées en zone non occupée, le 26 août et les jours suivants. Cf. No 231 et annexe. Sur le rôle de Laval dans les persécutions contre les Juifs, cf. aussi le rapport de Stucki à Pilet-Golaz, du 17 septembre: Was die letzten Massnahmen gegen die Juden anbelangt so behauptet Laval - er hat es auch mir gegenüber getan - er sei hiezu von den Deutschen gezwungen worden. Diese Behauptung wird in eingeweihten Kreisen aber in Zweifel gezogen. Man behauptet, Laval habe sich direkt durch gewisse Kreise in einen fanatischen Hass gegen die Juden hineinmanövrieren lassen und treffe nun alle Massnahmen aus eigenem Antrieb und in eigener voller Überzeugung. Die Leidenschaftlichkeit, mit welcher er mir das Problem auseinandersetzte, lässt diese Version als wahrscheinlich erscheinen. Trotzdem die gesamte französische Presse von allen diesen Massnahmen kaum ein Wort spricht, sind sie doch in der Bevölkerung mehr oder weniger bekannt geworden und haben grosse Aufregung verursacht. Wenn Laval mir auch erklärt hat, er sei mit der Brutalität, die die polizeilichen Durchführungsorgane mehrfach angewendet haben, keineswegs einverstanden, so hat er eben doch auch für all das die Verantwortung zu tragen und er hat sich eine grosse, sehr mächtige neue Gegnerschaft zugezogen. Die katholische Kirche hat auf das schärfste protestiert. Ich verweise auf die beiliegenden Äusserungen der Bischöfe von Montauban und Toulouse. Andere haben nicht weniger energisch gesprochen. Aber auch die protestantische Kirche hat sich dem Protest angeschlossen. Ich weiss es durch ihren Präsidenten und ihr geistiges Haupt, den bekannten Pasteur Boegner, den ich unmittelbar nach seiner Unterredung mit Laval getroffen habe und der seine Entrüstung über die Haltung des Regierungschefs keineswegs verbarg. Dazu kommen die Aufregung und die Proteste aller Linkskreise. Diplomatisch interveniert haben die Vereinigten Staaten und der Vatikan. Laval hat mir und andern erklärt, alle diese Proteste Hessen ihn vollständig gleichgültig und er würde seinen Weg unentwegt weitergehen. Die Folgen könnten aber doch, so glaubt man auch in seiner nächsten Umgebung, weit schwerwiegender sein, als er es sich vorstellt. In grosser Erregung sagte mir einer seiner besten und treuesten Mitarbeiter: «Même un Chef de Gouvernement n’a pas le droit de falsifier devant l’histoire et devant le monde le visage noble de la France.» (E 2300 Paris/959).↩
- 4
- Nous n’avons pas trouvé de traces de cette réaction dans les procès-verbaux du Conseil fédéral.↩
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