Classement thématique série 1848–1945:
2. RELATIONS BILATÈRALES
2.14. ITALIE
2.14.1. RELATIONS ÉCONOMIQUES
Imprimé dans
Documents Diplomatiques Suisses, vol. 14, doc. 89
volume linkBern 1997
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Archives | Archives fédérales suisses, Berne | |
▼ ▶ Cote d'archives | CH-BAR#E7800#1000/1961#178* | |
Ancienne cote | CH-BAR E 7800(-)1000/1961 24 | |
Titre du dossier | Wirtschaftsverhandlungen mit Italien (1940–1943) | |
Référence archives | 01.10.19 |
dodis.ch/47275
Le Chargé d’Affaires a.i. de Suisse à Rome, L. H. Micheli, au Directeur de la Division du Commerce du Département de l’Economie publique, J. Hotz1
Im Augenblick, wo Herr Masi sich wiederum in Bern zwecks Erlangung einer weitern Tranche von Clearingvorschüssen befindet und wo die Erneuerung des im letzten Jahr gewährten Bankkredites2 (wie wir erfahren ohne jegliche Bedingung) zugestanden wird, möchte ich mir gestatten, einige allgemeine Bemerkungen zu unterbreiten und auf etwelche besondere Punkte die Aufmerksamkeit unserer Behörden zu lenken.
1) Die italienische Wirtschaftlage hat sich seit den letzten Verhandlungen nicht gebessert, wenn es auch scheint, dass die Ernte eher günstig ausfallen wird. Die Transport-, Ernährungs- und Yersorgungsfragen im allgemeinen werden immer heikler. Die Ausgaben werden immer unübersichtlicher (Die Kammer hat soeben einem neuen Kredit von ca. 3 Milliarden Liren für Marine-Zwecke zugestimmt. Es wurde dabei den ausländischen Zeitungskorrespondenten nahegelegt, diese Nachricht, welche jedoch auch aus dem Amtsblatt klar hervorgeht, nicht zu verbreiten). Wir wissen, dass in gewissen Ministerien Geldknappheit herrscht. Es darf ruhig behauptet werden, dass die Stimmung im allgemeinen zum mindesten als flau betrachtet werden kann. Es besteht nicht der geringste Enthusiasmus für die Unternehmungen dieses Krieges. Man befürchtet sogar gegenwärtig eine eventuelle Offensive Englands gegen Libyen und Sizilien.
Sogar für den Kampf an der russischen Front, wohin mehrere Divisionen geschickt worden sind, vermag man sich hier wenig zu begeistern. Das Regime, die Partei im allgemeinen haben unendlich an Prestige und Popularität, nach Angaben aller unserer Gewährsleute (Italiener oder Ausländer), eingebüsst. Angesichts dieser Lage und anderer Faktoren, auf die ich noch zurückkommen werde, ist es nur verständlich, dass Italien, das von keinem ändern Lande ausser Deutschland auf wirtschaftliche oder finanzielle Hilfe zählen kann, sich ganz besonders nach der Schweiz wendet und alle Hebel in Bewegung setzt, um von uns das herauszubekommen, was es erhältlich machen kann.
2) Es ist für Italien im letzten Wirtschaftsjahr - zum ersten Mal seit der Gründung des Königsreiches anno 1870 - ein neuer Faktor dadurch eingetreten, dass eine aktive Handelsbilanz entstanden ist. Dies ist damit zu erklären, dass während Italien seine üblichen Exportartikel wie Gemüse, Früchte plus einige Nebenartikel weiter ausführt, es seinen Import aus angelsächsischen und ändern Ländern infolge des Krieges einstellen bzw. reduzieren musste, wozu auch, allerdings in bescheidenerem Masse, die italienische Autarkiepolitik beigetragen hat. Dadurch hat sich im Warenaustausch eine Kreditspitze ergeben. Herr Dr. Troendle bemerkte bereits einmal in einem Schreiben, man sei über diese Kreditorenstellung im Ministerium für Warenaustausch und Devisen besorgt. Es wurde mir neulich von einem befreundeten Industriellen bestätigt, Minister Riccardi habe seine Aufmerksamkeit auf diese Tatsache gelenkt. Er habe gesagt, Italien könne nicht ohne weiteres zustehen, wie sein Aktivsaldo im Warenverkehr sich vermehre, da ja bekanntlich es ungünstig ist, nach einem Kriege Kreditorenstaat zu sein. Mein Bekannter glaubte zu wissen, dass sich dieser Aktivsaldo auf ca. 3 Milliarden Lire belaufe. Dieser Umstand veranlasse Herr Minister Riccardi, dem Gedanken Ausdruck zu geben, dass Italien gezwungen sei, seine Ausfuhrpolitik einer gründlichen Revision zu unterziehen und die Ausfuhrlizenzen jedenfalls nur auf Länder zu beschränken, die nach seiner Meinung, bezw. derjenigen der italienischen Behörden eines Kredites tatsächlich würdig sind.
3) Es ist kaum daran zu zweifeln, dass die Reise und die neuen Begehren Generaldirektors Masi teilweise durch die Nachricht über das letzte Abkommen und die Vorschussgewährung an Deutschland3 veranlasst worden sind. Italien wird selbstverständlich nun auch seinen Teil bekommen und - wie Deutschland - seine Lieferungen nicht nur für dieses Jahr, sondern auch für die kommenden Zeiten sichern. Bei den in Betracht fallenden Summen sollte nicht ausser Acht gelassen werden, dass das Gesamtvolumen unseres Handels mit Italien nur eine Fraktion von ca. 1/3 von dem, was es mit Deutschland beträgt, soweit ich orientiert bin, ausmacht. Unter das gleiche Kapitel gehören die Riesenleistungen, die Italien an Deutschland zu machen hat. Es ist für alle Industriellen unseres Landes eine bekannte Tatsache, dass sie hier die Deutschen beständig als Konkurrenten bei Einkaufsverhandlungen vor sich antreffen.
4) Wie die Gesandtschaft in mehreren Schreiben unter Zusendung der betreffenden Beilagen und auch unser Presseagent, Dr. Rob. Hodel, in einem vor kurzem zugesandten Bericht über Veröffentlichungen im Monat Juli und in der ersten August - Woche leider feststellen mussten, kann die Haltung der italienischen Presse4uns gegenüber in letzter Zeit nicht als freundlich bezeichnet werden. Wir geben zu, dass die grosse Presse, wie «Popolo d’Italia», «Messaggero», «Corriere della Sera» die Schweiz in letzter Zeit nicht direkt angegriffen haben. Aber in verschiedenen Blättern aus gewissen Provinzteilen sind hin und wieder sehr unfreundliche Artikel erschienen. Ich darf mich auf die diesbezüglichen Berichte beziehen. Immer wieder wird in gewissen Blättern von Norditalien, aber auch in der Toscana, in Triest, Genua oder Neapel in gelegentlichen Korrespondenzen die These verfochten, die Schweiz sei achsenfeindlich, verstehe nichts, wolle nicht mitarbeiten und sich nicht anpassen und sei von freimaurerisch-internationalen Cliquen beeinflusst, usw. Da man gegen unsere Presse in letzter Zeit nichts einwenden konnte, erfand man ein neues System, indem man uns mit der Veröffentlichung irreführender Nachrichten zu kritisieren und zu beeinflussen versucht. Am Anfang des Sommers wurde behauptet, ein Teil des Personals der Schweizerischen Gesandtschaft in London habe seine Demission aus Furcht vor den Bombardements eingereicht. Kürzlich haben die verschiedensten Zeitungen (Turin, Mailand, Genua, Bologna) die Falschmeldung verbreitet, die Schweiz handle nicht neutral, indem durch englische, bzw. amerikanische diplomatische Kuriere Uhrwerke zur Herstellung von Zeitbomben nach England geschmuggelt würden. Auch wurde die unrichtige Nachricht in allen Zeitungen veröffentlicht, alle Schweizer seien eingeladen worden, Shanghai zu verlassen. Neuerdings hiess es, die Türkei habe den Handel nach der Schweiz wegen der starken Entwertung des Schweizerfrankens vollständig eingestellt. Was wird mit solchen Kampagnen, die leider auf ein gewisses italienisches Publikum auf die Länge einwirken, bezweckt?
a) Man versucht, zu grosse Sympathien, die in Italien für unser Land und seine liberalen Institutionen bestehen, zu zerstören und jene Idee zu bekämpfen, welche verfechten könnte, ein demokratisches Land sei in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht günstiger gestellt als Italien mit seinem Regime. Damit wird auch der Gedanke gefördert, dass, während Italien die grössten Dienste der Schweiz leiste, seine Haltung in der Schweiz nicht genügend gewürdigt werde und dieselbe sich den neuen Machtverhältnissen nicht anzupassen wisse.
b) Es liegt klar auf der Hand, dass man auch unsere Behörden und unser Publikum mit dieser Kampagne beeinflussen will, um Konzessionen auf politischem und finanziellem Gebiet zu erwirken. Damit ist auch die künstliche Misstimmung, die oft italienische Vertreter in der Schweiz zur Schau tragen, in Verbindung zu setzen (Ich darf z. B. nur erwähnen, dass letztes Jahr, als Minister Tamaro grosse Unzufriedenheit zeigte und sich über unsere Presse und anderes fortwährend beklagte5, derselbe einem seiner Kollegen, einem früheren Gesandten, der drei Tage bei ihm wohnte und der es mir erzählte, wörtlich sagte: «Je suis enchanté à Berne et je ne pense plus à m’en aller.»). Man will bei uns die Stimmung erwecken, als ob die Schweiz Italien gegenüber in einem Schuldverhältnis stehe und dass sich die Presse und die Bevölkerung Fehler zu Schulden kommen lassen, die durch freundliche Gesten gut gemacht werden sollten. Es ist, als ob man bei uns ein Schuldbewusstsein schaffen wollte und wer nach der Schweiz reist, kann konstatieren, dass diese Kampagne bei ziemlich viel Leuten ihre Wirkung nicht verfehlt. Wie oft haben wir Mitglieder dieser Gesandtschaft in der Schweiz hören müssen: «Nicht wahr, Italien ist doch uns gegenüber sehr freundlich gesinnt? Weiss man dies bei uns genug zu würdigen?» Dabei hat man natürlich nicht die geringste Ahnung, wie man in der italienischen Presse über uns schreibt und welche grossen Schwierigkeiten unsere Landsleute nicht nur in Süditalien, sondern auch in ändern Gebieten wegen Passrestriktionen und sonstigen Einschränkungen (Zensur, Ausweisungen usw.) haben. Nun muss ich konstatieren, dass - wie dies bei den beiden letzten Malen der Fall gewesen war - der Reise des Herrn Generaldirektor Masi Unfreundlichkeiten in der italienischen Presse (diesmal in beschränkterem Masse; jedoch wurde unsere 650. Gründungsfeier in den hiesigen Zeitungen in keiner Weise gewürdigt) vorangegangen sind. Ich glaube, wir brauchen uns durch diese Kampagne nicht im geringsten beeinflussen zu lassen. Wenn auch Italien von Zeit zu Zeit auf diese Weise energisch aufzutreten und auf den Tisch zu klopfen zu müssen glaubt (oft in Nachahmung der Methoden anderer Länder) so ist daraus nicht abzuleiten, dass es dabei auf die Unterstützung Deutschlands zählen kann, eines Deutschlands, das gegenwärtig Frankreich offensichtlich begünstigt und schont. Italien braucht uns, und wenn eine gewisse Nervosität manchmal gezeigt wird, so dürfte das auch mit der Sorge um den Schutz der eigenen Interessensphäre (auch Deutschland gegenüber) in Verbindung gebracht werden.
Mit Vorstehendem möchte ich natürlich nicht die grossen Erleichterungen, die uns mit den Abkommen von 19396 eingeräumt worden sind, insbesondere für den Transit, die Zurverfügungstellung des Hafens von Genua und auch gewisse Lieferungen herabsetzen. Auch möchte ich selbstverständlich das grosse Entgegenkommen, das uns Leute wie Senator Giannini, der sich übrigens zu einer Kur in Montecatini befindet, beweisen, unterschätzen. (Abgesehen von auch erfreulichen Aspekten der politischen Beziehungen und der früheren freundlichen Erklärungen und Manifestationen des hies. Regierungschefs.)[...]7
- 1
- Lettre (Copie): E 7800/1/24. Une copie de ce rapport est également envoyée au DPF, avec un billet d’accompagnement pour P. Bonna où Micheli écrit notamment: Les observations faites concernent sur divers points des sujets relevant du Département politique. En écrivant ce rapport, je sais être en harmonie avec le ministre et mes collègues s’occupant plus particulièrement des questions économiques (E 2001 (D) 2/268).↩
- 2
- Cf. DDS, vol. 13, doc. 354, dodis.ch/47111, doc. 377, dodis.ch/47134, doc. 427, dodis.ch/47184.↩
- 4
- Cf. Nos 23 et 32.↩
- 5
- Cf. DDS, vol. 13, doc. 316, dodis.ch/47073.↩
- 6
- Cf. DDS, vol. 13, doc. 170, dodis.ch/46927, doc. 198, dodis.ch/46955.↩
- 7
- L. H. Micheli aborde ensuite la situation des Suisses du «Mezzogiorno» après les échanges intervenus début mai entre le Ministre Ruegger et VA mbassadeur Giannini (cf. Nos 14, 26 et 3 7).↩
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