Printed in
Diplomatic Documents of Switzerland, vol. 12, doc. 224
volume linkBern 1994
more… |Österreich zwischen den Mächten. Die politische Berichterstattung der schweizerischen Vertretung in Wien 1938–1955, vol. 4, doc. 19
volume linkBern 2014
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Archive | Swiss Federal Archives, Bern | |
▼ ▶ Archival classification | CH-BAR#E2300#1000/716#1264* | |
Old classification | CH-BAR E 2300(-)1000/716 524 | |
Dossier title | Wien, Politische Berichte und Briefe, Militär- und Konsularberichte, Band 53 (1938–1938) |
dodis.ch/46484
Hiedurch beehre ich mich, Ihnen über zwei kürzliche Unterredungen mit Bundeskanzler von Schuschnigg und Aussenminister Guido Schmidt einige Angaben zu machen, die grösstenteils streng vertraulicher Natur sind.
Der Bundeskanzler bezeichnete es als eine seiner schwersten gegenwärtigen Aufgaben, einerseits die österreichischen Nationalsozialisten nicht allzusehr «übermarken», das heisst nicht über die ihrer Betätigung gesetzten Grenzen hinausdringen zu lassen, anderseits die eigenen Anhänger in der Vaterländischen Front und namentlich die Arbeiterschaft zurückzuhalten und so Zusammenstösse zu verhüten, die einen Grund zur deutschen Einmischung gäben, auf den Hitler ja nur warte. Deutschland schrecke nämlich letzten Endes vor keinen Entschlüssen zurück, denn es rechne bestimmt mit der Unvermeidbarkeit eines Krieges. Adolf Hitler habe ihm, dem Bundeskanzler, in Berchtesgaden wörtlich erklärt: «Das Blutvergiessen kann dem deutschen Volke nicht erspart werden». Massgebend ist hier wohl der Gedanke, dass die deutschen Rüstungen als aktiver Faktor in Form eines Krieges in die deutsche Politik schliesslich doch eingesetzt werden müssen, da sie ja nicht auf unbestimmte Zeit auf ihrem jetzigen Stand gehalten werden können. In diesem Zusammenhang erwähne ich, von der Unterhaltung mit Herrn Schuschnigg abschweifend, dass der frühere amerikanische Präsident, Herbert Hoover, der kürzlich zwei Tage in Wien weilte, um den Grad eines Ehrendoktors zu empfangen, einer Persönlichkeit meines Vertrauens eröffnete, auch die Vereinigten Staaten von Amerika könnten auf die Dauer die jetzigen Rüstungen nicht ertragen. Hoover fügte bei, entweder komme als Folge des gegenwärtigen Wettrüstens ein wirtschaftlicher Zusammenbruch mit seinen entsetzlichen sozialen Auswirkungen, oder aber der Krieg.
Bundeskanzler von Schuschnigg, zu dessen Darlegungen ich nun zurückkomme, sagte mir weiter, die Lage schaue nicht gut aus, man möchte in Schweden leben. Den gleichen Gedanken hatte er übrigens, wie ich Ihnen meldete, schon früher geäussert. Er fuhr fort, niemand werde vom Krieg verschont werden und wer, wie er, den Weltkrieg mitgemacht habe, könne ermessen, was dies für alle, besonders für Österreich, bedeute.
Herr von Schuschnigg sagte mir sodann - und dies ist sehr bedeutungsvoll - wenn er durch die Entwicklung der Dinge gezwungen werde, so scheue er sich nicht, Enthüllungen über Berchtesgaden vor die Weltöffentlichkeit zu bringen, die er ihr bisher vorenthalten habe. Aber die Staatskanzleien - meinte er - seien nun wenigstens erwacht.
In diesem Zusammenhang sei aufgezeichnet, dass Aussenminister Dr. Guido Schmidt, an dessen Seite sich Gesandter Hornbostel befand, der von jeher im Bundeskanzleramt ein Eckstein des österreichischen Unabhängigkeitswillens war, kürzlich den französischen Gesandten empfing, um ihn zu fragen, was nach seiner Auffassung Österreich tun solle, wenn es durch Deutschland erneut unter Druck gesetzt werde. Die Antwort lautete, der Ballhausplatz solle den Quai d’Orsay sofort offiziell verständigen. Dieser Druck Deutschlands, der den österreichischen Staatsmännern so grosse Sorge bereitet, macht sich übrigens in mehr als einer Hinsicht bemerkbar. So ist der Rücktritt des österreichischen Generalstabchefs Jansa - früher Militärattache in Berlin - nicht, wie die Blätter krampfhaft darzulegen versuchten, auf die Erreichung der Altersgrenze zurückzuführen. Jansa ist vielmehr ein Opfer des «deutschen Friedens». In militärtechnischer Hinsicht galt er nämlich als franzosen- und tschechenfreundlich. Dabei wäre es natürlich verkehrt, nun annehmen zu wollen, sein Nachfolger, Generalmajor Böhme, werde sein Amt als Vertrauensmann der deutschen Generalität versehen. Immerhin musste Jansa, wie gesagt, darum gehen, weil er als militärischer Fachmann gegen die deutsche Armee eingestellt
Es bleibe auch nicht unerwähnt, dass der Druck gegen Staatssekretär Skubl, den Herrn von Schuschnigg bekanntlich zum Generalinspizienten der gesamten Exekutive gemacht hat, ein nicht unbedeutender ist. Es fragt sich, ob alle diese Fäden nicht durch Herrn von Papen gezogen werden, der sich trotz der Verabschiedung vom österreichischen Bundespräsidenten noch immer in Österreich befindet. Allerdings hat die Einstellung des Ballhausplatzes zu Herrn von Papen seit dem Besuch in Berchtesgaden eine starke Änderung erfahren.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Bundeskanzler vom ehrlichen Willen erfüllt ist, die Abmachungen des deutschen Friedens loyal einzuhalten, dass er jedoch leider glauben muss, von der Dynamik seines Partners unter Umständen Schlimmes zu befürchten zu haben.
Und nun zur Unterredung mit Aussenminister Dr. Guido Schmidt! Ich stellte dem Minister die konkrete Frage, ob uns die nächste Zeit eine gewisse Ruhe bringen werde. Die Antwort lautete: aussenpolitisch voraussichtlich ja, innenpolitisch müsse sich nun zeigen, wer Herr im Hause sei. Es werde sich nun zu erweisen haben, ob die österreichischen Nationalsozialisten sich loyal an die getroffenen Abmachungen hielten, beziehungsweise ob Rückfälle in die Illegalität von aussen her unterstützt oder desavouiert würden.
Wichtig ist, dass Guido Schmidt dabei bemerkte, der Innen- und Sicherheitsminister Seyss-Inquart - ob wir diesen Mann einen National-Betonten oder einen Nationalsozialisten nennen, ist wohl ein Spiel mit Worten - arbeite zur Zufriedenheit des Bundeskanzlers. Es wird allerdings bereits befürchtet, dass Seyss-Inquart, als für die extremen Nationalsozialisten zu guter Österreicher beim nationalsozialistischen Bevölkerungsteil sich bereits den Kredit verderbe.
Dr. Guido Schmidt verteidigte alsdann den Gang auf den Obersalzberg. Hätte man die Einladung zu diesem Besuche abgelehnt, so argumentierte er, würde Hitler haben sagen können, seine ausgestreckte Hand zum Frieden sei ausgeschlagen worden, er müsse nun zu ändern Mitteln greifen. Dann hätte Deutschland einen Vorwand gehabt, um das Abkommen vom 11. Juli 1936 zu kündigen und Zuständen, wie sie im Jahre 1934 herrschten, neuerdings Tür und Tor zu öffnen. Dann wäre wohl ein Bürgerkrieg zu befürchten gewesen, mit der Möglichkeit einer deutschen Intervention.
Allerdings, fuhr Dr. Guido Schmidt fort, hätten er und der Bundeskanzler nicht damit rechnen können, dass es möglich sei, als Gast irgendwohin eingeladen zu werden, um dann in der Garderobe die Pistole auf die Brust gesetzt zu bekommen, damit man das Portefeuille herausgebe.
Das Bild von der auf die Brust gesetzten Pistole bezeichnet wohl die ultimative Art, mit der Hitler seine Minimalforderungen durchsetzte: Generalamnestie, Zulassung der Nationalsozialisten in die Vaterländische Front und in die Regierung. Hinter dieses «Minimum» habe Hitler nicht zurückgehen wollen. Er habe daraus eine Prestige-Frage gemacht.
Gleich dem Bundeskanzler betonte der Aussenminister, das Unerfreulichste und Gefährlichste an den Erkenntnissen von Berchtesgaden sei, dass man sich draussen im Reich mit dem Gedanken an einen Krieg immer mehr vertraut zu machen scheine. Seine persönliche Überzeugung ist, dass HitlerÖsterreich haben will und nicht nachgibt. Allerdings hofft der österreichische Aussenminister, die Zeit werde helfen. Diese Hoffnung auf die hinausschiebende und helfende Kraft der Zeit zeichnet übrigens das ganze Programm und die ganze Politik der österreichischen Regierung in den vergangenen fünf Jahren.
Die nächste Zukunft seines Landes, so erklärte mein Gesprächspartner, hänge davon ab, ob England und Italien sich verständigten. Geschehe dies, so könne ItalienÖsterreich wieder helfen, seine Unabhängigkeit zu behaupten. Geschehe dies nicht, so bleibe die Zukunft dunkel.
Es bleibt für Dr. Guido Schmidt eine unbeantwortete Frage, ob Herr von Papen wusste, was seinen Reisebegleitern in Berchtesgaden bevorstand. Er will dies nicht gerne annehmen. Allerdings habe Herr von Papen dem erstaunten Bundeskanzler die deutschen, auf dem Obersalzberg anwesenden Generale ohne jedes Zeichen eigener Überraschung vorgestellt. Sofern Papen wirklich an der Überrumpelung von Berchtesgaden mitbeteiligt gewesen sei, so verknüpfe dies seinen Abgang mit einer sehr bitteren Erinnerung.
Im Laufe der langen Unterhandlungen des «harten Tages» von Berchtesgaden, wie Herr von Schuschnigg am 24. Februar im österreichischen Bundestag das Zusammentreffen mit Adolf Hitler bezeichnete, habe der Bundeskanzler nicht zu allem nein sagen können. Er habe aber auch nicht ja gesagt und als Ehrenmann erklärt, er müsse, getreu der Verfassung, die legalen Instanzen befragen; bis Dienstagabend werde er antworten. So sei man unter dem Druck der deutschen Forderungen auseinandergegangen.
Nun müsse, schloss der Aussenminister, alles getan werden, um durchzuhalten. Dabei sei es das Gebot der Stunde, den Anschein guter und freundschaftlicher Beziehungen zu Deutschland zu wahren. Denn gegen Deutschland könne Österreich seine Politik auf die Dauer nicht richten. Käme es zu innern Unruhen, zu Schiessereien und zu Blutvergiessen, so sei eine Intervention Deutschlands zu gewärtigen. Dann, erklärte der Aussenminister, müssten andere als er der Situation die Stirne bieten.
Trotz der düsteren und gefahrenschwangeren Aussichten, die sowohl die Erklärungen des Bundeskanzlers als auch diejenigen seines Aussenministers eröffnen, glaube ich, dass Österreich in den nächsten Wochen, wenigstens in aussenpolitischer Beziehung, mit einer Atempause rechnen darf. Wie sich nun allerdings die Befreigung der österreichischen Nationalsozialisten von den Fesseln der Illegalität und die von der Regierung zugestandene Durchsetzung der Vaterländischen Front mit Hakenkreuzleuten auswirken wird, ist schwer abzuschätzen. Es können hier vielleicht bälder, vielleicht später, Gegebenheiten eintreten, welche österreichische innenpolitische Komplikationen auf den aussenpolitischen Plan erheben und Deutschland so, im Sinne der Befürchtungen des Bundeskanzlers und seines Aussenministers, die Handhabe zu einem neuen Druck, wenn nicht zu Schlimmerem, bieten.
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Austria (Politics)
Anschluss of Austria (1938)